Russisches Außenministerium über den Jahrestag des 2.
Weltkriegs und
polnische
Reparationsforderungen an Deutschland
von Thomas Röper
Der Gedenktag zum 80. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs in
Warschau hat in Russland für viel Ärger und Aufregung gesorgt. Auch die
Sprecherin des russischen Außenministeriums hat sich dazu bei ihrer
Pressekonferenz am Donnerstag ausführlich geäußert.
Zu dem Gedenktag in Warschau war Russland zum ersten
Mal nicht eingeladen. Das Land, das in dem Krieg mit mehr als 25 Millionen
Toten den größten Blutzoll zu zahlen hatte, musste draußen bleiben. Das alleine
wäre eigentlich schon ein ausgewachsener Skandal. Aber die polnische Regierung
hat den Gedenktag gleich in mehrfacher Hinsicht missbraucht.
Zum einen dadurch, Russland nicht eingeladen zu haben. Außerdem fand der
Gedenktag nicht, wie üblich, in Danzig statt, weil sich die polnische Regierung
in einem kleinlichen Streit mit der dortigen Stadtregierung befindet. Die
polnische Regierung hat den Gedenktag für die größte Katastrophe der Menschheit
komplett ihren heutigen, kurzfristigen Zielen der Tagespolitik untergeordnet.
Übrigens scheint das sogar den deutschen Medien
unangenehm gewesen zu sein, die Berichterstattung war im Vergleich zu den
Vorjahren sehr mager. Ich habe an dem Tag, dem 1. September, auf einen Artikel
in Deutschland gewartet, an dessen Beispiel ich die ganze Absurdität der
Veranstaltung in Warschau hätte aufzeigen können. Es kam keiner, die
Berichterstattung beschränkte sich trotz des runden Jubiläums der
Welt-Katastrophe auf ein Minimum. Auch die deutschen Medien scheinen das
Fremdschämen für westliche „Bündnispartner“ noch nicht ganz verlernt zu haben.
Die Sprecherin des russischen Außenministeriums hat in
ihrer Pressekonferenz sehr ausführlich darüber gesprochen und sie war ehrlich
verärgert. Auch die schlimmsten Nachrichten verbreitet sie normalerweise mit
einer Portion schwarzem Humor und ehrlicher Entrüstung. Aber bei diesem Teil
der Pressekonferenz konnte man sehen, wie sie sich regelrecht auf die Zunge
beißen musste vor Wut, das habe ich noch nie bei ihr gesehen.
Polen hat die Veranstaltung auch genutzt, um die deutschen Reparationen in Höhe von fast einer Billion
Euro anzumahnen, die ihm seiner Meinung nach zustehen und
auf die Polen 1953 angeblich nur deshalb verzichtet hat, weil Moskau es
angeordnet hätte. Das ist kaum haltbar, aber es ist die polnische Begründung
für die aktuelle Forderung, die ein polnischer Minister in seiner „Gedenkrede“
am 1. September wiederholt hat.
Ansonsten war die Veranstaltung davon geprägt, dass
das geschichtliche Ereignis der jeweiligen politischen Tagesordnung
untergeordnet wurde. Da ist es geradezu kurios, dass ausgerechnet die Menschen,
die in Warschau öffentlich die Geschichte verfälscht haben, anderen
Geschichtsfälschung vorwerfen.
Steinmeier ging auf die russischen Opfer
gar nicht ein, sondern lobte den Einsatz der USA in dem Krieg und
„die Größe der USA“. Die Polen forderten Geld von Deutschland. Und auch
die anderen Redner taten weitgehend so, als habe Russland an dem Krieg nicht
teilgenommen oder sei gar der wahre Feind gewesen. Es war eine
Nato-Veranstaltung, die ganz der aktuellen Tagespropaganda gewidmet war und
nicht dem geschichtlichen Gedenken an den Zweiten Weltkrieg.
Die Sprecherin des russischen Außenministeriums ging
auf die Veranstaltung so ausführlich ein, dass ich nicht alles übersetzen kann.
Ich beschränke mich daher auf ihre Ausführungen zur Frage der deutschen
Reparationen an Polen. Ihre Aussagen dazu waren verblüffend und ich habe daher
diesen Teil der offiziellen Erklärung des russischen Außenministeriums zu der unwürdigen Veranstaltung in Warschau übersetzt. Außerdem hat sie
die Gelegenheit auch zu einer generellen Systemkritik an der „liberalen
Weltordnung“ genutzt, die ich auch übersetzt habe.
Beginn der Übersetzung:
Alles, was man in Warschau reichlich zu hören bekam,
hat keinerlei rechtliche und historische Grundlage. Alle Versuche, die
Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs umzuschreiben, insbesondere Dokumente zu
vergessen oder zu manipulieren, einschließlich der Versuche, nachträglich
neben den Nazi-Verbrechern noch andere auf die Anklagebank zu setzen, gegen all
das werden wir mit aller Kraft vorgehen.
Weil dies ein Verbrechen gegen die Weltgeschichte,
gegen unsere gemeinsame Geschichte ist. Es ist ein Verbrechen gegen die
Geschichte, für die Millionen von Menschenleben bezahlt wurden. Aber die
Absurditäten endeten damit nicht.
