Die US-geführte Kapitalmacht, Europa
und Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg
– eine kurze Skizze bekannter
Tatsachen -
von
WERNER RÜGEMER, 8. November 2013
Im Zweiten Weltkrieg
intensivierten die USA die ökonomische, militärische und politische
Durchdringung Westeuropas. Nach dem Krieg retteten sie die deutschen,
westeuropäischen und asiatischen Akteure und Kollaborateure der faschistischen
Achse, integrierten sie in den Kampf gegen den Sozialismus und stellten die
Weichen für die europäische Einigung. Der „Kalte Krieg“ in Europa war zugleich
ein weltweiter heißer Krieg. Heute organisiert die hierarchisch integrierte
globale Kapitalmacht unter US-Führung die Ausplünderung der eigenen und anderer
Volkswirtschaften und versucht, sich den unterschiedlich widerständigen „Rest
der Welt“ einzuverleiben.(1)
Aufstieg im Zweiten
Weltkrieg
Die USA traten möglichst
spät in den Krieg ein und machten, solange es ging, Geschäfte mit
Kriegsteilnehmern beider Seiten. (2) Die Wall-Street-Banken, die dem Deutschen
Reich während der 1920er Jahre umfangreiche Kredite gegeben hatten (Dawes-Plan
1924, Young-Plan 1929), stundeten und erließen sie dem NS-Regime. Zwanzig
US-Großkonzerne hatten in der gewerkschaftsfrei nach dem Führerprinzip
organisierten deutschen Wirtschaft eine ideale Wirkungsstätte, zum Beispiel
IBM, General Motors (Opel), Ford, General Electric, Westinghouse, EastmanKodak,
Goodrich, DuPont, Union Carbide. Sie nutzten gern auch von der SS gelieferte
Zwangsarbeiter.
Ohne die Ölprodukte von
Standard Oil (später Esso, Exxon) hätte die Wehrmacht die energieaufwendigen
Kriege in ganz Europa, Nordafrika und gegen die Sowjetunion nicht führen
können. Hitlers Blitzkriege – beispielsweise die Transportplanungen im
besetzten Europa – und die Judenerfassung wären ohne die
Informationstechnologien von ITT und IBM so nicht möglich gewesen.(3) Ford und
General Motors produzierten Motoren und Lkw für den Russland-Feldzug. Die vom
Wall-Street-Banker Thomas McKittrick geführte Bank for International
Settlements (BIS) in Basel verschaffte dem Deutschen Reich kriegsentscheidende
Devisen, etwa durch die Wäsche des Raubgoldes, das die Wehrmacht aus den
Tresoren der Zentralbanken der besetzten Staaten holte.(4)
Die USA, die kriegswichtige
Güter an Großbritannien und an die Sowjetunion verkauften, verhielten sich nach
dem 1941 formulierten Motto des Senators und ab 1945 amtierenden US-Präsidenten
Harry Truman: Wir machen erst mit beiden Seiten Geschäfte, lassen sie sich
gegenseitig so weit wie möglich umbringen, dann kommen wir.
Auf Initiative der USA
wurden 1944 der Internationale Währungsfonds IWF und die Weltbank gegründet,
die zum Finanzsystem der UNO wurden: Weltweite Kreditvergabe für Aufträge an
US-Konzerne und Banken, später dann auch für Unternehmen aus den befreundeten
Staaten. Diese Methoden führten zunächst für die „unterentwickelten“ Länder und
später auch für „entwickelte“ Länder zu Abhängigkeiten und
Austeritätspraktiken. Die US-Investmentbanken, die durch den New Deal an den
Rand gedrängt worden waren, verschafften sich neuen Einfluss.(5)
European unity und
Marshall-Plan
Nach 1945 bauten die USA
ein möglichst einheitliches Westeuropa als Bollwerk gegen die sozialistischen
Staaten Osteuropas auf, verbunden mit der „kulturellen“ Offensive für den
American way of life und für Hollywood.
Sie retteten damit zugleich
die westeuropäischen Eliten in Banken, Konzernen, dann auch in Politik,
Verwaltung, Medien und Wissenschaft, die mit den Nazis kollaboriert hatten, vor
Anklagen – insbesondere in den ehemals von den Nazis besetzten Staaten (vor
allem Frankreich, Belgien, Niederlande, Italien, Luxemburg, auch Dänemark,
Norwegen, Griechenland).(6) Die wichtigsten Instrumente waren Marshall-Plan,
NATO, CIA, Investitionen und Kulturindustrie.
