Medien-Blockade gegen
Venezuela
Die Mainstreammedien verzerren die venezolanische Realität grundlegend
und informieren das internationale Publikum falsch
von Rachael Boothroyd Rojas Übersetzung: Eva
Haule am 28.4.2017
venezuelanalysis amerika21
Seit dem 4. April haben Angehörige der Opposition gezielte Akte der Gewalt,
des Vandalismus und der Brandstiftung durchgeführt, außerdem absichtlich
Zusammenstöße mit Sicherheitskräften in der Absicht provoziert, das Land in
totales Chaos zu stürzen und die gewählte sozialistische Regierung zu
beseitigen. Es ist die Fortsetzung einer seit 18 Jahren andauernden Bemühung,
die Bolivarische Revolution mit allen Mittel zu Fall zu bringen – auch wenn Sie
dies in den Mainstreammedien auf wundersamerweise Weise in einen "Einsatz
für die Rückkehr zur Demokratie" umgestaltet gesehen haben.
Die Bilanz der Gewalt in den vergangenen 18 Tagen ist schockierend: Schulen
wurden geplündert, ein Gebäude des Obersten Gerichtshofes in Brand gesetzt, ein
Luftwaffenstützpunkt angegriffen, während zugleich der öffentliche Nahverkehr
sowie Gesundheits- und tierärztliche Einrichtungen zerstört wurden. Mindestens
23 Menschen starben, viele mehr wurden verletzt. In einem der erschütterndsten
Fälle rechter Gewalt musste die Regierung am 20. April um zirka 22 Uhr Kinder,
Frauen und mehr als 50 neugeborene Babys aus einer staatlichen Geburtsklinik
evakuieren, die Ziel einer Attacke oppositioneller Banden geworden war.
Wäre all dies an einem beliebigen anderen Ort auf der Welt passiert, hätte
es entsetzte internationale und nationale Aufrufe zu einem Ende der Gewalt und
zur raschen Bestrafung der Verantwortlichen hervorgerufen – was es nur umso
skandalöser macht, dass diese Vorfälle bestenfalls ignoriert und
schlimmstenfalls von der internationalen Presse völlig falsch dargestellt
worden sind. Stattdessen haben sich diejenigen, die mit der Bereitstellung
einer unvoreingenommenen Berichterstattung über internationale Angelegenheiten
für die Öffentlichkeit beauftragt sind, entschieden, die Behauptungen der
venezolanischen Opposition unkritisch nachzuplappern, dass die gewählte
Regierung friedliche Proteste gewaltsam unterdrückt und sie für alle Toten im
Zusammenhang der bisherigen Demonstrationen verantwortlich gemacht.
Diese Darstellung kann nicht im entferntesten als genaue Interpretation der
Tatsachen beschrieben werden, und daher ist es wichtig, den Sachverhalt
richtigzustellen.
- Bis heute1 sind drei Menschen (zwei Protestteilnehmer, ein
Unbeteiligter) von Angehörigen der staatlichen Sicherheitskräfte getötet
worden, die sofort verhaftet und in zwei Fällen bereits angeklagt wurden.
- Fünf weitere Personen wurden unmittelbar von oppositionellen
Protestteilnehmern getötet; ein Mensch starb infolge von Straßenbarrikaden in
Caracas (Ricardo González, 89 Jahre alt, erlitt einen Schlaganfall und wurde
daran gehindert, ins Krankenhaus zu gelangen)
- Fünf Personen wurden in der Nähe von Protesten unter bislang ungeklärten
Umständen getötet. Eines der Opfer wurde mutmaßlich von einem
Oppositionsanhänger aus einem Hochhaus heraus erschossen, seine politische
Zugehörigkeit wurde jedoch noch nicht bestätigt.
- Neun Protestierende starben offenbar infolge ihrer eigenen Aktionen, sie
wurden bei der Plünderung einer Bäckerei durch Stromschlag getötet
Ein flüchtiger Blick auf die Realität enthüllt, dass die Regierung ganz
klar nicht für die Mehrzahl dieser Todesfälle verantwortlich ist. Wie auch
immer, um eine kürzliche Bemerkung des venezolanischen Autors Jose Roberto
Duque zu zitieren, "Die Wahrheit ist plötzlich nutzlos geworden".
Die Medien haben es versäumt, all zu sehr in die Details um die genauen
Umstände dieser Todesfälle zu gehen; eben weil die Wahrheit ein ernsthaftes
Hindernis darstellt für ihre Erzählweise, dass all diese Leute bei friedlichen
Protesten für die Demokratie in den repressiven Händen des autoritären Regimes
getötet wurden. Diese Darstellung ist nicht nur allzu vereinfacht; sie verzerrt
die Realität grundlegend und informiert das internationale Publikum falsch.
