Zeitgemäß, ansprechend, emotional (I)

 

German Foreign Policy vom 16.04.2015

 

Die deutschen Streitkräfte organisieren erstmals in der Geschichte der BRD einen nationalen "Tag der Bundeswehr". Die Veranstaltung ist integraler Bestandteil der unlängst vom Bundesverteidigungsministerium gestarteten "Attraktivitätsoffensive" und soll sowohl der Nachwuchsrekrutierung als auch der gesellschaftlichen "Verankerung" des Militärs dienen. Die für die Agitation von Heranwachsenden zuständigen "Jugendoffiziere" und "Karriereberater" der Bundeswehr werden zu diesem Zweck bundesweit für die deutschen Streitkräfte werben; geplant sind zudem öffentliche "Nahkampfvorführungen" und die Präsentation von schwerem Kriegsgerät. An der Vorbereitung und Durchführung der Propagandashow beteiligen sich neben den aus Reservisten bestehenden "Landeskommandos" der deutschen Streitkräfte auch zahlreiche Städte und Gemeinden sowie zivile Vereine und Verbände. Die Veranstaltung findet im Vorfeld der offiziellen Feierlichkeiten zum 60-jährigen Bestehen der Bundeswehr statt und wird vom Verteidigungsministerium genutzt, um einmal mehr auf die vermeintlich ruhmreiche Tradition der Truppe zu verweisen. Gelobt wird insbesondere die "verantwortungsvolle" Amtsführung der ersten Generalinspekteure der Armee - allesamt vormals hochrangige NS-Offiziere.

 

Tag der Bundeswehr

 

Wie die deutschen Streitkräfte mitteilen, werden sie am 13. Juni dieses Jahres erstmals in der Geschichte der BRD einen nationalen "Tag der Bundeswehr" veranstalten. Das bundesweite Event an insgesamt fünfzehn Standorten des Militärs ist integraler Bestandteil der von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen unlängst gestarteten Propagandaoffensive "Bundeswehr in Führung - Aktiv. Attraktiv. Anders" (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Das erklärte Ziel besteht darin, die Truppe in der Öffentlichkeit als einen der "attraktivsten Arbeitgeber" Deutschlands erscheinen zu lassen und die "Verankerung" des Militärs in der Gesellschaft voranzutreiben.[2] Folgerichtig steht die Rekrutierung von Nachwuchs ganz oben auf der Agenda des "Tages der Bundeswehr". Einem der "Projektverantwortlichen" zufolge ist etwa in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover geplant, "die Tore der Schule für Feldjäger und Stabsdienst (zu) öffnen": "Es bestehen dann Möglichkeiten, mit den Jugendoffizieren, der Karriereberatung der Bundeswehr oder an Ausstellungsfahrzeugen mit Soldaten der Bundeswehr ins Gespräch zu kommen."[3]

 

Krieger in Aktion

 

Auch die Technikbegeisterung und Abenteuerlust Heranwachsender wollen die Planer des "Tages der Bundeswehr" nach eigenem Bekunden für die Personalwerbung nutzen. So sind am Bundeswehrstandort Manching (Bayern) "Flugvorführungen" geplant, bei denen Besucher Kampfjets und -hubschrauber "in Aktion erleben" können. Die Marine wirbt mit der Besichtigung von Kriegsschiffen, während das Heer laut vorläufigem Programm das "Aufgabenspektrum der Gebirgsjäger und die unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten seiner Panzer" demonstrieren will: "Ob Kampfpanzer Leopard, Schützenpanzer Marder oder Brückenlegepanzer Biber - die Stahl-Kolosse beeindrucken Besucher regelmäßig mit ihrem Fähigkeitsspektrum." Im hessischen Fritzlar, wo Teile der auf Kommandooperationen und Aufstandsbekämpfung spezialisierten "Division Schnelle Kräfte" stationiert sind, sollen Interessierte den Veranstaltungsorganisatoren zufolge sogar in den Genuss von "Nahkampfvorführungen" kommen. Jeder Bundeswehrstandort, so heißt es, habe "seine eigene Geschichte und seine besonderen Leistungen", die der Öffentlichkeit "vor Augen geführt" werden müssten - "zeitgemäß, ansprechend und emotional".[4]

 

Zivil-militärische Partnerschaft

 