Der Marshall-Plan brachte
entgegen der Legende wenig konkrete Hilfen, aber mit ihm wurden unter dem
Slogan „European unity“ und „single market“ Institutionen geschaffen, die
Vorstufen der Europäischen Union wurden: Europäische Zahlungsunion, CEEC, OECD,
CoCom (7). Die Handelsbeziehungen wurden liberalisiert. US-Unternehmen
investierten in westeuropäische Unternehmen – diese Summen lagen um ein
Vielfaches höher als die Marshall-Plan-Gelder. (8)
Kredite wurden nur unter
der Bedingung gezahlt, dass linke und neutralistische Parteien aus den
Regierungen, Parlamenten und Gewerkschaften ferngehalten wurden.
Marshall-Gelder flossen heimlich zur Finanzierung neu gegründeter
„christlicher“ und „konservativer“ Parteien.(9) Das American Committee on
United Europe förderte und finanzierte über die CIA sowie mithilfe der Ford
Foundation und des Rockefeller Institute neue Medien, Kongresse „Freiheit der
Kultur“, die Europäische Bewegung und die Bilderberg-Konferenz.(10)
CIA-Gründungsdirektor Allen Dulles verkörperte die enge Verzahnung des
Geheimdienstes mit Wall Street und US-Konzernen: Er war Anwalt der Chase
Manhattan, von United Fruit, Ford und während des Zweiten Weltkrieges der eng
mit der US-Chemieindustrie verbundenen I.G. Farben.
Die NATO vereinte auf
Initiative und unter Führung Washingtons die westeuropäischen Staaten militärisch,
wobei auch eine faschistische Diktatur wie die Salazars in Portugal
(Gründungsmitglied 1949) für die US-Variante der Demokratie geeignet war.
Spanien wurde unter Diktator Franco mit US-Militärbastionen bestückt. Auch in
Westeuropa verfuhren die USA nach dem Motto, das der New-Deal-Präsident
Franklin D. Roosevelt 1937 für den mittelamerikanischen „Hinterhof“ der USA
geprägt hatte: „Er ist ein Hurensohn, aber er ist unser Hurensohn.“ Gemeint war
damit in den 1930er Jahren der Diktator Somoza in Nicaragua.
Die USA zwangen ihre
Kriegsverbündeten Frankreich und Großbritannien, die Bundesrepublik Deutschland
in die neuen westeuropäischen Strukturen aufzunehmen und sie
wiederzubewaffnen.(11)
In Westeuropa waren vor
allem im Zweiten Weltkrieg alternative Konzeptionen der europäischen Einheit
entstanden: eine unter Führung Großbritanniens und Frankreichs; eine
europäische Föderation. Aus der italienischen Widerstandsbewegung gegen die
Nazis war Altiero Spinellis Manifest Für ein freies und vereintes Europa
hervorgegangen: Europa sollte sozialistisch werden und den arbeitenden Klassen
zur Emanzipation verhelfen.(12) Alle diese Konzepte wurden von den Vereinigten
Staaten verworfen bzw. ideologisch überlagert.
Der „Kalte Krieg“: ein
mörderisch heißer Krieg
Die Tendenz der Geschichte
lief nach dem Ende des Nationalsozialismus und der Schwächung der
traditionellen Kolonialmächte (Großbritannien, Frankreich, Niederlande,
Belgien) auf Demokratisierung und Entkolonialisierung hinaus, teilweise auf
Sozialismus. In West- und Osteuropa wie in Asien hatten die meist
sozialistischen und neutralistischen Widerstandsbewegungen gegen die
faschistische Achse die Unterstützung der Bevölkerungsmehrheiten. Die USA
machten es sich zur Aufgabe, die Entwicklung mit allen Mitteln aufzuhalten und
umzudrehen. Nicht zufällig war es Walter Lippmann, der Vater des
Neoliberalismus, der 1946 den Begriff „Kalter Krieg“ prägte.
