Zur Stärkung des Völkerrechts beitragen

Ob sie es wahrhaben wollen oder nicht, verteilen sich die Europäer jetzt auf zwei Sorten von Ländern: Die aktuellen europäischen Kriegsherren, Großbritannien und Frankreich, und die anderen europäischen Staaten, die keinen Krieg in Libyen führen. Die Realität spricht für sich selbst und lässt die europäischen Kriegsherren allein lavieren und unter sich allein diskutieren.

Die sogenannte "Geschlossenheit", die Stefan Kornelius in seinem SZ-Kommentar: "Pflicht zum Bündnis" sehen will, existiert nur in seiner Phantasie. Die Anwesenheit von der amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton beim NATO-Treffen in Berlin (14.4.) diente nur dazu, eine angebliche Geschlossenheit vorzutäuschen. Gerade weil es sie nicht gab, schien ihr wichtig, eine Mahnung dafür zu überbringen. Eine schlechte Show vor den Kameras mit Kriegsgrimassen an der Seite des deutschen Außenministers Guido Westerwelle. Der britische Außenminister William Hague proklamierte hartnäckig seine Kriegsbeharrung. Ins selbe Kriegshorn stieß der französische Außenminister Alain Juppé. Dagegen lehnten Italiens Außenminister Franco Frattini und Spaniens Staatsminister im Außenministerium eine Intensivierung des Bombardements ab. Schon jetzt fliegt die NATO 1000 Angriffe pro Woche gegen Libyen. Wen wundert es da, dass die Rebellen sämtliche Friedensbemühungen in den Wind schlagen, zuletzt den Vermittlungsversuch der Afrikanischen Union (AU) (11.4.). Bislang sei es nicht möglich gewesen, sich auf ein Ende der Feindseligkeiten zu einigen, erklärte die AU am 12.4.. Ein sofortiger Waffenstillstand ist aber entscheidend. Der wird jedoch von den zwei oder drei Aggressoren gezielt torpediert. Schweden blockierte zu Recht einen EU-Beschluss, weil es einen humanitären Einsatz nicht mit einem militärischen Einsatz vermischen will. Die Bundesregierung zeigte sich willens, die Bundeswehr an der Intervention in Libyen unter dem Deckmantel "humanitäre Hilfe" zu beteiligen. Aber Großbritanniens Außenminister William Hague erklärte wiederum als Echo der Vereinten Nationen, derzeit sei "keine militärische Absicherung erforderlich", um Hilfe zu leisten. Im Katar wollte eine in London selbsternannte Libyen-Kontaktgruppe das weitere kriegerische Vorgehen gegen das nordafrikanische Land beraten (13.4.). Die Anmaßung ist erkennbar. Schon Hillary Clinton mahnte die Kriegsallianz mit einer Stimme zu sprechen, sie meint selbstverständlich mit der USA-Stimme. Die Diskrepanz kann nicht auffälliger und größer sein.

Der SZ-Artikel von Daniel Brössler vom 16.4. "Drei gegen den Rest" beendet die Illusion von Geschlossenheit und entlarvt auch den widersprüchlichen Unsinn der Aggressoren Obama, Sarkozy und Cameron. "Deutlich wurden die erheblichen Meinungsunterschiede im westlichen Bündnis." Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle blieb der American Academy in Berlin fern, wo seine amerikanische Kollegin ihr unzivilisiertes und plumpes Plädoyer für völkerrechtswidrige Interventionen hielt. Zu recht ließ sich der deutsche Außenminister nicht unter dem applaudierenden Publikum sehen. Der deutsche Gastgeber des NATO-Außenministertreffens in Berlin sprach stattdessen unter vier Augen mit seiner Kollegin und betonte zuletzt vor der deutschen Öffentlichkeit: "Es wird eine politische Lösung geben."

