100 Jahre Sowjetunion
Rückkehr des
sozialistischen Modells ?
Dokumentiert. Rede von Juri Afonin. Der globale
Kapitalismus ist gescheitert, in Russland wird eine Resowjetisierung
erforderlich
von Juri Afonin
Der erste Stellvertreter des Vorsitzenden der Kommunistischen Partei der
Russischen Föderation (KPRF) und Dumaabgeordnete Juri
Afonin sprach am 9. Dezember in Nischni
Nowgorod auf einer wissenschaftlichen Konferenz, die dem 100. Jahrestag der
Bildung der UdSSR gewidmet war. Die Konferenz wurde von der Russischen Akademie
der Wissenschaften, der Bezirksregierung des Gebietes Nischni
Nowgorod, der Russischen Politologengesellschaft, der
Russischen Assoziation der Europaforscher sowie der Nowgoroder
Abteilung der Versammlung der Völker Russlands organisiert. Ihr Titel lautete:
»Die UdSSR: eine vergangene Zukunft?«.
Unser Parteiplenum, das Mitte November stattfand, hat die wichtigsten Merkmale
und Aufgaben unserer Zeit eingehend analysiert und nachgewiesen: den Bankrott
des neoliberalen globalistischen Entwicklungsmodells;
den Wunsch seiner Anhänger, das gescheiterte räuberische Modell der
kapitalistischen Weltregierung mit allen Mitteln – auch militärischen –
aufrechtzuerhalten; die Relevanz des sozialistischen Erbes und die dringende
Notwendigkeit, unter den heutigen schwierigen Bedingungen zu ihm
zurückzukehren.
Die einzigartige Erfahrung der Sowjetunion, deren hundertsten Jahrestag wir am
30. Dezember begehen, ist in diesen schwierigen Zeiten wichtiger und aktueller
denn je. Einer der überzeugendsten Beweise dafür ist die in soziologischen
Umfragen ermittelte Massenstimmung. Es zeigt sich, dass sie von Jahr zu Jahr
immer prosowjetischer wird.
Nach jüngsten, großangelegten Meinungsumfragen über die Einstellung unserer
Gesellschaft zur Sowjetära halten drei Viertel der Bevölkerung sie für die
beste in der russischen Geschichte. Nur 18 Prozent sind mit dieser Einschätzung
überhaupt nicht einverstanden. 65 Prozent der Befragten bedauern den
Zusammenbruch der UdSSR vorbehaltlos. Genauso viele sind davon überzeugt, dass
die Katastrophe hätte vermieden werden können.
Diejenigen, die solche Gefühle kategorisch ablehnen, versuchen sie ausschließlich
auf die Nostalgie von Menschen zurückzuführen, die in der Sowjetunion
aufgewachsen sind und sich an die Zeiten ihrer Kindheit und Jugend erinnern.
Das ist jedoch eine oberflächliche und tendenziöse Interpretation. Sie wird
allein schon durch die Tatsache widerlegt, dass das Interesse an der
sowjetischen Geschichte und ihre positive Bewertung bei jungen Menschen
zunimmt, d. h. denjenigen, die am Ende des 20. und zu Beginn des 21.
Jahrhunderts geboren wurden und im postsowjetischen, kapitalistischen Russland
aufgewachsen und ausgebildet worden sind. Die Analyse der Urteile der älteren
Generation führt zu dem Schluss, dass das sowjetische Entwicklungsmodell von
ihnen nicht nur aus subjektiven Gründen, die mit nostalgischen Gefühlen
zusammenhängen, als am besten geeignet angesehen wird.
