Ukrainische Neonazis
von Afsan Bahar am 30.7.2014
Fünf
Monate nach dem von Berlin energisch geförderten Umsturz in Kiew sehen Umfragen
in der prowestlich gewendeten Ukraine eine Partei der äußersten Rechten als
stärkste politische Kraft. Einer aktuellen Untersuchung zufolge könnte die
Radikale Partei des Rechtsaußen-Politikers Oleh Ljaschko bei Wahlen derzeit mit
23,2 Prozent der Stimmen rechnen. Ljaschko hat sich vor allem mit brutalen
Aktionen im Kampf gegen ostukrainische Regimegegner einen Namen gemacht. Zudem
ist er als Mitgründer und Unterstützer des Bataillons Asow bekannt, einer
mehrere hundert Kämpfer umfassenden Miliz, die überwiegend aus Faschisten
besteht. Ihr gehört ein schwedischer Neonazi an, der sich in der Ukraine als
Scharfschütze betätigt und berichtet, dass weitere Scharfschützen schon bei den
Protesten auf dem Maidan auf Seiten der Opposition zum Einsatz kamen. Wer die
dortigen Todesschüsse vom 20. Februar verantwortet, ist nie aufgeklärt worden.
In der aktuell aufgeheizten Stimmung unternimmt die Regierung Schritte, die
einen erneuten politisch-kulturellen Rechtsrutsch in der Ukraine erkennen
lassen. So werden künftig Filme und Bücher aus Russland zensiert und ihr Verkauf
eingeschränkt. Ein Verbot der Kommunistischen Partei, wie es Faschisten schon
lange gefordert haben, ist in Arbeit. Die Entwicklung ist ein Resultat gerade
auch der deutschen Interventionen in Kiew.
Fast ein
Drittel rechtsaußen
Fünf
Monate nach dem von Berlin energisch geförderten Umsturz in Kiew sehen Umfragen
in der prowestlich gewendeten Ukraine eine Partei der extremen Rechten als
stärkste politische Kraft. Wie aktuelle Erhebungen des Kiewer Internationalen
Instituts für Soziologie zeigen, könnte die Radikale Partei des
Rechtsaußen-Politikers Oleh Ljaschko gegenwärtig bei Wahlen mit 23,2 Prozent
der Stimmen rechnen - mehr als jede andere Partei.[1] Ljaschko hatte bereits
bei den Präsidentenwahlen vom 25. Mai mit 8,3 Prozent quasi aus dem Nichts
einen Überraschungserfolg erzielt. Seine Popularität beruht vor allem darauf,
dass er sich mit brutalen Aktionen aus dem Kampf gegen Regimegegner in der
Ostukraine in Szene setzt. Am 7. Mai etwa hatte er auf seiner Website ein Video
publiziert, das ihn zeigt, wie er einen beinahe nackten, blutenden Gefangenen
verhört - einen ostukrainischen Aufständischen. Auf der Liste von Ljaschkos
Radikaler Partei für die Kiewer Stadtratswahlen kandidierten im Mai führende
Mitglieder der faschistischen Organisationen "Sozial-Nationale
Versammlung" und "Patriot der Ukraine". Zu seinen 23,2 Prozent
kämen laut der Umfrage 5,7 Prozent für die faschistische Partei Swoboda und 1,9
Prozent für den gewalttätigen Prawy Sektor (Rechter Sektor) hinzu. Insgesamt
erhielten Parteien der extremen Rechten damit fast ein Drittel der Stimmen.