Vieles war dieses Mal anders. Der polnische
Verteidigungsminister zeichnete sich dadurch aus, dass er eine Erklärung über
die Verantwortung Moskaus dafür abgegeben hat, dass Polen keine Reparationen
von Deutschland erhalten hat. Das ist nicht nur unanständig, sondern schon am
Rande der Unmenschlichkeit. Ich möchte daran erinnern, dass die Erklärung von
1953 über den Verzicht auf Reparationen von der legitimen polnischen Regierung
unterzeichnet wurde, die von der internationalen Gemeinschaft anerkannt war und
ihr Land bei den Vereinten Nationen vertreten hat. Oder denkt Warschau jetzt
anders darüber?
Wenn die Leute in Warschau ihre Meinung geändert haben
und es nun anders sehen, sollten sie sich zuerst mit ihrer eigenen Geschichte
auseinandersetzen. Und bevor sie solche Erklärungen abgeben, sollten sie
über die rechtlichen Konsequenzen nachdenken.
Ich möchte auch daran erinnern, dass Polen dank
diplomatischer Bemühungen der Sowjetregierung nach dem Krieg Gebiete von
Deutschland innerhalb der Grenzen von 1937 bekommen hat, die 25% des heutigen
polnischen Staatsgebietes ausmachen.
Es geht um die
Region östlich der Oder-Neiße-Linie. Diese Gebiete hat Deutschland verloren.
Was die enorme finanzielle und logistische Unterstützung betrifft, die die
Sowjetunion Polen gewährt hat, und die Art und Weise, wie der Wiederaufbau
zustande kam, so werden wir zusätzliches Material darüber veröffentlichen. Das
alles aufzuzählen, würde diese Pressekonferenz und jede vergleichbare
Veranstaltung sprengen.
Wir werden nicht müde, auf dieses Thema zurückzukommen.
Wir werden nicht müde, all diese Fälschungen, Unterstellungen und
Falschinformationen zu widerlegen. Denn dieses Thema gehört zur Kategorie des
Ewigen und Unvergesslichen. Die vielen Völker der Sowjetunion, die Völker der
Verbündeten der UdSSR in der Anti-Hitler-Koalition und die Teilnehmer der
Partisanen-Kämpfe, zeigten beispiellosen Mut, damit die nachfolgenden
Generationen in einer freien Welt ohne die hasserfüllte Ideologie des
Hitlerismus leben können.
An anderer Stelle ihrer langen Stellungnahme zu dem
Thema sagte die Sprecherin noch einen interessanten Satz. Sie fragte, warum
ausgerechnet jetzt angefangen wird, die Geschichte des Zweiten Weltkriegs
umzuschreiben und nicht schon vor „10, 20 oder 30 Jahren“. Und sie gab die
Antwort selbst:
Weil es damals, als die Veteranen und Zeitzeugen noch
lebten nicht möglich gewesen wäre. Eine Protestwelle der
Kriegsteilnehmer hätte sich länderübergreifend gegen solche
Geschichtsfälschungen erhoben, wie sie in Warschau in diesen Tagen zu
beobachten waren.
Nun noch zu der angekündigten Kritik an der „liberalen
Weltordnung“, die die Sprecherin des russischen Außenministeriums ebenfalls
geäußert hat.
Ich denke, wir sollten darüber nachdenken,
was die „liberale Weltordnung“ in Wirklichkeit ist, der jetzt in Warschau die
historische Wahrheit „geopfert“ wurde. Diese „liberale Weltordnung“ bedeutet
für den größten Teil der Entwicklungsländer die Fortsetzung des kolonialen oder
neokolonialen Regimes.
Es ist sehr seltsam, dass darüber 2019 in Warschau
nicht gesprochen wurde, als es um die freie Welt und ihre Werte, ging.
Dieses Regime bedeutete das „Recht der Stärkeren“, das
„Gesetz des Dschungels“ für eine Reihe von Kontinenten, nicht nur Staaten oder
Völkern. Erinnern wir uns an Napalm in Vietnam oder abgereichertes Uran in
Jugoslawien. Vielleicht wurde Abu Ghraib und die Methoden vergessen, mit denen
diese, nach ihrem Verständnis, sehr „liberale Weltordnung“ vorgeht. Und dieses
Regime wurde im Nahen Osten und Nordafrika seit den frühen 2000er Jahren
eingeführt. Und vielleicht denken wir auch daran, wie die Vertreter dieser
„liberalen Weltordnung“ Leute behandelt, die ihre Mechanismen aufdecken, wie
zum Beispiel Julian Assange.
Viele Länder in Asien, Lateinamerika und Afrika haben
gerade wegen dieser „liberalen Weltordnung“ im 20. Jahrhundert keine
Gelegenheit erhalten, sich richtig zu entwickeln.
Ihre Regierungen wurden einfach eingesetzt, um denen
Nutzen und Gewinn zu bringen, die die Staaten repräsentierten, die heute als
liberal und demokratisch bezeichnet werden. Aufgrund dieser „liberalen
Weltordnung“ sind unzählige Angriffskriege mit einer
ungeheuren Zahl an Opfern geführt worden, die in die Millionen geht,
Volkswirtschaften zerstört haben und Menschen ganzer Regionen der Welt
entrechtet haben. Das ist alles wahr. Warum habt Ihr in Warschau nicht
darüber gesprochen?