Venezuela : Was geschieht tatsächlich in Venezuela?
von Harri Grünberg, AG
Cuba Si, Parteivorstand Die Linke am 12.2.2019
Verschiedene Friedensorganisationen bringen es auf den
Punkt, manche Linke hingegen sind desorientiert oder verweigern die Solidarität
mit Venezuela. Sie fallen auf die Fake News der orchestrierten bürgerlichen
Journaille herein. Worum geht es in Venezuela: „Die USA, die EU und viele
europäische Staaten versuchen mit allen Mitteln, in Venezuela einen
Regimewechsel durchzusetzen. Putsch- und Mordversuche, Destabilisierung,
Sanktionen, Desinformation, Manipulation sozialer Medien, Unterstützung
paramilitärischer Organisationen haben bisher nicht vermocht, die
venezolanische Regierung zu stürzen “(Bremer Friedensforum). Es geht nicht um
Demokratie, sondern um Rohstoffe, und die Linksregierung soll beseitigt werden,
weil die einen eigenständigen Entwicklungsweg beschreitet, der sich auf die
Zusammenarbeit mit Russland, China, Indien und vielen anderen blockfreien
Staaten stützt. Venezuela erfährt jedoch auch Solidarität aus dem globalen
Süden. Das Instrument der Zuspitzung soll die vermeintliche „Humanitäre Krise“
sein.
„Welches „Verbrechen“ haben die venezolanischen
Regierungen unter Chávez und Maduro begangen? Sie haben versucht, die
Lebenssituation der armen Bevölkerung zu verbessern. Sie haben versucht, einen
Teil des Reichtums des Landes der Bevölkerung zu Gute kommen zu lassen. Die
Oligarchie in Venezuela, zwanzig Familien, die sich seit Jahrhunderten Reichtum
und Macht im Land teilen, hat begriffen, dass den Armen nur geben kann, wer den
Reichen nimmt“(Bremer Friedensforum). Das soll wieder verändert werden, und
zwar mit Gewalt.
Erinnern wir uns: die jetzigen Eliten, die wieder nach
der Macht greifen, plünderten während der sogenannten IV. Republik das Volk
aus; vom Ölreichtum sah die Mehrheit der Bevölkerung nichts, die Gewinne
landeten in den Taschen der Eliten und der oberen Mittelschicht und der
transnationalen Konzerne. Analphabetismus, vor allem der sogenannte
strukturelle Analphabetismus, war weit verbreitet. Schulen und Krankenhäuser
waren unter dem Spardiktat des Internationalen Währungsfonds geschlossen oder
ausgehungert worden. Krankenkassen und Renten gab es nur für diejenigen, welche
sich das mit privaten Mitteln finanzieren konnten. In den 80er Jahren betrug
der Anteil der Armen an der Bevölkerung 80 Prozent. Die Armen konnten sich
einen Arzt niemals leisten. Alte Menschen und Menschen mit Behinderungen
erhielten vom Staat nichts. Das alles änderte sich mit der Regierung von
Chavez. Er setzte in einem demokratischen Prozess unter Einbeziehung der
Bevölkerung durch, dass die Einnahmen aus dem venezolanischen Öl dem Volke zu
Gute kommen. Gesetze mit Verfassungsrang legen fest, dass der größte Teil
dieser Einnahmen für Sozialausgaben bestimmt sein sollen. Schulen wurden
gebaut, Krankenhäuser wiederhergerichtet. Mit kubanischer Hilfe wurden
Polikliniken in den Armenvierteln eingerichtet, der Analphabetismus wurde
beseitigt, und Universitäten wurden gegründet, kostenlos für die arme
Bevölkerung. Alte Menschen und Behinderte erhielten eine Grundrente. 2,5
Millionen Wohnungen wurden gebaut und 10 Millionen Menschen – also ein Drittel
der Bevölkerung – aus den Slums geholt, sie leben faktisch kostenlos in diesen
Wohnungen, und die ehemaligen Slums wurden in bewohnbare Gebiete umgewandelt
mit Kanalisation, Stromversorgung und sauberem Trinkwasseranschluss. Sicherlich
funktionieren wegen der aktuellen ökonomischen Krise manche dieser Bereiche
nicht mehr so perfekt. Aber diese Krise ist in erster Linie nicht hausgemacht,
sondern vor allem Folge der wirtschaftlichen Sanktionen, die verhängt worden
sind, um die bolivarianische Revolution in die Knie zu zwingen und des
wirtschaftlichen Boykotts durch die lokalen und internationalen Eliten . Jede
wirtschaftliche Erholung in Venezuela hat die bedingungslose Beendigung dieser
Blockade zur Voraussetzung.
