Syrien- Erhalt der Staatssouveränität, oder Lakai
des Westens
Deutsche Kriegsbeihilfe- Interview K. Leukefeld mit weltnetz.tv u.
Interview mit syr. Präsidenten Assad
DAMASKUS/BERLIN
Vor den Gesprächen zwischen der deutschen Kanzlerin
und dem US-Präsidenten bekräftigt das Auswärtige Amt seine fortdauernde
Unterstützung für die Aufständischen in Syrien. Zwar werde man - anders als
die USA, Großbritannien und Frankreich - keine Waffen an die Rebellenmilizen
liefern, erklärt ein Sprecher des Außenministeriums. Doch werde Deutschland bei
den bevorstehenden Gipfeltreffen einen "engen Austausch darüber suchen,
was verantwortungsvoll getan werden kann, um die syrische Opposition in dieser
schwierigen Situation zu unterstützen". Bislang bemüht sich Berlin vor
allem um politische Hilfen für die Aufständischen und führt Maßnahmen durch, um
die isolierte Exilopposition enger mit den Milizen vor Ort zu verbinden. Dazu
dient der Einsatz von Hilfswerken im Auftrag des Auswärtigen Amts, aber auch
die medizinische Behandlung verletzter Milizionäre in Krankenhäusern der
Bundeswehr, die mit Hilfe der Exilopposition organisiert wird. Umfangreiche
Waffenfunde in der kürzlich von den Regierungstruppen zurückeroberten
Kleinstadt Al Qusayr belegen, dass beträchtliche Mengen an Waffen für die
Rebellen per Schiff nach Syrien geschmuggelt wurden - durch das Einsatzgebiet
der Bundesmarine vor der Küste des Libanon.
1)Waffen für die Rebellenmilizen
Die Ankündigung mehrerer westlicher Staaten, die
Aufständischen in Syrien nun offiziell mit Waffen zu beliefern, folgt auf neue
militärische Erfolge des Regimes. Zu Monatsbeginn hatten die Regierungstruppen
gemeinsam mit Einheiten der libanesischen Hizbollah die Kleinstadt Al Qusayr
nahe der Grenze zum Libanon zurückerobert. Seitdem befinden sie sich wieder in
der Offensive. Zuletzt wurden Vorstöße des Regimes in Vororten von Damaskus und
in Aleppo gemeldet. Nach Ankündigungen aus Frankreich und Großbritannien, den
Rebellen Waffen zu liefern, haben sich jetzt auch die Vereinigten Staaten zur
Aufrüstung der Aufständischen entschlossen. Gewährten sie ihnen schon seit
einiger Zeit nicht-militärische Unterstützung sowie militärisch nutzbares
"nicht-tödliches" Gerät, so sollen nun auch Kleinwaffen, Munition
sowie Panzerfäuste bereitgestellt werden. Die offizielle Begründung der
Obama-Administration, man sei sich nun sicher, dass die Regierung Chemiewaffen
eingesetzt habe - überprüfbare Beweise für diese Behauptung liegen keineswegs
vor -, wird im deutschen Establishment mit ironischen Kommentaren bedacht.
So heißt es in Leitkommentaren etwa, vermutlich hätten "nicht unbedingt
'Beweise' über einen Einsatz chemischer Waffen" Washingtons neue
Lieferzusagen motiviert, sondern "eher die realistische Einschätzung
(...), dass sich die militärische Lage für die Aufständischen deutlich
verschlechtert hat".[1]
"Alles, was uns möglich ist"
Auch Berlin will seine Kriegsbeihilfe für die
Aufständischen intensivieren. Dies bekräftigt ausdrücklich das Auswärtige Amt.
Demnach werde die Bundesrepublik selbst zwar auch in Zukunft "keine Waffen
nach Syrien liefern", teilt ein Sprecher des Ministeriums mit. Man werde
aber "im gemeinsamen Gespräch mit unseren Partnern" einen "engen
Austausch darüber suchen, was verantwortungsvoll getan werden kann, um die syrische
Opposition in dieser schwierigen Situation zu unterstützen". Insbesondere
gehe es um die Einigung der noch immer zersplitterten Spektren der
Aufständischen. Berlin wolle dazu beitragen, dass sie "zu einer
einheitlichen organisatorischen Struktur, zu einer einheitlichen Linie und zu
einem einheitlichen Handeln in Bezug auf einen Neuanfang in Syrien"
fänden, erläutert der Sprecher. Dafür werde man "alles tun, was uns
möglich ist".
Opposition und Milizen vernetzen
Tatsächlich bemüht sich die Bundesregierung seit
spätestens Anfang 2012 energisch, eine Einigung der zerstrittenen syrischen
Opposition zu erreichen. Diesem Ziel diente zunächst vor allem das Projekt
"The Day After", mit dem die Berliner Stiftung Wissenschaft und
Politik (SWP) und das United States Institute of Peace (USIP) im ersten
Halbjahr 2012 die syrische Opposition auf eine gemeinsame politische Plattform
festzulegen suchten (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Im Spätsommer 2012 begann das
Auswärtige Amt, deutsche Hilfsorganisationen zu Aktivitäten in den von Rebellen
kontrollierten Gebieten Syriens zu drängen. Zudem bereitete es die Einrichtung
eines "Projektbüros" im grenznahen türkischen Gaziantep vor, von dem
aus seit Januar 2013 ein Mitarbeiter der bundeseigenen Gesellschaft für
Internationale Zusammenarbeit (GIZ) sich um den Wiederaufbau der Infrastruktur
bemüht. Hilfsorganisationen und GIZ kooperieren dabei nicht nur mit der
Exilopposition, sondern vor allem auch mit den Aufständischen vor Ort. Über die
Zielsetzung heißt es in Berichten, es gehe vor allem darum, "die lokale
Ebene" des Aufstands "mit der Oppositionsführung" im Exil
"zu vernetzen" - "auch um dem Eindruck entgegenzuwirken",
die Oppositionsführung bestehe lediglich "aus Exilanten ohne
Bodenhaftung".[3]
Elitenwandel in der arabischen Welt
Der politischen Stärkung der Opposition dient auch
die Behandlung verletzter Aufständischer aus Syrien in Krankenhäusern der
Bundeswehr. Mitte April hat die Bundesrepublik 36 schwer verletzte Rebellen
aufgenommen - offiziell aus humanitären Gründen, tatsächlich aber auch, wie das
Auswärtige Amt einräumt, um "die Legitimität" der syrischen
Exilopposition "in den Augen der Menschen" in den Rebellengebieten
"zu stärken".[4] Dies soll erreicht werden, indem die Exilopposition
in die Hilfsaktion eingebunden wird. So hat das Berliner Außenministerium etwa
die inzwischen in Berlin ansässige syrische Regimegegnerin Pelican Mourad
beauftragt, ein Netzwerk zur praktischen Unterstützung der in den deutschen
Krankenhäusern behandelten Rebellen aufzubauen. Mourad ist die Ehefrau von Riad
Seif, einem syrischen Oppositionellen, der seit den 1990er Jahren Kontakt zum
außenpolitischen Establishment in der deutschen Hauptstadt hält, im Juni 2012
nach Berlin übergesiedelt ist, weiterhin eng mit dem deutschen Außenministerium
kooperiert und derzeit den Posten des Vizepräsidenten im maßgeblichen Verband
der syrischen Exilopposition innehat ("National Coalition for Syrian
Revolutionary and Opposition Forces").[5] Mourad, die in den 1990er Jahren
in Deutschland studierte, arbeitete von 1999 bis 2012 als Programmassistentin
am Goethe-Institut in Damaskus und ist seit Januar Forschungsassistentin bei
der SWP - in deren Projekt "Elitenwandel und neue soziale Mobilisierung in
der arabischen Welt".[6]
"Alawiten ins Grab"
Über die soziale Entwicklung in den
Rebellengebieten liegen inzwischen neue Berichte vor - am Beispiel der kürzlich
durch Regierungstruppen zurückeroberten Kleinstadt Al Qusayr. Dort sei nach der
Eroberung durch die Rebellen im Frühjahr 2012 "gleichsam ein islamischer
Staat" entstanden, heißt es in einer letzte Woche publizierten Reportage. Die
christliche Bevölkerung von Al Qusayr - ursprünglich rund 35 Prozent der
Einwohner - sei von den Minaretten aus aufgefordert worden, die Stadt zu
verlassen; auf Kundgebungen sei die Parole gerufen worden: "Die Christen
nach Beirut, die Alawiten ins Grab."[7] Relativ bald sei die
Herrschaft über Al Qusayr an die Al Nusra-Front übergegangen, die der
terroristischen Al Qaida nahesteht.
Erfolgreich übersehen
Al Qusayr diente den Aufständischen insbesondere
als Waffenlager. Wie es in Berichten heißt, seien dort bei der Rückeroberung
"große Mengen tragbarer Waffen aller Art" gefunden worden - offenbar
Kriegsgerät, das Qatar vor zwei Jahren nach Libyen hatte bringen lassen, um
dort - an der Seite des Westens - den Aufstand gegen das Gaddafi-Regime zu
munitionieren. Die Waffen seien inzwischen, heißt es, aus
Libyen "mit dem Schiff in die libanesische Hafenstadt Tripoli
gebracht" worden, von wo sie "über die von Sunniten bewohnten
Grenzstädte Arsal und Wadi Khalid nach Qusair" gelangten.[8] Die damit
bestätigten Schmuggelrouten sind im Kern schon lange bekannt. Sie führen durch
das Meer vor der libanesischen Küste, wo - im Rahmen der UN-Operation UNIFIL -
auch die deutsche Kriegsmarine eingesetzt ist. Das Bundeskabinett hat zu
Monatsbeginn die Verlängerung des UNIFIL-Mandats beschlossen. Explizit erklärt
die Bundesregierung dazu: "Ziel der Mission ist es, den Waffenschmuggel in
den Libanon von See aus zu unterbinden."[9] Der Waffenschmuggel an die
Aufständischen in Syrien ist davon, wie die Funde in Al Qusayr belegen, nicht
betroffen.
