DDR-Außenpolitik

Analyse durch Professor Anton Latzo

Professor Latzo führte aus, dass die DDR sowohl:

1.     die Ziele der Revolution von 1848

2.     des Potsdamer Abkommens nach dem verheerenden 2. Weltkrieg

in ihrer Friedenspolitik nach außen, als auch der Zerschlagung der Wurzeln von Kriegen, nämlich des Privatkapitals an Produktionsmitteln im Inneren, gerecht wurde.

Damit entsprach sie dem Wunsche der Arbeiterklasse, als auch der Mehrheit der Bevölkerung in der DDR und der Bundesrepublik.

Die Außenpolitik der DDR war immer auf das Ziel einer späteren Vereinigung beider deutschen Staaten in diesem Sinne gerichtet.

Auf den Brief Otto Grotewohls an die Regierung der BRD antwortete Adenauer im Bundestag sinngemäß:

‚Wir werden Ostdeutschland und Berlin nicht wieder bekommen außer in einem gemeinsamen Europa‘

Darauf folgten die Pariser Verträge, die Gründung der NATO. Unter Einschluss der BRD.

Erst dann wurde der Warschauer Vertrag gegründet.

Bei der Unterzeichnung erklärte Otto Grotewohl, dass sich die DDR vorbehält, nach der Vereinigung Deutschlands aus diesem Militärvertrag auszutreten.

Eine solche Klausel nahm die BRD beim Beitritt zur NATO nicht in Anspruch !

1956 unterbreitete die DDR der Bundesregierung einen Vorschlag zur Konföderation beider deutschen Staaten, der von der BRD abgelehnt wurde!

https://deutsch.rt.com/gesellschaft/87123-deutsche-einheit-war-zentrale-frage/?fbclid=IwAR2dBX8x2mSSiRL4hkNb5C4n1Pdy6UDDM13U2fKK6aEaCWBBpfi32rEAUVk

 

Ein kleiner Staat auf der Bühne der großen Weltpolitik (Teil 1)

Professor Anton Latzo interviewt von RT Deutsch

 

Die DDR-Außenpolitik: Ein kleiner Staat auf der Bühne der großen Weltpolitik (Teil 1)

Quelle: Sputnik

 

Internationale Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien. Im Vordergrund: Erich Honecker (r.) und Walter Ulbricht (M.)

RT

RT: Trotz ihrer geringen Bevölkerungszahl zeigte die Deutsche Demokratische Republik eine beachtliche Aktivität hinsichtlich ihrer Außenpolitik. Wir sprachen mit dem Historiker und Politologen Prof. Anton Latzo, der selbst in der DDR lehrte, über die DDR-Außenpolitik.

Spätestens mit der Schließung der Grenze in Berlin im Jahre 1961 war die vornehmlich von der Westseite betriebene Spaltung Deutschlands zementiert. Wie wirkte sich das auf die Außenpolitik der DDR aus?

L: Angesichts eines bevorstehenden Jahrestages des 13. August 1961 mit allen zu erwartenden Argumenten zur einseitigen Delegitimierung der DDR und ihrer Politik möchte ich einige Aspekte in Erinnerung rufen, die den Hintergrund für die Maßnahmen der DDR bildeten. Eines der neuralgischsten Probleme der Nachkriegsperiode, das auch die Möglichkeit offen einschloss, den Status quo in Europa zu verändern, war die Nichtanerkennung des völkerrechtlichen Charakters der Grenzen zwischen beiden deutschen Staaten.

Die offene Grenze zu Westberlin und zur BRD war zu einer akuten Gefahr für die DDR geworden. Sie stellte zugleich die gesamte europäische Nachkriegsordnung in Frage.

Die DDR war jahrelang mit massiven, auf ihre Beseitigung gerichteten ökonomischen (Stahlembargo) und politischen (Handelsaustausch) Aktivitäten und Störaktionen (massiver Abgang von qualifizierten Arbeitskräften) seitens der BRD konfrontiert. Hinzu kamen die Anti-DDR-Kampagnen der westdeutschen Medien. Westberlin wurde systematisch zu einem Zentrum der Diversion und Spionage gegen die DDR, die Sowjetunion und die anderen Staaten der Warschauer Vertragsorganisation ausgebaut. Die DDR war mit einem gefährlichen Abfluss existenzieller ökonomischer und finanzieller Ressourcen sowie intellektuellen Potenzials und mit der Gefährdung des Friedens in Europa konfrontiert.

Es ging um Existenz und Selbstbehauptung der DDR. Es ging aber auch um die Stabilität der Entwicklungsbedingungen der anderen sozialistischen Länder und nicht zuletzt um die europäische Ordnung. Es ging um die Frage Krieg oder Frieden!