Die IV. Republik der Eliten war aber auch kein
demokratisches Staatswesen. Während des Guerrillakrieges in Venezuela von 1961
bis 1968 verschwanden mindestens 3000 Jugendliche; sie wurden als
Sympathisanten der Guerrilla verhaftet und sind nie wieder aufgetaucht. Damit war
Venezuela die Vorübung für Chile 1973. 1989 beim Caracazo – dem Aufstand der
Elendsviertel gegen das Diktat des IWF – wurden nachweislich über 3000 Menschen
ermordet, und das damalige Wahlsystem schloss 5 Millionen Menschen von der
Möglichkeit zu wählen aus, weil sie keine Papiere besaßen. Und bei allen Wahlen
fanden massenhafte Wahlfälschungen statt. Das wurde von Chavez geändert.
Heutzutage steht Vieles auf dem Spiel: eine
Machtübernahme durch die Opposition wäre kein Wechsel in eine kuschelige Demokratie,
sondern in eine brutale neoliberale Diktatur. Das strikt neoliberale Programm
des selbsternannten Präsidenten Guaido ist bekannt. Die Opposition will eine
Lösung wie damals 1973 in Chile, denn um dieses neoliberale Projekt umzusetzen,
müssten sie die politischen Kader der sozialen Bewegungen, der Gewerkschaften,
der linken Parteien der Bauern- und der Frauenorganisationen eliminieren, um so
das neugewonnene Bewusstsein der armen Bevölkerung zu zertrümmern und ihr
mittels Gewalt und Repression die Hoffnung zu nehmen.
Deshalb weigert sich die Opposition, durch
Verhandlungen auf der Grundlage der geltenden Verfassung eine friedliche Lösung
zu finden. Die bolivarianische Verfassung schreibt den Sozialstaat und die
partizipative Demokratie fest. Diese Verfassung ist ein Hindernis bei dem
Bestreben, eine vom Imperialismus bestimmte neoliberale Ordnung
wiederherzustellen. Die Opposition stellt die soziale Konterrevolution dar.
Der Westen spricht, gestützt auf die gezielten
Fehlinformationen seitens der Opposition, von einer humanitären Katastrophe in
Venezuela. Diese soll das Szenario sein, in dem eine militärische Intervention
vorbereitet werden kann. In Venezuela gibt es gegenwärtig viele Engpässe: es
fehlt an Lebensmitteln und pharmazeutischen Produkten in ausreichender Menge.
Aber Venezuela ist weit davon entfernt, unter einem humanitären Notstand zu
leiden. In den aktuellen Stellungnahmen der
Auf dem Parteitag der PSUV (der Präsident Maduro
angehört) hatte dieser im Mai 2018 eine solche Verstaatlichung zwar prinzipiell
nicht ausgeschlossen, seither ist jedoch noch keine praktische Maßnahme in
dieser Richtung erfolgt. Diese Schwäche der Regierung Maduros resultiert
daraus, dass er in zu starkem Maße Rücksicht auf das Bündnis mit der nationalen
Bourgeoisie nimmt. In jüngster Zeit hat es auch Repressionen gegen Streikende
gegeben; auch dies kritisiert der Gran Polo Patriótico, aber alle Beteiligten
wenden sich gemeinsam gegen den Putsch der oligarchischen Eliten und der
imperialistischen Interventionsversuche der USA und der EU.
Zu den Falschinformationen von Seiten des Westens
gehört ebenso die Behauptung, die Regierung Maduro sei illegitim, sie sei eine
Diktatur. Dazu zunächst einmal einige Fakten: Der Großteil 80 Prozent der
Medien in Venezuela befindet sich nach wie vor in privater Hand von zwei oder
drei Familien aus der Oligarchie. Keine politische Partei ist bisher verboten
worden, und friedliche Demonstrationen finden statt. Die Opposition hat jedoch
seit 2002 niemals friedliche Demonstrationen durchgeführt; sie finanzierte
indes gewalttätige Gruppierungen. Erst jetzt im Januar und Februar hat sie zwei
friedliche Groß Demonstrationen durchgeführt. 2017 haben die Demonstrationen
der Opposition extreme Gewalt hervorgebracht. Diese zündeten z.B. Polikliniken
an und verbrannten sogar Menschen, die sie als vermeintliche Chavisten
identifiziert hatten, bei lebendigem Leibe und haben den Mordanschlag auf
Maduro im August 2018 organisiert. Diese Gruppen sind bewaffnet und verüben
Terrorakte gegen die Infrastruktur des Landes, insbesondere gegen
Stromversorgungsanlagen. Gegen festgenommene Angehörige solcher Gruppen wird
Anklage wegen dieser Gewalttätigkeit erhoben und nicht wegen abweichender
politischer Meinung. Presseorgane werden dann gemaßregelt, wenn sie
beispielsweise zur Ermordung des Präsidenten aufrufen, was in einigen Fällen
bereits stattgefunden hat. Deshalb ist der Wahrheitsgehalt von Meldungen über
politische Gefangene in Venezuela durchaus anzuzweifeln.