Weitere Informationen und Hintergründe zur deutschen
Syrien-Politik finden Sie hier: Marktwirtschaft für
Syrien, Die jemenitische
Lösung, Schmuggelkontrolleure, Nach vierzig ruhigen
Jahren, The Day After, The Day After (II), Verdeckte
Kriegspartei, The Day After (III), The Day After (IV), Im Rebellengebiet, Die Islamisierung
der Rebellion, Flugabwehr für die
Exilführung, Ein
Stellvertreterkrieg, Auf dem Weg in den
nächsten Krieg, Im Rebellengebiet
(II), Im Rebellengebiet
(III), Brücke in die
islamische Welt, Das Ende künstlicher
Grenzen und Im Rebellengebiet
(IV).
[1] Klaus-Dieter Frankenberger: Die rote Linie;
Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.06.2013
[2] s. dazu The Day After, The Day After (II), The Day After (III) und The Day After (IV)
[3] Im rechtsfreien Raum; www.faz.net 05.05.2013. S. dazu Im Rebellengebiet
(IV)
[4] Syrische Patienten; Frankfurter Allgemeine Zeitung 11.06.2013
[5] s. dazu The Day After (III) und Flugabwehr für die
Exilführung
[6] s. dazu The Day After (III)
[7], [8] Rainer Hermann: Waffenlager in der Kirche; Frankfurter Allgemeine
Zeitung 12.06.2013
[9] Einsatz vor Libanons Küste geht weiter; www.bundesregierung.de 14.06.2013
Syrien teilen und beherrschen
Karin Leukefeld im Gespräch mit weltnetz.tv über westliche Planspiele zur Zersplitterung einer
widerspenstigen Regionalmacht
Video: weltnetz.tv
vom 18.06.2013
Im Gespräch mit weltnetz.tv spricht die Nahost-Korrespondentin und langjährige
Syrien-Kennerin Karin Leukefeld über die Gründe für eine veränderte
Syrienberichterstattung in der deutschen Presse, die Interessen der
libanesischen Hisbollah an der Unterstützung Assads, die Planspiele der Westmächte,
eine Gegenregierung im umkämpften Norden des Landes einzurichten und was eine
gar nicht so friedfertige deutsche Bundesregierung und ihre humanitären
Hilfsprojekte damit zu tun haben:
„Die syrische Opposition und auch einige Medien und Politiker hier sprechen ja
von sogenannten „befreiten Gebieten“. Das ist natürlich aus Sicht der Menschen,
die dort leben, und vieler Syrer, die von dort vertrieben worden sind, eine
nicht zulässige Beschreibung. Die fragen sich natürlich: was heißt „befreite
Gebiete“, wenn man uns aus unseren Dörfern eigentlich vertrieben hat. Aber es
geht genau darum, dass zum Beispiel in der Provinz Idlib, in der Provinz
Aleppo, in Ra‘s al-‚Ayn, in Qamischli, also im Grenzgebiet zur Türkei, deutsche
Nicht-Regierungs-Organisationen, ausgestattet mit Geld des Auswärtigen Amtes,
Hilfsprojekte durchführen sollen - ganz explizit an der syrischen Regierung
vorbei. Das hat der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus
Löning, in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vor
einiger Zeit auch so gesagt - dass es eben auch vorbei an der syrischen
Regierung so gemacht werden soll. Das betrifft natürlich ein ausgewähltes
Gebiet, in dem die Exilregierung der Opposition agieren soll. Die sollen dort
installiert werden, die sollen dort eine Art Gegenregierung aufbauen. Und
dieser Prozeß wird im Grunde mit der Arbeit von Hilfsorganisationen abgefedert,
gestärkt und unterstützt. Das ist natürlich ein ganz massiver Eingriff in die
staatliche Souveränität und territoriale Integrität eines Landes.“
Für das Transkript des ganzen Gespräches bitte auf
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Syrien teilen und beherrschen
Karin Leukefeld im Gespräch
mit weltnetz.tv über westliche
Planspiele zur Zersplitterung einer widerspenstigen Regionalmacht
Das Gespräch wurde am 31. Mai
2013 in Berlin aufgezeichnet. Mit freundlicher Unterstützung der
Rosa-Luxemburg-Stiftung.
weltnetz.tv: Karin
Leukefeld, man kann seit einigen Tagen in der deutschen Presse Sätze lesen wie:„Man
muss sich langsam daran gewöhnen, dass der syrische Präsident Bashar al-Assad
noch lange Zeit an der Macht bleiben könnte…“ oder auch: „Assad ist
stärker als je zuvor.“ Das ist erstaunlich, denn bis vor wenigen Wochen
hieß es noch, das syrische Regime befinde sich in seiner Endphase. Wie ist es
zu diesem so plötzlichen wie radikalen Umschwung gekommen?
Karin Leukefeld: Ich denke, dass die Geheimdienste mittlerweile zu einem
anderen Ergebnis gekommen sind, als ihre Bewertungen in den vergangenen Monaten
und in den letzten zwei Jahren gewesen ist. Der Chef vom deutschen
Geheimdienst, also vom Bundesnachrichten-dienst (BND), hat kürzlich noch
in einem Interview gesagt, die Tage von Assad seien gezählt und es sei nur eine
Frage der Zeit, wann er nicht mehr Präsident von Syrien sein wird. Und nun hat
er in einer Geheimsitzung gegenüber ausgewählten politischen Vertretern hier in
Berlin erklärt, dass man wohl damit rechnen muss, dass Assad noch länger
bleibt.
Es hat offensichtlich direkte Kontakte gegeben, auch mit dem syrischen
Geheimdienst. Und dieser syrische Geheimdienst hat offenbar auch dem
Bundesnachrichtendienst Informationen vorgelegt, die dieser überzeugend findet:
nämlich die Anwesenheit von islamistischen Kämpfern einserseits und eine
Bewertung der militärischen Lage im Land andererseits. Das hat offenbar doch
den deutschen Auslandsgeheimdienst überzeugt und diese Überzeugung spiegelt
sich jetzt in den entsprechenden Medienberichten wieder.
Dazu kommt, dass die syrische Armee ja anfangs nicht in der Lage gewesen ist,
der Guerilla-Taktik der Aufständischen entgegenzutreten. Da hat sich einiges
getan. Im vergangenen Jahr hat es Ausbildungskurse gegeben für spezielle
Einheiten der Armee. Die sind sowohl von russischen als auch von iranischen
Spezialisten im Häuserkampf ausgebildet worden. Unterstützung gibt es auch
von der libanesichen Hisbollah, die ja mittlerweile auch öffentlich erklärt
hat, wo sie aktiv ist und auch, warum sie aktiv ist in Syrien. Da hat sich also
auch militärisch etwas innerhalb der syrischen Streitkräfte verändert.
Ein weiterer Punkt ist sicherlich, dass man nicht mehr daran vorbeikommt zu
sehen, dass die Unterstützung für die Aufständischen in Syrien selber enorm
zurückgegangen ist. Also wenn man mit der Bevölkerung spricht, die
vielleicht vor zwei Jahren, oder vor eineinhalb Jahren, noch von der „Freien
Syrischen Armee“ beeindruckt war und sich von ihr beschützt gefühlt hat, dann
ist es so, dass mittlerweile viele Personen, die durchaus der Opposition
zuzurechnen sind, heute eher eine andere Meinugn einnehmen - nämlich sagen,
dass die „Freie Syrische Armee“ und die bewaffneten Gruppen nicht in der Lage
gewesen sind, bis heute eine politische Lösung umzusetzen und sich darauf
einzulassen, sondern immer nur weiter den Kampf führen und dadurch natürlich
auch die Zerstörung im Land immer größer wird.
Ich habe mit vielen Leuten gesprochen, als ich das letzte Mal in Syrien war,
die gesagt haben: Sie (die FSA und bewaffnete Gruppen, Anm. der Red.)
kommen in unsere Städte und fangen an zu kämpfen und dann kommt natürlich die
Armee und vieles wird zerstört. Und sie sind dafür verantwortlich, dass Syrien
heute so zerstört ist. Man macht nicht die regulären Streikräftete dafür
verantwortlich - auch, durchaus. Aber mehr noch die Aufständischen, weil sie
einfach nicht in der Lage sind, auch politische Lösungen anzubieten.
weltnetz.tv: Ein Teil
der Opposition, namentlich islamistischen Milizen wie die al-Nusra-Front etc.
werben ja geradezu mit besonderen Greueltaten im Internet. Diese Bilder gehen
ja auch in Syrien um. Das wird vermutlich auch eine Rolle gespielt haben…
Karin Leukefeld: Ja, die Leute sind natürlich entsetzt davon. Man
muss wissen, dass die syrischen Muslime, die ja durchaus die Mehrheit im Land
darstellen, sehr moderate Muslime sind, die dieses Abschlachten, diese
Menschenverachtung, die aus solchen Taten spricht, völlig ablehnen. Das hat
sehr viele Menschen abgeschreckt. Man muss dazu auch sagen, dass diese
Nusra-Front, oder al-Quaida-nahe Gruppen, auch gegenüber einheimischen
bewaffneten Gruppen sehr rigoros vorgehen, sie auch dominieren, ihnen
Vorschriften machen. Ich kenne verschiedene Fälle, wo lokale bewaffnete Gruppen
sich eigentlich auf einen Waffenstillstand mit der Armee einlassen wollten -
das war verhandelt und vermittelt worden durch einen Ältestenrat, den es ja
vielfach in diesen Ortschaften in den ländlichen Gebieten gibt- und dann haben
die Islamistengruppen gesagt: das kommt nicht in Frage, dass es hier einen
Waffenstillstand gibt. Sodass es dann auch zu Kämpfen untereinander gekommen
ist.