Meinungsfreiheit
Charakteristisch für die Aktivitäten, die die von
Berlin unterstützte Regierung in Kiew - den aktuellen Rechtstrend nutzend -
entfaltet, sind umfassende Bemühungen, jeglichen russischen Einfluss so weit
wie möglich zu eliminieren. Der jüngste Schritt beinhaltet Restriktionen auf
dem Gebiet der Kultur. So teilt die staatliche Kinoagentur mit, sie werde Filme
aus Russland in Zukunft genauestens "prüfen", bevor sie für die
Ukraine zugelassen würden. Erste Produktionen sind bereits der Zensur zum Opfer
gefallen. Auch der Verkauf von Büchern aus Russland soll strikt beschränkt
werden. In der Ukraine würden bislang nur ein Fünftel aller verkauften Bücher
im Land selbst hergestellt, lässt sich Oleksandr Sytsch, stellvertretender
Ministerpräsident der Kiewer Regierung, zitieren. Tatsächlich werden in der
gesamten postsowjetischen Welt russische Bücher aufgrund der nach wie vor
verbreiteten Russisch-Kenntnisse bis heute stark rezipiert. Man sei
"gezwungen, den ukrainischen Verbraucher vor fremdenfeindlichen Verlagsprodukten
zu schützen", behauptet der Vize-Ministerpräsident nun: "Wir führen
eine Lizensierung russischer Bücher und eine Quote für ausländische Bücher
ein".[2] Sytsch ist Mitglied der faschistischen Partei Swoboda, deren Chef
Oleh Tjahnybok einst mit der Aussage von sich reden gemacht hat, die Ukraine
müsse von einer "jüdischen Mafia aus Moskau" befreit werden.[3]
Politische Freiheit
Swoboda nähert sich auch der Verwirklichung eines zweiten ihrer Kernanliegen:
dem Verbot der Kommunistischen Partei der Ukraine (KPU). Im Kampf gegen die KP
hatte zunächst die Swoboda-nahe paramilitärische Organisation C14 unmittelbar
nach dem Umsturz vom 22. Februar deren Kiewer Hauptquartier der Kommunistischen
Partei besetzt; auch weitere KP-Büros wurden von faschistischen Organisationen
attackiert. Als die Besetzer am 10. April aus den Räumlichkeiten in Kiew
abzogen, steckten sie sie in Brand. Swoboda hat sich zunächst im ukrainischen
Parlament um ein Verbot der KPU bemüht, scheiterte jedoch aus formalen Gründen:
Nur ein Gericht kann ein Parteiverbot aussprechen. Inzwischen liegt ein Antrag
auf Auflösung der KPU bei der Justiz. Das Parlament hat zusätzliche Schritte
gegen die Partei unternommen: Es hat die Mindestgröße für eine Fraktion
nachträglich auf eine Zahl von Parlamentariern festgelegt, die diejenige der
kommunistischen Abgeordneten übersteigt, und der kommunistischen Fraktion den
Fraktionsstatus entzogen. Parteichef Petro Symonenko und eine ganze Reihe
weitere KP-Aktivisten sind in den letzten Monaten mehrfach körperlich brutal
attackiert worden - auch im Parlament. Oleh Ljaschko hat darüber hinaus auch
ein Verbot der Partei der Regionen des gestürzten Präsidenten Wiktor
Janukowitsch gefordert.
"Befreiung der Weißen Rasse"
Während die KPU verboten werden soll, muss die Organisation
"Sozial-Nationale Versammlung" nichts dergleichen befürchten. Sie ist
2008 als Zusammenschluss mehrerer faschistischer Gruppen gegründet worden und
hat sich im November 2013 anlässlich der Maidan-Proteste am Aufbau des Prawy
Sektor (Rechter Sektor) beteiligt. Laut eigenen Angaben kämpft sie "für
die Befreiung der gesamten Weißen Rasse von der Herrschaft des
internationalistischen spekulativen Kapitals" - eine bekannte
antisemitische Chiffre - und für "harte Bestrafung sexueller Perversionen
und aller Kontakte zwischen Rassen, die zur Auslöschung des weißen Mannes
führen".[4] Anton Heraschtschenko, ein leitender Berater des ukrainischen
Innenministers, bescheinigt der Sozial-Nationalen Versammlung ausdrücklich, sie
sei "keine Neonazi-Organisation", sondern eine "Partei
ukrainischer Patrioten". Anlass seiner Äußerungen war der Hinweis einer
Reporterin der
Scharfschützen
Das Bataillon Asow hat jüngst international für Aufsehen gesorgt. Berichten
zufolge gehören der Einheit auch Neonazis aus dem europäischen Ausland an, etwa
aus Italien, Frankreich und Schweden. Das Bataillon wird offenbar professionell
trainiert; unter anderem ist zu hören, ihm stehe ein Spezialkräfte-Ausbilder
aus Georgien zur Verfügung.[5] Es gilt als eines von drei im Aufbau begriffenen
Spezialkommandos der prowestlich gewendeten Ukraine - neben dem Bataillon
Dnipro und dem Batallion Donbass.[6] In ihm kämpft unter anderem der
schwedische Neonazi Mikael Skillt. Skillt, ein Mitglied der faschistischen
Svenskarnas Parti, berichtet, er nehme "mindestens" dreierlei
Aufgaben in der Einheit wahr: Er kommandiere "eine kleine
Aufklärungseinheit", sei "als Scharfschütze" aktiv und wirke
zuweilen "als Sonderkoordinator, um Häuser zu säubern und in zivile
Gebiete einzudringen". Der Mann, der laut Gerüchten inzwischen von
ostukrainischen Aufständischen gefangengenommen worden sein soll, war zuvor
sechs Jahre lang Scharfschütze in den schwedischen Streitkräften. Er will sich
erst seit März an den Kämpfen in der Ukraine beteiligt haben. Allerdings gibt
er an, mit mindestens zwei Scharfschützen gesprochen zu haben, die während der
Maidan-Proteste vom Kiewer Gewerkschaftshaus aus - dieses galt als
Hauptquartier der damaligen Opposition - gezielt auf Polizisten schossen.