Bezeichnenderweise kam kein öffentlicher Ton im Zusammenhang mit Hillary Clintons Aufenthalt in Berlin aus dem Kanzleramt, auch nicht von der amerikanischen Außenministerin, keine Pressekonferenz, kein gemeinsamer Auftritt vor der Öffentlichkeit nach ihrem kuriosem Treffen mit der Kanzlerin Angela Merkel. Damit hat die Bundeskanzlerin der amerikanischen Außenministerin mit diplomatischer Eleganz eine öffentliche Demütigung erspart. Der Meinungsunterschied zwischen den beiden blieb unter vier Augen.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow kritisierte in Berlin den Appell der Regierungen von USA, Großbritannien und Frankreich für eine Ablösung Gaddafis. Diese sei durch die UN-Resolution nicht gedeckt. (Meldung von 16.4.11) Hillary Clinton versuchte absichtlich, aber vergebens, eine Einigkeit der verheerenden Kriegsallianz mit der Weltstaatengemeinschaft vorzutäuschen.

Die Welt ist weder so extrem wahnsinnig noch so extrem kriminell: Die Mehrheit der Weltstaatengemeinschaft lehnt den aggressiven Neokolonialismus ab. Keine Nation kann sich gegen den Willen der Menschheit behaupten. Schon die Afrikanische Union zieht die Grenze gegenüber den anmaßenden Europäern. Macht die Afrikanische Union keine "gute Figur" in den Augen der deutschen Öffentlichkeit, weil sie nicht nach der europäischen Pfeife tanzen will?

Die EU muss anfangen zu verstehen, dass die Weltstaatengemeinschaft mit großer Sorge zu begreifen beginnt, wie gefährlich die Demontage des Völkerrechts ist. Eine Demontage, die bewusst oder unbewusst der ahnungs- und hilflose Journalist Daniel Brössler mit unüberbietbarer Oberflächlichkeit weiter betreibt, indem er die UN-Verantwortung gegen alle UN-Grundsätze lediglich unter Gewaltanwendung zu verstehen vorgibt. "Wehrlose zu schützen" ist keine UN-Aufgabe, keine völkerrechtliche Pflicht der Vereinten Nationen. Die sogenannte von deutschen Medien strapazierte "Responsability to protect" wurde niemals als UN-Verpflichtung oder UN-Mandat akzeptiert, trotz der Hartnäckigkeit der amerikanischen Falken. Die Vollversammlung hat erkannt, dass dadurch Tür und Tor für beliebige militärische Interventionen gegen souveräne Ländern weltweit geöffnet würden. Die Fortentwicklung des Völkerrechts darf nicht über die Demontage der Grundsätze der Vereinten Nationen und ihrem Regelwerk erfolgen. Die Fortentwicklung des Völkerrechts verlangt, Krieg und Aggressoren an den Pranger zu stellen, sie zu ahnden und die militärischen Mittel endgültig auf Verteidigung zu begrenzen, und zwar proportional zum Angriff. Niemals dürfen militärische Mitteln übermäßig werden. Allein deshalb schon ist die moderne Kriegsmaschinerie als menschenrechtswidrig auszuschalten.

Zur Stärkung des Völkerrechts beizutragen, um den Völkern Krieg zu ersparen, ist das Beste einer zivilisierten Gesellschaft in dieser unvollkommenen Welt. Die Gebote der UN-Charta sind wie jede Gebote des öffentlichen Rechts imperativ, also Mandate. So der Respekt vor der Souveränität eines Staates und die Nicht-Einmischung in innere Angelegenheiten eines souveränen Staates.

Die deutsche Öffentlichkeit muss sich auf Rechtsprinzipien besinnen, anstatt mit der Moral zu kommen, immer wieder das Banner der Moral zu hissen, das, wie bekannt, schon bei Maximilien Robespierre zum Verbreiten und Anwachsen von Terror führt.

Bereits die faschistische grauenvolle Intervention Italiens und Nazi-Deutschlands an der Seite der faschistischen-antirepublikanischen Franco-Truppen 1936-1939 hat gezeigt, wie grausam und verhängnisvoll eine solche Intervention in einen Bürgerkrieg wirkt. Die heutige Kriegskoalition ist ebenso verantwortlich für viele zivile Opfer in Libyen. Darüber berichten aber die westlichen Medien nicht.