Gemäß der Vorgabe des Verteidigungsministeriums, den "Tag der Bundeswehr" für die weitere "Verankerung" des Militärs in der Gesellschaft zu nutzen, legen die Veranstaltungsmacher besonderen Wert auf "zivil-militärische Zusammenarbeit". Wie die Truppe erklärt, seien "zivile Partner" in großer Zahl "vor Ort mit im Boot": "Ob Städte, Gemeinden oder Landkreise, ob Vereine, Verbände oder Reservisten - sie alle organisieren die regionale Ausplanung dieses besonderen Tages Seite an Seite."[5] Um seine Einbindung in soziale Strukturen zu demonstrieren, will sich etwa das "Landeskommando Niedersachsen" der Bundeswehr nach eigenem Bekunden als Teil des aus Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten bestehenden "Territoriale(n) Netzwerk(s) für den Katastrophenfall" präsentieren.[6] Dass die auf Landes-, Bezirks- und Kreisebene installierten "Verbindungskommandos" der deutschen Streitkräfte und die hier tätigen Reservisten nicht nur für die Bewältigung von Unglücken, sondern auch für die Bekämpfung "innerer Unruhen" zuständig sind, wird nicht gesagt.

 

Kriegsverbrecher als Vorbild

 

Der "Tag der Bundeswehr" findet im Vorfeld der offiziellen Feierlichkeiten zum 60-jährigen Bestehen der Truppe statt - und wird vom Verteidigungsministerium dazu genutzt, auf die vermeintlich ruhmreiche Tradition der deutschen Streitkräfte zu verweisen. Im Zentrum der Darstellung stehen die ersten Generalinspekteure der Armee, die als verdienstvolle Veteranen des Zweiten Weltkriegs erscheinen. So heißt es etwa über Friedrich Foertsch, der von 1961 bis 1963 das Amt des ranghöchsten Offiziers der Bundeswehr bekleidete, er habe im Frühjahr 1945 eine "Schlüsselrolle" bei den "verlustreichen Kämpfen" zwischen Wehrmacht und Roter Armee in der lettischen Region "Kurland" gespielt: "Er weigerte sich, seine Privilegien gegenüber den 'einfachen' Soldaten wahrzunehmen, um aus dem Kurland-Kessel ausgeflogen zu werden, und geriet so im Mai 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft."[7] Gänzlich unerwähnt bleibt, dass es sich bei Foertsch um einen verurteilten Kriegsverbrecher handelt: Der NS-Generalstäbler sorgte maßgeblich für die Aufrechterhaltung der von der Wehrmacht über die sowjetische Metropole Leningrad verhängten Hungerblockade, die aktuellen wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge mehr als eine Million Menschen das Leben kostete.[8] Vor dem sowjetischen Militärtribunal, das ihn der Beteiligung an diesem Menschheitsverbrechen überführte, verteidigte er sich mit folgenden Worten: "Ich gebe zu, die erwähnten Befehle (wie: Artilleriefeuer auf Leningrad) gegeben zu haben, bekenne mich aber nicht schuldig, denn die von mir erteilten Befehle waren notwendig, um den Krieg gegen die Sowjetunion zu führen."[9]

 

Standhafter Massenmörder

 

Ähnlich verhält es sich im Fall Heinz Trettner, der von 1964 bis 1966 als Generalinspekteur der Bundeswehr fungierte und deshalb vom Verteidigungsministerium mit einem Porträt gewürdigt wird. 1937 gehörte Trettner als Staffelkapitän zur "Legion Condor" der NS-Luftwaffe, die während des spanischen Bürgerkriegs im Auftrag des faschistischen Putschistengenerals Franco die baskische Kleinstadt Guernica zerstörte. 1940 erstellte Trettner, jetzt im Range eines Generalstabsoffiziers der 7. deutschen Fliegerdivision, die Pläne für die Bombardierung der Stadt Rotterdam in den neutralen Niederlanden; von ihm stammte eine entsprechende Karte, in der alle Ziele verzeichnet waren, die durch "Bombenteppiche vernichtet werden sollten".[10] 1944 schließlich befehligte Trettner die in Norditalien eingesetzte 4. Fallschirmjägerdivision der Wehrmacht. Auf ihrem Rückzug hinterließ die Truppe eine "tote Zone" zerstörter Städte und Dörfer; einem Augenzeugen zufolge genoss sie bei der italienischen Zivilbevölkerung "einen noch schlimmeren Ruf als die SS".[11] Dem Bundesverteidigungsministerium (BMVg) sind die von Trettner begangenen Kriegsverbrechen keine Erwähnung wert - hier lobt man vielmehr seine "Standhaftigkeit im Dienst".[12]

 

Annäherung an die Wehrmacht

 