Wenn wir darüber sprechen, wie die Bürger des heutigen Russlands über die
Sowjetzeit denken, sollten wir betonen, dass die wichtigsten Errungenschaften
meist im sozialen Bereich genannt werden. Fast 60 Prozent der Befragten sehen
die Fürsorge für die einfachen Menschen an erster Stelle. Mehr als 40 Prozent
nennen wirtschaftliche Erfolge und keine Arbeitslosigkeit. Mehr als ein Drittel
verweist auf die ständige Verbesserung des Lebens der Menschen und die
Tatsache, dass die Sowjetunion die fortschrittlichste Wissenschaft und Kultur
vorweisen konnte. Dies ist nicht nur und nicht so sehr Nostalgie als Ergebnis
eines direkten Vergleichs der sowjetischen und postsowjetischen sozialen,
wirtschaftlichen und moralischen Erfahrungen. Ein Vergleich, der zu einer
sicheren Schlussfolgerung über die objektiven Systemvorteile der damaligen Zeit
führt.
Jeder, der in der Lage ist, grundlegende Fakten und Daten zu vergleichen und zu
analysieren, kann nicht umhin, zu dem Schluss zu kommen, dass die sowjetische
Geschichte die Vorzüge sozialistischer Regierungsprinzipien und einer gerechten
Verteilung des nationalen Reichtums überzeugend belegt.
In den letzten zehn Jahren wuchs unsere Wirtschaft mit einer durchschnittlichen
jährlichen Rate von nicht mehr als einem Prozent. Die Wirtschaft der UdSSR
wuchs dagegen in den ersten drei Jahrzehnten ihres Bestehens, als ihre
finanziellen und produktiven Grundlagen geschaffen wurden, im Durchschnitt um
fast 14 Prozent jährlich. Das ist ein Ergebnis, das kein anderer Staat auf der
Welt wiederholen konnte.
Nicht anders als das vorrevolutionäre kapitalistische Russland und auch das
heutige steigerte die UdSSR ihre Industrieproduktion in denselben 30 Jahren um
das 13fache. Während die USA sie nur verdoppelten, erhöhte Großbritannien sie
um 60 Prozent.
Bereits während des ersten sowjetischen Fünfjahresplans wurden über 1.500
Industriebetriebe errichtet. Darunter befanden sich solche Giganten wie Dneproges, das Ural-Kusnezker Metallurgiekombinat, die Stalingrader und Charkower Traktorenwerke, die Moskauer und die
Gorki-Autofabriken. Im gleichen Zeitraum wurde der Bau der
Turkestan-Sibirischen Eisenbahn abgeschlossen. Die Schwerindustrie in der UdSSR
wuchs fast um das Dreifache, der Maschinenbau um das Vierfache. Die
durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Industrieproduktion betrug 15
Prozent, die Arbeitsproduktivität stieg um fast ein Drittel.
In den Fünfjahrplänen der Vorkriegszeit wurden 9.000 große Industrieunternehmen
gegründet. Die Bruttoproduktion stieg im Vergleich zu 1913 fast um das
Achtfache. Neue Industrien wurden buchstäblich aus dem Nichts geschaffen –
Werkzeugmaschinenbau, Traktorenbau, chemische Industrie und Flugzeugbau.
Hunderte von neuen Städten entstanden – Komsomolsk am Amur, Magnitogorsk,
Elektrostal und viele andere. Allein das Dnjepr-Wasserkraftwerk erzeugte mehr
Energie als alle Kraftwerke im zaristischen Russland. Die drei Werke in
Magnitogorsk, Kusnezk und Makejewka
produzierten so viel Eisen wie die gesamte Industrie des Zarenreichs.
Trotz der enormen Verluste, die unser Land im Kampf gegen den Faschismus
erlitten hatte, erholte sich die Volkswirtschaft nach dem Sieg nicht nur rasch,
sondern verzeichnete auch ein enormes Wachstum. In den ersten fünf
Nachkriegsjahren nahm die Sowjetunion mehr als 6.000 Industrie- und
Energieanlagen in Betrieb. Die UdSSR stellte selbstbewusst die wirtschaftliche
Überlegenheit der Vereinigten Staaten in Frage. Dort betrug die Wachstumsrate
des Volkseinkommens weniger als drei Prozent pro Jahr, in unserem Land lag sie
bei über vier Prozent. In den USA wuchs die Industrieproduktion um weniger als
drei Prozent jährlich, in der Sowjetunion um mehr als fünf Prozent. In den
1960er Jahren war einer von vier Wissenschaftlern der Welt ein Bürger der UdSSR.
