Türkei > Kurden demonstrieren Friedenswillen
„Wir sind bereit für den Frieden – Doch die AKP muss
zunächst ihren Friedenswillen praktisch unter Beweis stellen“
Historische Deklaration der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften
Kurdistans), ANF (kurdische Nachrichtenagentur) Ajansa Nûçeyan a Firatê,
20.08.2016
„In den letzten Tagen habe einige Staaten, einige
zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für die Lösungen in bewaffneten
Konflikten einsetzen, einige unserer befreundeten Organisationen in
Südkurdistan und einige Kreise und demokratische Kräfte wie die HDP in der
Türkei Aufrufe an uns gerichtet, wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren
und die kurdische Frage auf dem Weg der Verhandlungen zu lösen. Als Reaktion
auf diese Aufrufe möchten wir mit dieser Deklaration unsere Haltung hierzu der
Öffentlichkeit kundtun.“
Mit diesen Worten leitete die Gemeinschaft der Gesellschaften
Kurdistans (KCK) eine am 20. August 2016 veröffentlichte Deklaration an die
Öffentlichkeit ein. Zusammengefasst drückt die KCK hierin ihre Bereitschaft für
eine friedliche Lösung der kurdischen Frage aus, macht allerdings deutlich,
dass hierfür die ersten Schritte von Seiten der türkischen Regierung ausgehen
müssen.
Die in der KCK Deklaration benannten dringenden
Schritte für die Lösung der kurdischen Frage lauten wie folgt:
„Die AKP-Regierung muss in einer öffentlichen
Erklärung den Völkern der Türkei klar machen, dass sie den Willen hat, die
kurdische Frage zu lösen und die hierfür notwendigen Schritte zu tätigen. Es
muss der Beschluss gefasst werden, dass eine Delegation des türkischen
Parlaments, an der auch die Mitglieder der HDP beteiligt sind, Herrn Abdullah
Öcalan, den Vorsitzenden der Kurdischen Freiheitsbewegung und
Verhandlungspartner bei der Lösung der kurdischen Frage, auf der Gefängnisinsel
Imrali besuchen. Herrn Öcalan muss die Möglichkeit gegeben werden mit seiner
eigenen Organisation, allen inner- und außerparlamentarischen Parteien, und
allen Kreisen, welche die Frage der Demokratisierung des Landes als ihre eigene
Frage begreifen, wie bspw. den alevitischen Verbänden, der Zivilgesellschaft
und den Intellektuellen des Landes in Kontakt und Dialog zu treten. Werden die
Schritte getätigt und diese Möglichkeiten eröffnet, so sind wir als
Freiheitsbewegung bereit, unserer Verantwortung in einem gegenseitigen Prozess
gerecht zu werden“, so die KCK.
Die AKP ist für den Putschversuch vom 15. Juli
verantwortlich
In der Erklärung wird die AKP-Regierung für den
Putschversuch am 15. Juli 2016 sowie den andauernden Krieg verantwortlich
gemacht. Die KCK begründet dies mit der Ablehnung des
Dolmabahce-Übereinkommens, die totale Isolation Abdullah Öcalans auf Imrali und
die Ablehnung der Wahlergebnisse des 07. Juni 2015 durch die türkiche Regierung
und erklärt, dass auf diese Weise der “Putschmechanismus” in der Türkei
angetrieben wurde. In der Deklaration heißt es weiter: “Unser Vorsitzender Öcalan
hat Ende 2012 die Waffenruhe erklärt, 2013 zu Newroz ein Manifest zur
Demokratisierung der Türkei verfasst und die bewaffneten Einheiten der PKK
aufgerufen, sich aus den Grenzen der Türkei zurückzuziehen. Unser Vorsitzender
hat einen Drei-Punkte-Plan zur Demokratisierung der Türkei vorgelegt. Im Rahmen
dieses Plans haben unsere Kräfte den Rückzug aus der Türkei aufgenommen und die
Polizisten und Soldaten, die sich in der Hand unserer Kräfte befanden, in die
Freiheit entlassen. All dies wurde getan, um die türkische Regierung dazu zu
bewegen, Schritte in Richtung der Lösung und der Demokratisierung der Türkei zu
tätigen. Doch die AKP hat auf keine unserer Schritte reagiert. Stattdessen
haben sie sich mit dem Zustand des Waffenstillstands begnügt und ihn für den
Erhalt ihrer eigenen Macht missbraucht.“
Das Vernichtungskonzept der AKP als Antwort auf
unseren Friedenswillen
Weiter heißt es in der Deklaration der KCK wie folgt:
“Trotz aller falschen und negativen Aktionen der
Gegenseite hat unsere Bewegung an der Waffenruhe festgehalten und der Regierung
weitere Chancen gegeben, Schritte in Richtung Demokratisierung zu tätigen. Herr
Öcalan wies bei jeder Gelegenheit darauf hin, dass Strukturen im Staat
bestehen, die eine Lösung der kurdischen Frage nicht wollen. Diese
Strukturen, die erstmals von ihm als paralleler Staat bezeichnet wurden, seien
in der Lage einen Putschmechanismus in der Türkei in Gang zu setzen. Unser
Vorsitzender Öcalan hat vielfach deutlich gemacht, dass Strukturen wie diese
nur durch die ungelöste kurdische Frage und die Nicht-Demokratisierung der
Türkei fortbestehen können. Allerdings wurden diese Mahnungen vom türkischen
Staatspräsidenten Erdogan und seiner Umgebung nicht ernstgenommen.