Analog verfährt das BMVg in seinen Porträts über die Generalinspekteure Adolf Heusinger und Ulrich de Maizière. So wird etwa Heusinger, der das Amt von 1957 bis 1961 bekleidete, für seine "behutsame Annäherung an die NATO-Mitgliedsstaaten" gelobt.[13] Nicht erwähnt wird, dass der Spitzenmilitär, der Adolf Hitler bereits 1923 als "von Gott gesendete(n) Mann" bezeichnet hatte, während des Zweiten Weltkriegs die barbarischen "Richtlinien für die Bandenbekämpfung" entwarf, an denen sich die "Jagdkommandos" der Wehrmacht bei ihrem Vernichtungskrieg gegen der Partisanentätigkeit verdächtigte Zivilisten orientierten.[14] Unerwähnt bleibt auch, dass Ulrich de Maizière, Generalinspekteur der Bundeswehr von 1966 bis 1972, bei der politisch-militärischen Führung des "Dritten Reichs" einen so guten Ruf genoss, dass ihn Hitler noch im Februar 1945 nach Berlin in den "Führerbunker" holte, um die Arbeit des von der Roten Armee eingeschlossenen "Befehlsstandes" zu organisieren.[15]

 

Fakten unerwünscht

 

Die zitierten Darstellungen des BMVg sind kein Einzelfall - auch Heer und Marine betreiben anlässlich des "Tages der Bundeswehr" und des 60-jährigen Jubiläums der Truppe eine exkulpierende Traditionspflege. Nach wie vor ziehen sich die deutschen Streitkräfte auf die Behauptung zurück, hohe militärische Vorgesetzte hätten "keine NS-Vergangenheit" gehabt.[16] Gegenteilige Fakten werden schlicht unterschlagen. german-foreign-policy.com berichtet in den kommenden Tagen.

 

[1] Siehe dazu Krieg um Talente.
[2] Premiere in ganz Deutschland: Tag der Bundeswehr am 13. Juni.
www.bundeswehr.de 30.03.2015.
[3] "Tag der Bundeswehr" - hautnah erleben bei den Feldjägern in Hannover.
www.bundeswehr.de 30.03.2015.
[4], [5] Premiere in ganz Deutschland: Tag der Bundeswehr am 13. Juni.
www.bundeswehr.de 30.03.2015.
[6] "Tag der Bundeswehr" - hautnah erleben bei den Feldjägern in Hannover.
www.bundeswehr.de 30.03.2015.
[7] General Friedrich Albert Foertsch - Generalinspekteur der Bundeswehr von 1961 bis 1963.
www.bmvg.de 03.12.2013.
[8] Siehe dazu
Eine gewöhnliche Militäroperation und Rezension: Wigbert Benz: Der Hungerplan im "Unternehmen Barbarossa" 1941.
[9] Zitiert nach: Friedrich Foertsch. Der Spiegel 41/1962.
[10], [11] Zitiert nach: Nationalrat der Nationalen Front des demokratischen Deutschland/Dokumentationszentrum der Staatlichen Archivverwaltung der DDR (Hg.): Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik, Berlin (DDR) 1965.
[12] General Heinz Trettner - Generalinspekteur der Bundeswehr von 1964 bis 1966.
www.bmvg.de 03.12.2013.
[13] General Adolf Heusinger - Generalinspekteur der Bundeswehr von 1957 bis 1961.
www.bmvg.de 03.12.2013.
[14] Siehe dazu
Zielgruppengerecht.
[15] Siehe dazu
50 Jahre Deutsches Heer.
[16] Armee im Kalten Krieg.
www.bundeswehr.de 05.02.2015.

Zeitgemäß, ansprechend, emotional (II)

 

von German Foreign Policy am 20.04.2015

 

 Im Vorfeld des 60-jährigen Jubiläums der Bundeswehr huldigt die deutsche Kriegsmarine führenden NS-Offizieren. Zu den Geehrten zählt unter anderem Admiral Erich Raeder, der 1928 Chef der Marineleitung wurde und 1935 zum Oberbefehlshaber der deutschen Seestreitkräfte avancierte. Über ihn heißt es, er habe alle "Gleichschaltungsversuche" der NS-Führung "unbeschadet überstanden". Gänzlich unerwähnt bleibt, dass es sich bei Raeder um einen 1946 vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg verurteilten Kriegsverbrecher handelt, der 1939 erklärt hatte, dem Nationalsozialismus mit "fanatischer Leidenschaft" anzuhängen. Auch der vom NS-Regime zum "Helden" verklärte U-Boot-Kommandant Otto Weddigen wird von der Bundesmarine ausgiebig gewürdigt. Weddigen, der während des Ersten Weltkriegs nicht nur gegnerische Kriegsschiffe, sondern auch zivile Handelsdampfer versenkte, ist für den Tod von mehr als 1.600 Menschen verantwortlich. Den deutschen Streitkräften gilt er dessen ungeachtet als "exzellenter Taktiker und Menschenführer, der trotz seiner Erfolge und Ehrungen stets bescheiden blieb".