Während einer zweiwöchigen Reise in die USA (Juli 1961) verlangte Franz Josef Strauß, dass in der sogenannten Berliner Krise der gesamte Westen einbezogen werden müsse. Er erklärte, dass die BRD ihrerseits entschlossen sei, "diese Krise bis zur letzten Konsequenz zuzuspitzen". Auf einer Pressekonferenz wies er laut der Deutschen Presse-Agentur am 1. August 1961 darauf hin, "dass der Westen auf eine Art Bürgerkrieg vorbereitet sein müsse".

Solche Entwicklungen bildeten den Hintergrund für die von der Warschauer Vertragsorganisation sanktionierte Entscheidung der UdSSR und DDR, am 13. August 1961 die Grenze zwischen beiden deutschen Staaten und vor allem die Grenze zu Westberlin zu schließen. Der "Mauerbau" war für die DDR-Führung ein aus Sorge um den Frieden und die Sicherheit in Europa, um die Stabilität der DDR und um eine gesicherte Westgrenze der Warschauer Vertragsstaaten geborener Akt. Er lieferte wesentliche Impulse für eine Entwicklung hin zu einer politischen Entspannung in Europa.

Der anerkannte westdeutsche Historiker Christoph Kleßmann fasste es so:

Außen- und deutschlandpolitisch erschienen der Mauerbau und die ohnmächtigen westlichen Reaktionen als ein Höhepunkt des Kalten Krieges. Ex post ist jedoch erkennbar, dass er auch das Scheitern der bisherigen 'Politik der Stärke' und der konsequenten Isolierung der DDR durch die Hallstein-Doktrin bedeutete und den Beginn einer langfristig angelegten Strategie, die in Berlin mit der 'Politik der kleinen Schritte' begann und die Egon Bahr mit der berühmten Formel 'Wandel durch Annäherung' umriß. Sie gab das Drehbuch ab für die zehn Jahre später realisierte neue Ost- und Deutschlandpolitik." (Christoph Kleßmann, "Verflechtung und Abgrenzung. Aspekte der geteilten und zusammengehörigen deutschen Nachkriegsgeschichte". Das Parlament, Bd. 29-30 vom 16. Juli 1993, S.36)

Die Schließung der Staatsgrenze der DDR zu Westberlin und zur BRD wurde so zu einem tiefen Einschnitt in der deutschen und europäischen Nachkriegsgeschichte. Sie brachte neue Rahmenbedingungen für die Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten und auch in der Außenpolitik der DDR generell.

Die Bemühungen der Adenauer-Regierung, eine internationale Verurteilung der Maßnahmen der DDR zu erreichen, scheiterten. Ihr Vorschlag an die Belgrader Konferenz der Nichtpaktgebundenen zum Beispiel (23. August 1963), ein Memorandum zu verabschieden, in dem diese Maßnahmen verurteilt werden sollten, fand keine Zustimmung. Ein negatives Resultat brachte auch ihr Versuch ein, die XVIII. Tagung der UNO-Vollversammlung dazu zu bewegen, die DDR zu verurteilen.

Die Unantastbarkeit des Status quo musste durch die Regierungen der BRD und ihrer Verbündeten akzeptiert und als Grundlage der Beziehungen zwischen den Staaten sowie der Sicherheit anerkannt werden, worauf später auch das Helsinki-Dokument aufbauen sollte.

Mit dem Ringen um ihre Anerkennung als gleichberechtigter Partner im Staatensystem, durch ihren Beitrag zur internationalen Anerkennung der Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges, des friedenserhaltenden Status quo in Europa wirkte die DDR als Friedensfaktor. Sie trug dazu bei, unabdingbare Voraussetzungen für politische und militärische Entspannung und Sicherheit in Europa zu schaffen. Ihre internationale Autorität hatte auf dieser Grundlage bedeutend zugenommen.

Insgesamt entstanden günstigere Bedingungen für die Fortsetzung der Bemühungen der DDR, der UdSSR und der Warschauer Vertragsstaaten, ihre Initiativen um Frieden, Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa fortzusetzen. Die folgenden Jahre haben zu Ergebnissen geführt, die die Behauptung widerlegen, dass die Maßnahmen vom 13. August 1961 die deutsche und europäische Spaltung zementiert hätten. Sie haben – sogar auch aus westdeutscher Sicht – realistische Perspektiven für ihre Überwindung geschaffen!

RT: Wie wirkte sich der Übergang von Ulbricht zu Honecker auf die Außenpolitik der DDR aus?

