„Russisches Gas ist unverzichtbar“
Klaus-Dieter Maubach,
der Chef des Stromkonzerns Uniper, über d Gasleitung Nordstream 2
und den irrwitzigen Anstieg der Energiepreise
Herr Maubach, die
Energiemärkte spielen verrückt. Was ist da los?
Die Gaspreise haben sich im
vergangenen Jahr verzehnfacht. So etwas habe ich noch nicht erlebt. Obwohl wir
auch bei Öl und Kohle vergleichsweise hohe Preissteigerungen sehen, ist die
Entwicklung an den Gasmärkten spektakulär.
Haben Energiepreise nicht immer schon stark
geschwankt?
Natürlich kennen wir
Preissteigerungen – auch schon mal um das Zwei- oder gar Vierfache, aber sicher
nicht um das Zehnfache. Die Kapriolen am Strommarkt wiederum sind eine Folge
der Verwerfungen am Gasmarkt. Gas spielt bei der Strompreisbildung an den
Börsen heute schon eine wichtige Rolle, und die wird zunehmen.
Russland ist mit einem Anteil von rund 50
Prozent Deutschlands größter Gaslieferant. Es heißt häufig, die Russen trieben
die Preise womöglich auch, um im Ukraine- Konflikt den Druck zu erhöhen?
Das ist ein derzeit gängiger
Erklärungsversuch. Nach unsren Analysen aber ist dieser Vorwurf nicht halt bar.
Zwei Drittel des Gases, das wir verstromen oder handeln, also 250 Terawatt- stunden, kommen auf Basis von langfristigen
Lieferverträgen aus Russland. Und das für uns seit 50 Jahren absolut zuverlässig.
Etwas anderes könnten Sie über Ihren
Hauptlieferanten vielleicht auch nicht sagen.
Die Zuverlässigkeit Russlands
lässt sich mit Zahlen sehr gut belegen – und das nicht nur für die Gasmengen,
die nach Deutschland, sondern insgesamt nach Europa und in die Türkei geliefert
werden. Gazprom zufolge waren das 2020 etwa175 und
2021 rund 172 Milliarden Kubikmeter bis einschließlich November. Eine Verknappung
hat es zu keinem Zeit punkt gegeben, auch gegen über
2019 nicht.
Übrigens:
Mit der Liberalisierung der europäischen Gasmärkte wurde viel unternommen,
damit langfristige Lieferverträge beendet werden – von Seiten der EU-Kommission,
der deutschen Regulierung und anderen.
Was treibt den Gaspreis dann?
Zunächst die deutlich erhöhte
Nachfrage 2021 gegen über dem Vorjahr, der Nach-Corona-Effekt. Zweitens ist in
Europa weniger verflüssigtes Erdgas, sogenanntes LNG, angelandet. Das kommt vor
allem aus Qatar und den USA. Drittens ist die
europäische Gasproduktion gesunken. Und die Gasspeicher sind weniger gefüllt.
Wie ließe sich das
Erdgasangebot steigern?
Die Niederlande und Norwegen
versuchen gerade, ihre Produktion auszuweiten. Doch im Moment hat sich die
Marktlage etwas entspannt. Erstens hat sich der Preisunterschied zwischen Asien
und Europa zu unseren Gunsten entwickelt. Es fließt deshalb wieder mehr LNG
nach Europa. Zweitens ist der Winter bisher recht mild. Und: Auf dem hohen
Gaspreis- niveau haben inzwischen energieintensive
Industrien ihre Produktion eingestellt und verkau- fen das nicht gebrauchte Gas am Spotmarkt.
Könnte die umstrittene neue Pipeline Nord
Stream 2 einen Beitrag zur Preisstabilisie- rung leisten?
Uniper ist eines der fünf Unternehmen, die sich an
dem westlichen Finanzierungsbeitrag von insgesamt 50 Prozent beteiligt haben.