 

Fanatische Leidenschaft

 

Vor dem für Juni terminierten "Tag der Bundeswehr" und den offiziellen Feierlichkeiten zum 60-jährigen Bestehen der Truppe huldigt die deutsche Kriegsmarine dem verurteilten NS-Kriegsverbrecher Erich Raeder. Dem Admiral, der seit 1928 als Chef der Marineleitung fungierte und 1935 zum Oberbefehlshaber der deutschen Seestreitkräfte avancierte, wird wahrheitswidrig eine kritische Distanz zum NS-Regime attestiert. Raeder habe nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten 1933 alle "Gleichschaltungsversuche" des Regimes "unbeschadet" überstanden, heißt es.[1] Negiert wird, dass der Militär nach eigenem Bekunden ein überzeugter Nationalsozialist war. 1937 erhielt er das "Goldene Parteiabzeichen" der NSDAP, das seinem Träger "besondere Verdienste" im Sinne der NS-Führung bescheinigte. Anlässlich des "Heldengedenktags" am 12. März 1939, bei dem die deutschen Gefallenen des Ersten Weltkriegs geehrt wurden, erklärte Raeder: "Das deutsche Volk hat den aus dem Geiste des deutschen Frontsoldaten geborenen Nationalsozialismus zu seiner Weltanschauung gemacht und folgt den Symbolen seiner Wiedergeburt mit fanatischer Leidenschaft."[2] Anlässlich seines 65. Geburtstags 1941 erhielt Raeder von Adolf Hitler eine "Dotation" in Höhe von 250.000 Reichsmark. 1943 schließlich betonte der mittlerweile zum Großadmiral Beförderte vor Offizieren des Oberkommandos der Marine nochmals sein Engagement für die Maßnahmen und Ziele des NS-Regimes: "Ich glaube, Sie werden mir zustimmen, dass es mir gelungen ist, im Jahre 1933 die Marine geschlossen und reibungslos dem Führer in das Dritte Reich zuzuführen. Das war dadurch zwanglos gegeben, dass die gesamte Erziehung der Marine ... auf eine innere Haltung hinzielte, die von selbst eine wahrhaft nationalsozialistische Haltung ergab. Aus diesem Grunde hatten wir uns nicht zu verändern, sondern konnten von vornherein aufrichtigen Herzens wahre Anhänger des Führers werden."[3]

 

Terroristische Kriegsführung

 

Während die Bundeswehr einerseits Raeders Bekenntnis zum Nationalsozialismus leugnet, huldigt sie anderseits dessen vermeintlichen militärischen Leistungen. So heißt es etwa, er habe mit dem von ihm favorisierten "Großkampfschiffkonzept" in der Anfangsphase des Zweiten Weltkriegs "beachtliche Erfolge" verbuchen können.[4] Zu den "Erfolgen" Raeders zählt die Truppe nach eigenem Bekunden auch die völkerrechtswidrige Besetzung der neutralen Staaten Dänemark und Norwegen im April 1940. Exkulpierend wird ausgeführt, Raeder sei davon ausgegangen, dass die westlichen Alliierten "ihrerseits eine Invasion Norwegens planten, um die wichtigen Erzlieferungen, die aus Schweden über Norwegen nach Deutschland transportiert wurden, zu unterbinden"; dem habe der Großadmiral lediglich "zuvorkommen" wollen. Damit einhergehend lobt die Bundeswehr die offen terroristische Kriegsführung der Wehrmacht beim Überfall auf Dänemark, der unter dem Codenamen "Weserübung Süd" firmierte: "Auch die Luftwaffe war durch das Absetzen von Fallschirmjägern und durch bloßes Präsenz Zeigen ein wichtiger Faktor bei der Operation Weserübung Süd, denn nicht zuletzt wurde die Annahme der deutschen Forderungen durch den dänischen König mit der Androhung, Bombergeschwader mit Ziel Kopenhagen in Marsch zu setzten, erreicht. Nachdem Dänemark nun kooperierte, konnten die dänischen Eisenbahnverbindungen und Flugplätze zum Transport von Versorgungsgütern für Norwegen genutzt werden, und Weserübung Süd war erfolgreich abgeschlossen."[5] Umgekehrt bleibt unerwähnt, dass Raeder für seine Kriegsverbrechen wie den "uneingeschränkten U-Boot-Krieg", der die Versenkung ziviler Handelsschiffe und die Erschießung Schiffbrüchiger beinhaltete, vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg 1946 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.

