Russland-EU
Sergej Lawrow bietet EU einen Deal an
Der
russische Außenminister Sergej Lawrow bedauert in einem Gastbeitrag für die Regierungszeitung
„Rossijskaja Gaseta“, dass
die Idee eines gemeinsamen europäischen Hauses bisher misslungen ist, und
bietet der neuen Führung in Brüssel im Hinblick auf die Multipolarität einen
Neuanfang an. Sputnik liefert die Kernpunkte seiner Botschaft.
Genau vor 30
Jahren wurde das Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und
der Europäischen Atomgemeinschaft und der Sowjetunion über den Handel und die
handelspolitische und wirtschaftliche Zusammenarbeit unterschrieben. Das Datum
bezeichnet Lawrow als einen Ausgangspunkt für den Aufbau der offiziellen
Beziehungen zwischen Russland als Nachfolgestaat der Sowjetunion und der
späteren Europäischen Union. 1994 wurde dazu noch das Partnerschafts- und
Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und allen Staaten in
Osteuropa und Zentralasien mit Ausnahme von Tadschikistan und Weißrussland
vereinbart.
Am Rande des
Russland-EU-Gipfels in St. Petersburg 2003 habe man einen weiteren Schritt zur
Überwindung der Spaltungen
Europas unternommen,
erinnert sich der russische Außenminister und meint damit die Einigung über den
Aufbau einer strategischen Partnerschaft in vier Bereichen, nämlich in
Wirtschaft, Außensicherheit, Freiheit und Recht, Wissenschaft und Bildung und
Kultur. Wären diese gemeinsamen Projekte vollbracht worden, hätten sie „allen
Bewohnern unseres gemeinsamen Kontinents“ greifbare Dividenden gebracht, so
Lawrow, wie etwa Visafreiheit, eine Zusammenarbeit der Sicherheitsdienste gegen
den Terrorismus und die organisierte Kriminalität, eine gemeinsame Regelung der
regionalen Krisen sowie die Gestaltung einer Energieunion.
„Gleichberechtigte
Zusammenarbeit durch Illusion ersetzt, dass…“
„Es war
jedoch nicht möglich, die Nachhaltigkeit der erklärten Partnerschaft in den
Beziehungen zwischen Russland und der EU sicherzustellen“, bedauert Lawrow.
Leider sei
„für viele im Westen“ die gesamteuropäische Perspektive nur durch das Prisma
des „Sieges im Kalten Krieg“ wahrgenommen worden. Die Prinzipien einer
gleichberechtigten Zusammenarbeit seien durch die Illusion ersetzt worden, dass
die euro-atlantische Sicherheit nur um die Nato herum aufgebaut werden und das
Konzept Europas ausschließlich mit der Europäischen Union in Verbindung
gebracht werden sollte. Alles andere sei als eine Art „konzentrischer Kreise“
um diese „Legitimationszentren“ deklariert worden, meint der 69-Jährige. Man
habe Russland aufgefordert, „fertige“, innerhalb der EU bereits „geschweißte“
Entscheidungen zu treffen, die „weder eine Diskussion mit uns noch die Berücksichtigung
russischer Interessen beinhalteten“.
Die
Brüsseler Partner hätten schamhaft verschwiegen, dass das Konzept für die vier
gemeinsamen Räume zwischen Russland und der EU aus dem Jahre 2003 auf einem
gegenseitigen Verständnis der Gefahren beruht habe. Die Versuche, die
gemeinsamen Nachbarn vor die Wahl „EU oder Russland“ zu stellen, seien 2013 als
kontraproduktiv bezeichnet worden. Noch vor 2014 sei der Start der
EU-Initiative der Östlichen Partnerschaft, die im Wesentlichen darauf abgezielt
hätte, die seit Jahrhunderten mit Russland verbundenen engsten Nachbarn von
Russland zu trennen, von Moskau als „ein alarmierendes Zeichen in den
Beziehungen zwischen Russland und der EU“ aufgenommen worden. „Die traurigen
Folgen dieser selbstsüchtigen Politik sind bis heute zu spüren,“ so Lawrow.
Auch
bemängelt der Chef des russischen Außenministeriums, dass der Begriff „Europa“
im Brüsseler Lexikon zum Synonym für „Europäische Union“ geworden sei und
angenommen werde, dass nur die EU-Mitglieder ein „echtes“ Europa seien, wobei
die anderen Länder des Kontinents sich ebenfalls den „hohen Rang der Europäer“
verdienen.
Ein solcher
Ansatz sei zutiefst „verdorben“ und komme dem europäischen Integrationsprojekt
sicher nicht zugute. „Geografisch, historisch, wirtschaftlich und kulturell
war, ist und bleibt Russland ein integraler Bestandteil Europas“, beharrt
Lawrow.
„Neubeginn
unserer Beziehungen“
Trotz der
Widersprüche würden Russland und die EU wichtige Handels- und
Wirtschaftspartner bleiben, sagt Lawrow weiter, aber auch die größten Nachbarn,
die in der Lage seien, die gemeinsame Verantwortung für Frieden, Wohlstand und
Sicherheit „in diesem Teil Eurasiens“ unabhängig zu tragen. Es freut Lawrow
offenbar, dass es „immer mehr Anzeichen dafür gibt“, dass sich „unsere EU-Partner
allmählich der Anomalie des aktuellen Zustands bewusst werden“. Nach einer
gewissen Stagnation habe sich die Dynamik der Interaktion mit den meisten
EU-Mitgliedstaaten wiederbelebt. Es hätten bereits erste Kontakte mit der neuen
Führung der Europäischen Union stattgefunden.
