RUSSLAND UND DIE WELT
Russlands Rivalen haben
keine Chance
von Wladimir Moshegow
Der NATO-Gipfel in Madrid wurde von den globalen Medien als ein wahrhaft
epochales Ereignis dargestellt. Dermaßen epochal, dass der spanische
Außenminister José Manuel Albares dieses Ereignis
sogar mit der Konferenz von Jalta und dem Fall der Berliner Mauer verglich. Ein
gelungener Vergleich ist das natürlich nicht.
Die Konferenz von Jalta fand am Ende des Krieges statt, nicht zu seinem Beginn.
Offensichtlich entspricht auch die derzeitige Phase nicht dem
"Mauerfall", sondern eher ihrer Errichtung. Und
die Welt erlebt heute nicht das selige "Ende der Geschichte" laut Fukuyama, sondern einen neuen, rauen Anfang der
Geschichtsschreibung.
Im Ganzen gesehen spiegeln die Worte des spanischen Ministers treffend den
aktuellen Stand der Erkenntnisse im Lager der "Freunde der
Demokratie" wider: der entflammte Propaganda-Hype, die klaffende
Inhaltsleere und das völlige Fehlen von verständlichen Darstellungen zur
Beschreibung und zum Verständnis der heutigen Weltlage.
Übrigens sind Rolle und Bedeutung des Gipfels eindeutig, selbsterklärend und
bedürfen daher keiner zusätzlichen propagandistischen Rechtfertigung. Der
Westen akzeptiert offensichtlich die Situation eines strategischen Konflikts –
nicht zwischen Russland und der Ukraine, sondern zwischen Russland mit dessen
Verbündeten gegen die "liberale Weltordnung" als Ganzes – und nimmt
im fünften Monat der russischen Spezialoperation endlich den Fehdehandschuh
auf, der ihm zugeworfen wurde.
Derselbe Sinn und Zweck sind daher auch in der Deklaration zu erkennen, die zum
Abschluss der Konferenz abgegeben wurde.
Darin wird Russland als "die
bedeutendste und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Bündnispartner
und für Frieden und Stabilität in der euro-atlantischen Region" anerkannt.
Der internationale Terrorismus ist sogar auf den zweiten Platz der
NATO-Hitparade vorgerückt. Erst an dritter Stelle steht China, das hier
vorsichtig als Ursache eines "systemischen Wettbewerbs" bezeichnet
wird, welche die "regelbasierte" Ordnung untergrabe.
Wie zu erwarten war, wird in der Erklärung auch die Annahme eines neuen
strategischen Konzepts für das Bündnis verkündet. Vor uns steht also der
Versuch, sich so umfassend und tiefgreifend wie möglich auf den neuen Kontext
einer globalen Kriegsführung zu konzentrieren, geradewegs eines globalen
Krieges: Die NATO gibt der Welt zu verstehen, wie (für sie) die Bedrohung
aussieht.
Russland hat das allerdings schon viel früher klargestellt: Die Globalisierung
ist gescheitert; die neue Ordnung, wie sie der Westen
sieht, ist für den größten Teil der Welt nicht annehmbar. All dies hat
Wladimir Putin den "hochgeschätzten Partnern" regelmäßig zu Gehör
gebracht, insbesondere auf dem World Economic Forum
2021 in Davos. "Es ist absolut klar, dass die Welt nicht den Weg gehen
kann, eine Wirtschaft aufzubauen, die für eine Million Menschen oder gar eine
'goldene Milliarde' funktioniert. Das ist einfach eine destruktive Haltung. Ein
solches Modell ist per Definition nicht tragfähig", sagte der russische
Präsident.
Und im Juni 2022, als er die Veteranen des Auslandsgeheimdienstes zum
hundertjährigen Bestehen der verdeckten Aufklärung gratulierte, sagte Putin:
"Die Multipolarität ist in
unserem Verständnis vor allem Freiheit. Die Freiheit der Länder und Völker für
ihr natürliches Recht, einen eigenen Weg der Entwicklung zu gehen, ihre
Identität und Einzigartigkeit zu bewahren. In diesem Modell der Weltordnung
gibt es keinen Platz für das Diktat, für auferlegte Schablonen, für
Vorstellungen von der Exklusivität einzelner Länder oder gar einiger Blöcke."
Der Westen hat nun endlich begriffen, dass alles, was Putin gesagt hat, ernst
gemeint war. Und er antwortete mit seinem eigenen Ultimatum in der Erklärung
des NATO-Gipfels: "Russland muss diesen Krieg sofort beenden und sich aus
der Ukraine zurückziehen. Weißrussland muss seine Beteiligung an diesem Krieg
beenden. Belarus muss seine Mitschuld an diesem Krieg beenden." Ein
Ultimatum, das verständlicherweise ebenso wenig durchsetzbar ist, wie es auch
die Forderung an die NATO wäre, sich bis zu den Grenzen von 1997
zurückzuziehen.
