Venezuela: Was tun?

Kontroverse um die Wirtschafts-und Währungspolitik in Venezuela - Teil I

von Luis Salas Rodríguez et al. Übersetzung: Benno Schmieden in amerika21 vom 29.10.2017

In der venezolanischen Linken debattieren Ökonomen und Analysten über mögliche Maßnahmen die Wirtschaftskrise zu überwinden. Wir dokumentieren zunächst einen Text von Luis Salas Rodríguez, der im Wesentlichen die Politik der Regierung verteidigt und eine "Vertiefung" der bestehenden Maßnahmen fordern. Im zweiten Teil setzt sich der marxistische Ökonom Manuel Sutherland kritisch mit diesen Forderungen auseinander.

Vorschläge für sofortige Maßnahmen zur Verteidigung der Republik und der sozioökonomischen Rechte der venezolanischen Bevölkerung

Die Situation, in der wir uns derzeit befinden, erfordert, angemessen zu handeln. Wir erleben bereits keine schwierige, komplexe oder Notsituation mehr: Wir sind mit einer Kriegssituation konfrontiert. Mit einem mehrdimensionalen Krieg, der zwar nicht neu ist, aber ein neues Niveau erreicht hat und immer offensichtlicher wird.

Kriegszeiten erfordern kriegerische Maßnahmen. Und die Praxis zeigt, dass den Erpressungen der wirtschaftlich Mächtigen nachzugeben noch nie eine Garantie für Stabilität oder für den Schutz der Demokratie gewesen ist: die unterschiedlichen, aber parallelen Erfahrungen von Syrizas Griechenland, von Gaddafi's Libyen und Rousseffs Brasilien beweisen dies.

Die Beispiele Venezuelas von 2002 und 2003 mit dem Staatsstreich und der Erdöl- und Handelsblockade, das Beispiel Syriens unter Baschar al-Assad, und wiederum das Beispiel unseres Landes zwischen April und Juli dieses Jahres zeigen im Gegenteil, dass die aktive Mobilisierung und das Nicht-Aufgeben der Initiative die einzigen Garantien für den Sieg sind.

Es ist erwähnenswert, wie Präsident Nicolás Maduro richtig ausgeführt hat, dass die Sanktionen der US-Regierung nicht gegen die nationale Regierung, sondern gegen das Land und die gesamte Bevölkerung gerichtet sind, unabhängig von der politischen Zugehörigkeit des Einzelnen. Folglich müssen besondere Maßnahmen ergriffen werden, die die Souveränität, aber auch die Bürger und das Volk schützen.

Wir wiederholen: Wir befinden uns nicht in einer Wirtschaftskrise, wir sind mit einer Kriegserklärung der weltweiten ökonomischen und politischen Mächte konfrontiert, einem Wirtschafts-, Finanz und Handelskrieg, der darauf abzielt, "das Klima im Land aufzuheizen", um die Bedingungen für einen Zusammenbruch des Landes zu schaffen, was letztendlich als Vorwand für eine militärische Intervention benutzt werden soll.Gleichzeitig müssen wir uns jedoch bewusst sein, dass das, was heute als Aggression erscheint, auch als Möglichkeit betrachtet werden kann. So wie die Ereignisse von 2002-2003 es ermöglichten, Souveränität über die Erdöl-Ressourcen zu erlangen und das zivil-militärische Bündnis zu besiegeln, kann die derzeitige Konjunktur eine vorteilhafte Gelegenheit dafür sein, die Souveränität in der Währungspolitik und im Außenhandel zu erreichen. Aber wie gesagt, nichts davon wird mit konventionellen Methoden oder durch Nachgeben vor den Erpressungen gelingen.

In der gegenwärtigen Situation ist es schwierig, konkrete Maßnahmen zu definieren, die der Exekutive und der verfassunggebenden Versammlung in wirtschaftlichen Angelegenheiten empfohlen werden können. Das ist aus mehreren Gründen so, aber in erster Linie wegen des Fehlens genauer und aktueller Informationen über die volkswirtschaftlichen Daten und Indikatoren. Auf der anderen Seite wissen wir, dass es keine Wundermittel gibt. Auf Grundlage unserer Erfahrungen und Analysen, die öffentlich und bekannt sind und mit dem besten Willen, zur nationalen Verteidigung beizutragen, legen wir die Notwendigkeit dar, folgende Richtung einzuschlagen:

In Währungs- und Außenhandelsangelegenheiten:

1. Die Devisenkontrolle verstärken, die Zuteilung von Devisen an Privat- und Einzelunternehmen aussetzen und die verfügbaren Devisen direkten staatlichen Importen von lebenswichtigen Gütern aus verbündeten Ländern zuweisen.

