Saudi-Arabien erwägt Beitritt zu BRICS
Der geopolitische Trend zu einer multipolaren Welt beschleunigt sich.
Saudi-Arabien und andere Staaten bemühen sich um den BRICS-Beitritt – mit
massiven Folgen.
Von Gregor Uhlig
Das BRICS-Bündnis bereitet sich darauf vor, neue Mitglieder aufzunehmen,
darunter auch Saudi-Arabien. Die Aufnahme dieses mächtigen Staates im Nahen
Osten dürfte erhebliche Auswirkungen auf das globale geopolitische
Gleichgewicht haben. BRICS ist ein Zusammenschluss aufstrebender Wirtschaftsmächte,
der im Jahr 2006 von Brasilien, Russland, Indien und China gegründet wurde und
dem sich im Jahr 2010 auch Südafrika angeschlossen hat.
Neben dem BRICS-Bündnis bemüht sich auch die Shanghaier Organisation für
Zusammenarbeit (SOZ) um eine Aufnahme Saudi-Arabien. Dieser politische,
wirtschaftliche und militärische Zusammenschluss wurde im Jahr 2001 gegründet.
Ihm gehören China, Kasachstan, Kirgisistan, Russland, Tadschikistan, Usbekistan
und seit 2017 auch die beiden Erzfeinde Indien und Pakistan an.
"Die BRICS und die SOZ haben eine wichtige ideologische Gemeinsamkeit:
Sie sind beide auf Multipolarität ausgerichtet, und ihre Gipfeltreffen wurden
sogar zeitweise gemeinsam abgehalten", sagte kürzlich Matthew Neapole, ein Experte für internationale Angelegenheiten und
Mitarbeiter des Macdonald-Laurier-Instituts in Kanada, gegenüber Newsweek.
Beide Bündnisse seien bestrebt, Alternativen zur westlichen Strukturen zu
unterstützen, etwa im Währungs- oder Bankwesen.
Weitere Länder klopfen an
Der Iran hat seinen formellen Beitrittsprozess zur SOZ bereits während des
letzten Gipfels der Staats- und Regierungschefs im September begonnen. Am
Montag kündigte das iranische Außenministerium nun an, dass die Islamische
Republik auch dem BRICS-Bündnis beitreten wolle.
Auf der anderen Seite des Persischen Golfs erwägt auch Saudi-Arabien einen
Antrag auf BRICS-Mitgliedschaft zu stellen, wie der russische Außenminister
Sergej Lawrow bei seinem Besuch im Königreich Ende Mai bekannt gab.
Kurz zuvor hatte Saudi-Arabien zusammen mit Argentinien, Ägypten,
Indonesien, Kasachstan, Nigeria, Senegal, Thailand und den Vereinigten
Arabischen Emiraten auf Einladung Chinas an einer Diskussion über
"BRICS+" teilgenommen. Der Sprecher des chinesischen
Außenministeriums, Wang Wenbin, verkündete im
Anschluss an das Treffen, die Mitglieder hätten "einen Konsens über den
BRICS-Erweiterungsprozess erreicht".
Argentinien hat bereits einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt, was den
Status der BRICS zu einem wichtigen Akteur in den internationalen
Wirtschaftsbeziehungen befördern dürfte.
Und obwohl Matthew Neapole vom
Macdonald-Laurier-Institut der Ansicht ist, dass es noch "große Hürden zu
überwinden" gibt, um die ehrgeizigen Worten in konkrete Taten umzusetzen,
so könnte ein geschlossener SCO-BRICS-Block seiner Ansicht nach doch einen
großen Einfluss auf die Neugestaltung der Weltordnung haben. "Wenn es ihm
gelingt, sich als Bannerträger des Globalen Südens oder der G20 zu
positionieren, starke organisatorische Mechanismen zu entwickeln und sich
stärker zu integrieren, könnte er sehr einflussreich sein", so Neapole.
Der multipolare Ansatz der BRICS hat das Interesse Saudi-Arabiens geweckt.
Denn nachdem Riad über viele Jahrzehnten enge Beziehungen zu Washington pflegt,
bemüht sich das Königreich nun immer stärker darum, ein unabhängiger globaler
Akteur zu werden.
"Chinas Einladung an das Königreich Saudi-Arabien, den BRICS
beizutreten, bestätigt, dass das Königreich eine wichtige Rolle beim Aufbau der
neuen Welt spielt und zu einem wichtigen und unverzichtbaren Akteur im globalen
Handel und in der Wirtschaft geworden ist", sagte Mohammed al-Hamed,
Präsident der Saudi Elite Group in Riad, gegenüber Newsweek.
Schon im Jahr 2016 präsentierte Prinz Mohammed bin Salman Saudi-Arabiens
Vision 2030, bevor er ein Jahr später zum Thronfolger und De-facto-Herrscher
des Königreichs ernannt wurde. Der Plan sieht eine Diversifizierung der vom Öl
abhängigen Wirtschaft vor sowie die Etablierung einer neuen Rolle
Saudi-Arabiens in der internationalen Gemeinschaft.