Man darf aber auch nicht verschweigen, dass es durchaus junge Leute gibt, die
sich von der militärischen Stärke und der rücksichtlosen Art, mit der diese
Gruppen auftreten, beeindruckt fühlen. Junge, männliche Erwachsene, die sonst
auch keine Perspektive im Leben haben, vielleicht auch den Kontakt zu ihrer
Familie verloren haben, aus welchem Grund auch immer - fühlen sich von diesen
Gruppen angezogen, werden aufgenommen, eingekleidet, ausgerüstet und bekommen
ein kleines Salär. Diese verschiedenen Aspekte gibt es durchaus. Aber in der
Gesellschaft allgemein wird dieses Vorgehen abgelehnt.
weltnetz.tv: Wenn ich
darauf nochmal zurückkommen kann: welche Interessen verfolgt die libanesische Hisbollah
in diesem Konflikt? Das ist ja ein Einsatz, der durchaus verlustreich
vonstatten geht. Es heißt, es seien schon über hundert Soldaten der Hisbollah
im Kampf gegen Rebellentruppen getötet worden. Welche Interessen gibt es von
der Seite aus?
Karin Leukefeld: Die Hisbollah ist im Grenzgebiet zum Libanon im
Einsatz, insbesondere im Gebiet um die Stadt Kusair. Der Kampf, der dort seit
einigen Tagen intensiv geführt wird, geht ja im Moment stark durch die Medien (al-Kusair
ist kurze Zeit nach dem Interview von der syrischen Armee und libanesichen
Hisbollah-Einheiten eingenommen worden, Anm. der Red.). Kusair ist eine
Stadt, die an einer sehr wichtigen Verbindungsstraße zwischen dem nördlichen
Libanon, zwischen Baalbek in der Bekaa-Ebene und der Stadt Homs. Und diese
Straße war die Hauptnachschublinie für die Aufständischenn - für die Stadt
Homs, aber auch für die Provinz Homs, die ja im Herzen Syriens liegt und
übrigens die größte Provinz des Landes ist. Insofern ist diese Straße also von
großer strategischer Bedeutung für die Aufständischen.
Kusair ist ein Ort, der umgeben ist von Dörfern, in denen Libanesen leben.
Früher gab es keine Grenze zwischen Libanon und Syrien. Erst die Franzosen,
als sie Mandatsmacht dort wurden, haben in den 1930er Jahren diese Grenze
zwischen Libanon und Syrien gezogen - nach dem Ende des Osmanischen Reiches,
mit dem Jahr 1922, wurden sie ja offiziell Mandatsmacht in Syrien. Die Grenze
wurde (vorher) sozusagen durch Siedlungsgebiete von libanesichen
Familien gezogen, sodass wir ungefähr zwei dutzend Dörfer haben, die um Kusair
herum liegen. Da leben im wesentlichen Christen und schiitische Muslime, die
aber libanesischer Staatsangehörigkeit sind. Und das ist auch nie in Frage
gestellt worden. Obwohl diese internationale Grenze da durch geht, war immer
klar, dass die Bevölkerung, die in diesen Dörfern um Kusair herum lebt, ihren
politischen und Lebensmittelpunkt durchaus im nördlichen Libanon hat, in der
Bekaa-Ebene. Die Hisbollah ist in diesem Gebiet politisch sehr stark. Viele
Leute dort wählen die Hisbollah, manche sind auch Aktivisten oder Soldaten der
Hisbollah, sodass also der Vorsitzende der Organisation, Scheich Hassan
Nasrallah, schon Anfang des Jahres gesagt hat: wir verteidigen dort in der
Umgebung von Kusair unsere Bevölkerung. Das ist die Begründung, mit der die
Hisbollah in diesem Gebiet kämpft. Und sie kämpft auch nur in diesem Gebiet und
nicht in Aleppo oder in Idlib oder in Deir ez-Zor oder um Damaskus herum - weil
sie eben unter der Maßgabe kämpft, dass sie dort Libanesen und eigene
politische Interessen vertritt.
Wenn ich das noch hinzufügen darf: Die Hisbollah geht auch davon aus, wenn
sie in Kusair den Aufständischen, die ja in dieser Region im wesentlichen
Islamisten sind, nicht Einhalt gebietet, dann besteht die Gefahr, dass diese
sich auch im Norden des Libanons noch mehr ausbreiten und Libanesen und die
Anhänger der Hisbollah direkt im Libanon angreifen.
Es gibt noch einen anderen Punkt, wo Hisbollah-Kämpfer aufgezogen sind, das hat
Nasrallah auch deutlich gesagt: es gibt schiitische Pilgerstätten in Syrien.
Verschiedene Schreine, die sehr wichtig für die schiitischen Gläubigen sind.
Dazu gehört Sajjida Zeinab, das ist eine große Moschee, die südwestlich von
Damaskus liegt, vielleicht zwanzig Kilometer entfernt. Und dort sind
Hisbollah-Kämpfer um den Schrein herum stationiert, weil sie verhindern wollen,
dass etwas ähnliches passiert wie im Irak 2006, als die goldene Moschee von
Samarra gesprengt worden ist und danach ja furchtbare Kämpfe ausbrachen. Nasrallah
hat ganz deutlich gesagt, sie werden diese Moschee schützen, dass sie nicht
zerstört werden kann.
weltnetz.tv: Karin
Leukefeld, viele Hoffnungen richten sich zur Zeit auf eine Konferenz, die
demnächst in der Schweiz stattfinden soll, die sogenannte Genf-II-Konferenz.
Wer soll an dieser Konferenz teilnehmen und von wem ging die Initative für
diese Konferenz aus, mit welchen politischen Absichten?
Karin Leukefeld: Die Initiative geht eigentlich auf Kofi Annan zurück.
Der war ja Sondervermittler der Vereinten Nationen und der arabischen Liga für
Syrien. Er hatte ja schon vor einem Jahr, im Juni 2012, das „Genfer Abkommen“ vereinbart. Das
Ziel dieses Abkommens ist, eine Übergangsregierung für Syrien zu installieren,
die aus Teilen der Opposition und aus Teilen der jetzigen Regierung bestehen
soll. Diese Übergangsregierung soll eine neue Verfassung auf den Weg
bringen, Neuwahlen fürs Parlamant und Neuwahlen für das Präsidentenamt vorbereiten.
Das ist die Initative, die nach wie vor bestand hat. Sie ist (jedoch)
vor einem Jahr nicht zustande gekommen, weil vor allem Großbritannien,
Frankreich und die USA in einem Treffen mit Kofi Annan zwar verbal zugestimmt
haben, aber die Zusage anschließend politisch nicht eingehalten haben. Jetzt,
in der zweiten Amtszeit von Präsident Barack Obama, hat er ja einen neuen
Außenminister. John Kerry ist offensichtlich ein Außenminister, der die Politik
des Weißen Hauses in Sachen Syrien mehr vertritt, als es vorher Hillary Clinton
getan hat. John Kerry hat also diese Initiative zusammen mit seinem
Amtskollegen aus Russland, Sergej Lawrow, neu gestartet. Die hatten sich ja
Ende Februar dieses Jahres hier in Berlin getroffen um sich zu einigen, dass
die Gespräche für eine Übergangsregierung nun tatsächlich auch stattfinden
sollen. Nach dem Willen der Russen sollen an diesem Gespräch die Vertreter der
syrischen Opposition und der syrischen Regierung teilnehmen, aber auch die
Regionalstaaten, die ja in diesen Krieg involviert sind. Und die Vetomächte des
UN-Sicherheitsrates, Verteter der Europäischen Union, der Arabischen Liga und
der Vereinten Nationen. Also ein relativ breiter Rahmen.
weltnetz.tv: Sie
hatten im Gespräch mit weltnetz.tv bereits mehrfach auf syrische Initiativen
hingewiesen, die sie ingesamt als „politische Opposition“ beschrieben haben, im
Gegensatz zur „bewaffneten Opposition“. Diese Initiativen haben von Anfang an
auf Dialog und Verhandlungen gesetzt, sind aber, gerade bei den westlichen
Mächten, die doch immer auf Konfrontation gesetzt haben, nie wirklich auf Gehör
gestoßen. In einer eventuell neuen Situation: sitzen diese Gruppen nun in Genf
mit am Tisch?