Die endgültige Zerstörung jener Weltordnung von Jalta
(nicht die einer Neuauflage von "Jalta") – das ist letztendlich die
wahre Bedeutung dessen, was derzeit geschieht.
Und nun noch ein wenig genauer: Wenn das Ziel des Gipfels darin bestand, sich
angesichts einer konkreten Bedrohung zu konsolidieren und zu vereinen, dann
wurde es offensichtlich erreicht. Die westliche Propaganda darf weiterhin
feierlich Lobeshymnen von der "großen Bedeutung des Gipfels" und der
Einheit dieser "freien Welt" angesichts der gefürchteten russischen
Bedrohung singen, darin wird keine Übertreibung liegen. Nur hat man das Gefühl,
dass diese "Einheit auf dem Gipfel" eben genau das ist, eine Einheit
auf ihrem "Gipfel", also auf dem Höhepunkt einer schwungvollen
Begeisterung, auf die unweigerlich eine Phase der Ernüchterung und der
schnellen Desintegration folgen wird.
Lassen Sie uns das an einem anschaulichen Beispiel verdeutlichen. Die größte
Überraschung des Gipfels war natürlich die Beilegung der Krise zwischen der
Türkei, einem Mitglied der Allianz, und Finnland mit Schweden, die heute
unbedingt dem Bündnis beitreten wollen. Erdoğan
hat wirklich alles bekommen, was er wollte. Finnland und Schweden haben alle
seine Forderungen in Bezug auf "kurdische Terrororganisationen" und
den gemeinsamen Kampf gegen den "Terrorismus" anerkannt.
Der deklarativen Theorie muss jedoch die Praxis folgen. Und sie ist eindeutig. Erdoğan hat die Abschiebung von mehr als 30
Terroristen aus den Gebieten der skandinavischen Länder gefordert. Das hat
bereits zu Unruhen unter den Kurden in Schweden geführt und die Behörden vor
ein großes Dilemma gestellt. Kommt es nicht zu dieser
Auslieferung, ist die Antwort Erdoğans ganz
klar: Die türkische Regierung wird den unterzeichneten Vertrag einfach nicht
ratifizieren. Und so verhält es sich mit praktisch allen Punkten auf der
Tagesordnung der NATO.
Noch ein Beispiel: Die baltischen Staaten freuen sich zu Recht über die
Vereinbarungen zur Aufstockung der NATO-Truppenkontingente auf ihren
Territorien vom Niveau eines Bataillons auf das einer Brigade. Die Freude ist
verständlich: eine größere Anzahl von Truppen bedeutet mehr Zuschüsse und Bau
von Infrastrukturen: neue Brücken, Straßen und mehr. Was aber die Sicherheit
betrifft, so ist das ein Verlust an Aufwand und Geld. Das Problem mit den
baltischen Staaten ist die prinzipielle Unmöglichkeit, sie zu schützen.
Unabhängig davon, welche Streitkräfte hier stationiert werden, bleibt die
Region ein durchaus erreichbares Zielareal für russische Raketen und Panzer.
Das weiß man natürlich auch bei der NATO.
Ebenso wie die Tatsache, dass der Konflikt mit Russland ein langwieriger ist.
Dass die große geopolitische Schachpartie gerade erst beginnt, sich zu
entfalten. Dass heute nur die Eröffnung gespielt wird, während die Figuren ihre
Positionen einnehmen und die allgemeine Struktur der zukünftigen Schlacht erst
noch Gestalt annimmt (wobei die Antwort auf die Bündnisse des Westens zum
Beispiel die BRICS-Erweiterung ist, zu der sich Argentinien und Iran angemeldet
haben; oder die chinesische Flotte, die in der Nähe von Taiwan Position
bezieht). Eine Eröffnungspartie, die auch von der Dritten Welt (also von
Zweidrittel der Weltbevölkerung) genau beobachtet wird; eine Eröffnung, die
sich noch lange gemächlich hinziehen wird, bis es zu einem Mittelspiel kommt.
Was die Länge des Spiels angeht, so hat Russland keine Eile. Und hierbei haben
Russlands Konkurrenten nicht den Hauch einer Chance. Ein
Leben ohne Greenback, ohne gleichmäßig geschnittenes grünes US-Notenbankpapier,
ist möglich. Sogar ein Leben ohne MacBook und iPhone ist möglich. Doch ohne
Brot, Wasser und mindestens gemütlich knisterndes Holz im Kamin oder wenigstens
in einem gusseisernen Ofen können nicht einmal der Buckingham-Palast und das
Weiße Haus überleben.
https://pressefreiheit.rtde.tech/meinung/142816-russlands-rivalen-haben-keine-chance/
6.7.2022