Russland und der Nahe Osten

Tagesdosis 25.10.2019 – Gezeitenwechsel im Mittleren Osten

Ein Kommentar von Rainer Rupp

Mit allen reden, statt zu schießen. Sich streng an das Völkerrecht halten und wenn nötig mit unendlicher Geduld diplomatische Lösungen suchen, die für alle Beteiligten akzeptabel sind. Das zeichnet die russische Diplomatie unter der Führung des außerordentlichen Außenministers Sergeij Lawrow aus. Zusammen mit Präsident Wladimir Putin bilden die beiden ein unschlagbares Team. Auf Grund ihrer Erfolge hat Russland in der Krisenregion Mittlerer Osten inzwischen bei Freunden aber auch vor allem bei einstigen Gegnern höchste Anerkennung und Respekt gewonnen. Davon zeugt u.a. der Besuch des russischen Präsidenten Anfang letzter Woche (14.10.19) in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Beide Länder sind traditionelle US-Verbündete, die bisher Russland abgelehnt haben.

Zugleich musste die Fraktion der Kriegstreiber aus dem Washingtoner Club der Möchtegern-Weltherrscher dieser Entwicklung ohnmächtig aber wutschnaubend aus dem Abseits zusehen. Angesichts der neuen geopolitischen Realitäten und neuer militär-technischer Kapazitäten, egal ob am Golf von Persien oder in Syrien, hat das einzige „diplomatische“ Instrument, das die amerikanischen Kriegstreiber kennen, nämlich Drohungen mit Bomben und Raketen, weitgehend an Wirkung verloren.
Obwohl Russland mit allen redet, betreibt es alles andere als eine skrupellos opportunistische Politik, die stets nur auf den eigenen Vorteil gerichtet ist.

So hat z.B. Moskau trotz seiner guten Beziehungen zu Israel stets dessen Luftangriffe auf syrisches Staatsgebiet verurteilt und zur Zurückhaltung gemahnt. Russland hat auch Saudi-Arabien und andere arabische Golfstaaten wegen ihres Krieges im Jemen und ihren Drohungen gegenüber dem Iran scharf verurteilt. Letztlich ist die russische Außenpolitik prinzipientreu und hält sich konsequent ans Völkerrecht. Gegenüber Nationen, mit denen Russland historisch verbunden ist, wie z.B. Syrien bleibt es seinen strategischen Verpflichtungen treu.

Russlands pragmatische Politik des „Redens mit allen“ sorgt für gute Beziehungen zu einer Vielzahl von Staaten, obwohl mehrere dieser Staaten entweder voneinander entfremdet oder bitter verfeindet sind. So wurde Putin von den sunnitischen Potentaten in Riad und Abu Dhabi höchst freundlich empfangen. Das obwohl Russland sein enges Bündnis mit dem saudischen „Todfeind“, dem schiitischen Iran ausbaut, und obwohl Russland ein verlässlicher Verbündeter der syrischen Regierung ist, für deren Sturz auch die Saudis bisher viel Geld ausgegeben haben.

Nur vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, was nach dem überraschenden Abzug der US-Militäreinheiten aus den syrischen Kurdengebieten passiert ist. Was eigentlich unmöglich erschien, nämlich eine erfolgreiche Vermittlung zwischen den bis aufs Blut verfeindeten türkischen und syrischen Regierungen und zugleich die mit Erdogan und Assad verfeindete Kurdenführung mit ins Boot zu holen, das ist der russischen Diplomatie mit Bravour gelungen. Zugleich wurde Russland als Garantiemacht für die Einhaltung des Abkommens von allen Seiten anerkannt. Dazu gehört ein enormes Vertrauen in die Integrität der russischen Politik und in das Durchsetzungsvermögen ihrer Hauptakteure Putin und Lawrow.

Demgegenüber scheint das Prestige der USA, das schon seit etlichen Jahren im Sinkflug ist, jetzt in die Phase des freien Falls übergegangen zu sein. Zu einem großen Teil sind dafür die „bürgerkriegsartigen“ Zustände im US-Kongress zwischen Demokraten und Republikanern verantwortlich, wobei die hoch emotionale Hatz der Demokraten gegen Trump die Stimmung noch weiter anheizt. Damit ist in den letzten Jahren eine vernünftige US-Politik zunehmend unmöglich geworden. Und um das Ganze auf die Spitze zu treiben, seit seinem Befehl zum Syrienabzug wird Trump Parteiübergreifend vom Establishment der US-Kriegstreiber des Verrats am „außenpolitischen Konsens“ der USA beschuldigt. — Wenn man diesen Vorwurf zu Ende denkt, dann bedeutet das, dass der „US-außenpolitische Konsens“ aus nichts anderem als den endlosen Kriegen der neo-liberalen Globalisten besteht, mit denen sie die Welt unter die US-amerikanische Knute zwingen wollen.