L: Walter Ulbricht und Erich Honecker waren zweifellos – wie das auch generell so ist – zwei Persönlichkeiten mit unterschiedlichen individuellen Fähigkeiten und Charaktereigenschaften. Als Politiker aber haben sie ihre Erkenntnisse aus den gleichen ideologisch-theoretischen Quellen bezogen. Auch ihre Lebensläufe haben bedeutende Ähnlichkeiten. Sie waren als Politiker von der Zugehörigkeit zur Arbeiterbewegung, von den revolutionären Zielen dieser Bewegung, vom aktiven Kampf gegen Faschismus und Krieg, von der in den Kämpfen erlebten nationalen und internationalen Solidarität geprägt. Außerdem handelten sie unter inneren Bedingungen, die sie selbst bewusst mitgestaltet hatten. Ich gehe davon aus und nicht von Überlegungen, die manch einer anstellt, oft auch, um sich selbst interessant zu machen oder um "anzukommen".

Deshalb stelle ich in den Grundzügen der Außenpolitik der DDR eine große Kontinuität – auch beim Übergang von Ulbricht zu Honecker – fest. Für beide Persönlichkeiten der DDR und der deutschen Nachkriegsgeschichte hatte der gesellschaftliche Fortschritt im Sinne der deutschen Arbeiterbewegung und ihrer Begründer auf dem Weg zum Sozialismus oberste Priorität. Deshalb vertraten sie eine Außenpolitik, die günstige internationale Bedingungen für die Verwirklichung dieser Ziele schaffen sollte. Frieden, Sicherheit und gleichberechtigte internationale Zusammenarbeit waren in dem Sinne eine Existenz- und Entwicklungsbedingung.

Sie wollten beide die DDR als souveränen Staat, der entsprechend seinen gesellschaftlichen Verhältnissen die Außenpolitik als Bestandteil und Instrument zur Verwirklichung gesellschaftlicher Ziele betrachtet. Hier war auch die "deutsche Frage" eingeordnet.

Das schließt ein, dass in bestimmten historisch verschiedenen Situationen auch unterschiedliche Lösungen gefunden werden mussten. Die Diskussion darüber betraf aber nicht das Wesentliche: die Entwicklung und Politik der DDR im Bündnis mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Staaten zu sichern, einen aktiven und konstruktiven Beitrag der DDR für Frieden zu schaffen und die Beziehungen zwischen den Teilen Deutschlands ebenfalls unter der Prämisse zu behandeln, den Frieden zu erhalten, zu festigen und zu schaffen.

Die DDR war in den 1970er und 1980er Jahren diplomatisch in Afrika, Asien und Lateinamerika überaus präsent – mehr, als man es von einem so kleinen Land erwarten würde. Wie ist das zu erklären, und welche Ziele verfolgte die DDR-Diplomatie in diesen Ländern?

Die Entwicklung der Beziehungen zu den Staaten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas war eine wichtige Richtung in der Außen- und Friedenspolitik der DDR. Sie ging davon aus, dass der nationale Befreiungskampf zu grundlegenden politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Veränderungen in den sich befreienden Ländern, im internationalen Kräfteverhältnis und in den Staatenbeziehungen führt und die Bedingungen für Friedenserhaltung verbessert. Die DDR vertrat den Standpunkt, dass der Kampf dieser Staaten um ökonomische Unabhängigkeit keineswegs ein Kampf um "rein" ökonomische Fragen ist. Sie unterstützte vor allem jene Länder, die davon ausgingen, dass der Aufbau einer selbständigen nationalen Wirtschaft nur möglich ist, wenn die herangereiften sozialen und politischen Umgestaltungen durchgeführt werden.

Auf dieser Grundlage war von Anfang an Solidarität ein Kennzeichen der Politik. Am Anfang, in den 1950er Jahren, galt sie besonders dem koreanischen und vietnamesischen Volk. Es folgte die Solidarität mit Sansibar und danach Tansania, die Unterstützung des Befreiungskampfes des algerischen Volkes.

Nach der Durchbrechung der diplomatischen Blockade gegen die DDR Ende der 1960er Jahre, die mit der Hallstein-Doktrin der BRD-Regierung die internationale Anerkennung der DDR verhindern wollte, erreichten auch die Solidaritätsleistungen der DDR eine neue Stufe. Durch den Staat wurden diese Länder vor allem bei der Verwirklichung industrieller Projekte, durch Kreditgewährung, im kulturellen Austausch usw. unterstützt. Gleichzeitig organisierten gesellschaftliche Organisationen der DDR Solidaritätsaktionen in Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen in den Entwicklungsländern. Und schließlich wurde Solidarität über zentrale Solidaritätsausschüsse und das Solidaritätskomitee der DDR verwirklicht, die aus dem zentralen Solidaritätsfonds der DDR finanziert wurden, der wiederum durch die Spenden der Massenorganisationen und ihrer Mitglieder gespeist wurde.