 

Pionier- und Aufbauarbeit

 

Neben Raeder ehren die deutschen Streitkräfte auch Friedrich Ruge, der nach der Wiederbewaffnung Westdeutschlands Mitte der 1950er Jahre Inspekteur der Bundesmarine wurde. Ruge war an nahezu allen Aggressionshandlungen des NS-Regimes beteiligt und gehörte zu den am höchsten dekorierten Offizieren der Wehrmacht. Sein Credo lautete: "Was muss ein Seeoffizier in erster Linie können? Er muss Menschen führen können. Er muss Schiffe führen können. Und er muss Waffen führen können. Dahinter tritt alles Übrige zurück."[6] Nicht zuletzt auf Ruge ist die Entstehung der sogenannten Himmeroder Denkschrift zurückzuführen, in der vormals führende NS-Militärs 1950 ihre Bedingungen für die Mitarbeit beim Aufbau der Bundeswehr formulierten. Unter anderem wurden die "Freilassung der als 'Kriegsverbrecher' verurteilten Deutschen", die "Einstellung jeder Diffamierung der deutschen Soldaten (einschließlich der im Rahmen der Wehrmacht seinerzeit eingesetzten Waffen-SS)" und die Einleitung entsprechender "Maßnahmen zur Umstellung der öffentlichen Meinung im In- und Ausland" gefordert.[7] Die Bundesmarine ficht all dies nicht an - sie attestiert Ruge, durch seine nach 1945 betriebene "Pionier- und Aufbauarbeit" die "zügige Integration der Bundesmarine in das NATO-Bündnis" und die "Erfüllung des maritimen Auftrages im Bereich der Ostseezugänge" gewährleistet zu haben.[8] Ruges gute Beziehungen zu verurteilten NS-Kriegsverbrechern scheinen für die Truppe ebenfalls unerheblich zu sein. Dass der Inspekteur der Bundesmarine 1960 den von Hitler zu seinem Nachfolger ernannten Großadmiral Karl Dönitz animierte, die Grabrede auf den verstorbenen Erich Raeder zu halten, bleibt denn auch unerwähnt.

 

Beachtliche Erfolge

 

Die vom NS-Regime zu Helden verklärten Spitzenmilitärs des Ersten Weltkriegs genießen bei der Bundesmarine gleichfalls großes Renommee. So beschreibt die Truppe etwa den U-Boot-Kommandanten Otto Weddigen als einen "exzellente(n) Taktiker und Menschenführer, der trotz seiner Erfolge und Ehrungen stets bescheiden blieb". Über den Kapitänleutnant und das von ihm befehligte U-Boot "U9" heißt es wörtlich: "Am 22.09.1914 versenkte U9 50 Seemeilen nördlich von Hoek van Holland drei englische Panzerkreuzer ..., ohne selbst beschossen zu werden. Dabei starben circa 1.600 Menschen. Für diesen Erfolg und die taktische Meisterleistung erhielt Weddigen das Eiserne Kreuz 1. und 2. Klasse." Zu den weiteren "beachtliche(n) Erfolge(n)" Weddigens während des Ersten Weltkriegs zählt die Bundesmarine explizit auch die "Versenkung von mehreren Handelsdampfern zwischen 2500 Tonnen und 4000 Tonnen".[9] Dass der Angriff auf zivile Schiffe zweifelsfrei den Tatbestand eines Kriegsverbrechens erfüllt, spielt für die deutschen Streitkräfte offenbar keine Rolle.

 

Auslandseinsätze

 

Selbst die kolonialistischen "Expeditionen" der kaiserlichen Marine Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gelten der Bundeswehr als traditionswürdig. So ist denn auch nicht vom deutschen Genozid an den namibischen Herero und Nama die Rede, sondern von "erbitterten Kämpfen" mit "Eingeborenen", "in denen Marineangehörige fielen". Wie die Truppe ausführt, hätten die seinerzeitigen militärischen Aktivitäten meist der "Durchsetzung von Rechtsansprüchen deutscher Kaufleute" gedient; heute würde man, heißt es, von "Kriseneinsätze(n)", "friedenserhaltende(n) Maßnahmen" oder "Auslandseinsätzen" zum "Schutz deutscher Staatsangehöriger" sprechen.[10]

 

Bitte lesen Sie auch Zeitgemäß, ansprechend, emotional (I).