Nach der militärischen
Niederschlagung des antifaschistischen Widerstandes in Griechenland (1946)
führten die USA den ersten heißen Krieg in Korea (1950-53). Im Iran stürzte die
CIA den gewählten Ministerpräsidenten Mossadegh, der den britischen Ölkonzern
AIOC verstaatlichte, und setzten den Diktator Reza Schah Pahlavi wieder ein
(1953)(13); danach besaßen US-Konzerne vierzig Prozent des neu gegründeten
Ölkonzerns British Petroleum (BP). In Südvietnam finanzierten die USA ab 1955
eine katholische Marionettenregierung gegen die Widerstandsbewegung Ho Chi
Minhs, die aus dem Widerstand gegen den Hitler-Verbündeten Japan hervorgegangen
war, lösten die geschlagene Kolonialmacht Frankreich ab und führten 1965 bis
1972 einen der grausamsten Kriege des 20. Jahrhunderts (flächendeckender
Chemiewaffeneinsatz). In Indonesien unterstützten die USA ein Massaker mit etwa
einer Million Toten und setzten den Diktator Suharto ein (1965). Auf den
Philippinen kam die Gönnerschaft dem Diktator Marcos zugute (1972). Dies war
jeweils mit IWF-Krediten sowie mit Freiheiten für Konzerne und Banken der USA,
dann auch Europas verbunden.
In ihrem lateinamerikanischen
„Hinterhof“ stachelten die US-Regierungen Bürgerkriege an und setzten ebenfalls
prokapitalistische Diktatoren ein, so nach Nicaragua (1933) auch in Kuba
(1952), Guatemala (1954), Haiti (1957). Sobald solche Diktaturen durch
Volksbewegungen gestürzt wurden wie in Nicaragua und Kuba, organisierten die
USA Putsch- und Mordversuche, militärische Angriffe und Wirtschaftsembargos
(1961 ff.).(14)
Bestehende Diktaturen
wurden und werden als Freunde der westlichen Kapitaldemokratie gefördert, so in
Saudi-Arabien und weiteren Scheichtümern. Gleichzeitig finanzierten die Saudis
nicht nur islamistische Gegner emanzipatorischer nationaler Regierungen wie
etwa die des ägyptischen Präsidenten Nasser (er hatte die britische
Marionetten-Monarchie gestürzt und den Suez-Kanal verstaatlicht), sondern etwa
auch den Wahlkampf von Ronald Reagan.(15)
Entspannungspolitik und
neue Spannung – Neoliberalismus
Ende der 1960er Jahre
schien es klar zu sein: Die Sowjetunion und die sozialistischen Staaten können
militärisch nicht zerstört werden. Die USA griffen allerdings nicht das Konzept
der „friedlichen Koexistenz“ auf. Es leitete die Außenpolitik der Sowjetunion
vom Vertrag von Rapallo mit dem Deutschen Reich (1922) bis zum Ende der Ära
Gorbatschow.
US-Präsident Jimmy Carter galt
als der „Entspannungs-Präsident“ (1977 bis 1981). Die Konferenz über Sicherheit
und Zusammenarbeit in Europa 1975 beschwor die Enthaltung von Gewalt sowie die
Achtung der Menschenrechte (KSZE 1975). Der Chef der Chase Manhattan Bank,
David Rockefeller, wie sein Vorgänger McCloy Chef des mächtigen Council on
Foreign Relations (CFR), initiierte 1973 die Trilaterale Kommission. Sie gab
den Verbündeten aus Westeuropa und Japan eine neue Möglichkeit, im informellen
Raum mitzudiskutieren. Sogar Gewerkschafter wurden einbezogen.(16)
Es wurden Verträge zur
Begrenzung des Wettrüstens und zur Zusammenarbeit geschlossen (SALT I, SALT
II). Allerdings beantragte Carter am Ende seiner Amtszeit den größten Anstieg
für Rüstungsausgaben seit dem Vietnam-Krieg(17) und förderte den Aufbau der
Diktatur in Ägypten unter Mubarak (1981 ff.). Carters Nachfolger Ronald Reagan
wollte die militärische Konfrontation durch aggressive, teils ins extrem
Irrationale ausartende Raketensysteme verschärfen (SDI, Mittelstreckenraketen).
Auch mörderische Terroraktionen gehörten zur Politik der Spannung, so durch die
NATO-Geheimarmee Gladio.(18)
„Entspannung“ und neue
Aggressivitäten bildeten eine Einheit. Neu war die „menschenrechtliche“
Propaganda, aus der allerdings die wesentlichen Rechte – wie die Sozial- und
Arbeitsrechte und das Folterverbot sowie das Völkerrecht – ausgeklammert
blieben und bis heute bleiben.