Eine der nachhaltigsten solidarischen Leistungen der DDR erfolgte auf dem Gebiet des Bildungswesens. Das bezog sich z.B. auf die Ausbildung junger Menschen aus diesen Ländern in der DDR, auf die Errichtung von Ausbildungsstätten in den Ländern oder auf die Entsendung von Pädagogen aus der DDR. Bis 1990 erhielten ca. 200.000 Bürger aus Entwicklungsländern ihre berufliche Aus- und Weiterbildung. Außerdem durchliefen Zehntausende von Vertragsarbeitern aus Vietnam, Mosambik, Algerien und anderen Ländern eine Ausbildung in der DDR. Über 30.000 junge Menschen haben ein Hochschulstudium in der DDR absolviert. Umfangreiche Lehr- und Lernmittel für die Bildungssysteme in den Ländern wurden zur Verfügung gestellt. Alphabetisierungskampagnen, auch zusammen mit der UNICEF, wurden gefördert und sogenannte Alphabetisierungs-Sets zur Verfügung gestellt.

Ein weiterer Bereich war das Gesundheitswesen. Kranke und Verwundete aus den Ländern wurden in der DDR behandelt. Krankenhäuser und Gesundheitszentren in den Ländern wurden errichtet. Die Ausbildung von Ärzten und medizinischem Personal nahm einen breiten Raum ein.   

Mehrere Zehntausend Experten der DDR waren in diesen Ländern tätig. Eine besonders positive Rolle spielten die Jugendbrigaden der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Insgesamt war die Solidarität zu einem gesellschaftlichen Anliegen und zu einer gesamtgesellschaftlichen Aktion geworden.

RT: Wie wurde die DDR von den Entwicklungsstaaten wahrgenommen?

L : Hohe Anerkennung fand die DDR in diesen Ländern, weil sie ihre Solidaritätsleistungen konsequent auf der Grundlage der Achtung der Selbstbestimmung der Völker und der Souveränität dieser Staaten erbrachte. Dies erfolgte auf der Grundlage übereinstimmender politischer Interessen und auch ideologischer Positionen, vor allem hinsichtlich der Gegnerschaft zu Kolonialismus und Imperialismus der westlichen Staaten sowie der Übereinstimmungen im Kampf um Frieden und Sicherheit. Auf dieser Grundlage hatte sich im Prozess der Zusammenarbeit ein Vertrauensverhältnis entwickelt, das die Grundlage für eine "antiimperialistische Solidarität" bildete, die z.B. auch der DDR half, die diplomatische Blockade als Folge der Hallstein-Doktrin zu durchbrechen.

Hohe Würdigung durch die Vertreter dieser Länder und auch in breiten Kreisen ihrer Bevölkerung erfuhr der direkte materielle und ideelle Beitrag der DDR für diese Länder in ihrem Streben nach Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Die Haltung und die politische Praxis der DDR waren in Übereinstimmung mit dem eigenen Sicherheitsbedürfnis dieser Saaten und ihrer Bevölkerung. Gleichzeitig fanden, vor allem bei den jungen Menschen, die in der DDR die Möglichkeit erhielten, sich auf ein sinnvolles Leben vorzubereiten, die Leistungen der DDR und die entwickelte Lebensweise der Bevölkerung hohe Anerkennung, was bis in unsere Tage nachwirkt.

DDR-Staatschef Erich Honecker (links) und der westdeutsche Bundeskanzler Helmut Kohl (rechts)

Mehr lesen:"Westen schuldet Osten etwa 8 Billionen D-Mark" - Interview mit Ökonom Klaus Blessing

 

RT: Wie wirkte sich die neue Ostpolitik von Bahr und Brandt  auf die außenpolitische Ausrichtung der DDR aus?

L: Sie änderte nicht die Grundsätze und auch nicht die strategische Ausrichtung der Außenpolitik der DDR. Bahr selbst hat ja zugegeben, das die "neue Ostpolitik" auf die DDR und ihre Maßnahmen zurückzuführen war. Die Maßnahmen der DDR vom 13. August 1961 schufen eine neue Lage, die erst die Transformation der Bonner "Befreiungspläne" hin zum Konzept der neuen Ostpolitik beförderte. Golo Mann sprach vom "Ende der Bonner Illusionen".