Stattdessen haben sie auf eine Hinhaltetaktik gesetzt und keine Schritte in
Richtung der Lösung getätigt, was letztlich den Putschmechanismus in der Türkei
in Gang gesetzt hat.
Mit der Entscheidung des türkischen Sicherheitsrates
im Sommer 2014, ein Vernichtungskonzept gegen die kurdische Freiheitsbewegung
in Gang zu setzen, wurde der Putschmechanismus vollends aktiviert. Dadurch
wurde der Krieg gegen unsere Bewegung dem Militär überlassen. Dies führte dazu,
dass die Armee in den Vordergrund getreten ist. Die Erklärung des damaligen
Ministerpräsidenten Davutoglu, dass er derjenige sei, der den Befehl zur
Vorbereitung der Armee und der Polizei gegeben habe, ist der klare Beweis
dafür, dass die AKP den Putschmechanismus angestoßen hat.”
Die totale Isolation Öcalans
Die wichtigsten Triebfedern für den Putschmechanismus
waren die Ablehnung der Dolmabahce-Erklärung1, Totalisolation Öcalan seit dem 5. April letzten
Jahres, die Nicht-Anerkennung der Wahlergebnisse vom 7. Juni und die Umsetzung
des vollständigen Kriegskonzepts nach dem 24. Juni. Weshalb gewisse
internationale Kräfte nach den Wahlen vom 7. Juni den Kriegskurs der AKP
unterstützt haben, wird nun nach dem gescheiterten Putschversuch noch
deutlicher. Diese internationalen Kräfte haben deshalb die Augen vor der
Vernichtung der kurdischen Städte verschlossen, weil sie sich im Umfeld der
anhaltenden Auseinandersetzungen sowohl eine Schwächung der AKP als auch der
PKK erhofft hatten. Auf Grundlage dieser Schwächung sollte der
Putschmechanismus dann zum Erfolg in der Türkei führen.
Der Putschversuch vom 15. Juli 2016 nahm eigentlich
bereits am 14. Dezember 2015 seinen Vorlauf, als die türkische Armee begann,
kurdische Städte und Dörfer zu vernichten. Erdogan und Davutoglu sprachen der
Armee damals ihr vollstes Vertrauen aus, während diese Pläne zur
Machtergreifung schmiedeten. Für das Militär ergab sich aus der Logik, dass sie
die Hauptlast im Kampf gegen die PKK zu tragen haben, auch den Anspruch darauf
erheben zu können, die Politik des Landes lenken. Und so kam es dazu, dass die
türkische Armee ihre Fertigkeiten, welche sie im Krieg in Kurdistan erlernt
hatte, dieses Mal in Istanbul, Ankara und Izmir zur Schau stellte.
Die AKP Regierung macht Fetullah Gülen und seine
Organisation für den Putsch verantwortlich. Die Beweislage zeigt, dass sie eine
aktive Rolle in dem Putschversuch gespielt haben. Allerdings ist der
Putsch eine Folge – es ist also viel wichtiger, die Ursachen für den Putsch zu
erkennen und sie aus dem Weg zu räumen.
Das Misslingen des Putsches war eine Chance für die
Türkei
Der Putsch und die Putschisten leben von der
ungelösten kurdischen Frage und dem damit zusammenhängenden Demokratiedefizit.
Ihr Ziel ist es, Regime zu etablieren, die die kurdische Frage ungelöst lassen.
Daher sind das kurdische Volk und die kurdische Freiheitsbewegung stets gegen
einen militärischen Putsch gewesen. Dies ist auch deutlich daran abzulesen,
dass diejenigen, die in jüngster Vergangenheit Städte und Dörfer in Kurdistan
niederbrannten, gleichzeitig diejenigen sind, die diesen Putsch leiteten. Der
misslungene Putsch war eigentliche eine Chance für die Türkei. Er könnte Anlass
zur Erkennung und Behebung der Fehler dienen – die Lösung der kurdischen Frage
und Demokratisierung der Türkei. Dies war eine auf dem Silbertablett servierte
Chance für die AKP. Die Regierung hat es aber bevorzugt, ihre Hegemonie und
ihre faschistischen Allianzen weiter auszubauen.