Die kolossalen wirtschaftlichen Erfolge zogen ebenso überzeugende soziale
Ergebnisse nach sich. Die sowjetische Wirtschaft ermöglichte es nicht nur, die
Arbeitslosigkeit vollständig zu beseitigen, sondern auch, jedem einen
Arbeitsplatz in seinem Beruf zu garantieren. Diese historische Leistung beruhte
vor allem auf dem raschen Wachstum der Zahl der neuen Unternehmen und der
ständigen Steigerung ihrer Produktionskapazität.
In den letzten 30 Jahren ist die mittlere Lebenserwartung nach Angaben von
Demographen nur um 1,5 Jahre gestiegen. In den letzten Jahren verwandelte sich
der langsame Anstieg sogar in einen Rückgang, d. h. in den letzten drei Jahren
wurde das symbolische Bevölkerungswachstum durch Aussterben ersetzt. In dieser
Zeit ist die Zahl der indigenen Einwohner Russlands um zwei Millionen
zurückgegangen. Die UdSSR lag bei der Lebenserwartung Anfang der 1970er Jahre
nicht nur vor den USA, sondern auch vor den meisten führenden europäischen
Ländern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass man in Russland zu Beginn des 20.
Jahrhunderts im Durchschnitt 17 Jahre weniger lebte als in Amerika.
Mit Ausnahme der Kriegsjahre, in denen 27 Millionen Sowjetbürger ums Leben
kamen, verzeichnete das Russland der Sowjetzeit ein konstantes und schnelles
Bevölkerungswachstum. Vor dem Großen Vaterländischen Krieg lebten 111 Millionen
Menschen innerhalb der Grenzen der RSFSR. Und diese Zahl wurde schon zehn Jahre
nach dem Sieg wieder erreicht. Bis Anfang der 1980er Jahre wuchs die russische
Bevölkerung im Vergleich zur Vorkriegszeit um fast 40 Millionen, das sind
doppelt so viele wie in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts.
Es ist einfach nicht fair, die Schlussfolgerungen derjenigen, die diese
Errungenschaften mit den Ergebnissen der drei postsowjetischen Jahrzehnte
vergleichen, auf rein nostalgische Gefühle zu reduzieren.
Jeder vernünftige Mensch kann nicht umhin, sich zu fragen, warum in der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts auf die RSFSR ein Zehntel der Weltproduktion, auf
die UdSSR ein Fünftel, auf die Länder der sozialistischen Gemeinschaft zusammen
40 Prozent entfielen, aber auf das heutige Russland weniger als zwei Prozent.
Warum haben wir es in den letzten drei Jahrzehnten nicht geschafft, die Folgen
des Niedergangs unserer Binnenwirtschaft zu überwinden, die seit Anfang der
1990er Jahre in eine chronische Krise geraten ist? Warum ist sie nach wie vor
unterfinanziert, technologisch rückständig und unproduktiv? Warum kann sie
nicht mit den Problemen fertig werden, die bereits in den ersten Tagen der
Sowjetmacht überwunden wurden? Die unvermeidlichen Antworten auf diese Fragen
ergeben sich nicht aus nostalgischen Gefühlen, sondern aus elementarer Logik.
Sie führt auch zu einer enttäuschenden, aber ebenso unausweichlichen
Schlussfolgerung: Das Wirtschaftssystem, das sich in unserem Land nach der
Absage an die sozialistische Entwicklung etabliert hat, ist prinzipiell nicht
in der Lage, das Wohlergehen der Bürger zu gewährleisten. Heute leben mehr als
20 Millionen unterhalb der Armutsgrenze, beim Mindestlohn liegen wir im
sechsten Dezil (Zehnergruppen) der Staaten.