Der in den USA entwickelte
und durch Nobelpreise geadelte „Neoliberalismus“ stellte eine theoretisch
begründete, operativ konkretisierte Weiterentwicklung der Wall-Street- und
IWF-Praktiken dar. Er richtet sich bis heute auf die innere Umgestaltung des
Wirtschafts-, Finanz-, Politik- und kulturellen Systems nach noch aggressiveren
Renditepraktiken: Ersatz der staatlichen Finanz- und Wirtschaftskontrolle durch
private Selbststeuerung, Schwächung bzw. Zerschlagung der Gewerkschaften und
der Sozialsysteme, Ausverkauf des öffentlichen Eigentums.
Die Umsetzung begann in dem
nun um Mittel- auf Südamerika erweiterten US-„Hinterhof“. Das Programm wurde
mithilfe der einheimischen Eliten von US-Geheimdiensten, Militärberatern,
Wissenschaftlern, Unternehmensstiftungen, der staatlichen Agentur USAID und
PR-Agenturen wie Burson-Marsteller durchgezogen. Gegen unabhängige,
sozialistische, sozialdemokratische, auch populistische Regierungen in
Brasilien (1964), Chile (1973), Uruguay (1973), Argentinien (1976) und Grenada
(1983) wurden Militärputsche und Bürgerkriege inszeniert. Die CIA koordinierte
die diversen Geheimdienste, bildete sie aus und verwissenschaftlichte die
Foltermethoden. Der „Kampf gegen den Terrorismus“ bezog sich hier auf Akteure,
die die nationalen Ressourcen im Land selbst nutzen wollten. (19)
Die US-Regierung
verschaffte sich für die Exporte ihrer Konzerne mit der legalen Steuerverkürzung
über Briefkastenfirmen Kostenvorteile vor der internationalen Konkurrenz
(1971): Die Konzerne dürfen seitdem über Finanzoasen etwa in der Karibik und im
US-Bundesstaat Delaware die Steuern minimieren. Das wurde von der EU immer
wieder kritisiert – erfolglos. Heute gehört diese okkulte Parallelstruktur zum
Standard auch in der EU.
Untergang des
Sozialismus, Europäische Union, „Globalisierung“
Der Zusammenbruch der
sozialistischen Staaten in den Jahren 1989/90 bedeutete das Ende des „Kalten“
Krieges. Gegen den Vorschlag des Vertreters der als System untergehenden
Sowjetunion, Michail Gorbatschow, setzten die USA in den 2+4-Verhandlungen
unter anderem Folgendes durch: Die BRD wird kein neutraler kapitalistischer
Staat, und auch Europa darf nicht neutral werden: Gorbatschow hatte einen
„Commonwealth freier Nationen“ vorgeschlagen, die ihre unterschiedlichen
Eigentumsordnungen behalten sollten. So viel nationale und kapitalistische
Freiheit und Selbstbestimmung waren für die USA zu viel.(20) Die USA verhinderten
die Auflösung der NATO, obwohl der sie ursprünglich begründende Feind, der
sozialistische Ostblock, sich auflöste, sowohl als Block wie auch als
Sozialismus.
Die neuerliche
wirtschaftlich-finanzielle Expansion der USA hatte etwa in der Ära der „Entspannung“
begonnen. Dafür steht zum Beispiel die von der Carter-Regierung 1980
veröffentlichte Studie Global 2000, die allerdings von ökologischem Süßholzgeraspel
und sozialem Katastrophismus geprägt war.(21) Zum großflächigen Durchbruch kam
diese Entwicklung erst mit dem Sieg über den Sozialismus ab 1990. So
durchdrangen EU und USA die nachsozialistischen Staaten durch Aufnahme in die
NATO und in die EU, auch durch die Förderung korrupter einheimischer Eliten
(Jelzin, Chodorkowski …) nach dem bewährten Motto „aber er ist unser
Hurensohn“ bzw. „er ist unser Demokrat“. Und aus dem Ende des „Kalten“
Krieges gingen neue heiße Kriege hervor.