[1] Die Reichsmarine und die Kriegsmarine bis 1945. www.marine.de 27.11.2013.
[2] Zitiert nach: Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945? Frankfurt/Main 2005.
[3] Zitiert nach: Michael Salewski: Von Raeder zu Dönitz. Der Wechsel im Oberbefehl der Kriegsmarine 1943. In: Militärgeschichtliche Mitteilungen 2/1973.
[4] Die Reichsmarine und die Kriegsmarine bis 1945.
www.marine.de 27.11.2013.
[5] Operation Weserübung.
www.marine.de 27.11.2013.
[6] Zitiert nach: Eine Schule als Schauplatz deutscher Geschichte.
www.welt.de 31.10.2010.
[7] Siehe dazu
Krieg ist Frieden.
[8] Friedrich Ruge.
www.marine.de 27.11.2013.
[9] Kapitänleutnant Otto Weddigen.
www.marine.de 01.12.2014.
[10] Auslandseinsätze.
www.marine.de 27.11.2013.

Zeitgemäß, ansprechend, emotional (III)

 

von German Foreign Policy am 24.04.2015

Analog zur deutschen Kriegsmarine huldigen die Landstreitkräfte der Bundeswehr vormals hochrangigen NS-Offizieren. Über deren ersten Inspekteur, Hans Röttiger, etwa heißt es, er habe "entscheidenden Anteil am Aufbau des neuen deutschen Heeres" gehabt. Unerwähnt bleibt, dass Röttiger an nahezu allen Aggressionshandlungen des NS-Regimes beteiligt war; insbesondere beim deutschen Überfall auf Jugoslawien 1941 attestierten ihm seine Vorgesetzten "überdurchschnittliche Leistungen". Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erklärte Röttiger, die Aufstandsbekämpfung der Wehrmacht in den besetzten Gebieten der Sowjetunion habe das Ziel gehabt, die "rücksichtslose Liquidierung des Judentums und anderer unerwünschter Elemente zu ermöglichen". Gleichfalls völlig unkritisch referiert die Bundeswehr den "militärischen Lebenslauf" des von 1968 bis 1971 amtierenden Heeresinspekteurs Albert Schnez, der wie Röttiger in leitender Funktion für die Führung des deutschen Vernichtungskriegs gegen die UdSSR verantwortlich war. Gemeinsam mit der Vorläuferorganisation des Bundesnachrichtendienstes (BND) baute Schnez in den Jahren 1950 bis 1953 eine westdeutsche "Kaderarmee" aus vormaligen Offizieren der Wehrmacht und der SS auf. Die Truppe sollte für eine militärische Auseinandersetzung mit der DDR und für die Niederschlagung "kommunistischer Aufstände" zur Verfügung stehen. Von einer "Stunde Null" bei Gründung der Bundeswehr, die dieses Jahr ihr 60-jähriges Jubiläum feiert, kann somit keine Rede sein.

Traditionspflege

Wie das deutsche Heer erklärt, sind seine "Traditionslinien" das "Ergebnis einer bewussten Auswahl geschichtlicher Ereignisse im Hinblick darauf, ob sie den Soldaten der Bundeswehr wesentliche Orientierungshilfe für ihr heutiges und zukünftiges Handeln sein können".[1] Als traditionswürdig gelten der Truppe nach eigenem Bekunden auch ihre Inspekteure der Jahre 1956 bis 1979, die auf der Website der deutschen Landstreitkräfte mit Einzelporträts geehrt werden.[2] Es handelt sich ausschließlich um vormals hochrangige NS-Offiziere.

Rücksichtslose Liquidierung

Ihrem ersten Inspekteur, Hans Röttiger, etwa attestiert die Truppe, er habe "entscheidenden Anteil am Aufbau des neuen deutschen Heeres" gehabt.[3] Beginnend mit dem "Anschluss" Österreichs an Deutschland und der Annexion des tschechoslowakischen "Sudetenlandes" 1938 war Röttiger an nahezu allen Aggressionshandlungen des NS-Regimes maßgeblich beteiligt. Im Zusammenhang mit dem deutschen Überfall auf Jugoslawien 1941 bescheinigte ihm sein Vorgesetzter, Panzergeneral Hans-Georg Reinhardt, "überdurchschnittliche Leistungen".[4] Über seine anschließende Tätigkeit in der Sowjetunion und das deutsche Vorgehen gegen dort operierende Partisaneneinheiten schrieb Röttiger rückblickend, dass "die Bandenbekämpfung, die wir führten, im Endziel den Zweck hatte, den militärischen Bandenkampf des Heeres dazu auszunutzen, um die rücksichtslose Liquidierung des Judentums und anderer unerwünschter Elemente zu ermöglichen".[5] 1944 avancierte Röttiger zum Chef des Generalstabs der Heeresgruppe C in Italien unter Feldmarschall Albert Kesselring, der unter anderem 335 Geiseln in den Fosse Ardeatine in Rom erschießen ließ. Hierfür verurteilte ihn ein britisches Militärgericht 1947 zum Tode; das Urteil wurde jedoch nicht vollstreckt. Stattdessen musste sich Kesselring Ende 1951 vor dem Landgericht München für seine Untaten verantworten - wobei er von seinem ehemaligen Generalstabschef massiv verteidigt wurde. Wörtlich erklärte Röttiger, dass die zur Verhandlung stehenden "Übergriffe" Kesselrings ausschließlich "der bekanntlich sehr erfinderischen Phantasie der italienischen Bevölkerung entsprungen" seien.[6]