Unter diesen Bedingungen wurde eine "neue" Ostpolitik formuliert. Sie enthielt die Hauptaussage vom "Wandel durch Annäherung". Diese Aussage war zwar quer zu damals vorherrschenden Vorstellungen in Bonn und anderswo, aber Otto Winzer, Außenminister der DDR, nannte sie realistisch "Aggression auf Filzlatschen" und deckte damit die subversiven Absichten dieser "neuen" Politik auf. Sie entsprach dem Verlangen von Bundeskanzler Kiesinger (CDU), "dass das, was heute noch nicht sein kann, vielleicht morgen oder übermorgen möglich werden wird".

Die "neue" Ostpolitik von Brandt und Bahr war jedoch nicht nur Ergebnis bundesdeutscher Überlegungen. Sie war auch eine Reflexion der von der Kennedy-Regierung eingeleiteten veränderten Sicht auf das Verhältnis der Supermächte, knüpfte an die von Charles de Gaulle eingeleitete aktive Ostpolitik in Europa an und ordnete sich in die von US-Präsident Johnson im Oktober 1966 verkündete "Brückenschlag"-Strategie ein.

Die wesentlichen Aspekte der europäischen und internationalen Wandlungen berücksichtigend, die Risiken und Probleme der "neuen" Ostpolitik benennend, griff die DDR, bilateral gegenüber der BRD und im Warschauer Vertrag, zugleich jene Elemente auf, die Aussicht auf positive Ergebnisse in Bezug auf die Durchsetzung des Status quo und für gleichberechtigte Beziehungen zwischen den Staaten aufwiesen und Chancen für Fortschritte im Bemühen um Frieden, Sicherheit und Abrüstung in Europa boten. Es ging vor allem darum, einen Modus vivendi zu suchen, bei dem die unterschiedlichen Interessen und Ziele der Hauptmächte gewahrt blieben, jedoch die Lage in Europa und in den Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten berechenbarer gemacht und auf der Grundlage des Status quo stabilisiert werden konnte. Dazu wurden von der DDR Vorschläge in Bezug auf Europa und Abrüstung, aber auch mit Blick auf die Normalisierung der Lage zwischen beiden deutschen Staaten und in Bezug auf Westberlin unterbreitet.

Das Gespräch führte Hasan Posdnjakow

Quelle: https://deutsch.rt.com/gesellschaft/90358-ddr-aussenpolitik-kleiner-Staat-auf-buehne-der-weltpolitik

Ein kleiner Staat auf der Bühne der großen Weltpolitik (Teil 2)

Professor Anton Latzo interviewt von RT Deutsch

RT: Welche Rolle spielten Friedensfragen, speziell im Zusammenhang mit dem NATO-Doppelbeschluss, in der Außenpolitik der DDR in den 80er Jahren?

Er stieß nicht nur auf Gegenliebe: Vor allem Kommunisten demonstrierten 1948 in Deutschland gegen den Marshall-Plan mit seiner anti-sowjetischen Ausrichtung.

 

L :Anfang der 1970er Jahre konnte ein Durchbruch zu einer ersten Phase einer politischen Entspannung in den Ost-West-Beziehungen erreicht werden. Für die DDR führte das zu wesentlichen positiven Veränderungen ihrer internationalen Wirkungsbedingungen. Dies war in hohem Maße auch ein Ergebnis der Politik der Warschauer Vertragsstaaten, die davon ausgegangen waren, dass Entspannung, Sicherheit und gleichberechtigte Zusammenarbeit in Europa nur möglich waren, wenn die europäische Nachkriegsordnung anerkannt und die DDR gleichberechtigt einbezogen wurde.

Es ging also nicht nur um den Doppelbeschluss der NATO, der sowohl Stationierung neuer Raketen als auch Verhandlungen vorsah.

Es wurde eine Reihe bilateraler Verträge zwischen der BRD und der UdSSR sowie den anderen sozialistischen Staaten abgeschlossen. Ein wichtiges Element war der Grundlagenvertrag zwischen der DDR und der BRD. Die deutsche Zweistaatlichkeit wurde weltweit als Faktor der Stabilität in Europa und des politischen Ost-West-Gleichgewichts, was auch ihre weltweite diplomatische Anerkennung und ihre Aufnahme in die UNO einschloss, anerkannt. Das Vertragssystem ebnete auch den Weg für die Einberufung und Durchführung der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, wozu die DDR einen beachtenswerten Beitrag leistete.

In diesem Prozess verstärkte sich die Notwendigkeit, die politische durch die militärische Entspannung zu ergänzen. Das heißt, substantielle Schritte auf dem Weg der nuklearen und konventionellen Abrüstung wurden notwendig.