2. Im Falle von Ausnahmen beim vorherigem Punkt muss die Devisenzuteilung nach pflichtgemäßer und öffentlicher Begründung über den Finanzweg und nicht über Währungswechsel erfolgen. Das heißt, statt Devisen an transnationale Konzerne zu verkaufen, sie gegen Zins und mit ausreichenden realen Garantien für die Rückzahlung des Fremdwährungskredits verleihen.

3. In jedem Fall von Devisenzuteilungen, sowohl an private als auch öffentliche Unternehmen sowie an Behörden, vorher und nachher ihre Verwendung überprüfen.

4. Koppelung der Devisen an einen Barometer internationaler Referenzpreise um Überfakturierung von Importen und Steuerhinterziehung durch Verrechnungspreise und die anschließende Übertragung überhöhter Preise auf die Kostenstrukturen von Produktion-, Vertrieb- und Vermarktung zu unterbinden.

5. Die Verwaltung von Devisen transparent machen, um Korruption zu verhindern und soziale Kontrolle zu vereinfachen: mittels detaillierter Veröffentlichung aller erfolgter Devisenvergaben der Cencoex und den Abgleich mit den Zolldaten von Importen, die von Seniat und Sidunea1 registriert werden.

6. Eine operative Stelle mit Sanktionsmöglichkeiten schaffen, die gegebenenfalls die Konzeption der geplanten und noch nicht eingerichteten, direkt von (dem Präsidenenpalast) Miraflores kontrollierten Interoperabilitätsstelle verbessert, die obligatorisch alle Datenbanken von Organen und Einrichtungen des Staates in Echtzeit verknüpft, sämtliche Informationen durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien verarbeitet und Berichte über dieses Analysen liefert.

7. Verlagerung der aktuellen Erdölverkäufe in die USA auf unsere Verbündeten in Europa und Asien, was auch die Möglichkeit des Tauschhandels für lebenswichtige Güter beinhalten könnte.

8. Einleitung eines Prozesses zur Neuverhandlung und Umstrukturierung der Auslandsschulden mit verbündeten Ländern und Investoren.

Bezüglich Preise und Versorgung:

9. Bildung eines Integrierten Kommandos zur Verteidigung der sozio-ökonomischen Rechte der Bevölkerung, das die Verbraucherschutzbehörde, die Anti-Monopol-Aufsichtsbehörde, die Generalstaatsanwaltschaft, die Ombudsstelle, die Zoll- und Steuerbehörde, die Bankenaufsichtsbehörde, dier Bolivarischen Streitkräfte und weitere zuständige Organe und Stellen einbezieht.

10. Preisbildungen nicht anerkennen oder akzeptieren, die den parallelen Wechselkurs (Schwarzmarktkurs) als Grundlage für die Festlegung von Kosten nehmen.

11. Das obligatorische Staatsmonopol für lebenswichtige Güter anordnen, um dem Staat die Macht zu geben, den Preis solcher Güter mit den Monopolisten auszuhandeln, die ihre Einfuhr, Produktion, Verteilung und Vermarktung kontrollieren.

12. Die Mechanismen der direkten oder planmäßigen Verteilung von Nahrungsmitteln und anderer notwendiger Güter stärken.

13. Einen Prozess der Importsubstitution einleiten, bei dem Waren und lebenswichtige Güter für die Bevölkerung vorrangig behandelt werden und staatliche Unternehmen, die Kommunalwirtschaft und kleine und mittlere Unternehmen die Grundlage sind.

Im Falle Kolumbiens:

14. Schließung der Grenze zu Kolumbien auf unbestimmte Zeit.

15. Klage gegen Kolumbien vor der Welthandelsorganisation einreichen wegen Anwendung unlauterer Praktiken im internationalen Handel, Geldwäsche und Finanzierung des Terrorismus durch Maklerfirmen an der Grenze

16. Bericht an die Union südamerikanischer Nationen über Kolumbien wegen Verletzung des Hoheitsgebietes eines Mitgliedslandes, insbesondere um den Schmuggel von Waren und Angriffe auf die Landeswährung zu begünstigen und zu verstärken

Bezüglich der Landesverteidigung:

17. Sofortige Unterzeichnung eines Militärvertrags zur gegenseitigen Hilfen mit alliierten Mächten, autorisiert durch die bevollmächtigte verfassunggebende Versammlung.

Luis Gavazut Bianco (Sozialwissenschaftler), José Gregorio Piña (Ökonom), Luis Salas Rodríguez (Soziologe, Dozent für Politische Ökonomie), Juan Carlos Valdez (Verfassungsjurist), Juan Romero (Historiker und Politologe), Tony Boza (Ökonom)

1. Cencoex: Centro Nacional de Comercio Exterior, Nationales Zentrum für Außenhandel; Seniat: Servicio Integrado de Administración Aduanera y Tributaria, Integrierte Zoll- und Steuerverwaltung; Sidunea : Sistema Aduanero Automatizado, Automatisiertes Zollsystem

Quellen: 

15yultimo

https://amerika21.de/analyse/188008/venezuela-tun