Maduro und vor ihm Chávez sind demokratisch gewählt
worden. In den 20 Jahren chavistischer Regierung fanden 28 Wahlen statt. Der
frühere US-Präsident Jimmy Carter sagte, die Wahlen in Venezuela gehören
weltweit zu den am besten gegen Fälschungsversuche abgesicherten. Die
Opposition schreit dennoch nach jeder Wahl lautstark „Wahlfälschung!“ Als sie
aber 2016 die Parlamentswahlen überraschenderweise gewann, war keine Rede mehr
von Wahlfälschung, obwohl dasselbe Wahlrecht und Wahlsystem angewendet worden
waren. Sofort versuchte die Opposition allerdings mit ihrer Parlamentsmehrheit
einen Sturz des Präsidenten und seiner Regierung durchzusetzen, was ihr jedoch
gemäß der Verfassung nicht zusteht. Schon immer, auch damals in der IV.
Republik hatte das Parlament nur diese beschränkten Kompetenzen. Hinzu kam,
dass 5 Abgeordnete der Opposition nachweislich mittels Wahlfälschung und
Bestechung ins Parlament gewählt worden waren. Daraufhin ordnete der oberste
Gerichtshof Venezuelas (der vergleichbar ist mit dem Bundesverfassungsgericht
der BRD) an, dass in diesen Wahlkreisen nachgewählt werde. Das Parlament
widersetzte sich dieser Anordnung und löste damit eine Verfassungskrise aus.
Per Urteil des Obersten Gerichtes wurde daraufhin das Parlament (die
Nationalversammlung) als außerhalb des Gesetzes stehend bezeichnet, ihr
weiteres Funktionieren als illegal und ihre Beschlüsse als nicht bindend
deklariert.
Aufgrund dieser Unordnung im System der
Gewaltenteilung wurde im Einklang mit der venezolanischen Verfassung zur Wahl
einer konstituierenden Nationalversammlung aufgerufen. Diese hat, wiederum
gemäß der geltenden Verfassung die oberste Gewalt im Lande und kann sogar die
Rechte des Präsidenten einschränken. Diese Wahl wurde von der Opposition
allerdings boykottiert und ebenso die dann vorgezogene Präsidentenwahl. Der
Grund dafür war, dass sich die Opposition 2017 mit ihrer Orientierung auf einen
Putsch verrannt hatte und dann schließlich sogar in den Augen ihrer eigenen
Anhänger diskreditiert war. Sie verfügte außerdem auch nicht über eine
Persönlichkeit, die gegen Maduro bei der Präsidentschaftswahl hätte gewinnen
können.
An der Präsidentschaftswahl nahmen schließlich zwei
oppositionelle Politiker teil, die jedoch nicht zum traditionellen
Führungsklüngel der vereinigen Opposition gehörten. An der Wahl beteiligten
sich am Ende 10 Millionen Venezolanerinnen und Venezolaner, von denen fast 7
Millionen Maduro wählten. In der Regel beteiligen sich in Venezuela 13 Million
Menschen an Präsidentschaftswahlen, das heißt, 3 Millionen boykottierten
diesmal diese Wahl. Maduro hätte also in jedem Falle eine Mehrheit erreicht.
Das weiß auch die deutsche Bundesregierung.“ Dass aber
der bundesdeutsche Außenminister Maas sich so unverfroren über Recht und Gesetz
hinwegsetzt und sich auf die Seite des Putschisten Guaidó stellt, zeigt einmal
mehr, was die wirklichen „westlichen Werte“ sind. In diesem Falle sind die
westlichen Werte das venezolanische Erdöl. Die USA bedrohen Venezuela mit 5000
Soldaten an der Grenze zu Kolumbien. Die EU stellt Ultimaten. Die
venezolanische Bevölkerung soll ausgehungert werden, damit sie endlich aufgibt.
Menschenrechte, Völkerrecht sind nur noch einen Dreck wert, wenn es darum geht
zu verhindern, dass ein Volk seinen eigenen Weg geht und die Reichtümer des
Landes einsetzt für Armutsbekämpfung, Bildung und Gesundheit“ (Bremer
Friedensforum).
Maduro und andere Kräfte der Linke in Venezuela rufen
zur Bildung einer breiten internationalen Solidaritätsbewegung für Venezuela
auf, gegen die imperialistische Einmischung durch die USA und EU. Es ist Zeit
auch in der Bundesrepublik Deutschland eine breite Solidaritätsbewegung
aufzubauen, deren Ziel die Verhinderung einer imperialistischen Intervention
sein muss. Es geht darum, alle Kräfte zu bündeln, die unabhängig von ihrer
Haltung zur Regierung von Maduro sich gegen die imperialistische Intervention
wenden und für eine friedlich ausgehandelte verfassungskonforme Lösung
einsetzen.