Wir beschlossen kurz nach dem Putschversuch in der
Sitzung des PKK Zentralkomitees eigentlich eine Erklärung zu verfassen, in der
wir die Regierung zur Demokratisierung aufrufen wollten, falls die Regierung
ebenfalls eine aufrichtige Haltung in diese Richtung an den Tag legt. Wir
wollten erklären, dass wir offen für einen Gegenzug wären, wenn die Regierung
einen positiven Schritt in Richtung Demokratisierung im Zuge der aufgekommenen
Atmosphäre unternommen hätte. Es folgten allerdings gegenteilige Ereignisse:
Chauvinistische Aussagen, der Ausnahmezustand, das Besuchsverbot auf Imrali,
der Umgang mit der HDP und die Ausweitung der Hegemonie von Erdogan.
Antwort an die Kreise, die zu Verhandlungen aufrufen
In den letzten Tagen habe einige Staaten, einige
zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für die Lösungen in bewaffneten
Konflikten einsetzen, einige unserer befreundeten Organisationen in Südkurdistan
und einige Kreise und demokratische Kräfte wie die HDP in der Türkei Aufrufe an
uns gerichtet, wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren und die kurdische
Frage auf dem Weg der Verhandlungen zu lösen. Als Reaktion auf diese Aufrufe
möchten wir mit dieser Deklaration unsere Haltung hierzu der Öffentlichkeit
kundtun.
Seit 1993 rufen Abdullah Öcalan und die kurdische
Freiheitsbewegung für die friedlich-politische Lösung einseitige Waffenruhen
aus. Im Jahre 2013 haben wir in diesem Zusammenhang knapp 40% unserer
bewaffneten Einheiten aus der Türkei abgezogen. All dies sollte eine
Chance zur Lösung der kurdischen Frage und zur Beendigung des bewaffneten
Konflikts dienen. Allerdings ist man stattdessen nun am heutigen Punkt
angekommen, weil die Politik der Verleugnung und des Hinhaltens nicht
aufgegeben wurden.
Die AKP instrumentalisiert Waffenruhen
Wir müssen mit Nachdruck klarstellen, dass das Ende
der letzten Waffenruhen schlimmere bewaffnete Auseinandersetzungen mit sich
gebracht hat als zuvor, da die AKP-Regierung jede Phase des Schweigens der
Waffen für seine eigene Zwecke instrumentalisiert hat. Das Resultat sind mehr
Tote auf allen Seiten und ein Ausmaß an Zerstörung, das es so bisher nie
gegeben hat
Die AKP-Regierung und Erdogan haben Waffenruhen zur
Festung und Fortführung der eigenen Macht missbraucht. Für das wichtigste
Problem der Türkei wurden bei allen Bevölkerungsgruppen falsche Hoffnungen
geweckt und somit die kurdische Frage für einfache parteipolitische Interessen
instrumentalisiert. Diese Ausnutzung der Waffenruhe führte dazu, dass andere
politische Kräfte den Friedensprozess stets misstrauisch gegenüberstanden und
entsprechend wenig Unterstützung zeigten.
Die Erfahrung zeigt, dass eine neue Waffenruhe wieder
der gleichen Instrumentalisierung zum Opfer fallen würde. Es muss gewährleistet
sein, dass die kurdische Frage nicht mehr aus einfachen parteipolitischen
Interessen missbraucht wird und dass Schritte in Richtung ihrer Lösung gemacht
werden. Jedes Wort und jede Tat, die nicht zur Lösung dient, ist wertlos. Die
Wiederholung solcher Situationen wird nur dazu führen, dass das Problem nur
noch weiter verschärft wird.
Die kurdische Frage wurde nicht von der PKK oder der
kurdischen Freiheitsbewegung erschaffen. Die PKK ist das Produkt dieser ungelösten
Frage und führt seit ihrer Gründung einen Kampf gegen die Verleugnung und die
Vernichtung des kurdischen Volks.
