Ein "besonderes" Verhältnis, wie lange noch?
von Evelyn Hecht-Galinski
Die Wahlen sind gelaufen und der Alltag holt uns wieder ein. Im Schatten
der Bundestagswahlen spielten sich in den letzten Tagen erschreckende Vorfälle
im Nahen Osten und anderen Regionen in der Welt ab. In der Nacht zum Samstag
den 21.September hörte ich in den Schweizer Nachrichten erstmals über den
unglaublichen Vorfall, dass israelische Soldaten EU-Diplomaten bei einem
Hilfseinsatz angriffen. Allerdings kam dazu nichts in deutschen Sendern, weder
beim DLF, noch in der ARD!
Am Samstag stand auch in der Berliner Zeitung ein Artikel über diese
Vorfälle und am Montag zogen auch andere Medien nach. Was war geschehen? Die
IDF(Israelische Verteidigungsarmee!), diese "Verteidiger", hatten am
Freitag voriger Woche einen von EU Diplomaten begleiteten Hilfstransport
angegriffen und die Güter beschlagnahmt, die dieser Hilfstransport für Bewohner
eines Beduinendorfes geladen hatte. Dieses Beduinendorf Khirbet Makhul hatten
die israelischen "Verteidigungssoldaten" zuvor abgerissen und die 100
Bewohner obdachlos gemacht! Man warf den Beduinen vor, ihre Hütten ohne die
vorgeschriebene Genehmigung, die so gut wie nie erteilt wird, errichtet zu
haben. Zuvor hatte der Oberste Gerichtshof Jerusalem der "einzigen
Demokratie im Nahen Osten" eine Petition der Beduinen verworfen, die diese
trotz des Hinweises darauf, dass sie dort seit Jahrzehnten gelebt hatten,
eingebracht hatten. Außerdem wurde eine französische Diplomatin aus dem
Hilfsfahrzeug gezerrt und auf den Boden gedrückt - sehr gut zu sehen auf diesem
Video (1).
Wie war die Reaktion der EU, der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton
und der EU-Nothilfekommissarin Kristalina Georgieva? Sie bedauerten den Vorfall
der Beschlagnahmung der Hilfsgüter und seien "tief besorgt". Muss man
sich nicht viel mehr fragen, ob das nur die natürliche Reaktion des
israelischen Regimes auf immer neue Zugeständnisse der EU ist? Denken wir an
das erstaunlich große Engagement der EU gegen eine Resolution der arabischen
Staaten vom letzten Freitag in Wien, als diese bei der Generalversammlung der
Internationalen Atomenergieorganisation (IAEA) grandios gescheitert waren - mit
einem Text, der die Sorge über Israels nukleare Kapazitäten geäußert hatte und
dessen Regierung aufgefordert hatte, dem Atomwaffensperrvertag (NPT)
beizutreten und sich endlich unter die Kontrolle der IAEA zu stellen.
Natürlich hat Israel es immer erfolgreich verstanden, nicht über den
Besitz von Atomwaffen zu reden, aber nicht umsonst gilt Israel seit Ende der
1960er Jahre als Atomwaffen-Staat. Wie frustrierend muss es für die arabischen
Staaten sein, immer wieder mit ansehen zu müssen, dass, wenn es um den
"jüdischen Staat" geht, mit zweierlei Maß gemessen wird. "Double
Standards"! Wie nicht anders zu erwarten, war das Lobbying der USA wie
immer heftig und erfolgreich (Obama im Würgegriff…?). Aber zum Erstaunen vieler
setzte sich auch die EU so eindeutig für Israel ein. Deren Außenbeauftragte
Catherine Ashton forderte sogar Regierungen von IAEA-Mitgliedern schriftlich
auf, gegen die arabische Resolution zu stimmen. Begründung, es sei wenig
hilfreich auf Israel einzudreschen: "To single out Israel"!
Wohin diese Tolerierung der Interessen des "jüdischen Staates"
führt, erleben wir täglich! Jetzt haben wir es also nicht nur mit der
US-Lobby-Politik zu tun, sondern auch mit der fast identischen EU Politik im
Bezug auf Israel und ihrem Einknicken vor der Lobby. So wird es auch keine
Gerechtigkeit für den Mord an Bassem Aburahmah geben, den man den "Elefanten"
nannte und dem ein Denkmal in dem Dokumentarfilm "Five Broken
Cameras" gesetzt wurde. Dieser wunderbare Mensch und palästinensische
Aktivist, Sinnbild eines gewaltlosen Widerstands in Bilin, wurde 2009 durch
eine Tränengaspetarde gezielt angeschossen, durch einen IDF Soldaten brutal
umgebracht. Der Vorfall wurde hautnah dokumentiert in besagten Film und zeigt
den Tod von Bassem Aburamah so wie er ablief, als ein brutales Verbrechen.