Die NATO präzisierte dabei
auch ihre Rolle bei der Sicherung von Ressourcen rund um den Globus. Die USA
erweiterten ihre Investitionen in der EU, ebenso ihre Militärbasen in Europa
und weltweit auf etwa 800. Deutsche und andere europäische Konzerne und Banken
gründeten Niederlassungen in den USA, erschlossen sich den dortigen Markt und
folgten in die eroberten Gebiete. Während der politischen und militärischen
Zerschlagung Jugoslawiens und der Privatisierung seiner Unternehmen und
Ressourcen kam es zu gelegentlichen Differenzen zwischen USA, EU und der BRD
bei der Strategie und bei der Verteilung der Beute (1991-1999).(22)
US-Investmentbanken
gründeten Niederlassungen in der EU und in der BRD. Sie leiteten die großen
zentralstaatlichen Privatisierungen und Börsengänge. Sie setzten die
Anerkennung ihrer Finanzpraktiken durch, etwa Cross-Border Leasing (seit 1995),
Verkauf von Krediten (Verbriefung, Forfaitierung), steuerbefreite
Wohnungsholdings (Real Estate Investment Trusts, REIT) und die Zulassung von
Hedgefonds und Private-Equity-Fonds. Europäische Banken übernahmen diese
Praktiken, ebenso das lukrative Geschäftsfeld Mergers & Acquisitions, das
heißt kreditfinanzierte Fusionen und Übernahmen von Unternehmen. EU und BRD
unterwarfen sich dem US-Ratingsystem und den drei führenden
US-Ratingagenturen.(23)
Die USA initiierten in
dieser Phase diverse Gremien, die als eine Art Nebenregierungen, Ersatz und
Alternative zur UNO agieren. 1995 wurde die internationale Handelsorganisation
GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) zur Welthandelsorganisation WTO
(World Trade Organization) umstrukturiert. Die G7 als Treffen der von den USA ausgesuchten
wichtigsten Kapitaldemokratien wurden 1998/99 erweitert auf die G20, wobei IWF,
Weltbank und Europäische Zentralbank dazugenommen wurden und Russland bei
Finanz- und Wirtschaftsentscheidungen ausgeschlossen ist. Wenn den USA die UNO
nicht passt, dann ziehen sie diffuse Konstrukte wie die „Gemeinschaft der
Willigen“ und die „Weltgemeinschaft“ aus der Tasche. Auch die immer stärker von
der BRD geführte EU entwickelt sich zu einer Investoren-Schutzgemeinschaft. So
wurde die westliche Kapitaldemokratie zur „besten Demokratie, die man kaufen
kann“.(24)
Die neuen Feinde
Aus der sogenannten
Finanzkrise gehen die Verursacher und Profiteure gestärkt hervor. Auf die
aktive Zustimmung von Bevölkerungsmehrheiten wird mehr denn je verzichtet.
Deshalb kann die Ausbeutung
der Volkswirtschaften – nicht nur derer am Rande wie die der südeuropäischen
EU-Staaten, sondern auch die der Kernstaaten USA und der reicheren EU-Staaten –
verschärft werden. Städte in den reichsten westlichen Staaten gehen bankrott
resp. ihre Haushalte werden zu Tode gekürzt. Teile der Infrastruktur verfallen.
Die Arbeitslosigkeit bleibt bei allen Schwankungen strukturell auf hohem
Niveau. Die Degradierung der Arbeit und die Möglichkeiten der privaten
Bereicherung werden staatlich weiter befördert. Die strukturelle Ausbreitung
der „working poor“ (derjenigen, die Arbeit haben und dennoch arm bleiben), die
sich in den USA bereits in den 1970er Jahren etablierte(25), greift
folgerichtig auch in der EU.
Der seit dem Angriff auf
das World Trade Center 2001 von den USA neu inszenierte „Krieg gegen den
Terror“ ist strukturell so angelegt wie der seit einem halben Jahrhundert
geführte US-„Kampf gegen die Drogen“: Der geheimdienstlich unterwanderte Gegner
ist diffus, überall und nirgends. Der Kampf ist nie erfolgreich und zu Ende,
weil er einem ganz anderen Zweck dient (Bestrafung, Disziplinierung und
Ausbeutung der Armen).(26)
Der heutige Kampf gegen den
Terrorismus ist ebenfalls nie erfolgreich und nie zu Ende, weil auch er einem
anderen (Haupt-)Zweck dient: der Strategie der Spannung und der direkten und
indirekten Eroberung der Welt, sei es von Absatz- und Investitionsmärkten, von
Erdöl, Gas, Seltenen Erden und Metallen, sei es für die Nutzung von
Militärbasen, für Energienetze und Transportwege oder sei es für die
Etablierung regionaler Statthalter, mit einem breiten Spektrum von
„Hurensöhnen“ etwa im Irak, in Afghanistan, Libyen. Die demokratische
Unregierbarkeit von Staaten und dauerhafter Terrorismus werden in Kauf genommen
bzw. instrumentalisiert.