Wir können nicht akzeptieren, dass fast ein Viertel der Familien mit Kindern in
Armut lebt und mehr als die Hälfte der Familien mit vielen Kindern, dass die
Verarmung Dutzende von Millionen Menschen in die Schuldenfalle treibt, so dass
die Gesamtverschuldung der russischen Kreditnehmer bei den Banken bereits fast
den Umfang des föderalen Haushalts erreicht. Denn unser Land steht weltweit an
erster Stelle, was das Verhältnis zwischen dem Bruttoinlandsprodukt und dem
Gesamtvermögen der Milliardäre betrifft, das 36 Prozent des BIP beträgt. Wir
können nicht akzeptieren, dass im 21. Jahrhundert Russland das einzige Land der
Welt ist, in dem das Gesamtkapital von Hunderten von Dollarmillionären die
gesamten Bankeinlagen aller anderen Bürger übersteigt.
All dies deutet nicht nur auf eine weitverbreitete Armut, eine höchst ungleiche
Verteilung des nationalen Reichtums und die Ergebnisse seiner Verwendung hin.
Das schafft jene Art von sozialer Spaltung, die in der heutigen Zeit, in der
die Gesellschaft soweit wie möglich geeint sein muss, um äußeren Bedrohungen zu
begegnen, doppelt gefährlich ist.
Es ist unmöglich, teilnahmslos zur Kenntnis zu nehmen, dass Russland, das
reichste Land der Erde, das im 20. Jahrhundert die größten Durchbrüche in
Wissenschaft, Bildung, Medizin und im Kampf gegen die gefährlichsten
Infektionen erzielt hat, in diesem Jahrhundert auf Platz 96 in der Welt bei der
Lebenserwartung und auf Platz 52 beim materiellen Lebensstandard zurückgefallen
ist.
Es ist nicht zu übersehen, dass in einem Land, in dem zu Sowjetzeiten, selbst
in den schwierigsten Kriegsjahren, bis zu 17 Prozent der gesamten staatlichen
Haushaltsausgaben für die Bildung aufgewendet wurden, diese Ausgaben heute
nicht mehr als vier Prozent der gesamten Haushaltsausgaben betragen und nicht
einmal ein Prozent des BIP erreichen.
Natürlich kann die russische Führung nicht umhin, die wachsenden Systemprobleme
zu erkennen. Es ist kein Zufall, dass in den Dekreten und Ansprachen des
Präsidenten in den letzten zehn Jahren immer wieder strategische Ziele wie die
Überwindung des Bevölkerungsrückgangs und der Massenarmut, ein technologischer
Durchbruch, das Erreichen von Wirtschaftswachstumsraten über dem
Weltdurchschnitt und der Aufstieg zu einer der fünf größten Volkswirtschaften
der Welt genannt wurden. Um diese Ziele nicht nur zu formulieren, sondern auch
in der Praxis zu verwirklichen, bedarf es jedoch eines grundlegenden
Kurswechsels, einer kategorischen Ablehnung des Marktfundamentalismus, einer
Rückbesinnung auf ein vollwertiges Programm unabhängiger Entwicklung und einer
Rückbesinnung auf die besten Erfahrungen der sowjetischen Verwaltung und des
sozialen und wirtschaftlichen Aufbaus. Die herausragenden Errungenschaften der
Sowjetzeit beweisen dies ebenso wie die Misserfolge, die wir in den letzten
Jahrzehnten in diesen Bereichen erlitten haben.