Stay-Behind-Organisation

Analog zu Röttiger huldigt die Bundeswehr dem von 1968 bis 1971 amtierenden Heeresinspekteur Albert Schnez mit einem Porträt. Wie Röttiger war Schnez in führender Position am deutschen Überfall auf die Sowjetunion beteiligt und wurde 1944 nach Italien versetzt. Einer unlängst erschienenen offiziösen militärgeschichtlichen Studie zufolge betrauten US-Geheimdienststellen ihn bereits kurz nach Kriegsende mit dem Aufbau einer "amerikanisch-italienischen Stay-Behind-Organisation".[7] Die konspirative Untergrundarmee, die Anfang der 1990er Jahre unter der Bezeichnung "Gladio" bekannt wurde, hatte den Auftrag, sich im Fall eines sowjetischen Einmarschs "überrollen" zu lassen und dann im Rücken des Feindes sowohl Sabotageakte zu verüben als auch der Kollaboration Verdächtigte, insbesondere Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter, zu ermorden. Ihre engen Beziehungen zu neonazistischen terroristischen Gruppen sind mittlerweile hinlänglich belegt - auch für die BRD (german-foreign-policy.com berichtete [8]).

"Unternehmen Versicherungen"

Gemeinsam mit der "Organisation Gehlen", dem Vorläufer des heutigen Bundesnachrichtendienstes (BND), baute Schnez dann ab 1950 in Westdeutschland eine "national organisierte Milizformation" auf, wie der zitierten Studie zu entnehmen ist. Die Truppe, die unter der Tarnbezeichnung "Unternehmen Versicherungen" firmierte, sollte demnach bis zu 40.000 Mann umfassen und von Offizieren vormaliger "Elitedivisionen" der Wehrmacht und der SS geführt werden. Ihr Einsatz war der Untersuchung zufolge für den Fall eines Angriffs der DDR-Streitkräfte auf das Territorium der BRD vorgesehen - geplant war zudem das Vorgehen gegen "lokale kommunistische Aufstände" und "Putschversuch(e)". Laut der Studie verfügte Schnez über "beste Kontakte in die aufblühende Remilitarisierungsszene" Westdeutschlands, zu der neben den "Soldatenverbänden" und "Kameradenhilfswerken" vormaliger Wehrmachts- und SS-Angehöriger auch höchste Regierungsstellen wie das "Amt Blank", das spätere Bundesverteidigungsministerium, zählten.[9] Besonders enge Beziehungen unterhielt Schnez offenbar zu dem vormaligen NS-General Hans Speidel, der als militärpolitischer Berater des seinerzeitigen Bundeskanzlers Konrad Adenauer (CDU) fungierte. Wie Schnez hatte Speidel im "Dritten Reich" schnell Karriere gemacht und es nicht an der Bereitschaft zur Begehung von Kriegsverbrechen fehlen lassen. So heißt es etwa in einem von ihm am 28. Februar 1942 verfassten "Lagebericht" über den von deutschen Truppen besetzten Teil Frankreichs: "In Rouen wurden umfangreiche Razzien auf Kommunisten und Juden durchgeführt, die zu zahlreichen Verhaftungen führten. In Zusammenhang mit den Maßnahmen ... wurde für das gesamte besetzte Gebiet die Überführung von 1000 Kommunisten und Juden in deutsche Haft angeordnet. Diese sind zur Deportation nach dem Osten bereitgestellt."[10]