Der NATO-Krieg ist ein Bruch des Völkerrechts. Zuallererst muss man verhandeln, um diesen Krieg zu beenden, gleichgültig, welche moralischen, politischen oder geistigen Qualitäten man beim Verhandlungspartner zu erkennen vermeint. Man kann sich Verhandlungspartner nicht aussuchen, oder man lehnt Verhandlungen grundsätzlich ab. Wenn aber Verhandlungen grundsätzlich abgelehnt werden, bleibt nur die Logik des Krieges, die militärische Logik, die Logik der Gewaltanwendung, die jede Vernunft ausschließt. Genau aus diesem Krieg, der heute in Libyen von NATO-Ländern geführt wird, müssen die USA, Großbritannien und Frankreich heraus. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle forderte beim NATO-Treffen in Berlin, wie aus diplomatischen Kreisen verlautete, rechtzeitig über ein Ende des Militäreinsatzes nachzudenken. Die UN-Vetomächte China, Russland und mehrere andere große Schwellenländer forderten gleichzeitig ein Ende der Kriegsführung in Libyen. Der Einsatz von Gewalt sollte vermieden werden. So zeigt sich die Stimme der Weltstaatengemeinschaft. Unterdessen rief UN-Generalsekretär Ban Ki Moon auf einer internationalen Konferenz in Kairo dazu auf, den Konflikt in einem "politischen Prozess" zu lösen. Vordringlich sei jetzt eine sofortige Waffenruhe. An dem Treffen in Ägypten nahmen unter anderen die Arabische Liga und die Afrikanische Union teil. Die Staats- und Regierungschefs von Brasilien, Russlands, Indien, China und Südafrika, die sogenannte BRICS-Gruppe, hatten sich in Sanya auf der chinesischen Insel Hainan getroffen (14.4.) am selben Tag des NATO-Treffens in Berlin. Die Gruppe repräsentiert insgesamt rund drei Milliarden Menschen. Alle fünf BRICS-Länder sind derzeit im UN-Sicherheitsrat vertreten. Ob Hillary Clinton bereit ist, auf diese übereinstimmende Meinung der Weltstaatengemeinschaft zu hören, steht auf einem anderen Blatt.

Die UNO wäre als Verhandlungspartner gefragt, eine UNO, die nicht parteiisch ist, was leider nicht der Fall ist, denn die Weltstaatengemeinschaft steht unter der Diktatur des Sicherheitsrates. Im Sicherheitsrat sitzen heute die neuen großen Aggressoren. Infolgedessen ist das Völkerrechtssystem dabei, sich zugunsten der westlichen Willkürherrschaft selbst endgültig abzuschaffen.

Der südafrikanische Präsident Jacob Zuma hat inzwischen die NATO aufgefordert, ihre Luftangriffe einzustellen. Bei dem BRICS-Treffen in China wurde die von der NATO und den libyschen Rebellen abgelehnte Friedensinitiative der Afrikanischen Union begrüßt und unterstützt. Der russische Präsident Dmitri Medwedew traf den Nagel auf den Kopf, als er deutlich erklärte: "Wir gehen davon aus, dass die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats in Übereinstimmung mit ihren Worten und ihrem Geist umgesetzt werden müssen, aber nicht aufgrund willkürlicher Interpretationen, die von einigen Staaten vorgenommen wurden. Die Intention der Libyen-Resolution sei gewesen, eine weitere Eskalation des Konflikts zu verhindern. Stattdessen habe man eine internationale Militäroperation der NATO bekommen..."

Die sofortige Beendigung der Kriegshandlungen in Libyen muss jetzt die erste und wichtigste Forderung der Weltstaatengemeinschaft sein. Revolutionäre Prozesse können nicht von außen importiert werden. Das Völkerrecht geht von dieser Erkenntnis aus und verbietet daher die Einmischung in Bürgerkriege.

Krieg wird die Welt niemals besser machen. Unser Bestes kann nur darin bestehen, mit aller unserer Kraft den Frieden zu bewahren und jene Instrumente des Friedens, die das Völkerrecht vorschreibt, vor allem den Dialog einzusetzen, denn die Macht der Vernunft, also die Kraft des Wortes ist Kennzeichen der Aufklärung und Vermögen eines jeden Menschen. So wie bisher und immer wieder aufs Neue. Der Westen muss Erasmus von Rotterdam wiederentdecken. Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkai