Syrien Assad-Interview mit dem AFP 23.1.2014
»Mit wem verhandeln wir denn?«
Syrien-Gespräche am Genfer See: Die meisten
Oppositionsgruppen repräsentieren ausländische Kräfte, sagt Präsident Baschar
Al-Assad im Interview mit AFP. Im Zentrum von »Genf II« muss das Problem des
Terrorismus stehen
Herr Präsident, was erwarten Sie von der Genfer
Konferenz?
Das wichtigste Element ist gewiss, dass auf der Genfer Konferenz Resultate
bezüglich der Bekämpfung des Terrorismus in Syrien zustande kommen. Dies
bedeutet, es muss Druck auf diejenigen Länder ausgeübt werden, welche den Terrorismus
exportieren, dadurch, dass sie Terroristen, Geld und Waffen an die
Terrororganisationen senden. Speziell Saudi-Arabien, die Türkei und natürlich
die westlichen Länder unterstützen den Terrorismus, und sie versuchen, dies
politisch zu verdecken. Dies ist die wichtigste Entscheidung, die in Genf
fallen muss. Jede politische Entscheidung, die gefällt wird und die das Problem
der Terroristen außer acht lässt, ist wertlos. (...)
Wie wahrscheinlich ist es für Sie nach drei Jahren Krieg und der großen
Herausforderung des Wiederaufbaus, dass Sie als Präsident nochmals kandidieren
werden?
Dies hängt von zwei Dingen ab: Einerseits von meinen persönlichen Absichten und
meiner Entscheidung, anderseits von der öffentlichen Meinung in Syrien. Soweit
es mich persönlich betrifft sehe ich keinen Grund, warum ich nicht kandidieren
sollte. Was die öffentliche Meinung in Syrien angeht, dauert es noch vier
Monate bis zu den Wahlen. Sollte sich in dieser Zeit ein öffentlicher Wunsch
nach meiner Kandidatur manifestieren, werde ich nicht eine Sekunde zögern, mich
zur Verfügung zu stellen. (...)
Haben Sie in den vergangenen Jahren jemals darüber nachgedacht, dass Sie die
Schlacht verlieren könnten, und haben Sie sich eine Alternative für sich und
Ihre Familie überlegt?
Natürlich kann man jede Schlacht gewinnen oder verlieren. Wenn es jedoch um die
Verteidigung des Landes geht, dann ist es offensichtlich, dass man keine Wahl
hat, man muss gewinnen. Sollte Syrien diesen Kampf tatsächlich verlieren, würde
sich das Chaos im gesamten Nahen Osten ausbreiten. Dieser Kampf beschränkt sich
nicht auf Syrien, und er ist kein Aufstand gegen ein Regime, das seine
Bevölkerung unterdrückt, wie es die westlichen Medien kolportieren, und keine
Revolution für Demokratie und Freiheit. Die Menschen fangen langsam an, diese
Lügen zu durchschauen. Ein Volksaufstand, der solange dauert, hätte schon
längst Erfolg gehabt oder er wäre dann niedergeschlagen worden. Was noch
wichtiger ist: Ein nationaler Volksaufstand hat keine ausländische Agenda. (…)
Flüchten ist unter diesen Umständen keine Option. Ich muss in der ersten Reihe
derjenigen stehen, die dieses Land verteidigen – und das war seit dem ersten
Tag der Fall.
Denken Sie, Sie können diesen Krieg gewinnen?
Es ist nicht an mir, diesen Krieg zu gewinnen, es ist ein Krieg, den das
syrische Volk gewinnen muss. Wenn sie so wollen, gibt es zwei Phasen in diesem
Krieg. Die erste Phase sah vor, die syrische Regierung, den syrischen Staat,
innerhalb von Wochen oder Monaten zu stürzen. Jetzt, nach drei Jahren, können
wir mit Sicherheit sagen, dass dies gescheitert ist, und dass das syrische Volk
gewonnen hat. Es gab Länder, die wollten nicht nur einen Staatsstreich, sondern
sie wollten Syrien in mehrere Kleinstaaten aufteilen. Natürlich ist auch dieser
Plan gescheitert und auch da hat das syrische Volk gewonnen. Die nächste Phase
dieses Krieges ist der Kampf gegen den Terrorismus, den wir gegenwärtig
erleben. Wie Sie wissen, ist diese Phase noch nicht überstanden, wir können
also nicht von einem Sieg sprechen, solange die Terroristen nicht ausgeschaltet
sind. (…)
Die Opposition, welche in Genf teilnehmen wird, ist in viele verschiedene
Fraktionen gespalten. Sie scheint keine wirkliche Basis zu haben. Wie kann es
so überhaupt zu einer Übereinkunft kommen?
Diese Frage stellen wir uns auch als Regierung: Wenn ich verhandle, mit wem
verhandle ich denn? (…) Es ist offensichtlich, dass viele der Gruppen, die
eingeladen wurden, erst seit kurzem existieren. In der Tat wurden viele von
ihnen von ausländischen Geheimdiensten gegründet, entweder aus Katar,
Saudi-Arabien, Frankreich, den USA oder anderen Ländern. Wenn wir uns also mit
diesen Gruppen treffen, dann treffen wir uns in Tat und Wahrheit mit den
Ländern, die sie gegründet haben. Ist es denn logisch, dass Frankreich ein Teil
der syrischen Lösung sein soll? Oder Katar, Saudi-Arabien, die USA oder die
Türkei? Das ergibt überhaupt keinen Sinn. Es ist uns bewusst: Wenn wir mit
diesen Gruppen verhandeln, dann verhandeln wir eigentlich mit den Ländern, die
hinter ihnen stehen und die den Terror gegen das syrische Volk unterstützen.