Harte Kämpfer

Die Bundeswehr, die Schnez ein ehrendes Andenken bewahrt, schweigt über seine geheimdienstlichen Aufrüstungsaktivitäten ebenso wie über seine Zusammenarbeit mit SS-Offizieren und Kriegsverbrechern. Über die von ihm Ende 1969 in seiner Eigenschaft als Heeresinspekteur in Auftrag gegebene Studie "Gedanken zur Verbesserung der inneren Ordnung des Heeres" heißt es lediglich, diese sei "intensiv und kontrovers diskutiert" worden [11] - offenbar, weil hier direkt an überkommene Wehrmachtstraditionen angeknüpft wird. So fordert die Studie etwa die "Erziehung" des Soldaten zum "psychisch und physisch harten Kämpfer", der bereit ist, "in jeder Lage eines möglichen Krieges" die von der militärischen Führung geforderten "Opfer zu bringen". Verlangt wird zudem, Bundeswehrangehörigen das von der Verfassung garantierte Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu nehmen: "Dies scheint unabdingbar, da zu befürchten ist, dass im Spannungs- und Verteidigungsfall Soldaten den Gehorsam verweigern oder Wehrzersetzung betreiben, indem sie sich unter Berufung auf Artikel 4 (3) Grundgesetz ... den Kampfhandlungen zu entziehen versuchen."[12]

Konkurrenzfähige Soldatenlaufbahn

Gleichzeitig entbehrt die sogenannte Schnez-Studie nicht einer gewissen Aktualität: Sie greift Vorstellungen auf, die bei der Truppe und der politisch-militärischen Führung weit verbreitet sind. So wird etwa bemängelt, dass deutsche Massenmedien ein "vielfach nicht den Tatsachen entsprechende(s) Bild der Streitkräfte, ihrer Führer und Soldaten" vermitteln, statt über "Vielfalt, Verantwortung sowie die Verwendungsbreite von Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften" zu berichten.[13] Analog zu der von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) unlängst verkündeten "Attraktivitätsagenda" (german-foreign-policy.com berichtete [14]) heißt es, die "Soldatenlaufbahn" müsse so gestaltet werden, dass sie "mit ihrer Attraktivität und den durch sie gegebenen Entwicklungsmöglichkeiten in der Gesellschaft konkurrenzfähig" ist.[15]

Bitte lesen Sie auch Zeitgemäß, ansprechend, emotional (I) und Zeitgemäß, ansprechend, emotional (II).

[1] Woher kommen wir? Traditionspflege im Deutschen Heer. www.deutschesheer.de 25.11.2013.
[2] Die Inspekteure des Heeres in der Bundeswehr.
www.deutschesheer.de 25.11.2013.
[3] Hans Röttiger.
www.deutschesheer.de 25.11.2013.
[4] Zitiert nach: Kerstin von Lingen: Von der Freiheit der Gewissensentscheidung: Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Hans Röttiger. In: Helmut R. Hammerich/Rudolf J. Schlaffer (Hg.): Militärische Aufbaugenerationen der Bundeswehr 1955 bis 1970. Ausgewählte Biographien. München 2011. Siehe dazu auch
Rezension: Helmut R. Hammerich/Rudolf J. Schlaffer/Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hg.): Militärische Aufbaugenerationen der Bundeswehr 1955 bis 1970.
[5] Zitiert nach: Ulrich Sander: Szenen einer Nähe. Vom großen Rechtsum bei der Bundeswehr. Bonn 1998.
[6] Zitiert nach: Kerstin von Lingen: Von der Freiheit der Gewissensentscheidung: Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Hans Röttiger. In: Helmut R. Hammerich/Rudolf J. Schlaffer (Hg.): Militärische Aufbaugenerationen der Bundeswehr 1955 bis 1970. Ausgewählte Biographien. München 2011.
[7] Agilolf Keßelring: Die Organisation Gehlen und die Verteidigung Westdeutschlands. Alte Elitedivisionen und neue Militärstrukturen 1949-1953. Marburg 2014.
[8] Siehe dazu
Eine Untergrundarmee.
[9] Agilolf Keßelring: Die Organisation Gehlen und die Verteidigung Westdeutschlands. Alte Elitedivisionen und neue Militärstrukturen 1949-1953. Marburg 2014.
[10] Zitiert nach: Nationalrat der Nationalen Front des demokratischen Deutschland/Dokumentationszentrum der Staatlichen Archivverwaltung der DDR (Hg.): Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik, Berlin (DDR) 1965.
[11] Albert Schnez.
www.deutschesheer.de 25.11.2013.
[12], [13] Der Wortlaut der "Schnez-Studie" wird wiedergegeben in: Blätter für deutsche und internationale Politik 3/1970.
[14] Siehe dazu
Krieg um Talente.
[15] Der Wortlaut der "Schnez-Studie" wird wiedergegeben in: Blätter für deutsche und internationale Politik 3/1970.

 

Quelle1:  http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59092

Quelle 2:  http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59094

Quelle 3: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59101