Weitere 18 Todesfälle auf die gleiche Art durch diese Geschosse von der IDF werden
bis heute ergebnislos untersucht!
Ebenso herzzerreißend ist ein Artikel von Haaretz, der israelischen
Zeitung, in dem am 20.September über den Tod eines palästinensischen Arbeiters,
namens Ahsan Abu-Srur berichtet wurde, der von seinem Arbeitgeber, einem
israelischen Bauunternehmer, nach seinem Herztod während der Arbeit, auf die
Straße gelegt wurde. Als die Polizei kam, wurde kein Protokoll aufgenommen, und
der Fall sollte wie so viele andere Todesfälle vertuscht werden. Der Arbeiter,
der seit 20 Jahren illegal in Israel arbeitete um seine Familie zu ernähren,
stammte aus einem Flüchtlingslager bei Nablus. Der Bruder von Abu-Srur
erzählte, dass der verstorbene Bruder zu Beginn eine Arbeitsgenehmigung in
Israel hatte, die aber nach ihrem Ablauf nicht erneuert wurde, und dass
Abu-Scur danach gezwungen war, sich nach Israel einzuschleichen. Er versteckte
sich an verschiedenen Plätzen und kam nur alle paar Wochen zurück nach Hause.
So wie tausende von illegalen palästinensischen Arbeitern es tun, die keine
andere Möglichkeit haben, als sich illegal nach Israel zu begeben, um dort eine
illegale Arbeit zu finden. Der Fall zeigt laut Haaretz die peinliche Realität
für die illegalen palästinensischen Arbeiter in Israel und wie deren
Arbeitgeber und die Obrigkeit damit umgehen.
Es ist Haaretz zu danken, dass sie auf solche Zustände aufmerksam macht,
die den moralischen Standard dieser "demokratischen" Gesellschaft und
ihres Umgangs mit den Menschenrechten enttarnen. In diesem Zusammenhang sind
auch die Aussagen von israelischen Politikern oder Zentralratspräsident
Graumann besonders schlimm, wenn sie von den israelischen Arbeitgebern im
Zusammenhang mit den Palästinensern sprechen und diese Umstände noch als
Wohltat preisen und damit gleichzeitig propagandistisch versuchen, die
EU-Leitlinien gegen Siedlungswaren wieder aufzuheben! Dasselbe gilt für die
Beschäftigung in den besetzten Gebieten und jüdischen Siedlungen, wo die
palästinensischen Arbeiter in der Besatzung ihr Brot verdienen müssen.
Ist das nicht eine moderne Art der Zwangsarbeit unter der Besatzung?
Beinahe täglich übertritt der "jüdische Staat" diese rote Linie, wie
auch am Dienstag und Mittwoch vergangener Woche, als die israelischen
Verteidigungssoldaten Mitarbeiter des Roten Kreuzes vertrieben hatten, die
Zelte und Notrationen zu den obdachlosen Bewohnern von Khirbet Makhul bringen
wollten. Kurzer Hand wurde diese Gegend um das von der IDF zerstörte Dorf zum
militärischen Sperrgebiet erklärt. So geht diese Zerstörung und Vertreibung
durch die IDF gegen ausländische und palästinensische Aktivisten ständig weiter
und macht auch vor EU-Diplomaten nicht halt. Hier haben wir ein Beispiel von
verfehlter europäischer Außenpolitik, wenn es um das israelische Regime und
seine Vorgehensweise geht!
Warum gingen in den vergangenen 7 Jahren unter solchen Bedingungen etwa
800 Millionen EU-Fördergelder an Israel? Israel ist eben keine "anerkannte
Verwaltungsmacht", wie es die CDU/CSU so "vortrefflich" (im
"Nazi Jargon"?) formulierte, sondern eine Besatzungsmacht der schlimmsten
Art! Sollten nicht gerade deutsche Parteien diese Tatsache anerkennen und auch
beim Namen nennen? Ist das zu viel verlangt? Gerade wo sich die neue und alte
Kanzlerin immer auf die Verantwortung auf Grund unserer Vergangenheit bezieht?
Wird sich in einer neuen Bundesregierung nach dem Ausscheiden von
Lieberman-Freund und FDP-Außenminister Westerwelle, der seine letzte Reise nach
New York zur UNO Generalversammlung antrat, das "besondere"
Verhältnis zu Israel nun ändern? Will man dem neuen Spiegel Nr. 39 glauben,
planen auch Teile der Linken die Aufgabe ihres Pazifismus, um sich doch noch
als "Koalitionsbraut" ins Bett der etablierten Parteien zu legen! Was
wohl erst in der nächsten Legislaturperiode Auswirkungen zeigen wird, denn jetzt
sieht es tatsächlich so aus, als ob die Linke die neue Oppositionsführung im
neuen Bundestag sein wird. Wer hätte das gedacht?
