Der türkische Bürgerkrieg kommt nach Deutschland

von Peter Orzechowski

Was wirklich hinter dem EU-Deal mit der Türkei steckt, zeigt sich jetzt ganz deutlich: Erdoğan will in den Kurdengebieten syrische Flüchtlinge ansiedeln und die von ihm gehassten Kurden in die EU, also nach Deutschland, vertreiben. Dadurch bräuchte Kanzlerin Merkel nicht das Ende des Flüchtlingsstroms zu befürchten und könnte als weitere Destabilisierungs-Taktik den türkischen Bürgerkrieg nach Deutschland holen.

Dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine »Endlösung« der Kurdenfrage anstrebt, war schon vor dem Handel mit der EU klar: Nach einer zweijährigen Waffenruhe war der Konflikt zwischen Türken und Kurden – dem seit 1984 rund 40 000 Menschen zum Opfer fielen – im Sommer 2015 neu aufgeflammt.

Mitte März ging dieser Krieg Ankaras gegen die kurdische Befreiungsbewegung im Südosten der Türkei in eine neue Phase. Wochenlange flächendeckende Bombardements, Luftschläge und Artillerieangriffe schossen den kurdischen Widerstand sturmreif. Öffentlich war die Rede von einer kompletten »Säuberung« des Gebiets von »Terroristen«. Hunderttausende befinden sich – wie ich bereits hier auf Kopp Online berichtet habe – auf der Flucht vor den Gefechten.

Die schiere Masse des eingesetzten militärischen Geräts und Personals zeigt, dass es dem Erdoğan-Regime ernst ist: Alleine in die 70 000 Einwohner zählende Gemeinde Yüksekova wurden 20 000 Soldaten und Mitglieder von Spezialeinheiten mit 80 Kampfpanzern entsandt.

Am Dienstag hat Erdoğan nun vorgeschlagen, Unterstützern der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) die türkische Staatsbürgerschaft abzuerkennen. Als Unterstützer bezeichnete Erdoğan vor Anwälten in Ankara Akademiker, Journalisten und Politiker, die »wie ein Wolf im Schafspelz« agierten.

»Diese Leute haben es nicht verdient, unsere Mitbürger zu sein«, sagte Erdoğan. »Wir sind nicht dazu verpflichtet, Leute mitzutragen, die ihren Staat und ihr Volk verraten.« Die Unterstützer der PKK seien »auch nicht anders als Terroristen, die Bomben werfen«. Es sei nicht zulässig, »Verrat an Staat und Nation« zu begehen.

Angst und Terror

Erdoğans Strategie ist auch seit Längerem klar: kollektive Bestrafung der Zivilbevölkerung sowie die Schaffung einer Atmosphäre der Angst. Insbesondere die aus islamistischen und faschistischen Kämpfern zusammengesetzten Spezialeinheiten von Polizei und Gendarmerie, die Polis Özel Harekat (PÖH) und die Jandarma Özel Harekat (JÖH), verüben Terrorakte gegen die Zivilbevölkerung. Im Internet posieren sie stolz vor zerstörten Wohnhäusern, beschmieren die Wände kurdischer Gebäude mit nationalistischen Parolen und veröffentlichen Fotos, auf denen sie, über Leichen von Kurden gebeugt, den Gruß der faschistischen »Grauen Wölfe« zeigen.

Der Terror soll die kurdische Bevölkerung auch aus ihrer Heimat vertreiben. Am Beispiel des Altstadtbezirks Sur der Großstadt Diyarbakır wird diese Vertreibungspolitik deutlich: Wenige Dutzend kurdische Kämpfer hatten das von historischen Befestigungsmauern eingeschlossene Gebiet mit seinen engen, verschachtelten Gassen über Monate gegen eine zahlenmäßig wie technisch weit überlegene türkische Streitmacht gehalten.

Jetzt soll Sur völlig neu gestaltet werden. Die Straßen sollen so gebaut werden, dass sie mit schwerem Militärgerät befahrbar sind. »Nachdem die Arbeit der Zerstörung erledigt ist, lassen wir die davon betroffenen Bürger temporär woanders wohnen. Danach kann unter der Leitung unseres Ministeriums oder auch der staatlichen Wohnungsbaubehörde TOKI die urbane Transformation erfolgen. Neue Lebensräume müssen geschaffen werden«, erklärte Fatma Güldemet Sarı, AKP-Ministerin für Umwelt und Stadtplanung, bereits im Dezember 2015.