Karin Leukefeld: Es gibt starke Kräfte, die das verhindern wollen. Aber
sowohl London, als auch die USA, vor allem aber Russland und China sind sehr
dafür, dass diese Kräfte an der Konferenz teilnehmen. Das ist ja im
wesentlichen der „Nationale Koordinationsrat für demokratischen Wandel“ (NCC)
und dessen Auslandsvertreter Haytham Manna. Er ist ständig unterweg im
Augenblick in Gesprächen, er war in London, er war in Washington. Und er wird
mit Sicherheit mit einer Delegation von vermutlich fünf oder sechs Personen an
diesem Treffen in Genf teilnehmen.
weltnetz.tv: Mit dem
Auslaufen des Waffenembargos können nun europäische Regierungen leichter Waffen
an syrische Oppositionsgruppen schicken. Darauf haben insbesondere die
französische und die britische Regierung geachtet. Die deutsche Bundesregierung
schließt Waffenlieferungen ziemlich kategorisch aus. Woher rührt diese
Uneinigkeit bei den europäischen Außenministern?
Karin Leukefeld: Nun, es sei mal dahingestellt, ob diese Uneinigkeit
tatäschlich in diesem Krieg in Syrien begründet ist. Ich glaube, dass man sich
jetzt in Brüssel nicht einigen konnte, auch das Waffenembargo aufrechtzuhalten,
hat auch damit zu tun, dass es zwischen Deutschland, Großbritannien und
Frankreich auch noch andere Konflikte gibt. Dass also Großbritannien und
Frankreich einfach mal deutlich sagen wollten: das hier ist ein Punkt, wo wir
uns nichts vorschreiben lassen. Und sie haben ja auch gezeigt, dass sie, wenn
es um bewaffnete Einsätze geht, ob Libyen oder Mali, durchaus Alleingänge
machen. Möglicherweise auch in Absprache mit den USA, weil das ja auch den
Druck auf Washington wegnimmt - es gibt ja den Druck, dass Washington sich
militärisch engagieren soll in Syrien. Dass es nun möglicherweise eine
Vereinbarung gibt, oder eine Übereisntimmung, zwischen Washington einserseits
und London und Paris auf der anderen Seite. Dass, wenn diese beiden Mächte nun
sagen, wir liefern Waffen und wollen ins hier engagieren, dass dadurch
Präsident Obama ein bißchen mehr Spielraum für Verhandlungen hat. Man weiß nie
so genau, was hinter den Kulissen eigentlich verhandelt wird… Ob Großbritannien
und Frankreich wirklich militärisch eingreifen, bleibt abzuwarten.
Möglicherweise wollen sie nur den Druck auf die Führung in Damaskus erhöhen,
vor allem auf Präsident Bashar al-Assad, dass er zu mehr Zugeständnissen bereit
ist…
Dass Deutschland hier eine andere Position einnimmt, ist auch ein bißchen
Geschichte. Deutschland hat sich eigentlich in den letzten zehn Jahren aus
diesen neuen bewaffneten Konflikten herausgehalten, außer in Afghanistan oder
Jugoslawien, wo sie ganz klar eine Rolle eingenommen haben, aber in Irak oder
Libyen haben sie sich nicht engagiert. Deutschland engagiert sich aber auf
einer anderen Ebene: in der politischen und humanitären Unterstützung der
Aufständischen. Und das offensichtlich in Übereinstimmung mit den Staaten, die
mehr die militärische Komponente betonen.
weltnetz.tv: Deutschland
hat sich nicht mit Waffen an diesem Konflikt beteiligt. Im Januar 2012 ist aber
das Projekt „The Day After“ initiiert worden, maßgeblich von Deutschland
mitgetragen, ursprünglich initiiert in den USA. Diese
Projekt, das konnte man den Dokumenten entnehmen, hat durchweg auf die
Zerstörung Syriens gesetzt, um „the day after“, den Tag nach Assad, zu planen.
Was ist aus diesem Projekt eigentlich geworden? Gab es da noch irgendwelche
Verlautbarungen?
Karin Leukefeld: Es gab Sitzungen, die aber nicht so an die
Öffentlichkeit gekommen sind. Das ganze Projekt ist ja eher jenseits der
Öffentlichkeit zustande gekommen und man hat dann hinterher der Presse nur den
Plan, sozusagen, vorgestellt. Das ist aber ein Ausdruck davon, auf welcher
Ebene die Bundesregierung aktiv ist: Unterstützung von Oppositionellen für
politische Zukunftspläne, um zum Beispiel eine Übergangsregierung
vorzubereiten, um vielleicht einzelne Personen aus diesem Kreis vorzuschlagen,
die dann in Zukunft eine politische Bedeutung haben sollen. Also da ist die
Bundesregierung sicherlich nach wie vor ganz stark involviert.
Das Projekt „The Day After“ ist eigentlich ein bißchen in der Versenkung
verschwunden. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass die Entwicklung im
Land selber in eine andere Richtung gegangen ist, als man sich das gedacht hat.
Man hat ja damals gedacht, Assad wird innerhalb kürzester Zeit stürzen und dann
steht man sozusagen in Damaskus auf dem Zentralplatz und kann mit dem Neuaufbau
beginnen. Ich denke, man hat das jetzt ein bißchen auf Eis gelegt, aber das
Projekt wird sicherlich in Zukunft in weiteren Diskussionen nochmal eine
Bedeutung. Denn die Idee, eine Übergangsregierung einzurichten, wird ja
in Frage gestellt durch das (The Day After-)Projekt, eine Gegenregierung
im Norden des Landes aufzubauen. Die „Syrische Nationale Koalition“ hat ja
einen Exilpräsidenten gewählt, der eine Exilregierung aufbaut, die dann alle in
den Norden des Landes zurückkehren sollen, um von dort aus Syrien neu
aufzubauen. Das ist ja eine Gegenregierung - und die wird möglicherweise
unterstützt von den Plänen dieses Projektes „The Day After“.
weltnetz.tv: Ich
möchte darauf später nochmal zurückkommen, aber jetzt nochmal nachhaken, was
die Rolle Deutschlands betrifft bzw. wie die Bundesregierung versucht, auf
syrischem Territorium doch auch Fuß zu fassen. Sie hatten eben schon auf
humanitäre Projekte, auf Hilfslieferungen hingewiesen. Was für eine politische
Strategie verfolgt die Regierung mit solchen Initiativen, oder geht es da wirklich
nur ums Helfen und Pflegen?
Karin Leukefeld: Also bevor ich darauf antworte, möchte ich doch nochmal
betonen, dass die Politik der Bundesregierung nicht ganz so friedfertig ist.
Denn die Waffenexporte der Bundesregierung in den vergangenen zwei Jahren in
die Region des mittleren Ostens, haben enorm zugenommen. Und natürlich beliefert
die Bundesregierung Staaten wir Katar, Saudi-Arabien, Jordanien oder auch die
Türkei, die ganz explizit an der Bewaffnung und Ausrüstung der Aufständischen
in Syrien beteiligt sind. Man muss als eigentlich auch davon ausgehen, dass
in diesem Fall auch Waffen aus Deutschland mit zum Einsatz kommen. Aber
offiziell hat Deutschland natürlich immer den humanitären Charakter der
Unterstützung der Opposition betont.
Sie tun das also in den Flüchtlingslagern in der Türkei, in Jordanien vor allen
Dingen, auch im Libanon. Und dass sie jetzt überlegen, jenseits des humanitären
Völkerrechts Hilfe zuzulassen und finanziell zu unterstützen die in Syrien
stattfindet, aber nicht in Absprache mit der syrischen Regierung, sondern die
aus der Türkei illegal über die Grenze kommt, das ist natürlich ein neuer
Schritt. Damit wird das Völkerrecht auch außer Kraft gesetzt. Es wäre
auch interessant zu erfahren, wie die Bundesregierugn so etwas völkerrechtlich
begründet. Aber sie hat schon ein Verbindungsbüro an der Grenze zu Syrien
aufgebaut, das personell von der „Gesellschaft für Internationale
Zusammenarbeit“ (GIZ) betreut wird, der Entwicklungsorganisation der
Bundesregierung. Und darüber wird also diese Arbeit im Norden Syriens
organisiert und koordiniert.
weltnetz.tv: Sind die von Deutschland initiierten humanitären
Projekte dann in den sogenannten „befreiten Zonen“ aktiv? Also den Zonen, die
von Rebellentruppen kontrolliert werden und also ohne Genehmigung der syrischen
Regierung?