Die USA haben 2012 die
Errichtung neuer Freihandelszonen angestoßen, so mit der EU (Transatlantik
Trade and Investment Partnership, TTIP) und mit sieben pazifisch-asiatischen
Staaten (Trans-Pacific Partnership, TPP). Hier sollen insbesondere die Rechte großer
Investoren auf sichere Gewinne festgeschrieben werden (und zwar schärfer als in
der WTO), ebenso soll die rechtlich-okkulte Parallelstruktur verbindlicher
privater Schiedsgerichte etabliert werden.(27)
Den neuen „Kalten Krieg“
führt die US-dominierte Kapitalmacht gegen die Staaten, die nicht, nicht mehr,
noch nicht oder erst teilweise für das „westliche“ Kapitalsystem geöffnet sind.
Der heftigste „Kalte Krieg“ gilt China und Russland sowie den widerspenstigen
lateinamerikanischen Staaten.
Die westliche Kapitalmacht
will nicht die Demokratie verbreiten, aber auch nicht den Kapitalismus (der
fremden Kapitalisten gehört), sondern sie will die einzige Kapitalmacht werden.
US-Statthalter in der
EU: Bundesrepublik Deutschland
In keinem westeuropäischen
Land wurden nach dem Zweiten Weltkrieg die Verhältnisse so sehr nach
US-Vorgaben neu geordnet wie in der BRD. Die USA retteten das deutsche Kapital
zunächst auf dem begrenzten Gebiet Westdeutschlands. Ab 1949 bildete die BRD
das Herzstück des antikommunistischen Bollwerkes in Westeuropa. Das lag nicht
nur daran, dass die BRD territorial an der Nahtstelle zum Sozialismus lag.
Vielmehr nutzten die USA das hier weiter vorhandene antikommunistische
Potenzial, das auch nach dem Nationalsozialismus stärker verankert war und ist
als in jedem anderen europäischen Staat.
Auch hier galt das Prinzip:
Sie sind „Hurensöhne“, aber sie sind unsere „Hurensöhne“ (wobei die
verächtliche Kennzeichnung nie so ganz ernst gemeint war). Das galt ebenso für
den Bundesnachrichtendienst: Die CIA übernahm das Personal des
Nazi-Auslandsgeheimdienstes, schulte es in den USA und installierte damit 1956
den BND unter Leitung des ehemaligen Chefs Fremde Heere Ost, Reinhard Gehlen.
Ein Geschenk für die BRD
war der Erlass bzw. die zinsgünstige, jahrzehntelange Stundung der Vorkriegs-
und Weltkriegsschulden (Londoner Schuldenabkommen 1952). Außerdem verschoben
die Westalliierten den üblichen Friedensvertrag in eine ungewisse Zukunft. Sie
erließen der BRD alle Reparationen für die Ausraubung der im Weltkrieg von der
Wehrmacht besetzten Staaten (Nahrungsmittel, Maschinen, Rohstoffe,
Zwangsarbeiter). Ohne all dies wäre das „Wirtschaftswunder“ nicht möglich
gewesen.
US-Konzerne investierten.
Eine wesentliche Rolle beim Aufbau der BRD spielten US-Banken. David
Rockefeller von der Chase Manhattan Bank schrieb in seinen Memoiren unverblümt:
„In enger Zusammenarbeit mit Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte Jack den
Vorsitz bei der Gründung Westdeutschlands, seiner Wiederbewaffnung und seinem
Anschluss an die Alliierten inne.“(28) Jack – das war Adenauers verehrter
großer Bruder John McCloy: Der Wall-Street-Banker wurde 1947 Präsident der
Weltbank, bevor er zum Hohen Kommissar dessen wurde, was Rockefeller noch 2008
als „Westdeutschland“ bezeichnete. Nachdem McCloy mit Adenauer also die
provisorische BRD gegründet hatte, ging er 1953 an die Wall Street zurück,
wurde Präsident der Chase Manhattan Bank und bis 1970 Vorsitzender des Council
on Foreign Relations.(29)
Bei der zweiten Rettung –
mit der deutschen Wiedervereinigung 1990 ff. – verschafften die USA, wiederum
gegen Widerstände aus Frankreich und Großbritannien, der BRD noch das
Territorium der Ex-DDR. Die USA hatten schon 1948 darauf gedrungen, dass die
BRD nur eine provisorische Verfassung, das Grundgesetz, bekam. 1990 ff. sorgten
sie erneut dafür, dass der grundgesetzliche Auftrag, bei einer
Wiedervereinigung endlich eine Verfassung zu beschließen, nicht verwirklicht
wurde – aus Angst vor der Bevölkerung, die nach dem Einigungsvertrag zwischen
BRD und DDR darüber abzustimmen hätte. Und wieder, zum zweiten Mal, wurde der
fällige Friedensvertrag mit 110 am Weltkrieg beteiligten Staaten
ausgeschlossen, diesmal für immer.(30) Ohne Friedensvertrag mit der Welt, seit
Staatsgründung über Jahrzehnte ohne Verfassung – das lässt vieles offen. So
agiert nur eine Minderheit von Staaten, Israel zum Beispiel.