Einerseits hat Kronprinz Mohammed versucht, die Zusammenarbeit mit den USA
zu verbessern, insbesondere als US-Präsident Joe Biden sich im Juni auf seinen
ersten Besuch in der Monarchie vorbereitete, die er einst wegen angeblicher
Menschenrechtsverletzungen als "Paria" gebrandmarkt hatte.
Königshaus baut Beziehungen aus
Andererseits hat der saudische König in den letzten Jahren auch die
Beziehungen zu Russland und China ausgebaut. Der Beitritt zu den BRICS-Staaten
würde die Entschlossenheit Riads im Umgang mit anderen Großmächten unter Beweis
stellen und einen bedeutenden Sieg für die Bemühungen um die Förderung
wirtschaftlicher Rahmenbedingungen markieren, die nicht unter der
Schirmherrschaft der USA und ihrer Verbündeten stehen.
"Der Beitritt Saudi-Arabiens wird das Weltwirtschaftssystem ins
Gleichgewicht bringen, zumal das Königreich Saudi-Arabien der größte
Ölexporteur der Welt ist und der G20 angehört", sagte Hamed. "Wenn
dies geschieht, wird dies jede wirtschaftliche Bewegung und Entwicklung im
Welthandel und in der Weltwirtschaft unterstützen und bemerkenswerte
Fortschritte in sozialen und wirtschaftlichen Aspekten verzeichnen, da
Saudi-Arabien Partnerschaften mit jedem Land der Welt haben sollte."
Dieser Ansatz steht in krassem Gegensatz zu dem Vorgehen der USA, die
regelmäßig jene Länder, mit denen es nicht einverstanden ist, durch eine
wachsende Liste von Sanktionen ausschließt. Die dominante Position der USA im
globalen Finanzsystem hat diesen Ländern traditionell nur wenige Möglichkeiten
gelassen, aber diese Situation hat sich allmählich geändert, da Strukturen wie
die BRICS Möglichkeiten bieten, diese Beschränkungen zu umgehen.
Der Iran hat die dominante Rolle der USA in den letzten zehn Jahren
besonders hart gespürt. Zwar wurden die Sanktionen, die wegen der nuklearen
Aktivitäten der Islamischen Republik verhängt worden waren, im Jahr 2015 wieder
aufgehoben, nachdem mit den USA und anderen Großmächten, darunter China,
Frankreich, Deutschland, Russland und Großbritannien, ein multilaterales
Atomabkommen geschlossen worden war. Doch der frühere US-Präsident Donald Trump
kündigte das Abkommen im Jahr 2018 auf, was Teherans Möglichkeiten im
internationalen Handel stark beeinträchtigt.
Präsident Biden hat sich vorgenommen, über eine mögliche Rückkehr zu dem
Abkommen zu verhandeln, das während seiner
Vizepräsidentschaft unter dem ehemaligen Präsidenten Barack Obama geschlossen
wurde. Eine Reihe von Verhandlungen, die seit April letzten Jahres geführt
wurden, hat die USA und den Iran jedoch in eine Sackgasse geführt. Und die jüngsten Gesprächen in Katar endeten vorzeitig, ohne
dass es einen Durchbruch gab.
Aus Frustration über die wechselnde Politik in Washington sucht Teheran
zunehmend in der eigenen Region nach strategischen Partnerschaften, die es
zunehmend mit Peking und Moskau geschlossen hat. "Iranische Beamte sind zu
dem Schluss gekommen, dass die USA und ihre westlichen Verbündeten der
Islamischen Republik Iran niemals erlauben werden, ihre wohlverdiente regionale
Rolle als Mittelmacht zu spielen", so Zakiyeh Yazdanshenas, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Center for Middle East Strategic Studies
in Teheran.
"Daher haben sie beschlossen, die Versuche der USA, den Iran zu
isolieren, durch eine weitere Annäherung an nicht-westliche Organisationen wie
SOZ und BRICS zu neutralisieren", sagte die Forscherin gegenüber Newsweek.
"Außerdem betrachten die Iraner die künftige Weltordnung als östlich und
versuchen, sich Organisationen anzunähern, in denen östliche Mächte wie
Russland und China eine wichtige Rolle spielen."
Saudi-Arabien und Iran sind aufgrund ihrer Öl- und Gasreserven wichtige
strategische Partner, vor allem angesichts der sich verschärfenden Reibungen im
globalen Energiebereich, die durch die westlichen Sanktionen gegen Russland
noch verstärkt wurden.
"Der Iran ist der einzige Produzent von Energieressourcen am
Persischen Golf, der kein Verbündeter der Vereinigten Staaten ist und sich im
Falle einer Eskalation des Handelskriegs zwischen Peking und Washington nicht
weigern wird, Energie an China zu liefern", sagt Yazdanshenas.