Karin Leukefeld: Genauso ist es. Die syrische Opposition und auch einige
Medien und Politiker hier sprechen ja von sogenannten „befreiten Gebieten“. Das
ist natürlich aus Sicht der Menschen, die dort leben, und vieler Syrer, die von
dort vertrieben worden sind, eine nicht zulässige Beschreibung. Die fragen sich
natürlich: was heißt „befreite Gebiete“, wenn man uns aus unseren Dörfern
eigentlich vertrieben hat. Aber es geht genau darum, dass zum Beispiel in
der Provinz Idlib, in der Provinz Aleppo, in Ra‘s al-‚Ayn, in Qamischli, also
im Grenzgebiet zur Türkei, deutsche Nicht-Regierungs-Organisationen,
ausgestattet mit Geld des Auswärtigen Amtes, Hilfsprojekte durchführen sollen -
ganz explizit an der syrischen Regierung vorbei. Das hat der
Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, in einem
Interview mit der „Frakfurter Allgemeinen Zeitung“ vor einiger Zeit auch so
gesagt - dass es eben auch vorbei an der syrischen Regierung so gemacht
werden soll. Das betrifft natürlich ein ausgewähltes Gebiet, in dem die
Exilregierung der Opposition agieren soll. Die sollen dort installiert
werden, die sollen dort eine Art Gegenregierung aufbauen. Und dieser Prozeß
wird im Grunde mit der Arbeit von Hilfsorganisationen abgefedert, gestärkt und
unterstützt. Das ist natürlich ein ganz massiver Eingriff in die staatliche
Souveränität und territoriale Integrität eines Landes.
weltnetz.tv: Es hat
von US-Thinktanks, aber auch von der Berliner „Stiftung Wissenschaft und
Politik“ Überlegungen gegeben, dass Syrien bereits in drei Teile
zerfallen ist. Nämlich in ein Gebiet, dass unter Kontrolle der bisherigen
Regierung steht, ein Gebiet, im Osten, das von islamistisch orientierten
Truppen kontrolliert wird, als auch einen kurdischen Teil. Und diese
Dreiteilung wird in diesen Überlegungen dargestellt als gangbare, mögliche
Lösung des Syrienkonfliktes. Was sind das für Planspiele der westlichen Mächte
zur Aufsplitterung Syriens?
Karin Leukefeld: Teile und herrsche! Wenn man dieses Land in drei, oder
auch fünf Teile unterteilen will, dann schwächt man damit natürlich jede Art
von Zentralregierung, die so umstritten gewesen sein mag, wie sie war oder ist.
Sicherlich, es gab sehr viele Konflikte mit Damaskus, von Seiten der Kurden,
auch von Seiten islamischer Organisationen. Aber man darf nicht vergessen, dass
die stärkste kurdische Opposition in Syrien, sich eindeutig an Seite der politischen
Opposition in Syrien positioniert, die keine Teilung des Landes will.
Die „Partei der Demokratischen Union“ (PYD), welche die Kurden in Syrien
mehrheitlich führt, hat gesagt, dass sie keinen eigenen Staat, keine Abtrennung
wollen, sondern sie betrachten sich als Teil Syriens und wollen mit den Syrern
gemeinsam eine neue Zukunft für das Land erarbeiten. Deswegen beteiligen sie sich
auch nicht militärisch an diesem Konflikt.
Ich denke, dieser Plan (zur Aufsplitterung Syriens) ist ohne die
Interessen der kurdischen Bevölkerung gemacht worden und natürlich auch ohne
die Interessen der Syrer zu berücksichtigen. Denn ich glaube, wenn man eine
Umfrage in Syrien machen würde, dann würde so etwas garantiert zurückgewiesen
werden. Das entspricht eher dem Interesse, dass man das Land aufteilt, damit
schwächt, und diese Schwächung soll Syrien als einen ganzen Staat treffen, der
ja in Bezug auf westliche Interessen in der Region immer eine oppositionelle
Haltung eingenommen hat. Da kommen wir also ganz schnell von der nationalen
Ebene auf die regionale und internationale, geostrategische Ebene des
Konfliktes. Solche Interessen stecken dahinter - aber nicht die Interessen der
syrischen Bevölkerung.
weltnetz.tv vom
18.06.2013 Karin Leukefeld, vielen Dank für das Gespräch.
Karin Leukefeld: Danke auch.
3) Syriens Präsident Assad im F.A.Z.-Gespräch „Europa
wird den Preis für Waffenlieferungen zahlen“
In einem exklusiven Interview mit der F.A.Z. warnt Syriens
Präsident Assad vor einem Export des Terrorismus nach Europa. Assad spricht
über Waffen für die Rebellen, den Einsatz von Giftgas, die Rolle ausländischer
Mächte und die Genfer Konferenz.
© Syrisches Präsidialamt F.A.Z.-Redakteur Rainer
Hermann im Gespräch mit Baschar al Assad nahe Damaskus
Herr Präsident, die syrische Armee hat die
Kontrolle über Teile Syriens verloren. Fällt das Land auseinander?
Wir befinden uns nicht in einem gewöhnlichen Krieg,
in dem wir die Kontrolle über Landesteile verlieren und andere Teile
kontrollieren. Es ist kein Krieg einer Armee gegen eine andere Armee. Unsere
Armee sieht sich vielmehr Banden gegenüber. Richtig ist, dass die Armee nur
dann an einen Ort vordringen wollte, wenn sie das auch konnte. Wollte sie es,
tat sie es auch. So können wir jeden Ort, in den wir vordringen, auch
kontrollieren. Die Jagd auf die Terroristen hat einen hohen Preis. Wir zweifeln
nicht daran, dass wir die Terroristen auf unserem Boden vollkommen ausschalten
werden. Das Problem ist die Zerstörung, die dabei entsteht.
Sie sprechen von Terroristen.
Ist jeder Aufständische ein Terrorist?
Ist es in Ihrem Land erlaubt, Waffen zu tragen,
unschuldige Menschen zu töten, Bürger zu terrorisieren, Schaden anzurichten, zu
stehlen? In allen Ländern der Welt wird jeder, der Waffen trägt -
ausgenommen Armee und Polizei -, um Menschen zu schikanieren und zu töten, als
Terrorist definiert. Und die Leute in Syrien, die Waffen tragen, tun genau
das. Ob sie ein extremistisches oder kriminelles Motiv haben - für die trifft
die Bezeichnung Terrorist zu. Daher unterscheiden wir zwischen Terroristen
und der Opposition, die politisch ist und ein politisches Programm hat. Töten
und Abschlachten aber ist Terrorismus.
Wie lange wird der Krieg
dauern?
Seit den ersten Tagen wird mir die Frage gestellt,
wann die Krise zu Ende geht. Meine Antwort war, die Krise könnte lange Zeit
dauern. Denn der externe Faktor ist offensichtlich. Eine innere Krise wird entweder
endgültig gelöst, oder sie entwickelt sich in einen Bürgerkrieg. Weder ist das
eine passiert noch das andere. Der Grund dafür ist der externe Faktor, der
bemüht ist, die Krise politisch und militärisch zu verlängern.
Tragen Sie nicht eine
Mitschuld an der Zerstörung des Landes? Am Anfang waren die Proteste rein
politischer Natur, erst später wurde daraus ein bewaffneter Konflikt.
Seit Beginn der Krise, ja sogar schon mehrere
Jahre vor ihrem Ausbruch haben wir mit Reformen begonnen. Wir haben mehrere
Gesetze erlassen, das Notstandsgesetz aufgehoben, die Verfassung geändert und
darüber ein Referendum abgehalten. Vielleicht weiß der Westen das, vielleicht
auch nicht. Was er nicht sehen will ist das: Schon in den ersten
Demonstrationswochen hat es unter der Polizei Tote gegeben, Märtyrer. Wie
konnte es bei friedlichen Demonstrationen dazu kommen, dass Polizisten getötet
wurden? Unter den Demonstranten waren
Bewaffnete, die auf die Polizisten schossen. Manchmal waren sie auf Plätzen
unweit der Demonstration, und vor dort schossen sie auf Demonstranten und
Polizisten, damit man annimmt, die eine Seite habe auf die andere das Feuer
eröffnet.
Es gibt zentrifugale Kräfte
in Syrien. Einzelne Regionen des Landes orientieren sich mehr an ihren
Nachbarstaaten. Werden sich in der Levante die Grenzen verschieben?
Nimmt man aus einem Steinbogen den Schlussstein
heraus, und der ist Syrien, fällt der gesamte Bogen auseinander. Jedes Spielen
mit den Grenzen in der Region bedeutet, die Landkarte neu zu ziehen. Das hat
einen Dominoeffekt, den keiner mehr kontrollieren kann. Es kann sein, dass eine
der Großmächte diesen Prozess anstößt. Aber niemand wird es gelingen, diesen
Prozess an einer bestimmten Stelle zu stoppen. Es gibt heute im Nahen Osten
neue soziale Abgrenzungen - konfessionelle und nationale, neben den politischen
Grenzen. Sie machen die Lage kompliziert. Niemand kann sich bei einem
Neuskizzieren der Landkarte vorstellen, wie die Region aussehen wird. Sie wird
wahrscheinlich eine Landkarte für unzählige Kriege im Nahen Osten und
möglicherweise anderswo sein, die von niemand gestoppt werden können.
Wie wird also die regionale
Ordnung in den kommenden Jahren aussehen?
Wenn wir das Szenario einer zerstörenden Spaltung
Syriens ausschließen, glaube ich an ein anderes, positives Szenario. Die erste
Herausforderung ist die Wiederherstellung von Sicherheit und Stabilität, die
zweite der Wiederaufbau. Die größte und wichtigste Herausforderung aber ist, sich
gegen den Extremismus zu stellen. Denn es hat sich gezeigt, dass in manchen
Gesellschaften der Region Verschiebungen in Richtung Extremismus stattfinden
und ein Entfernen von der Mäßigung, insbesondere in Angelegenheiten der
Religion. Es stellt sich die Frage, ob es uns gelingt, diese Gesellschaften neu
zu positionieren, so wie sie in der Geschichte gewesen waren. Manche sprechen
von Toleranz, manche sagen, es sei Koexistenz. Hält sich jemand für tolerant,
kann er eines Tages den Anderen plötzlich nicht mehr tolerieren. Es hängt
auch nicht von bloßer Koexistenz ab, sondern vom Zusammenfügen der Teile der
Gesellschaft. Das hatte diese Region ausgezeichnet. Die andere
Herausforderung ist die Reform, die wir wollen. Die ständige Frage ist, welches
das beste politische System ist, das unsere Gesellschaft zusammenhält: das
präsidiale oder halbpräsidiale System? Das parlamentarische? Was ist das
passende Parteiensystem? Wir können hier keine religiöse Partei haben - weder
eine christliche noch eine islamische. Für uns ist die Religion die
Aufforderung zum persönlichen Glauben, kein Instrument, um Politik zu machen.