Lawrow ist
sich sicher: Der nächste institutionelle Zyklus in der EU bietet objektiv die
Möglichkeit eines „Neubeginns unserer Beziehungen“. Dies ist laut Lawrow
wenigstens eine Gelegenheit, ernsthaft darüber
nachzudenken, „wer wir
in einer sich schnell verändernden Welt füreinander sind“. Er hoffe darauf,
dass die Entscheidungsträger in der EU sich an den Geboten der Großen Europäer
Charles de Gaulle und Helmut Kohl orientieren würden, die in den Kategorien
„eines gemeinsamen europäischen Hauses“ gedacht hätten.
„Ich bin
überzeugt, dass die Aufrechterhaltung der Identität und Wettbewerbsfähigkeit
der europäischen Kulturen und Volkswirtschaften im Zuge der Globalisierung nur
möglich ist, wenn die komparativen Vorteile aller Länder und
Integrationsverbände unseres gemeinsamen Eurasiens addiert werden.“ Dieses sei
jedoch nicht im Vakuum, sondern in einer multipolaren Welt im Blick auf die
neuen Finanz- und militärischen Machtzentren in der Region Asien-Pazifik als
„neue Realien“ möglich.
„Leider
wurde diese Idee später in Brüssel abgekühlt“
Angesichts
der anhaltenden internationalen Turbulenzen ist für Lawrow die Hoheit des
Völkerrechts erstrangig, aber nicht der Variante, die in Wirklichkeit eine im
Westen erfundene Ordnung sei, die nur den eigenen Interessen unterliege: „Wir
sehen die Europäische Union als eines der Zentren einer multipolaren Welt.“ Man
ziele weiter darauf ab, die Beziehungen zur EU unter Beteiligung der Staaten
der Eurasischen Wirtschaftsunion, der Shanghaier
Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), des Verbandes Südostasiatischer Nationen
(ASEAN) und aller anderen Länder des Kontinents als eine größere eurasische
Partnerschaft vom Atlantik bis zum Pazifik zu bilden. Der Zusammenschluss der
Potenziale der beiden großen regionalen Märkte – Europas und Asiens – werde
auch künftig Situationen vermeiden lassen, in denen unsere „gemeinsamen
Nachbarn“ wieder künstlich vor einer primitiven Entscheidung stehen, meint
Lawrow – entweder mit der EU oder mit Russland weiterzugehen.
Die
Prinzipien für solch eine Partnerschaft seien bereits in gemeinsamen Dokumenten
angelegt worden, erinnert Lawrow, darunter auch in dem beim EU-Russland-Gipfel
in Moskau beschlossenen Dokument zur gemeinsamen Außensicherheit vom 10. Mai
2005. Lawrow verweist weiter auf die am 19. November 1999 unterschriebene Charta
für europäische Sicherheit, die auch Russland unterstützt habe.
Das wünscht
sich Lawrow von Russland-EU-Beziehungen
„Leider
wurde diese Idee später in Brüssel (...) abgekühlt. Auf einer Tagung des
OSZE-Ministerrates am 5. und 6. Dezember 2019 in Bratislava blockierten die
westlichen Länder den russischen Vorschlag, die erwähnte Initiative, die einen
gleichberechtigten europaweiten Dialog unter Beteiligung der EU, der
GUS-Staaten, der Nato und der Organisation des Vertrags über kollektive
Sicherheit (CSTO) beinhaltet, zu bestätigen. Es stellt sich heraus, dass die EU
und die Nato, die ihre Idee vor 20 Jahren einbrachten, vom Vertrauen in ihre
Dominanz getrieben wurden und nun Angst vor der Konkurrenz seitens der
GUS-Staaten haben und vor einem direkten gleichberechtigten Dialog mit ihnen
Abstand nehmen.“
In dieser
Hinsicht ruft Lawrow die EU nachdrücklich auf, sich von den in den Dokumenten
über die Grundlagen der Beziehungen zwischen Russland und der EU verankerten
Grundprinzipien leiten zu lassen und keine Konstruktionen zu erfinden, die
irgendein „erzwungenes Zusammenleben“ vorsehen würden. „Vor uns liegen häufige
Bedrohungen und Herausforderungen: Terrorismus, Drogenhandel, organisierte
Kriminalität, illegale Migration und vieles mehr. Es ist unwahrscheinlich, dass
Beschränkungen der Zusammenarbeit mit unserem Land die Perspektiven der
Europäischen Union selbst in der modernen Welt verbessern würden“, sagt Lawrow
und bestätigt, Russland sei offen „für eine für die beiden Seiten vorteilhafte,
gleichberechtigte und pragmatische Zusammenarbeit – im Einklang mit den
Interessen unserer Verbündeten und aller anderen Partner in Eurasien“. Nur so
könne ein tragfähiges Modell langfristiger Beziehungen aufgebaut werden, das
den Interessen und Bestrebungen der Länder und Völker des gesamten eurasischen
Kontinents entspreche, schreibt Lawrow zum Schluss.
Quelle: https://de.sputniknews.com/politik/20191218326258364-lawrow-eu-zusammenarbeit
18.12.2019