Nehmen Sie zum Beispiel diesen absichtlich irreführenden Absatz aus einem Artikel von
Nicholas Casey, dem neuesten Propaganda-Schreiber für die Opposition bei der
New York Times:
"Protestierende, die Wahlen und eine Rückkehr zur Demokratie fordern,
füllten am Mittwoch die Straßen von Caracas und anderen venezolanischen
Städten. Truppen der Nationalgarde und regierungsnahe Milizen schlugen
Menschenmassen mit Tränengas, Gummigeschossen und anderen Waffen zurück und
mindestens drei Menschen wurden laut Menschenrechtsgruppen und Medienberichten
getötet."
Casey entschied sich, die Tatsache außer acht zu lassen, dass keiner dieser
drei Toten bislang den Sicherheitskräften zugeschrieben wurde und dass eines
der Opfer ein Nationalgardist ist, der von Protestierenden umgebracht wurde.
Darüber hinaus sind diejenigen, die von "Tränengas und
Gummigeschossen" betroffen sind, nicht ganz die "friedlichen
Protestierenden", wie er so unaufrichtig andeutet. Jeder konnte am 19.
April, als sowohl die Opposition wie auch Regierungsanhänger demonstrierten, im
Osten der Stadt sehen, wie Oppositionelle sich völlig frei
auf dem Plaza Francia in Altamira versammelten, Anti-Regierungs-T-Shirts und
Kappen sowie Eiskrem kauften und auf der Stadtautobahn demonstrieren konnten,
die den Osten mit dem Westen der Stadt verbindet.
Polizeiliche "Repression" geschah in zwei speziellen Situationen.
Erstens, als oppositionelle Banden brennende Barrikaden aufgebaut hatten und
gewaltsame Aktionen des Vandalismus auf den Straßen begingen, einschließlich
Angriffe auf öffentliche Einrichtungen – Aktionen, die bewusst darauf
abzielten, Zusammenstöße mit Sicherheitskräften zu provozieren, die als
Foto-Trophäen geeignet sind. Zweitens, als die oppositionellen Demonstranten
versuchten, die Polizeilinie zu durchbrechen, die sie davon abhielt, in das
Arbeiterviertel El Libertador im Westen der Stadt zu gelangen – wo die
Unterstützung für die Regierung traditionell konzentriert ist. Auch diese
Aktion war ein absichtlicher Versuch seitens der Opposition, Zusammenstöße mit
Sicherheitskräften zu provozieren. Sie wissen genau, dass sie seit dem
kurzlebigen, von der Opposition angeführten Putsch im Jahr 2002 keine
Genehmigung mehr bekommen, in El Libertador zu demonstrieren. Dieser Putsch war
durch eine Anti-Regierungsdemonstration ausgelöst worden, die zum
Präsidentenpalast Miraflores im Westen der Stadt führen sollte und 19 Tote
durch oppositionelle Scharfschützen hinterließ.
Es ist schwer vorstellbar, dass die Polizei im Rest der Welt auf solche
Gewaltaktionen nicht ähnlich geantwortet hätte, oder sogar noch gewaltsamer.
Ich kann mir nur vorstellen, was passieren würde, wenn bewaffnete und
gewalttätige Protestierende ständig versuchen würden, zum Weißen Haus in
Washington oder zur Downing Street Nr. 10 in London zu marschieren. Was, wenn
sie Polizeiketten vor dem Weißen Haus attackierten oder Krankenhäuser angreifen
und Geschäfte in London plündern würden? Sie hätten nicht nur keine Erlaubnis
weiterzumachen, sondern würden sehr wahrscheinlich erschossen oder landeten
unter der Anti-Terror-Gesetzgebung für sehr lange Zeit im Gefängnis. Aber in
Venezuela kann sich die Opposition auf ihren Blankoscheck von der
Mainstreampresse ebenso verlassen wie darauf, dass sie aus dem Gefängnis kommt.
Unnötig zu erwähnen, dass Details der undemokratischen Aktionen von
Oppositionsführern und ihren Anhängern – angefangen bei den jüngsten Angriffen
bis zur Unterstützung eines gewaltsamen Putsches im Jahr 2002 – in fast allen
Berichterstattungen ganz offensichtlich fehlen. Und dies trotz der Tatsache,
dass die aktuellen Führer der Opposition – Julio Borges, Henrique Capriles
Radonski, Henry Ramos Allup und Leopoldo López – aktiv am Staatsstreich 2002
beteiligt waren.
Oben erwähnter Artikel von Casey ist beispielhaft für den Versuch, die
Öffentlichkeit über die grundlegende Dynamik in Venezuela irrezuführen. Leider
ist dies kein Einzelfall. Der britische Guardian versorgte seine Leser zum
Beispiel mit einer Bildergalerie vom Oppositionsmarsch und "daraus
folgender Gewalt" am 19. April, versäumte es aber zur Kenntnis zu geben,
dass an dem Tag auch eine Pro-Regierungsdemonstration von ähnlicher Größe, wenn
nicht größer stattfand. Sie wischten einfach die Aktionen von hunderttausenden,
wenn nicht Millionen Menschen weg.