Dies umso mehr, als es Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre erneut zu einer Zuspitzung zwischen den Großmächten kam und die militärische Konfrontation zwischen den USA und der UdSSR, zwischen der NATO und dem Warschauer Vertrag zunahm.

Als zentrales Problem erwies sich die sogenannte Raketenkrise. Ende 1983/Anfang 1984 erreichte sie ihren Höhepunkt. Nach dem Scheitern der INF-Verhandlungen haben die USA und die NATO – mit Zustimmung des Bundestages – mit der Stationierung neuer Mittelstreckenraketen vom Typ Pershing II und Cruise Missiles in Westeuropa, vornehmlich in der BRD, begonnen. Die UdSSR, mit Zustimmung der DDR und der CSSR, antwortete mit der Stationierung neuer operativ-taktischer Raketen auf deren Territorium. In dieser Zeit, die in der Sowjetunion zunehmend von einer gewissen "Sprachlosigkeit" befallen war und die amerikanisch-sowjetische Konfrontation zunahm, ging es der DDR darum, einen Rückfall in den Kalten Krieg nicht zuzulassen, die Grundlagen der Entspannung zu sichern und auszubauen. Sie wollte verhindern, dass die DDR zu einem Hauptdislozierungsgebiet wird.

RT: Wie entwickelte sich das diplomatische Verhältnis zwischen der DDR und der Sowjetunion in den 70er und 80er Jahren? Gab es schon erste Anzeichen für Spannungen, die dann ans Tageslicht traten, nachdem Gorbatschow die Führung der KPdSU übernahm?

L: Eine Differenzierung der außenpolitischen Interessen beider Staaten wurde in Zusammenhang mit dem genannten NATO-Doppelbeschluss öffentlich besonders sichtbar. Dazu gehörten aber auch die Widersprüche zwischen der DDR und der UdSSR in Zusammenhang mit dem geplanten Honecker-Besuch in der BRD 1983/1984.                                      

Es war eine der kompliziertesten Phasen in den Beziehungen zwischen der DDR und der Sowjetunion, zwischen den Führungen der SED und der KPdSU. Die DDR plante den Besuch als Schadensbegrenzung zur Rettung der erreichten Entspannungsergebnisse. Sie war der Auffassung, dass unter Tschernenko die sowjetische Führung zwar eine militärische, aber zu wenig eine adäquate politische Antwort auf der entstandenen Situation in Europa und gegenüber der BRD bzw. den USA hatte. Die Sowjetunion befürchtete, die DDR mache Bonn gegenüber unangebrachte Zugeständnisse. Offensichtlich auch unter dem Eindruck der Aussage Honeckers, dass die DDR das "Teufelszeug" nicht will, befürchtete man in Moskau, dass der Besuch Entwicklungen begünstigen würde, die die Sicherheit der UdSSR berührten. Die Sowjetunion betrachtete den Besuch als Herausforderung und Brüskierung ihrer Politik.

Die Diskussionen zwischen den beiden Seiten verliefen aber – und das wird in den meisten Darstellungen nach 1989 verdrängt – vor dem Hintergrund, dass sowohl die UdSSR als auch die DDR sich bewusst waren, dass die in der BRD herrschende politische Klasse an ihrem Ziel festhielt, die Existenz der DDR aufzuheben. Beide vertraten auch den Standpunkt, dass die Westgrenze der DDR auch die Berührungslinie zwischen NATO und Warschauer Vertrag darstellte. Es gab keine Einschränkungen bei der Erfüllung der Verpflichtungen im Warschauer Vertrag. Dazu gehörte für die DDR auch die Akzeptanz sowjetischer Streitkräfte auf dem Territorium der DDR.

Bezüglich der internationalen Sicherheitspolitik strebten beide Seiten nach Ergänzung der politischen durch Schritte der militärischen Entspannung.

Spannungen und Differenzen gab es also schon vor der Phase, die nach der Amtsübernahme von Gorbatschow eingeleitet wurde. Die Widersprüche und die Bemühungen zu ihrer Lösung vollzogen sich vor 1985 auf beiden Seiten vor dem Hintergrund des gemeinsamen Willens zur Sicherung des Sozialismus und zur Gewährleistung von Frieden, Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa entsprechend den Vereinbarungen im Helsinki-Prozess.

Mit Gorbatschow setzte eine Periode ein, in der die Bedeutung der gemeinsamen sozial-ökonomischen und politischen Grundlagen für die Außenpolitik und für die Suche nach übereinstimmenden Lösungen für Frieden, Sicherheit und Zusammenarbeit erst relativiert und dann immer mehr eliminiert wurden.

