Versprechungen des Westens IWF

Kiewer Zwischenbilanz

04.03.2014

http://www.german-foreign-policy.com/maps/3_europa/30_ukraine.gifKIEW/BERLIN

(Eigener Bericht) - Schon wenige Tage nach der Übernahme    der Macht in Kiew durch die prowestliche Umsturzregierung zeichnet sich der Absturz des Landes in eine dramatische Verelendung ab. Wie der neue "Ministerpräsident", der Banker Arsenij Jatsenjuk, ankündigt, will er die Ausgaben des ukrainischen Staates um fast ein Sechstel kürzen, um einen IWF-Kredit genehmigt zu bekommen. Schon seit langem steht fest, dass der IWF unter anderem die Streichung der Subventionen für Erdgas fordert; davon wären insbesondere verarmte Teile der ukrainischen Bevölkerung hart betroffen. Mit Blick auf die Austeritätsprogramme erklärt der vom Westen ins Amt gebrachte Jatsenjuk: "Ich werde der unbeliebteste Ministerpräsident in der Geschichte der Ukraine sein". Während dem Land - abgesehen von den aktuellen Spannungen mit Russland - womöglich neue soziale Unruhen bevorstehen, bestätigt sich, dass ein zentrales Ziel der jüngsten Proteste nicht erreicht worden ist: die Herrschaft der Oligarchen abzuschütteln. Mit den Favoriten des Westens ist zugleich eine andere Kombination der in der Bevölkerung verhassten Milliardäre an die Macht gekommen. Wichtigster Unterschied zur vorherigen Regierung ist, dass jetzt Faschisten Ministerposten innehaben.

Nach griechischem Modell

Bereits kurz nach dem Umsturz in Kiew hatten Experten sich äußerst kritisch über die absehbare ökonomische Entwicklung der Ukraine geäußert. Der ehemalige Banker Arsenij Jatsenjuk sei "die Art von Technokrat, die man will, wenn man Austerität - übertüncht mit Professionalität - möchte", hatte der Ökonom Vladimir Signorelli (Bretton Woods Research LLC) in dem US-Magazin "Forbes" erläutert: "So jemand wie Mario Monti: nicht gewählt und bereit zu tun, was der IWF wünscht." In Umfragen habe Jatsenjuk zuletzt hinter Witali Klitschko und sogar hinter Oleh Tiahnybok rangiert; das habe jedoch bei seiner Inthronisierung zum neuen Ministerpräsidenten keinerlei Rolle gespielt. Jatsenjuk habe sofort angekündigt, der Ukraine eine Austeritätspolitik "nach griechischem Modell" aufzuzwingen - in vollem Bewusstsein der Folgen: "Ich werde der unbeliebteste Ministerpräsident in der Geschichte der Ukraine sein", wird der ukrainische Politiker zitiert.[1]

Unpopuläre Maßnahmen

Vor dem Eintreffen einer IWF-Delegation, die am heutigen Dienstag in Kiew die Verhandlungen aufnehmen soll, hat Jatsenjuk nun erste Angaben über seine Austeritätsprogramme gemacht. Jatsenjuk müsse "die IWF-Vertreter ... von seinen guten Absichten ... überzeugen", hatten Kommentatoren geurteilt: "Er muss glaubhaft vermitteln, dass vor den Präsidentschaftswahlen im Mai auch unpopuläre Maßnahmen umgesetzt werden".[2] Dem hat Jatsenjuk jetzt entsprochen und explizit angekündigt, die Staatsausgaben um 14 bis 16 Prozent zu kürzen.[3] Schon lange ist klar, dass es zur Erlangung eines IWF-Kredits - anders als für russische Darlehen - zum Beispiel erforderlich sein wird, die Erdgas-Subventionen zu streichen. Die unter westlicher Hegemonie bevorstehenden Austeritäts-Programme "wären ebenso schlecht für die Bevölkerung der Ukraine, die schmerzliche Maßnahmen schultern müsste, wie auch für das politische Schicksal derer, die Ende Mai als Präsidentschaftskandidat ins Rennen ziehen", wird Andrew Weiss, Vizepräsident des Washingtoner Carnegie Endowment und ehemaliger Ukraine-Spezialist des Nationalen Sicherheitsrates der USA, zitiert.[4]

80 Euro im Monat

In der Ukraine, die nach ihrer prowestlichen Wende vor einem Austeritätsdiktat à la Griechenland steht, herrscht bereits jetzt große Armut. Das Durchschnittseinkommen wird offiziell mit weniger als 230 Euro im Monat angegeben. Beobachter weisen darauf hin, dass in diesen Wert auch die Einkünfte der Oligarchen und einer dünnen, ungemein wohlhabenden Oberschicht einfließen; faktisch liege das Durchschnittseinkommen der Bevölkerung jenseits der wenigen Superreichen wohl eher bei 150 Euro im Monat. Eine Krankenschwester etwa kann mit einem Lohn von rund 110 Euro im Monat rechnen. Dramatisch ist vor allem die Lage der ukrainischen Rentner: Die Mindestrente, über die gut 80 Prozent von ihnen nicht hinauskommen, liegt bei rund 80 Euro im Monat. Davon muss auch Erdgas zum Heizen und Kochen bezahlt werden; bei der bevorstehenden Streichung der Subventionen gemäß den westlichen Forderungen wird das für viele nicht mehr möglich sein.