Das Wichtigste ist, den Anderen zu akzeptieren. Tut man das nicht, kann es
keine Demokratie geben, selbst wenn wir über die beste Verfassung und die
besten Gesetze verfügen.
Was bedeutet Säkularismus in
einem Umfeld, in dem die islamistischen Tendenzen an Stärke gewinnen?
Der Nahe Osten ist eine ideologiegebundene Region.
Die arabische Gesellschaft stützt sich auf zwei Säulen: den Panarabismus und
den Islam. Alles andere hat nicht diese Bedeutung. Für uns in Syrien
bedeutet Säkularismus die Freiheit der Religionen: Christen, Muslime und
Juden, mit allen ihren vielfältigen Konfessionen. Der Säkularismus ist
notwendig für die Einheit der Gesellschaft und für das Gefühl von
Staatsbürgerschaft. Dazu gibt es keine Alternative. Denn zur gleichen Zeit sind
die Religionen in unserer Region stark. Das ist schön und nicht schlecht.
Schlecht ist indes, dass Fanatismus in Terrorismus umschlägt. Nicht jeder
Fanatiker ist ein Terrorist, aber jeder Terrorist ist ein Fanatiker. Deshalb
sage ich: Das Konzept unseres säkularen Staats ist, dass jeder das Recht
hat, seine Religion frei auszuüben. Keiner wird aufgrund seiner Religion,
Konfession und Rasse anders behandelt.
© Syrisches Präsidialamt „Wenn die Opposition
unabhängig und national ist, haben wir kein Problem.“
Wie bewerten Sie das „Arabische Erwachen”, das
manche „Arabischer Frühling“ genannt haben?
In einem Frühling gibt es
kein Blutvergießen, kein Töten und keinen Extremismus; Schulen werden nicht
zerstört, Kindern wird der Schulbesuch nicht verboten, der Frau wird nicht
verboten, sich so zu kleiden, wie sie es will. Was wir
heute durchmachen, ist kein Frühling. Schauen Sie, was in Syrien vor sich geht
- töten, schlachten, Menschen enthaupten, sogar Menschenteile essen. Die Kur
wird weder vom Frühling kommen noch von sonst wo. Sie wird von uns kommen. Wir
und viele andere Staaten des Nahen Ostens haben unzählige Probleme, die wir
kennen und objektiv betrachten. Das ist der richtige Ansatz, Probleme zu lösen.
Viel wichtiger ist, dass die Behandlung von innen kommt. Denn jede Sache,
die von außen kommt, bringt ein Geschöpf zur Welt, das lebensunfähig ist. Wenn
wir zum Dialog aufrufen oder Lösungen suchen, müssen sie lokal und national
sein, damit wir das Syrien erreichen, welches wir wollen.
Sie werfen Ländern wie
Saudi-Arabien, Qatar, der Türkei und Großbritannien Einmischung vor. Sind nicht
auch Russland und Iran aktiv beteiligt?
Es besteht ein großer
Unterschied zwischen der Zusammenarbeit unter Staaten und der Einmischung in
die inneren Angelegenheiten eines Staates mit der Absicht, dessen Stabilität zu
untergraben. Staaten arbeiten in dem Willen zusammen, ihre
Souveränität, Unabhängigkeit, die Freiheit ihrer Entscheidungen und ihre
Stabilität zu gewährleisten. Das Verhältnis zwischen Syrien und Russland,
Iran und anderen Staaten, die an der Seite Syriens stehen, ist ein Verhältnis
der Zusammenarbeit, das vom Völkerrecht garantiert und abgesichert ist. Die
Staaten aber, die Sie genannt haben, mischen sich mit ihrer Syrien-Politik in
die inneren Angelegenheiten Syriens ein. Diese Einmischung stellt eine
eklatante Verletzung des Völkerrechts und der Souveränität des Landes dar.
Sie will das Land destabilisieren und Chaos und Rückständigkeit verbreiten.
Sehen wir die Realität, so erkennen wir, was im Irak geschieht und zuvor im
Libanon. Das hing mit dem zusammen, was in Syrien passiert. Das weitet sich
ganz natürlich aus. Was wird erst dann sein, sollte eine militärische
Einmischung erfolgen? Sicher wird die Lage dann viel schlimmer sein als sie
heute ist. Dann werden wir den Dominoeffekt der Ausbreitung des Extremismus,
des Chaos und der Spaltung sehen.
Der Libanon und der Irak
werden von konfessionellen Spannungen geprägt. Tragen Sunniten und Schiiten
beider Länder ihre Konflikte nach Syrien?
Hat man in der Nachbarschaft konfessionelle
Systeme, konfessionelle Unruhen oder Bürgerkriege - wie es im Libanon vor 30
Jahren der Fall war -, wird man selbst in Mitleidenschaft gezogen. Syrien hat
sich daher 1976 im Libanon eingemischt, um sich selbst und auch den Libanon zu
schützen. Daher kümmern wir uns auch um das, was im Irak geschieht, denn wir
werden direkt davon beeinflusst. Gegen den Krieg im Irak zu sein, war daher entscheidend,
trotz der amerikanischen Drohungen jener Zeit. Konfessionelle Ordnungen sind
gefährlich.
Auf der Seite der Rebellen in
Syrien kämpft die Nusra-Front. Wer ist das? Wer versorgt sie mit Waffen und
Geldern?
Die Nusra-Front ist ein Zweig von Al Qaida. Sie
vertritt dieselbe Ideologie. Zu finden ist sie in Syrien, im Irak, im Libanon
und in Jordanien. Die Finanzierung erfolgt hauptsächlich durch anonyme Personen
und Organisationen mit derselben Ideologie. Sie verfügen über Unsummen an Geld
und Waffen. Die Spenden fließen direkt an die Nusra-Front; es ist schwierig,
Herkunft und Abnehmer dieser Ressourcen aufzuspüren. Die Nusra-Front zielt
auf die Errichtung eines islamischen Staats und stützt sich hauptsächlich auf
die wahhabitische Konfession. Letztlich mündet das ins Konzept von Al Qaida
- siehe die Lage in Afghanistan. Das betrifft in erster Linie die Frauen. Die
Nusra-Front will das islamische Gesetz, die Scharia, anwenden. Das ist eine
entstellte und deformierte Form des Islams. Auf Youtube kann man eine
Vorstellung von ihrem barbarischen Handeln bekommen. Im belgischen Fernsehen
war kürzlich zu sehen, wie ein Unschuldiger mit einem Beil enthauptet wurde.
Die Mitglieder der Nusra-Front kommen aus Syrien, aus anderen arabischen und
islamischen Staaten, auch aus Europa.
Welche Motivation haben
Saudi-Arabien und Qatar, die bewaffneten Rebellen im Kampf gegen Sie zu
unterstützen?
Unterstützen sie die Bewaffneten, weil sie an die
Freiheit und Demokratie glauben, wie sie in ihren Medien behaupten? Gibt es in
diesen Ländern überhaupt Demokratie, um die Demokratie in Syrien zu
unterstützen? Haben sie gewählte Parlamente? Haben sie Verfassungen, denen ihre
Völker zugestimmt haben? Hat das Volk einst entschieden, wie die staatliche
Ordnung auszusehen hat, als Monarchie, Präsidialsystem, Emirat oder sonstiges?
Die Dinge sind doch klar. Sie sollten sich zuerst um ihre eigenen Völker
kümmern, und zweitens dann Ihre Frage beantworten.
Wie schätzen Sie die
Syrien-Politik Frankreichs und Großbritanniens ein?
Ich bin der Auffassung, dass Frankreich und
Großbritannien ein Problem mit der - nach ihrer Auffassung - störenden
syrischen Rolle in der Region haben. Sie und die Vereinigten Staaten suchen
nach Lakaien und Puppen, die ihre Interessen durchsetzen. Wir haben das abgelehnt.
Wir waren immer unabhängig und frei. Frankreich und Großbritannien sind
historisch Kolonialmächte. Wahrscheinlich haben sie das nicht vergessen. Sie
handeln in dieser Region durch Vertreter und Kollaborateure. Es kann sein,
dass Frankreich und Großbritannien Saudi-Arabien und Qatar steuern. Wir sollten
nicht außer Acht lassen, dass die Politik und die Wirtschaften Frankreichs und
Großbritanniens von Petrodollars abhängig sind. Was in Syrien vor sich geht,
ist eine Chance für diese Staaten, einen nicht fügsamen Staat an den Rand zu
drängen und nach einem neuen Präsidenten zu suchen, der immer nur „jawohl“ sagt.
Den haben sie nicht gefunden und den werden sie auch in Zukunft nicht finden.
Die EU hat ihr Waffenembargo
gegen Syrien nicht verlängert, aber noch keine Entscheidung zur Lieferung von
Waffen an die Rebellen getroffen.