Egal ob man
Das letzte Mal erlebte das Land derartige Spannungen im Jahr 2014, als
Angehörige der Opposition wieder ohne Erfolg versuchten, den "Abgang"
von Präsident Nicolás Maduro unter Einsatz ähnlicher Taktiken zu erzwingen, was
zum Tod von 43 Menschen führte. Die Mehrheit dieser Opfer waren unschuldige
Passanten, die von der Gewalt getroffen wurden, oder von staatlichen
Sicherheitskräften, denen die irgendwie unmögliche Aufgabe auferlegt war (genau
wie heute), irgendwie darauf zu verzichten, mit Gewalt auf Menschen zu
antworten, die bewusst versuchen, sie zu provozieren, zu verstümmeln und zu
töten.
Während die Proteste im Jahr 2014 gewaltsamen Unruhen unter Führung der
rechtsgerichteten Studentenbewegung des Landes folgten, begannen sie dieses
Jahr Anfang April, nachdem der Oberste Gerichtshof entschieden hatte, temporär
Kompetenzen des Parlaments an sich zu ziehen. Das Urteil war die Antwort auf
die seit sechs Monaten andauernde "Missachtung des Gerichts", nachdem
die Opposition sich entgegen einer Anweisung des Gerichtshofes geweigert hatte,
drei ihrer Abgeordneten zurückzuziehen, gegen die wegen Wahlbetruges ermittelt
wird.
Das ist der aktuellen Rechtssache ganz ähnlich, die gegen 30 konservative
Parlamentsmitglieder in Großbritannien anhängig ist. Der einzige Unterschied in
Venezuela ist, dass diese Abgeordneten von ihrer Vereidigung im Parlament bis
zum Abschluss der Untersuchungen ausgeschlossen wurden.
Die Opposition schlug sofort auf das Urteil ein und erklärte es zu einem
versuchten "Putsch" durch die Regierung, der aus dem Nichts kam. Die
Medien verschlangen diese Version geradezu. Obwohl die Entscheidung fast sofort
zurückgenommen wurde, ging die Opposition auf die Straße und prangerte einen
"Bruch der verfassungsmäßigen Ordnung" an.
Dies verwandelte sich bald in ein Mischmasch aus Ultimaten, welche die
Agenda der Opposition bestimmten, seit sie im Dezember 2015 die Kontrolle über
die Nationalversammlung gewonnen hat (einen der fünf Zweige des venezolanischen
Regierungssystems) und versprach, die Regierung "innerhalb von sechs
Monaten" aus dem Amt zu bringen – etwas, das nicht in der Macht der
Legislative Venezuelas liegt. Diese Forderungen beinhalten die Freilassung von
Gefangenen, die sie als "politische" bezeichnen, die Öffnung eines
"humanitären Kanals" um internationale Hilfe zu empfangen und, am
wichtigsten, sofortige regionale und allgemeine Wahlen. Die Straßenproteste
boten eine einmalige Gelegenheit für die Opposition, die unter stetig
nachlassende Popularität litt, nachdem sie ein ganzes Jahr lang ihre
gesetzgebende Mehrheit im Parlament vergeudet hatte.
Offensichtlich ist die langfristige Strategie nicht die Stärke der
Opposition. Die Geschichte bezeugt, dass sie dazu neigen, den größtmöglichen
Schaden in der kürzest möglichen Zeit anzurichten, egal zu welchem Preis. Dies
bringt uns zur Antwort auf die Frage, warum diese Gewalt, die in den
vergangenen 18 Jahren mehrmals von der venezolanischen Opposition eingesetzt
wurde, in diesem Moment erneut geschieht. Wenn die Regierung so unpopulär ist,
wie die Opposition behauptet, warum dann nicht einfach auf die
Präsidentschaftswahlen 2018 und ihre Glanzzeit warten?
An diesem Punkt sollte klar sein, dass das einzige Ziel der Opposition, weit
davon entfernt, eine "Rückkehr" zur Demokratie zu befördern, darin
besteht, über sie weg zu gehen. Sie wollen die gewählte Regierung ein Jahr vor
den regulären Wahlen absetzen. Aber dabei wollen sie nicht stehen bleiben. Wie
ein oppositioneller Demonstrant am Mittwoch zu mir sagte: "Pack deine
Sachen zusammen, Maduro, denn du gehst ins Gefängnis!" Das Ziel der
Opposition ist die völlige Vernichtung des Chavismus.
Trotz der vielen Mängel und Fehler der Regierung unter Nicolás Maduro in
den vergangenen vier Jahren haben progressive Menschen rund um den Globus die
Pflicht, sie gegen den Angriff der Opposition und die internationale
Medienblockade zu verteidigen. Die Alternative ist der selbe brutale
Neoliberalismus – derzeit gnadenlos entfesselt von der nicht gewählten
Regierung Brasiliens – der zuvor in den 1980er und 1990er den Kontigent
ausgepresst hat.
Die Losung "No Volverán" (Sie werden nicht zurückkommen) war nie
dringender.
Rachael Boothroyd Rojas, Lateinamerikanistin, Autorin,
Aktivistin aus Großbritannien, lebt seit Jahren in Venezuela und schreibt unter
anderem für unser Partnerportal
Quelle:
https://amerika21.de/blog/2017/04/174967/medienblockade-venezuela