Aber Trumps erklärte Politik, die bereits sein Wahlkampfversprechen war, ist gerade dieses „die dummen, endlosen Kriege“ welche die USA seit Jahrzehnten rund um die Welt führt, endlich zu beenden. Bei früheren Versuchen, diese Politik umzusetzen ist er stets vom Pentagon, CIA und seinem eigenen Stab im Weißen Haus unterlaufen worden. Schon im April 2018 hatte er den Abzug aus Syrien befohlen, nur um von seinen Leuten gesagt zu bekommen, dass dieses aus allen möglichen Gründen, die z.B. die gefährdete Sicherheit der US-Soldaten gefährden würden, nicht möglich sei.

Spätestens nachdem Trump vor 18 Monaten auf diese Weise eindeutig seine Präferenzen für die US-Politik im Nahen Osten deutlich gemacht hatte, wäre es für seinen Stab im Weißen Haus und für die Ministerien an der Zeit gewesen, einen Plan für den geordneten militärischen und politischen Abzug der USA aus Syrien auszuarbeiten, einen Plan der in Wort und Geist den Forderungen des Präsidenten entspricht. Nichts dergleichen geschah. Stattdessen wurde Trump von seinen eigenen Leuten wie ein dummes Kind behandelt.

Aber Trumps Bemerkungen und Verhalten war zu entnehmen, dass ihm mit der Zeit durchaus bewusst wurde, dass seine eigenen Leute hinter seinem Rücken gegen ihn arbeiteten. Je länger das andauerte, desto wahrscheinlicher wurde es, dass Trump bei einer nächsten Gelegenheit den Befehl zum sofortigen Rückzug geben würde, was folgerichtig in einen politischen Chaos in Washington enden würde. Genau das ist nun geschehen und das Establishment macht – wie nicht anders zu erwarten – Trump für das Chaos verantwortlich.

Das auslösende Moment war, dass direkt zum Beginn der türkischen Offensive unweit eines US-Basislagers im Kurdengebiet eine türkische Artilleriegranate explodierte. Als Trump davon erfuhr gab er den sofortigen Befehl zum US-Rückzug, nicht nur aus den Kurdengebieten, sondern aus ganz Syrien, in das die US-Armee schon vor seiner Amtszeit völkerrechtswidrig eingedrungen war. Der Aufschrei der Kriegspartei in Washington über den Schaden, den Trump der US-Glaubwürdigkeit zugefügt habe, war riesig. Dennoch dürfte Trump mit seinem Verweis, dass er mit seinem Abzugsbefehl US-Kriegsopfer in Syrien verhindert hat, und dass die USA nicht länger in weit entfernten Ländern für andere Regierungen Kriege führen sollten, nicht nur bei der kriegsmüden US-Bevölkerung gut angekommen sein, sondern auch bei den US-Soldaten, bei denen er hoch im Kurs steht.

Wie in einer Echokammer stimmten auch die Kriegstreiber in Europa, insbesondere in Berlin in das Washingtoner Wehklagen über Trump ein, der Erdogan ermächtigt habe, die Kurden zu massakrieren. Aber weder in den USA noch im Mittleren Osten, noch in Sotschi, wo Erdogan und Putin am Dienstag Nägel mit Köpfen gemacht haben, um eine friedliche Lösung durchzusetzen, war man daran interessiert, die aufgeplusterten deutschen Politiker, die unbedingt globale Verantwortung übernehmen wollen, zur Kenntnis zu nehmen.

Geradezu verzweifelt mutete der unbedachte Vorstoß der deutschen Verteidigungsministerin A.K. Knarrenbauer an, Bundeswehrsoldaten in die Krisenzone zwischen türkischem und syrischem Militär in das Grenzgebiet zu schicken, nur um die Russen von dort fern zu halten. Dieser Versuch, Aufmerksamkeit zu erregen, war so lächerlich inkompetent, dass sich jede weitere Kommentierung erübrigt. Zumal – dieser Zug war schon längst abgefahren, wie das Abkommen zwischen Russland und der Türkei zeigt, das am 22. Oktober 2019 in der russischen Schwarzmeerstadt Sotschi vom türkischen Staatschef Erdogan und Putin unterzeichnet wurde. Hiernach folgt die deutsche Übersetzung aus dem Russischen der 10 Punkte der Einigung von Putin und Erdogan über Syrien im Wortlaut:

Der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, und der Präsident der Türkischen Republik, Recep Tayyip Erdogan, haben sich auf folgendes geeinigt:

Aber auch Trump verdient Anerkennung. Auch wenn nicht wenige Leser Trump als Persönlichkeit nicht mögen oder gar verachten, so sprechen doch die Ergebnisse für sich selbst. In weniger als einer Woche haben zwei der Hauptkriegsteilnehmer (Russland und die Türkei), wobei Russland in Abstimmung mit der Führung Syriens verhandelt hat), einen historischen Deal abgeschlossen, der die eiternde Wunde an der syrisch-kurdischen Grenze heilen und den Weg für ein Ende des Krieges ebnen könnte. Sonst hätte es solange keinen Frieden in Syrien gegeben, wie die USA das Gebiet östlich des Euphrats besetzten gehalten hätten.