Ich kann nicht behaupten, dass die Europäer auf der
Seite Syriens stehen. Es gibt Staaten, die gegenüber dem syrischen Staat eine
feindselige Haltung einnehmen, insbesondere Frankreich und Großbritannien. Die
anderen Staaten, in erster Linie Deutschland, stellen rationale Fragen zu
Waffenlieferungen an Terroristen. Was würde geschehen? Erstens, Syrien würde
noch mehr zerstört. Wer würde den Preis zahlen? Das syrische Volk. Zweitens,
die Europäer liefern Waffen und wissen, dass sie diese an Terroristen liefern.
Manche unterscheiden zwischen „guten“ und „schlechten“ Kämpfern, so wie sie vor
ein paar Jahren zwischen „guten“ und „schlechten“ Taliban sowie einer „guten“
und „schlechten“ Al Qaida unterschieden haben. Ist das vernünftig? Wenn die
Europäer Waffen liefern, wird der Hinterhof Europas terroristisch, und Europa
wird den Preis dafür zahlen. Terrorismus bedeutet hier Chaos; Chaos führt
zu Armut; und Armut bedeutet, dass Europa einen wichtigen Markt verliert. Die
zweite Folge wäre der direkte Export des Terrorismus nach Europa. Terroristen
werden kampferfahren und mit extremistischer Ideologie ausgerüstet
zurückkehren. Für Europa gibt es zu einer Kooperation mit dem syrischen Staat
keine Alternative, auch wenn das Europa nicht gefällt.
Sehen Sie sich als Teil des
Kampfes gegen den Terrorismus?
Das sagt einem die Vernunft. Leider gehen viele
Verantwortliche in Europa nicht rational vor, nicht realistisch und nicht
objektiv. Sie lassen sich von negativen Gefühlen leiten statt vom Verstand. Politik
hat mit Interessen zu tun, sie basiert nicht auf Liebe oder Hass. Sie sollten
sich als Deutscher fragen, worin Ihr Interesse an dem besteht, was in dieser
Region geschieht. Was hier geschieht, richtet sich gegen das Interesse
Europas. Denn Europa hat ein Interesse an der Bekämpfung des Terrorismus.
Nicht wenige sehen die
libanesische Hizbullah als terroristische Organisation. Sie kämpft an der Seite
der syrischen Armee, etwa in Qusair. Es gibt Hinweise, dass iranische Pasdaran
syrische Einheiten ausbilden. Brauchen Sie diese Verbündeten?
Medien versuchen das Bild zu vermitteln, dass die
Hizbullah kämpfe, weil die syrische Armee schwach sei. In Wirklichkeit erringen
wir seit ein paar Monaten große Siege in verschiedenen Regionen, die vielleicht
wichtiger sind als Qusair. Aber darüber wird nicht berichtet. Niemand anders
kämpft in solchen Gebieten als die syrische Armee. Es gibt auch lokale
Bürgerwehren, die zusammen mit der Armee ihre eigenen Gebiete verteidigen. Das
ist ein Grund unseres Erfolgs. Qusair bekam besondere Bedeutung aufgrund der
Erklärungen westlicher Verantwortlicher, dass es sich in Qusair um eine
strategische Stadt handle. Das ist übertrieben. In der Stadt gab es jedoch
viele Bewaffnete und Waffenarsenale.
Was war dann die Rolle der
Hizbullah?
Die Terroristen hatten begonnen, die der Hizbullah
nahestehenden Dörfer entlang der Grenze zu beschießen. Es war unumgänglich,
dass die Hizbullah mit der syrischen Armee eingriff, um das Chaos zu beenden.
Die syrische Armee ist eine große Armee und kann ihre Aufgabe mit den lokalen
Bürgern in allen Gebieten wahrnehmen. Brauchten wir wirklich Hilfe, hätten wir
diese Hizbullah-Kräfte in das Umland von Damaskus gebracht. Sie wissen, dass
Kämpfe an der Peripherie von Damaskus stattfinden. Damaskus ist viel wichtiger
als Qusair, auch Aleppo ist wichtiger als Qusair, alle Großstädte sind es.
Diese Propaganda bezweckte zweierlei: Erstens zu zeigen, dass die Hizbullah die
Arbeit macht, und zweitens sollte die westliche und internationale Meinung
gegen die Hizbullah aufgebracht werden.
Wie groß sind die Einheiten
der Hizbullah in Syrien?
Es gibt keine Verbände. Es handelt sich um individuelle
Kämpfer entlang der Grenze, etwa wo die Terroristen bei Qusair zu finden waren.
Sie haben die syrische Armee bei den Säuberungsaktionen entlang der
libanesischen Grenze unterstützt. Die Kräfte der Hizbullah sind Richtung Israel
stationiert und können den Süden des Libanons nicht verlassen. Auch wenn die
Hizbullah Kämpfer nach Syrien geschickt hatte, wie viele können das sein?
Einige Hunderte? Wir sprechen von einer Schlacht mit hunderttausend Soldaten
der syrischen Armee. Einige Hunderte können an einem Ort Einfluss nehmen, nicht
aber das Kräfteverhältnis in Syrien verändern.
Die Regierungen Frankreichs
und Großbritanniens sagen, ihnen lägen Beweise vor, dass die syrische Armee
chemische Waffen eingesetzt habe. Nun sagt das auch die amerikanische
Regierung. Weshalb gestatten Sie den Inspekteuren der UN nur den Zugang nach
Aleppo?
Beginnen wir mit dem, was das Weiße Haus
bekanntgegeben hat, mit den 150 Toten in einem Zeitraum von einem Jahr.
Militärisch gesehen, können konventionelle Waffen an einem Tag viel mehr als
diese Zahl in einem ganzen Jahr töten. Waffen, die zur Massenvernichtung
eingesetzt werden, sind in der Lage, Hunderte, Tausende auf einmal zu töten.
Deshalb werden sie eingesetzt. Es ist daher unlogisch, Chemiewaffen
einzusetzen, um eine Zahl von Menschen zu töten, die durch Einsatz
konventioneller Waffen erreicht werden kann. Frankreich und Großbritannien
sowie einige amerikanische und europäische Verantwortliche haben gesagt, wir
hätten diese Waffen in einigen syrischen Gebieten eingesetzt. Wir haben weder
erklärt, dass wir chemische Waffen besitzen, noch, dass wir sie nicht besitzen.
Chemische Waffen sind Massenvernichtungswaffen. Hätten Paris, London und
Washington nur ein einziges Beweismittel für ihre Behauptungen, hätten sie dieses
der Weltöffentlichkeit vorgelegt. Wo bleibt die Kette der Beweise, die zu
dem Ergebnis führen soll, dass „Syrien chemische Waffen eingesetzt“ habe? Als
Beweis dafür, dass die Terroristen diejenigen sind, die chemische Waffen
einsetzen, haben wir die UN aufgefordert, eine Untersuchungskommission an jenen
Ort zu schicken, an dem die Terroristen chemische Waffen eingesetzt haben - und
das war in Aleppo. Franzosen und Briten haben diesen Antrag blockiert. Wäre die
Untersuchungskommission gekommen, hätte sie festgestellt, dass die Terroristen
chemische Waffen eingesetzt haben. Alles, was über den Einsatz von
Chemiewaffen gesagt wird, ist eine Fortsetzung der Lügen über Syrien. Es ist
der Versuch, mehr militärische Einmischung zu rechtfertigen.
Weshalb lehnen Sie dann
Inspekteure der UN ab?
Es wird sich herausstellen, dass Frankreich und
Großbritannien an der Wahrheit vorbeigehen. Sie wollten, dass die Kommission
Zugang zu allen Plätzen bekommt und die gleiche Arbeit verrichtet, die einst
die Waffeninspekteure im Irak getan haben. Dabei haben sie sich in
Angelegenheiten eingemischt, die nicht unter ihre Befugnisse fallen. Wir sind
ein Staat, wir haben unsere Armee, wir haben unsere Geheimnisse. Wir werden
niemand erlauben, sich Einblick in sie zu verschaffen, nicht den UN, nicht
Frankreich, nicht Großbritannien, nicht anderen.
Weshalb bombardiert die
syrische Armee bewohnte Gebiete?
Wir jagen die Terroristen, wohin sie auch gehen.
Sie gehen oft in Wohngebiete. Nehmen wir als Beispiel Qusair. Westliche Medien
berichteten von 50.000 Zivilisten in Qusair. Die Zahl der Bewohner war
ursprünglich viel kleiner. Als sich die Terroristen des Orts bemächtigten,
verließen ihn die Bewohner. Wir fanden nahezu keine Zivilisten vor, als wir
in Qusair einzogen. Kommen die Terroristen, verlassen die Zivilisten jeden Ort,
und die Kämpfe brechen aus. Beleg dafür ist die Tatsache, dass die meisten
Opfer Angehörige des Militärs sind. Die Zivilisten, die getötet wurden, sind
Opfer von Terroristen, die Hinrichtungen vollstreckten und Zivilisten als
menschliche Schutzschilder benutzten. Eine große Zahl der zivilen Opfer wird
durch Selbstmordanschläge und Autobomben getötet. Die restlichen Getöteten sind
entweder syrische oder ausländische Terroristen.
Nachdem Ihre Armee die Stadt
Qusair erobert hat: Warum nutzen Sie das nicht, um der Opposition die Hand zur
nationalen Versöhnung auszustrecken?