Die Bundesregierung Kohl
mit Finanzminister Theodor Waigel ermöglichte die Privatisierung der Betriebe
und Liegenschaften der Ex-DDR außerhalb des für die Beschäftigten und die
Bevölkerung günstigeren Treuhand-Gesetzes. Mithilfe von Leihmanagern der
interessierten Konzerne und Banken und mithilfe von Investmentbanken,
Wirtschaftsprüfern und Unternehmensberatern aus den USA.(31)
So wurde die erweiterte BRD
endgültig zum Schlüsselstaat für die Umgestaltung Europas. So jubelte ebenso
selbstbewusst wie unterwürfig der nun gesamtdeutsche Außenminister Genscher,
allerdings nur im kleinen Kreis: „Niemals zuvor war der amerikanische
Einfluss auf die Entwicklung Europas so groß wie heute … Danke Amerika.“(32)
Das im Grundgesetz Artikel
10 verankerte und als zentrales Freiheitsrecht gepriesene Brief- und Fernmeldegeheimnis
hat nie bestanden(33) und besteht auch heute im Zeitalter des vom
US-Verteidigungsministerium in Gang gesetzten Internet nicht. Von deutschem
Boden aus können US-Militärs mit und ohne Zustimmung der Bundesregierung
gezielte Tötungen etwa in Afrika vollstrecken (AFRICOM-Befehlsstand in
Stuttgart), obwohl laut Grundgesetz in Deutschland die Todesstrafe verboten
ist. Die BRD ist nicht souverän, die Bundesregierung macht sich strafbar
(34), eigentlich, kann aber nach herrschender Grundgesetz-Auslegung nicht
sanktioniert werden.
Das „deutsche“ Kapital
schwindet im mächtigen, subalternen Staat Deutschland und sucht seinen Platz in
der globalen Kapitalmacht. Mitte der 1990er Jahre gehörten 20 Prozent aller
Aktien der führenden deutschen Konzerne (die 30 DAX-Unternehmen) ausländischen
Investoren, insbesondere solchen mit Kernsitz in den USA, bis 2012 war deren
Anteil auf 58 Prozent gestiegen. Natürlich haben die genannten Investoren
auch Anteile an Unternehmen, die nicht im DAX gelistet sind. Dazu kommen die
Private-Equity-Investoren, die sich in Tausende von lukrativen „deutschen“
Mittelstandsfirmen eingekauft haben.(35)
Entdemokratisierung und
Ausbeutung
Bisher ist die US-geführte internationale Kapitalmacht
sicher. Sie hat sich mithilfe eines breiten Spektrums an Macht- und
Einflussinstrumenten gefestigt, auch in und durch sogenannte Krisen, wobei alle
Instrumente und ihre Handhabung wohl erst in heftigeren Konfliktsituationen
sichtbar würden. Diese Macht wurde und wird allerdings erkauft durch
Entdemokratisierung, durch systematische Verletzung der zentralen
Menschenrechte sowie durch vielfältige Formen der Ausbeutung, Enteignung und
moralischen Degradierung. Die politisch und wirtschaftlich Mächtigen wissen
längst, dass sie die Zustimmung der Bevölkerungsmehrheiten nicht mehr haben.
Wissen das aber auch Letztere, und können sie dies
nachhaltig und damit auch wirkungsvoll zum Ausdruck bringen?
Der Artikel erschien zuerst in Hintergrund, Heft 4, 2013.
Anmerkungen und Quellen
(1) Zum
hier zugrundegelegten Analysemuster (Kapitalismus als nicht nur ökonomisches
sondern auch militärisches, geheimdienstliches, kulturelles, rechtliches usw.
System) vgl. Werner Rügemer: Ratingagenturen. Einblicke in die Kapitalmacht der
Gegenwart. Bielefeld 2012.
(2) Dazu detailliert Jacques Pauwels: Der Mythos vom guten
Krieg. Die USA und der 2. Weltkrieg. Köln 2006
(3) Vgl. Edwin Black: IBM und der Holocaust. München /
Berlin 2001
(4) Zur BIS siehe Rügemer a.a.O. S. 36 f.