Aber, ich möchte nochmals zurückkommen auf die heutige
UN-Vollversammlung, wo die Lobbyarbeit auch schon mächtig im Gange ist. Meldet
doch das American Jewish Committee (AJC) mehr als 70 "private"
Treffen mit den Mächtigen von allen Kontinenten, Gespräche mit Präsidenten,
Premierministern und Außenministern aus allen wichtigen Ländern über
"dringende Angelegenheiten". Das sind "die Bedrohung der
Anstrebung des Iran als Nuklearmacht", die israelisch/palästinensischen
"Friedensgespräche", der Syrien-Konflikt, Weiterentwicklungen in der
Arabischen Welt und natürlich der wachsende Antisemitismus in der Welt.
Umso spannender wird der heutige Auftritt des neugewählten iranischen
Präsidenten Hassan Rohani vor der UN-Vollversammlung. Er hatte ja schon im
Vorfeld im Namen der internationalen Regeln auf das Recht seines Landes auf
Urananreicherung auf iranischem Boden hingewiesen und im Rahmen einer Militärparade,
die an den Beginn des Angriffskrieges vom Irak im Jahr 1980 erinnerte, darauf
hingewiesen, dass die dabei gezeigten Waffen nur der Verteidigung dienten.
Schließlich habe der Iran seit mehr als 200 Jahren (im Gegensatz zu vielen
anderen!) kein anderes Land angegriffen und das werde sich auch nicht ändern!
Völlig zutreffend sagte Präsident Rohani noch: "Nicht Iran, sondern Israel
bedroht die Region. Israel missachtet sämtliche internationale Regeln und
vergrößert sein Arsenal von Atom- und Chemiewaffen".
Verständlich, dass das Netanjahu Regime nervös und negativ auf die
Entspannungssignale in der Rede von Präsident Rohani reagiert. Beharrt doch
Netanjahu darauf den Iran zu zwingen, komplett auf die Urananreicherung zu
verzichten und das ganze bisher angereicherte Material außer Landes zu
schaffen. Das israelische Regime ist eben ein Meister der Ablenkung und
versteht es vortrefflich, immer wieder von sich und seinen Verbrechen
abzulenken. Spricht man Israel auf seinen Besitz von chemischen und biologischen
Waffen an, hüllt man sich dazu in Schweigen und verweist lieber auf Syrien und
verlangt dessen Vernichtung von chemischen Waffen. Schließlich hat Israel zwar
die internationale Konvention zum Verbot vom Einsatz chemischer Waffen vor 20
Jahren unterzeichnet, gehört aber zu den wenigen Ländern, die den Vertrag nie
ratifiziert haben! Israel und seine Vertreter haben es immer verstanden, auf
den Besitz von chemischen, biologischen oder Atomwaffen unter dem Deckmantel
der "Andersartigkeit" und der daraus resultierenden Sonderbehandlung
durch die Weltgemeinschaft zu pochen, als "einzige Demokratie im Nahen
Osten" die nur Sicherheit und Frieden für seine "jüdischen
Bürger" wolle. So kommen wir wieder zu dieser Ungleichbehandlung dieses
Staates, gegenüber den Nachbarn.
Der "jüdische Staat" äußert sich grundsätzlich nicht zu
Mossad-Aktionen, Chemie- und Biologischen Waffen oder zur Atomtechnik. Obwohl
sogar CIA-Berichte auf diese Tatsache hinweisen. Inzwischen kann man ja auch
viel besser mit Drohnen töten und überwachen, wie es Israel und die USA heute
gezielt machen. Beide Staaten haben es meisterhaft verstanden sich im Namen von
Terror, Sicherheit und "Demokratie und Freiheit" über alle Normen
hinwegzusetzen. So wird Israel auch nicht aufgeben Angriffe gegen Syrien und
Iran zu fordern und das gestützt von immer massiverem Lobbyismus, in Gremien,
bei Regierungen und im Internet. (PK)
Quellen:
(1)
https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=KxQiyoCj360#t=50
(2)
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19485
Evelyn Hecht-Galinski ist Publizistin, Autorin und Tochter des 1992
verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz
Galinski. Ihre Kommentare für die NRhZ schreibt sie regelmäßig vom
"Hochblauen", dem 1165 m hohen "Hausberg" im Badischen, wo
sie mit ihrem Mann Benjamin Hecht lebt.2012 kam ihr Buch "Das elfte Gebot:
Israel darf alles" heraus. Erschienen im tz-Verlag ISBN 978-3940456-51-9