Vom ersten Tag hatten wir
unsere Hand ausgestreckt für jeden, der den Dialog will. Wir haben
diese Haltung nicht geändert. Wir haben zu Beginn der Krise eine nationale
Dialogkonferenz abgehalten, parallel dazu bekämpften wir die Terroristen. Bei
dem Begriff Opposition sollten wir nicht alle in einen Topf werfen, wir sollten
nicht Terroristen mit Politikern zusammentun. Sie haben in Deutschland eine
Opposition, sie trägt aber keine Waffen. Sprechen wir von Opposition,
meinen wir Politiker. Wir sind stets bereits, mit diesen Politikern in einen
Dialog einzutreten. Das hat mit Qusair nichts zu tun. Ich glaube nicht, dass
nationale Versöhnung ein zutreffender Begriff ist. Es handelt sich bei uns
nicht um einen Bürgerkrieg wie im Libanon. Es ist auch nicht eine Frage wie
zwischen Weißen und Schwarzen in Südafrika. Hier handelt es sich um einen
Dialog, der darauf zielt, aus der Krise herauszukommen und die Terroristen dazu
zu bewegen, die Waffen niederzulegen. Die Genfer Konferenz verfolgt die
genannten politischen Ziele. Also, der politische Prozess ist nicht zum
Stillstand gekommen. Es gibt allerdings Hindernisse von außen - die Türkei,
Qatar, Saudi-Arabien, Frankreich und Großbritannien. Sie wollen den Dialog
nicht. Sie wollen vielmehr die Fortsetzung der Unruhen, und das führt dazu,
dass sich der Dialog und die politische Lösung verzögern.
Mit wem sind Sie bereit, sich
an einen Tisch zu setzen?
Mit jeder Opposition, die
keine Waffen trägt, nicht den Terrorismus unterstützt und ein politisches
Programm hat. Die Opposition hat sich in
Wahlen zu bewähren; das sind Lokalwahlen und - als wichtigstes -
Parlamentswahlen. Wir haben es mit Kräften zu tun, die sich Opposition nennen.
Hier stellen wir zwei Fragen: Was ist ihre Basis im Volk? Was ist ihr
politisches Programm? Entsprechend verhalten wir uns.
Weshalb haben Sie bisher
nicht mit der Opposition in Syrien verhandelt?
Wir haben in der ersten Dialogkonferenz von 2011
jeden eingeladen, der sich als Oppositioneller betrachtet. Ein Teil der
Oppositionellen kam, andere schlugen die Einladung mit der Begründung aus, dass
wir ihnen nicht entgegengekommen seien. Was ist damit gemeint? Was bieten wir
ihnen an? Ministerposten im Kabinett? Sie haben ja keinen Sitz im Parlament.
Wie können wir wissen, wer es verdient, in der Regierung zu sein? Dazu braucht
man Kriterien und Maßstäbe. Das hat nichts mit Launen zu tun. Die einzige
Opposition, die sich heute in der Regierung befindet, ist die Opposition, die
Sitze im Parlament errungen hat. Um es klar zu sagen: Der Staat ist nicht
Eigentum des Präsidenten, um Geschenke in Form von Ministerien zu verteilen. Es
ist ein nationaler Prozess, Regierung und Verfassung werden vom Volk bestimmt. Unsere
Türen sind geöffnet.
Gibt es Raum für eine
politische Lösung?
Wenn die Opposition
unabhängig und national ist, haben wir kein Problem. Die Opposition im Ausland
legt ihre Berichte den westlichen Außenministerien und deren Geheimdiensten
vor. Wer sie finanziert, gibt ihnen ihre Entscheidungen vor. Für uns bedeutet
Opposition, dass sie einen Teil der Bevölkerung repräsentiert und nicht einen
ausländischen Staat. Um eine aufrichtige Opposition zu sein, muss
man auf syrischem Boden mit seinem Volk sowie dessen Problemen und Nöten leben.
Erst dann kann diese Opposition Teil eines politischen Prozesses sein.
Sie haben gesagt, Sie
verhandeln nicht mit Sklaven, sondern nur mit deren Herren. Was bedeutet das?
Ich habe diesen Vergleich angestellt, um klarzustellen,
was wirklich passiert. Im Fernsehen war zu sehen, wie der französische
Botschafter in Syrien mit der syrischen Opposition gesprochen hat, wie er ihr
Befehle gegeben und sie sogar beschimpft hat. In einem anderen Video haben
Oppositionelle ausgesagt, wie der amerikanische Botschafter in Syrien sie
beschimpft hat. Praktisch werden wir Verhandlungen führen mit den
Vereinigten Staaten, Frankreich und Großbritannien sowie deren Werkzeugen
Türkei, Qatar und Saudi-Arabien. Die Kräfte, die sich Opposition im Ausland
nennen, sind bloße Angestellte und in diesem Sinne Sklaven.
Was erwarten Sie von der
Syrien-Konferenz, die in diesem Sommer in Genf stattfinden soll?
Wir hoffen, dass die Genfer Konferenz eine wichtige
Station wird, um den Dialog in Syrien voranzutreiben. Insbesondere weil wir zu
Beginn des Jahres eine Vision für eine politische Lösung bekanntgegeben haben. Wir
sollten nicht außer Acht lassen, dass es Staaten gibt, die an einem Erfolg in
Genf nicht interessiert sind. Das sind die gleichen Staaten, die den
Terrorismus in Syrien unterstützen. Gelingt es der Konferenz - und das ist es,
was wir hoffen -, zu verbieten, dass Waffen nach Syrien eingeschleust werden
und Terroristen einsickern - es gibt Terroristen aus 29 Nationen -, dann ist
das ein Ansatz zum Erfolg. Geschähe das nicht und setzte sich der
Terrorismus fort: Worin bestünde dann der Wert einer politischen Lösung? Eine
politische Lösung basiert darauf, das Einschleusen von Terroristen und Waffen
nach Syrien zu stoppen. Wir hoffen, dass die Genfer Konferenz mit diesem Punkt
beginnt. Sollte es ihr gelingen, dies zu beschließen, betrachte ich die
Konferenz als erfolgreich. Ohne dieses Ergebnis würde die Konferenz keinen
Erfolg haben.
Was wäre die Folge eines
Scheiterns der Konferenz?
Geht die syrische Krise nicht
zu Ende, wird sie auf andere Länder übergreifen, und die Lage wird sich
verschlechtern. Der Verstand gebietet es zwar, dass alle an
einem Erfolg Interesse haben. Aber die Opposition im Ausland würde ihre Gelder
verlieren, sollte die Konferenz erfolgreich sein. Hat man weder Geld noch eine
Basis in der Bevölkerung, besitzt man gar nichts.
Kann aus Genf eine
Übergangsregierung mit Personen aus verschiedenen politischen Lagern
hervorgehen?
Wir sind auf eine erweiterte Regierung eingegangen,
die unterschiedliche Seiten vertritt und die Parlamentswahlen vorbereitet. Wer
in diesen Wahlen Erfolg hat, wird an der Regierung teilnehmen, wer nicht, hat
darin keinen Platz.
Es heißt, nach so viel
Blutvergießen sei ein politischer Neubeginn nur mit neuen Führern möglich. Sind
Sie bereit, Ihr Amt als Präsident aufzugeben?
Die Verfassung schreibt die
Aufgaben des Präsidenten vor. Seine Legislaturperiode endet 2014. Befindet sich
das Land in einer Krise, so sind die Aufgaben des Präsidenten größer und nicht
kleiner. Selbstverständlich kann man das Land während einer Krise nicht im
Stich lassen. Immer wieder vergleiche ich die Lage mit einem Schiff, das in
einen Sturm gerät. Man stelle sich vor, der Kapitän verlässt das Schiff und
flieht mit einem Rettungsboot. Unter diesen Umständen aufzugeben, bedeutete,
einen großen nationalen Verrat zu begehen. Eine andere Sache ist es, wenn das
Volk beschließt, dass jemand sein Amt verlieren soll. Wie kann man wissen, ob
das Volk will, dass man das Amt aufgibt? Entweder durch Wahlen oder ein
Referendum. Am Referendum zur neuen Verfassung haben sich 58 Prozent der
Wähler beteiligt. 89,4 Prozent stimmten der neuen Verfassung zu, das ist ein
guter Indikator. Nicht der Präsident ist das Problem. Andere Staaten wollen,
dass der Präsident zugunsten eines von diesen Staaten bestimmten Lakaien
abtritt.
Im Jahr 2014 soll eine
Präsidentschaftswahl stattfinden. Wie soll sie ablaufen?
Nach der neuen Verfassung wird es mehr als einen
Kandidaten geben, und das wird eine neue Erfahrung sein. Es ist schwierig,
genau zu wissen, wie es sein wird, bis wir es erprobt haben.
Wie wird Syrien in fünf
Jahren aussehen?
Ich wiederhole: Extremismus ist die größte
Herausforderung. Gelingt es uns, gegen diesen vorzugehen, dann können wir einen
richtigen demokratischen Pfad einschlagen. Die Demokratie, die wir in Syrien
anstreben, ist nicht ein Ziel, sondern ein Mittel für Stabilität und
Entwicklung. Diese Frage handelt nicht von Gesetzen und Verfassungen. Der
demokratische Prozess ist in erster Linie ein kulturgesellschaftlicher Prozess.
Mit dem syrischen Präsidenten sprach Rainer
Hermann.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58625 vom 17.6.2013