Die Pipeline ist betriebsbereit und mit Gas gefüllt. Sie muss noch von der
Bundesnetzagentur frei gegeben werden. Das soll im Sommer kommen. Aus unserer
Sicht kann es für Deutschland und Europa, die noch sehr lange vom Gas abhän- gig sein werden, nicht falsch sein, über eine
zusätzliche Gasimport-Infrastruktur zu verfügen. Und wenn es nur eine Option
ist. Über welche Leitungen russisches Gas nach Westen gelangt, wird vor allem
eine wirtschaftliche Entscheidung sein.
Trotzdem geht es derzeit vor
allem um Politik. Greift Russland die Ukraine an, wird der Westen mit
Sanktionen reagieren.
Wird es dann in Deutschland kalt und dunkel?
Wir müssen anerkennen, dass
Russland ein wichtiger Wirtschaftspartner für Deutschland ist. Russisches Gas
ist die nächsten Jahre unverzichtbar, auch vor dem Hintergrund der Energie- wende. Was im Fall einer Auseinandersetzung passiert,
kann man nicht seriös vorher sagen. Stand heute sind
wir aber gut -aufgestellt, zumal der Winter bisher mild verläuft. Unter der
Energiepreisentwicklung leidet auch die Industrie.
Warum wird für Energieversorger wie Uniper die Liquidität knapp?
Wir verkaufen unser Gas
langfristig, also auf Termin. Damit sichern sich unsere Kunden einen festen
Vertragspreis. Zusätzlich werden in der Regel Sicherheitsleistungen vereinbart,
die der Differenz aus aktuellem Marktpreis und Vertragspreis entsprechen. Das
Problem: Normalerweise betragen diese Sicherheiten ein paar Prozent. Jetzt aber
können solche sogenannten Margin Calls auch einmal das Neunfache des
Ausgangspreises betragen. Dafür brauchen wir Liquidität. Mit unserem
Hauptaktionär, dem finnischen Konzern Fortum, haben
wir Verträge und Garantien von 8 Milliarden Euro abgeschlossen. Dazu kommen 1,8
Milliarden Euro aus Unipers Finanzierungslinie mit
unseren Kernbanken sowie 2 Milliarden Euro als Kredit li nie von der KfW. Im
Moment haben diese Mittel eher den Charakter einer Vorsorge, auch für den Fall
eines militäri- schen Konflikts in der Ukraine. Wer
weiß, was dann mit den Gaspreisen passiert? Die Absicherungsbeträge fließen uns
im Übrigen an dem Tag zurück, an dem wir unsere Verträge physisch erfüllen.
Werden die Energiepreise so hoch bleiben?
Mit Energiepreisprognosen
liegt man meistens falsch. Da halte ich mich zurück. Soviel aber kann ich
sagen: Wir werden es zukünftig mit deutlich größeren Energiepreisschwankungen
zu tun haben. Dieses Jahr verabschieden wir uns von der Kernenergie, geplant bis
2030 von den Kohle. Dann bleiben Deutschland zwei
Hauptenergieträger, die erneuerbaren Energien und das Erdgas. Die Marginalkosten
von Sonne und Wind liegen bei null, die von Gas sind sehr hoch, zuzüglich der
steigenden CO2-Kosten. Zwischen diesen Polen wird der Preis schwanken.
Wären die Preise auf Dauer weniger volatil,
wenn wir in Deutschland weiter auf Atomkraft und Kohle setzen würden?
An der Diskussion beteilige
ich mich nicht. Das hätte den Anklang einer Revanche-Debatte. Die Entscheidungen
sind gefallen. Deutschland steigt aus, soll bis 2045 klimaneutral werden – was
sehr wichtig ist – und wird noch lange von Gasimporten abhängig sein.
Die relevante Frage wäre, was wir jetzt für
Optionen haben. Nämlich?
Vorab: Der neue Bundeswirtschaftsminister
hat mit seiner Zustandsanalyse verdeutlicht, dass wir die CO2-Ziele auch
nächstes Jahr verfehlen werden. Wir hinken der Entwicklung hinter her, haben
dabei allerdings die höchsten Strompreise in Europa und zusätzlich auf der Gas-
und Stromseite erhebliche Herausforderungen bei der Versorgungssicherheit. Das
sind drei wirklich große Baustellen, die wir gleichzeitig bearbeiten müssen. Es
ist mach bar, wird aber teuer.