Zudem sei die geopolitische Position des Irans durch den Ukraine-Krieg gestärkt
worden.
Das Energieproblem ist einer der beiden Hauptgründe dafür, dass die
Aufnahme des Irans und Saudi-Arabiens in die BRICS ein "großer
Gewinn" für die Organisation wäre, sagt Akhil
Ramesh, Fellow beim Pacific Forum in Hawaii. "Drei große Ölproduzenten in
der Gruppe [Russland, Iran und Saudi-Arabien] zu haben, könnte diesen Ländern
möglicherweise die Möglichkeit geben, sich Öl zu ermäßigten Preisen oder durch
alternative Vereinbarungen [Tauschhandel] zu sichern.
Die Ölreserven von Teheran und Riad würden den BRICS auch dabei helfen, die
Hegemonie des Dollars über das Weltfinanzsystem anzugreifen, so Ramesh. Denn um
den Dollar als globale Reservewährung ablösen zu können, "müssten sich
mehr rohstoffexportierende Länder, vor allem Ölexporteure, für diese Idee
begeistern". Zudem würden China und Russland die Gruppierung auch deshalb
erweitern, um eine Koalition von Ländern zu schaffen, "die anhängige Streitigkeiten
mit dem Westen haben oder in der Vergangenheit vom Westen gedemütigt
wurden". Man denke etwa an Argentinien und die Falklandinseln.
Ramesh sagt, dass die USA und ihre Verbündeten einen "schweren
Fehler" begangen haben, indem sie die Bedeutung der BRICS sowie der SOZ,
aufstrebender Finanzinstitutionen wie der Asiatischen
Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) und Chinas Nationaler Entwicklungsbank
(NDB) und der breiter angelegten Neuen Seidenstraße übersehen hätten. Letztere
zählt etwa 148 Länder und 32 internationale Organisationen als Partner. Nach
Ansicht von Ramesh haben die USA und ihre Verbündeten "vor allem China
gewaltig unterschätzt". BRICS, die SOZ, die Entwicklungsbanken und die
Neue Seidenstraße seien allesamt verschiedene Plattformen für die Einbindung
meist armer Länder, die kein Mitspracherecht im Weltgeschehen haben.
Selbst wenn der Iran und Saudi-Arabien den BRICS beitreten sollten, würde
dies nicht unbedingt ein Ende ihrer erbitterten Rivalität bedeuten. Die beiden
Staaten haben im vergangenen Jahr eine stille Diplomatie betrieben, doch ihr
regionaler Kampf um Einfluss im gesamten Nahen Osten hält an. Am heftigsten
zeigt sich dies im Jemen, wo seit Jahren ein Krieg zwischen einer von
Saudi-Arabien geführten Koalition zur Unterstützung einer Exilregierung und den
mit dem Iran verbündeten Ansar Allah- oder Houthi-Rebellen wütet.
Ehemalige Feinde werden vereint
China und Russland haben jedoch bewiesen, dass sie in der Lage sind, Feinde
unter einem gemeinsamen Banner zusammenzubringen, wie die gleichzeitige
Aufnahme Indiens und Pakistans in die SOZ vor fünf Jahren gezeigt hat. Auch
wenn die BRICS-Erweiterung zu größeren Herausforderungen bei der Konsensfindung
führen könnte, glaubt Jaroslaw Lissowolik, ein in
Moskau ansässiger Experte des Russischen Rates für Internationale
Angelegenheiten und Programmdirektor des Valdai-Diskussionsclubs,
dass es dennoch reichlich Raum für die Zusammenarbeit in allgemeineren Fragen
gibt.
"In dieser Hinsicht würde die Hinzufügung von Iran und Saudi-Arabien
die Dinge innerhalb der BRICS nicht grundlegend ändern, da es Spielraum für
unterschiedliche Ansichten gibt", so Lissovolik,
"und während es bei bestimmten lokalen/regionalen Problemen zu
Meinungsverschiedenheiten kommen kann, könnte es bei globalen Fragen größere
Einigkeit geben".
Streitigkeiten unter den Mitgliedern hätten die BRICS nicht davon
abgehalten, mit einer zunehmend ehrgeizigen Entwicklungsagenda voranzukommen,
auch im Hinblick auf den Start der Initiative BRICS+ und die pragmatische
Zusammenarbeit innerhalb der BRICS-Entwicklungsinstitutionen. "Das
bedeutet, dass die BRICS die Möglichkeit bieten, sich auf der Grundlage
unterschiedlicher Wirtschaftsmodelle und Ansätze zur wirtschaftlichen
Modernisierung zu entwickeln, anstatt sich einem bestimmten universellen Modell
anzunähern", so Lissovolik.
Deutsche WirtschaftsNachrichten 09.07.2022