RT: War das Verhältnis der DDR zu den anderen sozialistischen Staaten in Europa wirklich immer so gut, wie zumindest nach außen versucht wurde, das darzustellen? Welche Reibungspunkte gab es?

L: Die Zusammenarbeit der sozialistischen Länder war eine Lebensfrage, ihre Bündnisse waren eine Schicksalsgemeinschaft. Die Notwendigkeit dazu ergab sich aber nicht nur aus den inneren Erfordernissen im Prozess der Errichtung einer neuen Gesellschaft. Die Zusammenarbeit war ein entscheidender Faktor für die Sicherung der Existenz der Länder unter den konkreten Bedingungen der internationalen Auseinandersetzung. Sie war ebenso ein entscheidender Faktor des Friedens in Europa und in der Welt.

Die Durchsetzung der Anerkennung der europäischen und internationalen Nachkriegsordnung ist ein Ergebnis dieser Zusammenarbeit. Ohne die Unterstützung durch die sozialistischen Staaten hätte die DDR nicht ihre internationale Anerkennung durchsetzen können. Wenn man diese unvollständige Aufzählung aufschlüsselt, ergibt sich ein beeindruckendes Bild von Gemeinsamkeiten.

Die Bedeutung ihrer Zusammenarbeit zeigt sich auch in der Tatsache, dass nach der Niederlage des Sozialismus in Europa Kriege und Veränderung von Staatsgrenzen nach dem Motto "Teile und herrsche" nicht nur in Asien, Afrika und Lateinamerika, sondern auch in Europa wieder zum Alltag gehören.

Es wäre falsch, einseitig über Fehler und Mängel zu sprechen, ohne die positive Seite dieser Zusammenarbeit zu berücksichtigen. Festzustellen, dass sie gut und notwendig war, heißt jedoch nicht, dass sie ohne Probleme und Widersprüche verlief. Lösungen aber konnten und wurden durch gemeinsame Bemühungen erreicht. Die gesellschaftspolitischen und ökonomischen Grundlagen in den Ländern waren kein Hindernis, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Sie förderten geradezu Lösungen zum gegenseitigen Vorteil und im Sinne des Friedens und der Sicherheit für alle Völker. Die Widersprüche zwischen den sozialistischen Ländern waren keine Ursachen, die notwendigerweise zu Anwendung gewaltsamer Mittel der Lösung führten!

Das Feld, auf dem die meisten Probleme auftraten, waren die Ökonomie und die Wirtschaftsbeziehungen. Im RGW, aber auch im bilateralen Bereich, war man sich grundsätzlich darüber einig, dass das Prinzip des gegenseitigen Vorteils regierendes Prinzip sein muss. In der Praxis traten aber immer wieder Tendenzen in Erscheinung, die sich aus nationalem Egoismus, aber auch nationalistischen Bestrebungen ergaben. Sie waren aber zumeist subjektiv bedingt. Es waren nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse, die zu Konkurrenzkampf und einseitigem Vorteil bei Benachteiligung der Partner führen mussten, wie es Beziehungen sind, die auf privatkapitalistischem Eigentum beruhen.

Im politischen Bereich schuf der Wunsch nach Ausbau der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen der Länder zur BRD zum Teil beträchtliche Probleme. Sie waren am Ausbau der Beziehungen (Know-how) interessiert. Seinem Ausbau stand jedoch die Verweigerung der BRD entgegen. Sie forderte z. B., Abstriche bei den Hauptvoraussetzungen (Grenzen, Westberlin u. a.) vorzunehmen, die die Warschauer Vertragsorganisation in Zusammenhang mit dem Programm für Frieden und Sicherheit in  Europa formuliert hatte und deren Erfüllung für den Bestand der Nachkriegsordnung in Europa von größter Bedeutung war.

RT: Wie wirkte sich der Aufstieg Gorbatschows auf die außenpolitische Orientierung der DDR aus?

L :Es ist eine Tatsache, dass die Außenpolitik der Sowjetunion sehr wesentlich die Außenpolitik der DDR beeinflusst, ja geprägt hat. Der Einfluss der DDR auf die der Sowjetunion war naturgemäß weitaus geringer.

