Griechenland : Syriza – Quadratur
des Kreises
Zwischen Kapitulation und Bruch mit der Elite ist kaum Spielraum
von Wilhelm Langthaler
Syrizas Auftritt war
fulminant: „Das Hungerprogramm der Troika ist beendet“. Dafür stieg Tsipras zum
populärsten Politiker Europas und direktem Gegenspieler Merkels auf. Doch die
Herrschenden lassen verstehen, dass zu keinen Zugeständnissen bereit sind, die
grundsätzlich über Vertriebshilfe für ihr Verelendungsprogramm hinausgehen. Das
Pokerspiel wird bis zum letzten Moment andauern. Doch Syriza sitzt auf dem
kürzeren Ast – zumindest solange die neue Athener Regierung im Rahmen des
Euro-Regimes verbleiben will.
Die Erwartungen in Syriza sind enorm. Die Unterklassen ganz Europas erhoffen
sich die Rettung vor der neoliberalen Austeritätspolitik. Und das ist nur recht
und billig! Gleichzeitig hat Tsipras jedoch das Ende der sozialen
Verschlechterungen immer mit dem Verbleib in der EU und vor allem in der
Euro-Zone verknüpft. Das scheint auch dem Willen der griechischen Mehrheit zu
entsprechen. Überhaupt, die Mehrheit der Europäer will vermutlich das
vielbeschworene „soziale Europa“, das heißt eine soziale Wende ohne tieferen
Bruch. Tsipras kann sich mit seiner Linie vielleicht auf die Demokratie
berufen, doch die EU funktioniert nun einmal nicht demokratisch. Es herrschen
die kapitalistischen Eliten der starken Staaten und dabei vor allem jene
Deutschlands.
Der gegenwärtige Versuch Syrizas ist die Probe auf das Exempel, ob das „soziale
Europa“ im Rahmen der EU und des Euro möglich ist oder nicht.
Tsipras und Varoufakis versuchen mit intensiver Reisediplomatie die anderen
Regierungen des Südens und der Zentrumsperipherie auf ihre Seite zu ziehen. Die
Antwort des österreichischen Kanzlers Faymann war
bezeichnet: Wir sind auf deiner Seite, aber ihr müsst den Rahmen des
Euro-Regimes akzeptieren! Mit anderen Worten: nichts als heiße Luft.
Deutschland und die EU haben klar gemacht, dass sie ein Ende ihres Regimes
nicht akzeptieren werden. Sie wollen gegenüber dem gesamten Süden zeigen, wer
der Herr im Haus ist. Falls Griechenland darauf bestehen sollte die
Bevormundung zu beenden, wird es wohl aus der Eurozone hinausgeworfen werden.
Ansonsten würden unweigerlich auch die anderen, viel gewichtigeren
Krisenstaaten anklopfen. Um das deutlich zu machen, akzeptiert die EZB
griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheiten – solange die
Unterwerfung nicht amtlich ist. Das als erste Warnung.
Neben der Peitsche wird allerdings auch Zuckerbrot ausgelegt: Wenn Athen grundsätzlich
die Fortsetzung des Euro-Regimes akzeptieren sollte, kann es gewisse
Erleichterungen erwarten, sei es die weitere Streckung der Zinszahlungen, eine
etwas niedrigere Vorgabe für den Budget-Primärüberschuss und eine politisch
weniger offensichtliche Demütigung.