(…)
Können Sie sich vorstellen, mit einem Premierminister aus der Opposition
in einem künftigen Kabinett zusammenzuarbeiten?
Das kommt darauf an, welche Opposition er repräsentiert. Wenn er die Mehrheit
repräsentiert, dann natürlich. Aber ein Premierminister ohne eine Mehrheit
hinter sich, ergibt keinen politischen Sinn, in keinem Land der Welt. In Ihrem
Land, beispielsweise, können Sie sich auch nicht vorstellen, dass die
Minderheit im Parlament den Premierminister bestimmt. All dies machen wir von
den nächsten Wahlen abhängig, dort wird sich zeigen, wie tief die Opposition im
Volk verankert ist.
Könnten Sie sich zum Beispiel Ahmed Dscharba oder Moaz Al-Khatib als
Ihren nächsten Premierminister vorstellen?
Damit kommen wir zurück zu ihrer letzten Frage. Repräsentieren die Genannten
das syrische Volk? Oder repräsentieren sie sich selbst und diejenigen, die sie
unterstützen? (…) Meinen sie wirklich, dass die sich konstruktiv an der
syrischen Regierung beteiligen wollen? Natürlich wollen sie das nicht. Letztes
Jahr haben sie behauptet, sie würden 70 Prozent von Syrien kontrollieren. Sie
kommen für eine halbe Stunde an die Grenze zum Fototermin und flüchten dann.
Wie sollen sie also Regierungsmitglieder werden? Kann ein Ausländer syrischer
Minister werden? Solche Ideen sind völlig unrealistisch, man kann sie lediglich
als Scherz betrachten. (…)
Nun, da die bewaffnete Opposition gegen Dschihadisten kämpft, sehen Sie
irgendeinen Unterschied zwischen den beiden Gruppen?
Die Antwort, die ich Ihnen zu Beginn der Kämpfe auf diese Frage gegeben hätte
unterscheidet sich komplett von der Antwort, die ich Ihnen heute gebe. Heute
sind es nicht mehr zwei Oppositionsgruppen. Wir alle wissen, daß während der
letzten paar Monate die extremistischen Terrorgruppen die letzten Bastionen
derjenigen gestürmt haben, welche der Westen moderate oder säkulare Kräfte
nennt. Sie werden auch »Freie Syrische Armee« genannt. Diese Kräfte existieren
nicht mehr. Jetzt haben wir es mit Extremisten aus verschiedenen Fraktionen zu
tun. (…)
Ist es vorstellbar, dass die Armee und die Opposition Seite an Seite
gegen die Extremisten kämpfen?
Wir arbeiten mit allen Kräften zusammen, welche gemeinsam mit der syrischen
Armee die Terroristen bekämpfen, das geschieht jetzt und das ist schon vorher
geschehen. Es gibt viele Militante, die ihre jeweiligen Organisationen
verlassen haben und nun gemeinsam mit der Armee kämpfen. Das ist also möglich,
aber das sind Einzelfälle. Es gibt keine Allianz zwischen »moderaten« Kräften
und Einheiten der Armee gegen die Terroristen. Diese Annahme ist falsch und
eine Illusion, welche der Westen schürt und dazu missbraucht, um den Terror in
Syrien weiterhin aufzurüsten. Der Terror wird mit der Begründung aufgerüstet,
moderate Kräfte innerhalb der Opposition zu unterstützen. Das ist ebenso
unlogisch wie falsch. (…)
Der Staat klagt die Rebellen an, sie würden in den Gebieten, die sie
kontrollieren, die Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilder missbrauchen.
Wenn die Armee solche Gebiete bombardiert, tötet sie dann nicht unschuldige
Menschen?
Die Armee bombardiert keine solchen Gebiete. Die Armee schlägt dort zu, wo sich
die Terroristen befinden. In den allermeisten Fällen kommen die Terroristen in
ein bestimmtes Gebiet und sie bedrohen die Zivilbevölkerung. Was meinen Sie,
weshalb gibt es so viele innersyrische Flüchtlinge? Die meisten der Flüchtlinge
verlassen ihre Häuser, weil sie von den Terroristen bedroht werden. Die Armee
bekämpft den Terrorismus, und es stimmt, in einigen Fällen werden von diesen
Banden Zivilisten als menschliche Schutzschilder missbraucht. Zivile Opfer sind
ein Unglück und die traurige Konsequenz eines Krieges. Es gibt keinen sauberen
Krieg ohne zivile Opfer. Natürlich gibt es auch bei uns zivile Opfer, und
deswegen müssen wir all dem ein Ende bereiten. (…)
Sie sagten, der Krieg wird enden wenn der Terrorismus gestoppt wird. Aber
Syrien und die ganze Welt wollen wissen, wann das sein wird. In Monaten? In
einem Jahr? In wie vielen Jahren?
Wir hoffen, dass Genf II uns hilft, Antworten zu finden und vor allem Druck auf
die Länder zu entfalten, welche die Terroristen unterstützen. Dies hat nichts
mit Syrien zu tun, es muss Druck auf diese Staaten ausgeübt, und es muss
verhindert werden, dass die Banden weiterhin nach Syrien gelangen. Von unserer
Seite aus können wir sagen: Wenn dies getan wird, ist das Blutvergießen
innerhalb von einem Monat beendet. (…)
http://www.jungewelt.de/2014/01-23/001.php vom 23.1.2014