Ukraine: Anführer der Randale in die EU geflüchtet. Früherer Regierungschef
Asarow angeblich auch
von Reinhard Lauterbach
Hier auf dem Maidan steht die reale Staatsmacht der
Ukraine«, behauptete am 2.2.2014 in Kiew der Oppositionspolitiker Arseni
Jazeniuk. Einige tausend Demonstranten kommentierten diese phantasievolle
Äußerung mit begeistertem Beifall. Die Realität sieht etwas anders aus. Das
zeigt der Umstand, dass mehrere Anführer der militanten Proteste sich
vorsichtshalber ins EU-Ausland abgesetzt haben. Dazu gehört der Organisator der
Gruppe »Gemeinsame Sache«, die in der letzten Woche das Justizministerium
gestürmt und einen halben Tag lang besetzt hatte; er ließ wissen, er sei zu Fuß
über die grüne Grenze gegangen und befinde sich jetzt in London, von wo er
seine Widerstandstätigkeit fortsetzen werde. An Geld, um in einer der teuersten
Städte der Welt ein neues Leben anzufangen, scheint es ihm nicht zu fehlen.
Zur medizinischen Behandlung nach Lettland ausgereist ist dagegen Dmitri
Bulatow, der Anführer des sogenannten »Automaidan«. Er war in der vorletzten
Woche verschwunden und am Freitag wieder aufgetaucht – mit Spuren schwerer
Mißhandlungen. Er berichtete, seine maskierten Entführer hätten ihn nicht nur
am ganzen Körper verprügelt, sondern sogar gekreuzigt, bevor sie ihn in einem
Waldgelände auf freien Fuß gesetzt hätten. Die Opposition beschuldigt den
Geheimdienst, Bulatow entführt zu haben; das ukrainische Innenministerium
äußerte den Verdacht, es könne sich um eine Inszenierung gehandelt haben. Nicht
bestätigt wurden bisher österreichische Presseberichte, wonach Exregierungschef
Nikolai Asarow direkt nach seinem Rücktritt zu seinem in Wien Geschäften
nachgehenden Sohn ausgereist sei.
Auf der politischen Ebene versuchen die drei Oppositionsparteien, wieder ins
parlamentarische Spiel zu kommen. Sie setzen ihre Hoffnung, wie sie offen
sagen, in eine intensive »Bearbeitung« einzelner parteiloser Abgeordneter, die
die regierende Partei der Regionen unterstützen. Solche »Überzeugungsarbeit«
zum Seitenwechsel geschieht in der Ukraine in der Regel mit Hilfe von Bargeld.
Am heutigen Dienstag will die Opposition ihren Gesetzentwurf für eine
bedingungslose Amnestie erneut zur Abstimmung stellen. In der letzten Woche
hatte sie die Abstimmung im Parlament boykottiert, weil sie keine Mehrheit
zusammenbekommen hatte. Erst übers Wochenende scheint Klitschko und Co. klar
geworden zu sein, dass sie damit ein Eigentor geschossen hatten; denn so konnte
Präsident Wiktor Janukowitsch am Freitag sein Gesetz einer Amnestie unter der
Vorbedingung, daß alle besetzten öffentlichen Gebäude und der
Unabhängigkeitsplatz von den Demonstranten geräumt werden, von der
Regierungspartei beschließen lassen und es am Wochenende unterzeichnen. Da die
Demonstranten keine Anstalten machen, diese Bedingung zu erfüllen, tritt die
Amnestie einstweilen nicht in Kraft; die Polizei scheint jetzt gezielt Anführer
der Proteste zu verhaften. Der Maidan veröffentlichte eine Liste von 36
»Vermißten«. Daß sie ganz überwiegend aus Kiew stammen, wirft ein Licht auf die
fortdauernde regionale Konzentration der Proteste in der Hauptstadt. Gleichwohl
haben in den letzten Tagen auch in größeren Städten der russischsprachigen Süd-
und Ostukraine »Euromaidan«-Demonstrationen stattgefunden. In Odessa etwa liefen
rund 1500 Leute unter Fahnen der EU und dem rot-schwarzen Wimpel der
faschistischen Ukrainischen Aufstandsarmee UPA durch die Stadt. Es kam zu
Rangeleien mit örtlichen Linken, die den Marsch mit der Parole »Das ist nicht
unser Krieg« begleiteten.
Die US-Marine hat unterdessen zwei Kriegsschiffe ins Schwarze Meer geschickt.
Wie die russische Agentur Interfax am Montag mittag berichtete, handelt es sich
um einen Zerstörer und das Kommandoschiff der US-Mittelmeerflotte; sie hätten
etwa 600 Mann Marineinfanterie an Bord. Die Schiffe nähmen Kurs auf die
ukrainische Küste, berichtete die Agentur weiter. Zuvor hatten die USA Russland
»Unterstützung« bei der Bekämpfung von Terroranschlägen auf die bevorstehenden
Winterspiele in Sotschi angedroht.
http://www.jungewelt.de/2014/02-04/035.php 4.2.14