Die Preise bleiben dauerhaft hoch?
Hohe Energiepreise sind ein
Signal an alle Verbraucher. Sie bedeuten, dass sich Investitionen in
Energieeffizienz lohnen, sei es in einen neuen Kühlschrank, die bessere
Gebäudeisolierung oder in eine effizientere Produktionsanlage. Das ist erstmal
eine gute Nachricht. Außerdem führen die hohen Energiepreise dazu, dass die
regenerativen Energien wettbewerbsfähiger werden. Auch kein schlechtes Preissignal.
Robert Habeck will
den Ausbau der Erneuerbaren ja beschleunigen.
Und das ist richtig – Wind
und Sonne. Letzteres nicht nur zentral über Solarfarmen, sondern auch dezentral
auf den Dächern.
Aber Sonne und Wind unterliegen Schwankungen.
Die Volatilität sinkt dadurch doch gerade nicht.
Nein, dazu müssen wir
Leitungen ausbauen – und das in ganz anderem Maße als bisher. Und wir brauchen
Speicherkapazitäten. Gas ist und bleibt aufgrund seiner Dichte im flüssigen
Zustand der ideale Energiespeicher, mit dem wir die großen Schwankungen ausgleichen
können. Erdgas wird in den Jahren des Übergangs die Energieversorgung
gewährleisten. Und später wird grünes Gas das wichtigste langfristige Speichermedium
werden. Wasserstoff, der aus dem Strom von Windrädern und Solaranlagen hergestellt
wird.
Brauchen wir dann nicht sehr viel mehr
Gaskraftwerke, am besten- solche, die in den Jahren des Übergangs Erdgas und
später dann -Wasserstoff in Strom verwandeln?
Die größte Herausforderung
von Herrn Habeck liegt zunächst im beschleunigten
Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung: Offshore-Wind-Farmen und der Ausbau der
Windkraft auf dem Festland. Dafür muss er 1. Flächen ausweisen
und 2. die Möglichkeit
schaffen, die hohen Strommengen auch ins Netz einzuspeisen. Natürlich ist das
ein Eingriff in die Natur. Die Identifizierung der Flächen dafür ist bei der
dichten Besiedlung Deutschlands eine echte Herausforderung. Die Zielkonflikte
sind enorm.
Könnte man bei entsprechendem Ausbau von
Produktions-, Leitungs-und Speicherkapazitäten Deutschland ausschließlich mit
erneuerbarer Energie versorgen?
Ja,
keine Frage. Das ist technisch machbar und wirtschaftlich attraktiv, vor allem
bei dauerhaft hohen Preisen für fossile Energieträger.
Die spannende Frage wird die politische
Umsetzung sein. Erklären Sie mal den Bayern, dass für die Klimaneutralität dort
auch 200 Meter hohe Windräder stehen werden. Und die Gaskraftwerke?
Wenn die Regierung den
Kohleausstieg beschleunigt, braucht Deutschland für die Versorgungssicherheit
laut einer BDI-Studie rund 60 Ersatzkraftwerke bis 2030, die zunächst noch mit
Erdgas betrieben werden und später mit Wasserstoff.
Planen oder bauen Sie schon neue?
Nein, dafür gibt es aktuell
keinen Business Case, der es für Uniper als
börsenorientiertes Unternehmen rechtfertigen würde, mit der Planung eines
Gaskraftwerks zu beginnen. Wenn Herr Habeck seine
Pläne umsetzen will, müsste er sich einen Anreizrahmen ausdenken, damit die Ener- giekonzerne in den Wettbewerb
um den Bau von Gaskraftwerken einsteigen.
Hat er sich denn schon mal erkundigt, unter
welchen Bedingungen Investitionen für die Industrie attraktiv werden?
Nein, bei Uniper
zumindest nicht. Das Gespräch führte Inge Kloepfe