Hier kommt die Jahrtausende alte Eroberungstaktik zum Einsatz: Man kann die einheimische Bevölkerung nur unterdrücken, wenn man deren soziale und kulturelle Wurzeln zerstört.

Der zweite Teil der Taktik lautet: Neuansiedlung von politisch »zuverlässigen« Bürgern. Auch das plant die türkische Regierung durch massenhafte Ansiedlung von Flüchtlingen aus dem benachbarten Syrien. Das Kalkül dabei: Die mehrheitlich arabischen und sunnitischen Neuankömmlinge können ein Gegengewicht zu der in den kurdischen Gebieten bei Weitem stimmenstärksten Partei, der linken kurdischen HDP, bilden. »Wir unterstützen Bemühungen, Flüchtlinge zu empfangen und ihnen zu helfen. Aber das Vorhaben der Regierung hat nichts mit Unterstützung zu tun, es ist vielmehr Teil einer breiter angelegten politischen Strategie, um hier Fuß zu fassen«, kommentierte der HDP-Parlamentarier Mahmut Toğrul die Instrumentalisierung von Geflüchteten durch die AKP im Gespräch mit der kurdischen Nachrichtenagentur Rudaw.

Um es klar zu sagen: Der EU-Türkei-Deal ist für die kurdische Bewegung eine Katastrophe. Die EU-Staaten haben damit Erdoğan freie Hand in seinem schmutzigen Krieg gegen die Kurden zugesichert. Druck von außen oder gar Sanktionen sind mittelfristig nicht zu erwarten. Die Kurden sind, wieder einmal, auf sich allein gestellt.

Der türkische Bürgerkrieg wird auch in Deutschland gekämpft

Gehen uns Deutsche die Kurden etwas an? Und ob. Denn sie könnten zu Hunderttausenden aus ihrer Heimat vertrieben werden – und damit den Bürgerkrieg nach Deutschland tragen. Am kommenden Sonntag könnte es schon losgehen. Türkische Nationalisten wollen bundesweit gegen die kurdische Befreiungsbewegung und die Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, auf die Straße gehen. »Die türkische Community in Deutschland will die Sache nun selbst an sich reißen«, heißt es drohend in einem Aufruf zu einem sogenannten »Friedensmarsch für die Türkei und EU«.

Zeitgleich sollen in Hamburg, Frankfurt am Main, Stuttgart, Nürnberg, München, Köln und Hannover diese Aufmärsche als »Protest gegen den Terror der PKK und des IS« stattfinden. Der türkischsprachige Aufruf lautet: »Alles für das Vaterland – Märtyrer sind unsterblich – Das Vaterland ist unteilbar«. Unter solchen Losungen wird derzeit auch in der Türkei zu Demonstrationen mobilisiert, mit denen die Angriffe der Armee auf kurdische Städte propagandistisch begleitet werden.

Veranstalter ist ein bislang unbekanntes »Deutsches Neue-Türken-Komitee« (AYTK), das beim Internetunternehmen Facebook mit dem Zusatz »Unabhängige Vaterlandsliebende« firmiert. In seiner Selbstdarstellung nennt sich das AYTK unabhängig und überparteilich. Es bietet arbeits- oder wohnungslosen Türken oder türkischstämmigen Strafgefangenen in Deutschland soziale und rechtliche Unterstützung an. Beobachter vermuten, dass der türkische Geheimdienst MİT hinter dem AYTK steht.

Für den Schutz der Aufmärsche sei gesorgt, heißt es in einem der Aufrufe, die das AYTK im Internet verbreitet. Der Security-Unternehmer Timur Yüksek will die Demonstrationen von seinen Leuten begleiten lassen, um »Eskalationen am Rande der Kundgebungen durch extremistische PKK-Sympathisanten vorzubeugen«, meldete das nationalistische Webportal Turkishpress. Yüksek, der auf seiner Facebook-Seite neben dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan posiert und das Präsidialamt als seinen Arbeitgeber angibt, ist laut Turkishpress für den Personenschutz des türkischen Premiers und des Staatschefs zuständig.

»Das AKP-Regime scheint entschlossen zu sein, seinen schmutzigen Krieg nach Deutschland zu übertragen«, warnt ein Bündnis aus 15 türkischen und kurdischen Migrantenvereinigungen.

Von Peter Orzechowski ist im Kopp-Verlag das Buch „Am Vorabend des Dritten Weltkrieges“ erschienen. „Was Hellseher für unsere nahe Zukunft prophezeien und was politische Fakten bestätigen“

Quelle: http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/europa/peter-orzechowski/der-tuerkische-buergerkrieg-kommt-nach-deutschland.html