Der türkische Staat muss aktiv werden
Für die Lösung der kurdischen Frage muss der türkische
Staat aktiv werden und in der Praxis etwas vorweisen. Falls dies nicht der Fall
sein wird, wird das kurdische Volk eine eigene Lösung – ein freies Leben
basierend auf demokratischen Werten – verwirklichen, egal welchen Preis es
hierfür zahlen muss. Niemand darf eine andere Haltung von dem kurdischen Volk
und der Freiheitsbewegung erwarten, während die Nicht-Lösung ihr aufgezwungen
wird. Der türkische Staat ist allerdings weder an einer Lösung interessiert,
noch will er zulassen, dass das kurdische Volk seine eigene Lösung
verwirklicht. Solange die faschistischen Bündnisse kein Ende nehmen und keine
Lösung mit dem kurdischen Volk zugegangen wird, kann der türkische Staat sich
von diesem Teufelskreis nicht befreien.
Die Freiheit und Gesundheit Öcalans
Es ist bekannt, dass wir als kurdische Freiheitsbewegung
zu dem aktuell andauernden Krieg gezwungen sind. Es ist bekannt, dass die
Lösung der kurdischen Frage nur über die Freiheit der Führungspersönlichkeit
des kurdischen Volkes zu verwirklichen ist. Abdullah Öcalan ist die wichtigste
Brücke zwischen dem türkischen und kurdischen Volk. Öcalan zeigte große Mühen
für die Lösung der kurdischen Frage, als Antwort darauf wurde er in totale
Isolation gesteckt.
Obwohl bekannt ist, dass Abdullah Öcalan Zielscheibe
der Putschisten aufgrund seiner Analysen ist, wird dem Volk und der
Öffentlichkeit die Information über seinen Gesundheitszustand und seiner
Sicherheit verwehrt. Die grundlegendsten Forderungen nach Familien- und
Anwaltsbesuchen auf Imrali werden abgelehnt. Dies werten wir als eine klare
Haltung gegenüber unserem Volk. Es zeigt, dass noch immer kein Wille für die
demokratisch-politische Lösung der kurdischen Frage vorhanden ist.
Die Lösung kann innerhalb eines Monats verwirklicht
werden
Wenn der türkische Staat aktiv wird und Schritte in
Richtung Lösung geht, kann das Problem innerhalb eines Monats gelöst werden.
Wir als Freiheitsbewegung bevorzugen die demokratisch-politische Lösung der
kurdischen Frage. Es ist ganz klar, dass wir einen möglichen Lösungsprozess
offen unterstützen werden. Hierfür muss allerdings der türkische Staat
garantieren, dass er die Waffenruhen nicht instrumentalisiert. Niemand darf von
der kurdischen Freiheitsbewegung weitere Waffenruhen erwarten, während
Waffenruhen und Gespräche von der Gegenseite lediglich für eigene Interessen
ausgenutzt werden.
Die AKP Regierung muss den Völkern der Türkei einen
Willen zur Lösung präsentieren. Andernfalls wird jede Art von Erwartung für die
Demokratisierung nichts weiter als eine Hinhaltetaktik sein.
Schritte, die gegangen werden müssen
Die AKP-Regierung muss in einer öffentlichen Erklärung
den Völkern der Türkei klar machen, dass sie den Willen hat, die kurdische
Frage zu lösen und die hierfür notwendigen Schritte zu tätigen. Es muss der
Beschluss gefasst werden, dass eine Delegation des türkischen Parlaments, an
der auch die Mitglieder der HDP beteiligt sind, Herrn Abdullah Öcalan, den
Vorsitzenden der Kurdischen Freiheitsbewegung und Verhandlungspartner bei der
Lösung der kurdischen Frage, auf der Gefängnisinsel Imrali besuchen.
Herrn Öcalan muss die Möglichkeit gegeben werden mit seiner eigenen
Organisation, allen inner- und außerparlamentarischen Parteien, und allen
Kreisen, welche die Frage der Demokratisierung des Landes als ihre eigene Frage
begreifen, wie bspw. den alevitischen Verbänden, der Zivilgesellschaft und den
Intellektuellen des Landes in Kontakt und Dialog zu treten. Werden die Schritte
getätigt und diese Möglichkeiten eröffnet, so sind wir als Freiheitsbewegung
bereit, unserer Verantwortung in einem gegenseitigen Prozess gerecht zu werden.
Dies ist weder ein Aufzwingen, noch eine Vorbedingung unsererseits. Es sind
diese einfache Schritte, die dazu beitragen sollen, dass die Fehler aus den
vergangenen Prozessen vermieden werden sollen – Fehler, die aus der
Hinhaltetaktik der AKP resultiert sind.
Wir werden die Lösung vereinfachen, wenn die
Vernichtungspolitik aufhört
Wenn die Verleugnung, das Hinhalten und
Instrumentalisierung aufgegeben werden, dann werden wir als kurdische
Freiheitsbewegung Schritte zur Vereinfachung der Lösung gehen und das
friedliche Zusammenleben mit allen Völkern der Türkei verteidigen, welches Ziel
unseres langjährigen Kampfes ist.“