(5) Attali a.a.O., S. 267
(6) Zu Frankreich siehe exemplarisch und detailliert: Anne
Lacroix-Riz: Le Choix de Marianne, Paris 1985; diess.: Industriels et Banquiers
sous l‘Occupation. La Collaboration économique avec le Reich et
(7) CEEC = Committee for European Economic Cooperation, OECD
= Organisation for Economic Co-operation and Development, , COCOM =
Coordinating Committee for East West Trade Policy
(8) Schon bis 1948 betrugen die direkten US-Investitionen
das Achtfache der Marshall-Plan-Hilfen. Das wurde entgegen der bis heute dominierenden
Legendenbildung teilweise damals erkannt, siehe J. Schopp (= Josef
Schleifstein): Was ist der Marshall-Plan? Frankfurt/Main 1948, S. 33. www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de/article/452.was-ist-der-marshall-plan.html
(9) Zum Marshall-Plan und seinen Begleitmaßnahmen siehe
Michael Hogan: The Marshall Plan.
(10) Christopher Booker / Richard North: The Great
Deception. Can the European Union survive?
(11) David Reynolds (Hg.): The Origins of the Cold War in
(12) Booker / North a.a.O., S. 37 ff.
(13)
Der Regierungssturz gilt als zunächst tastend entwickeltes Muster für spätere
Putsche: CIA bezahlt unabhängig voneinander Abgeordnete, Journalisten,
Offiziere, mafiotische Clans (die gegeneinander auf den Straßen kämpfen, eine
spielt die kommunistische Partei, die Moskau um Hilfe ruft…), siehe Stephen
Kinzer: Putsch! Zur Geschichte des amerikanischen Imperialismus, Frankfurt/Main
2007, S. 171 ff. und Tim Weiner: DIA – die ganze Geschichte. Frankfurt/Main
2008, S. 122 ff.
(14) Wie in den folgenden Abschnitten erhebt die Nennung der
von den USA (mit)organisierten, unterstützten Putsche, Kriege, militärischen
Interventionen u.ä. keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
(15) Vgl. Said Aburish: The Rise, Corruption and
Coming Fall of the House of Saud. New York 1995
(16) David Rockefeller: Erinnerungen eines Weltbankiers.
München 2008, S. 570 ff.
(17) Philip Zelikow / Condoleeza Rice: Sternstunde der
Diplomatie. Die deutsche Einheit und das Ende der Spaltung Europas. Berlin
1999, S. 35. Die Autoren waren außenpolitische Berater der US-Regierung.
(18)
(19) Ausführlich dazu Naomi Klein: Die Schockstrategie. Der
Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus. Frankfurt/Main 2007, S. 39 - 182
(20) Zelikow / Rice a.a.O., S. 58
(21) Siehe Sonderdruck der Blätter für deutsche und
internationale Politik „Global 2000“ mit Beiträgen von Werner Rügemer, Edgar
Gärtner und Armin Bechmann, Köln 1982.
(22) Vgl. Hannes Hofbauer: Experiment Kosovo, Wien 2008, S.
66 ff.
(23) Rügemer: Ratingagenturen a.a.O., S. 27 ff.
(24) Vgl. Greg Palast: The Best Democracy you Can Buy.
London 2002
(25) Werner Rügemer: Strukturveränderungen in Arbeits- und
Lebensbedingungen der abhängig Beschäftigten in den USA, WSI-Mitteilungen
6/1986, S. 394 ff.
(26) Alexander Cockburn / Jeffrey St. Clair:
Whiteout. The CIA, Drugs and the Press.
(27) Corporate Europe Observatory: Unravelling the spin: a
guide to corporate rights in the EU-US trade deal,
(28) Rockefeller a.a.O., S. 214
(29) Booker / North a.a.O., S. 53
(30) Zelikow / Rice a.a., S. 293
(31) Siehe Rügemer: Privatisierung in Deutschland. Eine Bilanz. Münster 2008, S. 38 ff.
(32) Zelikow / Rice a.a.O., S. 469
(33) Vgl. Josef Foschepoth: Überwachtes Deutschland.
Göttingen 2013
(34) Heribert Prantl: Deutschland, ein Tatort, Süddeutsche
Zeitung 3.6.2013
(35) Ausführlich dazu: Rügemer: Deutsches Kapital: Gibt es
das (noch)? Z. Zeitschrift für marxistische Erneuerung September 2013.