"Ihr Auftrag war es, die Berkut-Scharfschützen auszuschalten",
erklärt Skillt.[7] Die Todesschüsse vom Maidan, die vom Westen propagandistisch
genutzt wurden, um den Sturz des damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch zu
legitimieren, sind unter der Umsturzregierung nie umfassend aufgeklärt worden;
Berlin hat dahingehend nie Druck ausgeübt.
Politische Gefangene
Das Bataillon Asow ist Oleh Ljaschko eng verbunden, dessen Radikale Partei zur
Zeit bei Wahlen fast ein Viertel aller Stimmen erzielen könnte. Ljaschko gilt
als einer seiner Gründer; er lässt sich für Internet-Videos bei gemeinsamen
Aktionen mit Asow-Kämpfern filmen. Über die Liste seiner Radikalen Partei wurde
am 25. Mai der stellvertretende Kommandeur des Bataillons Asow, Ihor Mosiychuk,
in den Kiewer Stadtrat gewählt. Für den Mann hatte sich Ljaschko schon zuvor
eingesetzt. Mosiychuk war am 10. Januar 2014 gemeinsam mit zwei weiteren
Faschisten wegen eines für August 2011 geplanten Sprengstoffanschlags zu einer
mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Noch am Abend des 10. Januar kam es
bei ultrarechten Protesten gegen das Urteil zu Zusammenstößen mit der Polizei,
die Berlin, Brüssel und Washington nutzten, um der Regierung Janukowitsch
übermäßige Gewalt gegen die "Demokratiebewegung" vorzuwerfen. Die
Proteste blieben erfolglos, doch profitierten Mosiychuk und seine Mittäter
unmittelbar nach dem Kiewer Umsturz von der Amnestie, die das prowestlich gewendete
ukrainische Parlament am 24. Februar 2014 "politischen Gefangenen"
zukommen ließ. Dafür, dass Mosiychuk an der Amnestie teilhaben durfte, aus der
Haft entlassen wurde und sich am Aufbau des Bataillons Asow beteiligen konnte,
hatte sich maßgeblich Ljaschko eingesetzt.
Weitere Berichte und Hintergrundinformationen zur
deutschen Ukraine-Politik, die die Rechtsentwicklung in Kiew maßgeblich
begünstigt hat, finden Sie hier: Ein breites antirussisches Bündnis, Termin beim Botschafter, Expansiver Ehrgeiz, Unser Mann in Kiew, Die militärische Seite der Integration, Nützliche Faschisten, Oligarchen-Schach, Koste es, was es wolle, Vom Stigma befreit, Der Krim-Konflikt, Die Kiewer Eskalationsstrategie, Die Restauration der Oligarchen, Die freie Welt, Ein fataler Tabubruch, Die Europäisierung der Ukraine, Ein ungewöhnlicher Einsatz, Juschtschenkos Mythen, Alte, neue Verbündete, Legitimationskrise, Ein weltpolitischer Lackmustest, "Faschistische Freiheitskämpfer", Die Restauration der Oligarchen (II), Die Restauration der Oligarchen (III), Die Restauration der Oligarchen (IV), Für Frieden und Freiheit, Das finnische Modell, Akteure zweiter Klasse, Negative Wahrnehmungen, Die Saat geht auf und Fakten schaffen.
Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58924