Diese entscheidende Änderung der US-Politik in Richtung Frieden in Syrien ist allein durch Trump zustande gekommen. Egal wie man die Persönlichkeit Trumps beurteilt, das ist eine große Leistung wofür Trump auch Anerkennung verdient.
Er hat sich gegen seine Administration durchgesetzt und mit seinem Befehl zum Abzug aus Syrien die völkerrechtswidrige Besetzung von Teilen Syriens beendet. Das war die Voraussetzung, um auf dem Fundament der diplomatischen Vorbereitungen der Russen eine win-win-win-win-win Situation für die fünf beteiligten Kriegs-Parteien zu schaffen: Erdogan konnte an der türkischen Grenze einen unabhängigen Kurdenstaat mit Verbindungen zur PKK verhindern. Trump konnte ein weiteres seiner Wahlversprechen halten, nämlich US-Truppen von endlosen Auslandseinsätzen nach Hause zu holen. Syrien erlangte wieder die territoriale Kontrolle über den Nordosten und die wichtigen wirtschaftlichen Ressourcen dieses Gebiets zurück. Russland festigte sein globales Ansehen und erlangte zusätzlichen Einfluss im Nahen Osten.

Allerdings hat die fünfte „Win-Situation“, nämlich die der Kurden einige Wermutstropfen. Wenn sich die Kurden jedoch mit dem Status einer Teilautonomie zufrieden geben, können sie in Zukunft wieder als Teil der syrischen Republik einer friedlichen Zukunft entgegen sehen. Aber viele Kurden, vor allem die im sicheren Ausland lebende Kurden aus Nordost-Syrien und ihre zumeist linken Freunde sehen das nicht so. Ihr kurzer Traum von einer unabhängigen, sozialistischen, kurdischen Volksdemokratie in der nordost-syrischen Rojava Region, war jedoch zu schön, um wahr zu sein. Denn diese „Kurdische Volksrepublik“ sollte mit vom syrischen Staat gestohlenen Öl-Quellen finanziert werden, welche die Kurden mit amerikanischer Hilfe in syrisch-arabischen Gebieten erobert hatten. Zugleich wäre die Existenz dieser „Kurdischen Volksrepublik“ vollkommen von der permanenten Anwesenheit von US-Truppen abhängig gewesen, um dieses „sozialistische Gebilde“ zu verteidigen, sowohl gegen alle Versuche der legitimen Assad-Regierung, ihre Ölquellen und verlorenes Territorium zurück zu gewinnen, als auch gegen türkische Einfälle um die Unterstützung der PKK zu unterbinden.

Auf dieser wahnsinnigen Konstruktion haben die kurdische Führung und ihre linken Freunde im Ausland ihre Hoffnungen und Erwartungen gebaut. Dass dies auf Dauer nicht gut gehen konnte, war von Anfang an klar. Aber jetzt stimmen sie allein in das Verrat-Geschrei der westlichen Kriegstreiber in der NATO und in Washington ein. Und vor allem für Rojava-Unterstützer im Ausland ist nicht nur Trump der Verräter, sondern in wütenden Rundumschlägen geben sie jetzt auch den Russen die Schuld für das Ende ihrer Träumereien.

Kurioserweise werfen Westlinke in ihrer stark verklärten Sicht auf Rojava den Russen wegen des Sotschi-Abkommens mit der Türkei sogar Völkerrechtsbruch vor, was das Abkommen (siehe den Wortlaut des Textes oben) absolut nicht hergibt. Dennoch titelte z.B. die linke Schweizer Webseite „Info-Sperber“ am 24. Okt 2019: „Syriens Schicksal ist besiegelt“, mit Untertitel: „Nach Donald Trump segnet auch Wladimir Putin die türkische Invasion in Syrien ab – und verletzt ebenso grob das Völkerrecht“
Laut Kreml-Sprecher Dimitri Peskow werden die Russen die Kurden zu nichts zwingen. Falls sich die kurdischen Formationen nicht gemäß der Sotschi-Vereinbarung mit ihren Waffen zurückziehen, dann werden sich stattdessen „die Grenztruppen der syrischen Regierung und die russische Militärpolizei zurückziehen“, sagte der Kremlsprecher am vergangenen Mittwoch. Peskow zufolge würden dann die zurück gebliebenen Kurden-Einheiten von der türkischen Armee plattgewalzt.