Spanien / Katalonien
Wer
profitiert eigentlich vom Konflikt in Katalonien?
von Ernst Wolff, Okober 2017
Mit der
Unabhängigkeitserklärung durch das katalanische Parlament hat der Konflikt
zwischen den Separatisten in Barcelona und der spanischen Zentralregierung in
Madrid am vergangenen Freitag einen neuen Höhepunkt erreicht. Nachdem es einige
Wochen lang so ausgesehen hatte, als ob beide Seiten bemüht seien, die Wogen zu
glätten, droht die Auseinandersetzung nun in offene Gewalt umzuschlagen.
Da schon
jetzt feststeht, dass keiner der Kontrahenten als Sieger aus diesem Konflikt
hervorgehen wird, stellt sich die Frage: Wem nützt er? Die Antwort ist schwer
zu glauben: Der größte Nutznießer der gegenwärtigen Entwicklung ist niemand
anderes als der Schuldige an der Misere - die Finanzindustrie.
Kein
europäisches Land wurde stärker von der Finanzelite geplündert
Die
separatistische katalanische Bewegung konnte nur deshalb so stark werden, weil
die sozialen Gegensätze in Spanien in den vergangenen Jahren explodiert sind.
Das wiederum ist vor allem auf die hemmungslosen Aktivitäten des immer
mächtiger gewordenen und vor Kriminalität strotzenden spanischen Bankensektors
zurückzuführen.
Kein anderes
Land in Europa hat eine derartige Plünderungsorgie durch die Finanzelite erlebt
wie Spanien. Ab 2001 ließen Spekulanten nach der Liberalisierung des
Bodenrechtes innerhalb von nur sieben Jahren vier Millionen Wohnungen
hochziehen. Die Folge: 2008 platzte die bis dahin größte Immobilienblase in
Europa und stürzte Spanien in seine schwerste Krise der Nachkriegszeit.
Kurz darauf
geriet das Land dann auch noch in den Strudel der Eurokrise und wurde unter die
Zwangsverwaltung der Troika aus EZB, EU und IWF gestellt. Zusammen mit der
Zentralregierung in Madrid erlegte die Troika der arbeitenden Bevölkerung ein
Sparprogramm auf, das den Lebensstandard breiter Einkommensschichten drastisch
senkte. Das Ergebnis war eine gewaltige Volksbewegung gegen die Austerität, die
vom Staat mit aller Härte unterdrückt wurde.
Die Banken
wurden mit Samthandschuhen angefasst
Anders wurde
mit den Banken umgegangen: 2011 wurden sechs praktisch bankrotte regionale
Sparkassen von der Regierung verstaatlicht und zur Gruppe Bankia
zusammengeschlossen. Zu ihrem Chef wurde mit Rodrigo Rato (ehemaliger Chef des
IWF und von 1996 bis 2004 spanischer Superminister für Wirtschaft und Finanzen)
genau der Mann ernannt, der die Immobilienblase als zuständiger Minister
juristisch ermöglicht hatte.
Die Rettung
der Bankia-Gruppe kostete die spanischen Steuerzahler 22,4 Milliarden Euro. Da
der anschließende Börsengang enttäuschend verlief, muss ein großer Teil des
Geldes als verloren gelten. Rato wird den Verlust nicht mehr als Bankia-Chef
miterleben: Er trat nach einem Jahr von seinem Posten zurück, kassierte eine
Millionenabfindung und wurde 2017 wegen Untreue zu einer Gefängnisstrafe von
viereinhalb Jahren verurteilt.
Eine weitere
Fusion - die der Bankia mit der Banco Mare Nostrum - wird die spanischen
Steuerzahler mit zusätzlichen 1,1 Milliarden Euro belasten. Erst vor kurzem
hatte die Großbank Santander 51 Prozent ihres Immobilien-Portfolios zu einem
Drittel des Buchwertes an die US-amerikanische Investmentgesellschaft
Blackstone verkauft und den amerikanischen Finanzgiganten damit zum größten
privaten Immobilienbesitzer Spaniens gemacht - zu einer Zeit, da zehntausende
durch die Krise verarmte Spanier mit Zwangsräumungen zu kämpfen haben.
Im Juni
dieses Jahres übernahm die Großbank Santander die Banco Popolar Espanol für den
symbolischen Preis von einem Euro, nachdem es zum ersten Mal in Spanien zur
Anwendung des seit 2016 in der EU gesetzlich vorgeschriebenen
"Bail-in" gekommen war. D.h.: Die Aktionäre der Banco Popolar wurden
um 1,3 Milliarden Euro und die Halter bestimmter (nachrangiger) Anleihen um zwei
Milliarden Euro erleichtert.
Händeringend
gesucht: Eine Ablenkung von den wahren Schuldigen
Diese
Bail-in-Regelung ist in doppelter Hinsicht ein politischer Sprengsatz: Zum
einen bringt sie zahlreiche Kleinaktionäre um ihr Geld und sorgt damit für zusätzlichen
Unmut innerhalb der arbeitenden Bevölkerung, zum anderen wird sie ein
juristisches Nachspiel haben, da einige Hedgefonds bereits angekündigt haben,
gegen den Verlust ihrer Gelder zu klagen.
Ein solcher
Prozess ist für die Banken natürlich sehr gefährlich, da er ein Schlaglicht auf
ihre kriminellen Aktivitäten werfen und der Öffentlichkeit vor Augen führen
würde, dass kein anderes Land der Eurozone in den vergangenen zehn Jahren eine
derartige Konzentration im Finanzsektor erlebt hat wie Spanien: Von den 55
Banken, die während des Baubooms Kredite vergaben, sind nur noch 13 als
selbständige Einheiten erhalten. Sechzig Prozent aller Spareinlagen entfallen
auf die drei größten Bankengruppen des Landes, die fünf größten Banken, die
1998 noch über einen Marktanteil von 34 Prozent verfügten, haben diesen
inzwischen auf 62 Prozent ausgeweitet - alles mit voller Unterstützung der EU
und der Zentralregierung in Madrid.
Was kann der
Finanzelite in dieser Situation Besseres passieren, als dass eine regionale politische
Gruppierung sie aus der Schusslinie nimmt, indem sie die Wut und die
Aufmerksamkeit der gesamten spanischen Bevölkerung (und der europäischen
Öffentlichkeit) auf einen langsam eskalierenden und möglicherweise auf einen
Bürgerkrieg hinauslaufenden Konflikt zwischen Separatisten und Nationalisten
lenkt...?
Quelle: http://antikrieg.com/aktuell/2017_10_29_wer.htm