Der springende Punkt: würde sich durch diese möglichen Zugeständnisse die
soziale Lage der Mehrheit bessern? Wohl kaum. Denn die strategische Idee des
neoliberalen Euro-Regimes zielt eben gerade darauf ab, die Produktionskosten –
und das sind vor allem die Lohnkosten und indirekt der Sozialstaat – so lange
zu senken, bis die Wettbewerbsfähigkeit hergestellt ist. (Dass das nicht
funktioniert, wird noch immer nicht erkannt bzw. ist der Preis für die geordnete
Auflösung der Euro-Zone zu hoch.) Selbst für das eigene Land lehnt Berlin
keynesianische Nachfragestimulierung ab, obwohl sie von Kapital überschwemmt
werden und ihre Finanzierungskosten gegen Null tendieren. Nein, die
Kapitalistenklasse will alles für sich. Da kommt die Stärkung der Nachfrage an
der Peripherie schon gar nicht in Frage. Die Austerität war die in Maastricht
einbetonierte conditio sine qua non für den Übergang von der D-Mark zum Euro
und die bleibt unantastbar. Aus politischen Gründen mag man sich gezwungen
sehen ein bisschen nachzujustieren, die Daumenschraube etwas zu lockern. Am
Prinzip des fiscal waterboarding, wie es der neue griechische Finanzminister so
treffend nannte, darf sich jedoch nichts ändern. Entweder setzt der Euro die
Geldpolitik der alten Bundesbank fort oder er wird von den deutschen Eliten in
Frage gestellt werden. Zudem, dieses Dogma ist in der BRD leider sogar
mehrheitsfähig.
Ganz abgesehen davon könnte mehr Konsumnachfrage durch die in der EU völlig
offenen Grenzen, die Mittellosigkeit, ja das regelrechte Verbot einer
politischen Wirtschaftssteuerung ihre induktive Wirkung nicht entfalten. Sie
würde ins Ausland verpuffen. Dazu bräuchte es eine eigene Währung als
notwendige Vorbedingung und vor allem den massiven staatlichen Eingriff in die
Wirtschaft im Sinne der Mehrheit.
Es ist nicht gänzlich ausgeschlossen, aber dennoch schwer vorstellbar, dass
Syriza die Bedingungen der Euro-Finanzoligarchie akzeptieren wird.
Damit würden sie ihr Todesurteil unterschreiben und früher oder später, je nach
Geschick der politischen Verpackung, ihre Unterstützung in der Bevölkerung
verlieren. Auf der anderen Seite steht bei einem Ausscheiden Griechenlands aus
der Eurozone nicht nur für Athen, sondern auch für Berlin und Brüssel einiges
auf dem Spiel, was Druck in Richtung eines Kompromisses erzeugt. Allerdings
würde das das Problem nicht lösen, sondern den Konflikt nur weiter
hinauszögern.
Die Frage ist, wie lange Syriza das Pokerspiel fortsetzen kann. Kommt am 28.2.,
an dem das Troika-Programm ausläuft, der Showdown? Statisch gesehen würde Athen
wohl die Solvenz einige Zeit lang auch aufrecht erhalten können. Doch bereits
jetzt erweist sich die Kapitalflucht als enormes Problem, das vor allem die
Banken an den Rande des Bankrotts treibt. Die sich daraus entfaltende Dynamik
ist ohne Kompromiss mit dem Euro-Regime unaufhaltsam: Ohne Einigung würde wohl
die EZB die unabdingbare Liquiditätshilfen einstellen – was nichts anderes als
den Rauswurf aus dem Euro bedeutete. Der Staat müsste eingreifen,
Kapitalverkehrskontrollen verhängen, die Banken unter Kontrolle bringen und
rekapitalisieren – und eine neue Währung ausgeben.
Um einen Kollaps zu vermeiden, wäre ein Hilfskredit aus Moskau und/oder Peking
von großer Hilfe, denn andernfalls klopfte die Troika unter Führung des IWF an
– wieder und wieder mit der gleichen Mannschaft von Goldman-Sachs. Die
politischen Konsequenzen einer Wendung nach Osten würden allerdings das globale
System erschüttern, Griechenland aus dem amerikanischen Orbit kapitulieren –
obwohl Obama Merkel zur Mäßigung aufgerufen hat.
Syriza ist auf ein solches Szenario offensichtlich nicht vorbereitet, denn sie
hat der Bevölkerung etwas ganz anderes versprochen, nämlich den kostenfreien
Übergang zum „sozialen Europa“. Doch will man das Hungerdiktat beenden, ist der
Bruch mit der Oligarchie notwendig. Er eröffnet sogar ungeahnte historische
Perspektiven in Richtung der demokratischen Herrschaft der Mehrheit. Doch dafür
müssen die subalternen Massen, und nicht nur die griechischen, aktiv in die
Geschichte eingreifen.