"Entwicklungshilfe"

Berlin, das mit aller Macht darauf hingearbeitet hat, die Ukraine in die eigene Hegemonialsphäre hineinzuziehen, lässt sich dies jetzt - abgesehen vermutlich von der Beteiligung an einem Notfallkredit - 20 Millonen Euro im Jahr kosten. Wie Bundesentwicklungsminister Gerd Müller ankündigt, wird Berlin seine "Entwicklungshilfe" für die Ukraine, die letztes Jahr 21,5 Millionen Euro betrug, um 20 Millionen aufstocken; mit insgesamt rund 40 Millionen Euro beläuft sie sich auf weniger als einen Euro für jeden Einwohner der Ukraine pro Jahr. Dabei kommt das Geld, wie auch sonst in Projekten der "Entwicklungshilfe" üblich, nicht zuletzt deutschen Unternehmen zugute. So sollen sie unter anderem genutzt werden, um in Zusammenarbeit mit dem Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft ein Stipendienprogramm aufzubauen. Dies sichert der deutschen Industrie Kontakte zu Fachpersonal in der Ukraine.[5]

Die finanzielle Stütze der Opposition

Hatten die ersten Demonstranten auf dem Majdan - noch vor dem EU-Gipfel in Vilnius Ende November 2013 - vor allem ein Ende der Oligarchen-Herrschaft gefordert, so stellt sich nun heraus, dass die prowestlich gewendete Ukraine nicht nur massiv verarmt, sondern auch weiterhin unter dem Einfluss von Oligarchen steht. Selbst deutsche Mainstream-Medien weisen mittlerweile darauf hin, dass beispielsweise Petro Poroschenko die Demonstrationen unterstützt hat; er war eine Weile sogar als künftiger Ministerpräsident im Gespräch. Der Dollarmilliardär Poroschenko gehörte zu denjenigen Oligarchen, die schon 2004 gewinnbringend die "Orangene Revolution" unterstützten, sich später dann, weil das Geschäft es erforderte, mit Janukowitsch arrangierten - Poroschenko war 2012 eine Zeitlang Wirtschaftsminister -, um nun wieder auf einen Umsturz zu setzen. Leute wie er seien "die finanzielle Stütze der Oppositionsparteien", heißt es nun in der deutschen Presse, die auf die Tatsache hinweist, dass auch bei den vom Westen unterstützten Kräften der jetzt an die Macht gelangten bisherigen Opposition "die Vermischung von öffentlichem Interesse und privatem Geschäft, die man auch Korruption nennen kann, ... weit verbreitet" sei.[6] Auf Druck Berlins ist also lediglich eine Oligarchenclique durch eine andere ausgetauscht worden; german-foreign-policy.com wies bereits vor geraumer Zeit darauf hin.[7]

Fatale Fehler

Eine relevante Änderung besteht allerdings darin, dass der vom Westen ins Amt gebrachten Kiewer Umsturzregierung nun auch Faschisten angehören: Die Swoboda-Partei stellt mehrere Minister und den parlamentarischen Kontrolleur über die Generalstaatsanwaltschaft. Berlin hat bei seinen Bemühungen, den antirussischen Teilen der ukrainischen Opposition größtmögliche Schlagkraft zu verleihen, spätestens seit dem Frühjahr 2013 auf einen Pakt von Witali Klitschko (UDAR) und Julia Timoschenko bzw. Arsenij Jatsenjuk ("Vaterland") mit der Swoboda-Partei gesetzt. Zuletzt hat Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) dies durch demonstrative Verhandlungen mit Swoboda-Führer Oleh Tiahnybok und durch international verbreitete Fotos, auf denen er neben ihm posierte, bestätigt (german-foreign-policy.com berichtete [8]). Deutsche Medien beginnen inzwischen, Berlin von der Verantwortung dafür reinzuwaschen; so heißt es über die Regierungsbeteiligung der Swoboda-Partei, man habe es mit "fatalen Fehlern der neuen Kiewer Regierung" zu tun. Faktisch entspricht die Einbindung der Faschisten in die Umsturzregierung nur den Absprachen, die die neuen Machthaber mit Berlin getroffen haben.

Weitere Berichte und Hintergrundinformationen zur aktuellen deutschen Ukraine-Politik finden Sie hier: Protestbündnis für Europa, Probleme der Ostexpansion, Ein breites antirussisches Bündnis, Termin beim Botschafter, Expansiver Ehrgeiz, Zukunftspläne für die Ukraine, Unser Mann in Kiew, Die militärische Seite der Integration, Integrationskonkurrenz mit Moskau, In die Offensive, Die Expansion europäischer Interessen, Nützliche Faschisten, Oligarchen-Schach, Der Mann der Deutschen, Koste es, was es wolle, Vom Stigma befreit, Testfeld Ukraine und Der Krim-Konflikt.

[1] Kenneth Rapoza: Washington's Man Yatsenyuk Setting Ukraine Up For Ruin. www.forbes.com 27.02.2014.
[2] Harte Verhandlungen zwischen IWF und Ukraine kündigen sich an. diepresse.com 03.03.2014.
[3] Kriegsgefahr schickt Rubel und Börsen auf Talfahrt.
www.owc.de 03.03.2014.
[4] Harte Verhandlungen zwischen IWF und Ukraine kündigen sich an. diepresse.com 03.03.2014.
[5] Deutschland will Hilfen für die Ukraine verdoppeln.
www.welt.de 02.03.2014.
[6] Reinhard Veser: Lehren in Orange.
www.faz.net 25.02.2014.
[7] S. dazu
Oligarchen-Schach.
[8] S. dazu
Vom Stigma befreit.

 

http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58812