Die Praxis zeigt, dass die DDR sich in all den Jahren ihrer Existenz in die Außenpolitik der Sowjetunion als Hauptmacht im Bündnis bewusst eingeordnet hat. Sie hat sie mitgetragen, aber auch mitbeeinflusst. Wichtig erscheint aber die Feststellung, dass diese Gemeinsamkeit, Einbindung oder auch Unterordnung der DDR und ihrer Außenpolitik ihr in der Regel nicht aufgezwungen wurde. Grundlage, Ausgangspunkt war eine gemeinsame ideologische  und politische Grundhaltung, waren gemeinsame Interessen und – darauf beruhend – grundsätzlich gleiche Einschätzungen. Daraus entstand der Gleichklang in der Politik. Die Interessen der Hauptmacht galten als Leitlinie, wollte man das Bündnis erhalten und nicht destabilisieren. Deshalb bringt es wenig, diese Beziehungen unter der Frage zu behandeln, ob Fremdbestimmung für die Außenpolitik der DDR bestimmend war.

Die Lage änderte sich mit dem Aufstieg Michail Gorbatschows in höchste Funktionen Mitte der 1980er Jahre. Bis dahin ging die Sowjetunion davon aus, dass ihre Sicherheitsinteressen am besten durch die Existenz von zwei deutschen Staaten geschützt werden können. Ihre Vereinigung stand in dieser Zeit nicht auf der Tagesordnung. Am Anfang war sie auch keine beabsichtigte Folge von Perestroika und der veränderten Außenpolitik der Sowjetunion.

Die Lage begann sich mit dem "Neuen Denken" und auch Handeln von Gorbatschow und seinen politischen Begleitern zu verändern. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob die Vereinigung bewusst in Betracht gezogen wurde oder ob sie eine Folge bestimmter Umstände als Folge seiner widersprüchlichen Vorstellungen und Handlungen zum Bestandteil der Politik wurde.

Auffällig ist, dass Gorbatschow vom Dezember 1987 bis Juli 1988 fünf Treffen mit führenden Politikern der BRD (Strauß, Genscher, Vogel, Späth, Bangemann) hatte. Allein das deutet darauf hin, dass die Bundesrepublik in dieser Phase einen ganz neuen Stellenwert in der sowjetischen Politik erhielt. Am 24. Oktober 1988 kam es dann zum ersten offiziellen Besuch von Bundeskanzler Kohl in Moskau. Es folgten der Ausbau der politischen Beziehungen und umfangreiche vertragliche Abschlüsse auf wirtschaftlichem, wissenschaftlich-technischem und kulturellem Gebiet.

Im Juni 1989 folgte der Besuch Gorbatschows in Bonn. Unterzeichnet wurden eine "Gemeinsame Erklärung", die die deutsche Frage nicht erwähnte, und elf weitere Abkommen, die den Rahmen für eine auf lange Sicht angelegte Zusammenarbeit schuf.

Schon auf der Parteikonferenz der KPdSU von Ende Juni/Anfang Juli 1988 wurde von Gorbatschow die "Freiheit der Wahl" als wichtigstes Element des "Neuen Denkens" verkündet. Für die DDR wurde damit eine schwierige, eine für sie unüberwindliche Situation geschaffen – nicht nur im Bereich der Außenpolitik! Sie war zunehmend damit konfrontiert, dass in dieser "ideologiefreien" Sicht die Beziehungen der Sowjetunion zur DDR und zur BRD zu einer Frage der Abwägung der jeweiligen Vor- und Nachteile wurden. Der sowjetische Diplomat J. Kwizinski meinte aufgrund eigener Erfahrungen, dass sich das Schicksal der DDR irgendwann im Spätsommer 1989 entschied. Zu diesem Zeitpunkt hatte man es "mit einem ganz anderen Moskau, mit einer ganz anderen Sicht auf die DDR zu tun".

In einem Gespräch Gorbatschows mit Genscher am 5. Dezember 1989 bestätigte der Generalsekretär der KPdSU:

Da es nur ein deutsches Volk gibt, gibt es grundsätzlich auch nur ein Selbstbestimmungsrecht. Die DDR-Bevölkerung kann dies aber auch getrennt ausüben."

Damit hat er die früheren Positionen der Sowjetunion verlassen! Einer der engsten Berater von Gorbatschow, A. Tschernajew, formulierte:

Auch in der DDR wurde oben und unten verstanden, dass in der sowjetischen Außenpolitik jetzt die Bundesrepublik Priorität haben werde."

Das Gespräch führte Hasan Posdnjakow

 

Kurzbiografie Anton Latzo

Prof. Dr. habil Anton Latzo, Jahrgang 1938, studierte, lehrte und forschte am Institut für Internationale Beziehungen der DDR, wo er zuletzt Leiter des Lehrstuhls für Geschichte und Politik der sozialistischen Staaten Europas war. Er publizierte zu Fragen der Außenpolitik dieser Länder und seit den 1990er Jahren in bereiten Medien zu Fragen des Friedenskampfes, der Außenpolitik der BRD sowie der Entwicklung und Politik der Staaten Osteuropas.