Das Thema der wichtigsten Plenarsitzung der Konferenz, an der wir teilnehmen,
lautet »Die Erfindung des Sowjetischen: Praktiken, Paradoxien und Perspektiven
der Resowjetisierung«. Aber die Sowjetunion als ein
System von Werten und Prinzipien, als ein soziales und wirtschaftliches System,
muss in keiner Weise neu erfunden und umgestaltet werden. Die genannten
Leistungen dieses Systems sprechen für sich, wie leider die Fehler und
Misserfolge der dreißig postsowjetischen Jahre selbst für sich sprechen. Dies
ist die Grundlage für die Überzeugung der Kommunisten, dass die Perspektiven
der Resowjetisierung für unser Land nicht nur
vielversprechend sind, sondern auch die einzig möglichen angesichts der
bedeutsamen Aufgaben des Wiederaufbaus, vor denen es heute steht.
Leider kann man von einer Resowjetisierung auf
staatlicher Ebene noch nicht sprechen. Aber wir glauben, dass sie für Russland
lebenswichtig ist. Und eines der wichtigsten Anzeichen dafür ist die rasche Resowjetisierung des Massenbewusstseins, das für die
Verbindung zwischen den bewährten historischen Errungenschaften des
Sowjetsystems und dem Bild einer Zukunft sensibilisiert ist, in der wir auf den
Weg der vollen Entwicklung und der wahren Souveränität zurückkehren können.
Diese Souveränität, deren einzige Voraussetzung die untrennbare Verbindung
zwischen politischer und wirtschaftlicher Unabhängigkeit ist, wurde von unserem
Land erst in der Sowjetära, nur auf der Grundlage des Sozialismus, vollständig
erreicht.
Aber das bittere Paradoxon der Resowjetisierung –
kein echtes, sondern ein fiktives Surrogat, das sie uns oft aufzuzwingen
versuchen – kann man heute getrost als Realität bezeichnen. Dieses Paradox
besteht darin, dass man zwar die Größe der Errungenschaften der Sowjetzeit
anerkennt, sie aber aus dem Kontext des Sozialismus herauslösen will, ohne den
sie nicht verwirklicht werden konnten. Und ohne ihn können sie nicht
reproduziert werden.
Wir können keine Renaissance und keine erfolgreiche Entwicklung erwarten, wenn
wir weiterhin an den Grundsätzen des Marktfundamentalismus festhalten, an den
Einstellungen, die das System des transnationalen Kapitals hervorbringt. Dessen
Ziel, das durch nichts mehr verdeckt wird, ist die Zerstörung unseres Landes,
die Beseitigung unserer Staatlichkeit. Und wer sich weiterhin auf eine solche
Möglichkeit verlässt, begeht nicht nur einen gefährlichen, sondern einen
kriminellen Fehler.
Unsere Konferenz findet in einer der größten wissenschaftlichen Einrichtungen
in Zentralrussland statt. Und heute ist es besonders angebracht, sich auf die
Erkenntnisse von Wissenschaftlern zu beziehen, die einen direkten Bezug zu dem
von uns behandelten Thema haben.
Kürzlich wurde in der Zeitschrift »Fragen der politischen Ökonomie« (»Вопросы политической
экономии«)
der Artikel »Der gebrochene Entwicklungsvektor der russischen Wirtschaft«
veröffentlicht. Er basiert auf Forschungsarbeiten von Fachleuten der Abteilung
für politische Ökonomie der Staatlichen Universität Moskau. Die in diesem
Analysematerial dargelegten Schlussfolgerungen und Vorschläge stimmen fast
vollständig mit den Positionen, Programmthesen und Forderungen unserer Partei
überein.
Die Autoren beschreiben das Wirtschaftsmodell, das in Russland nach dem
Zusammenbruch der UdSSR eingeführt wurde, als kategorisch ineffizient und im
Widerspruch zu den Entwicklungszielen. Als wichtigsten Beleg für diese
Schlussfolgerung führen sie die folgenden Daten an: Das reale BIP Russlands ist
derzeit um 20 bis 25 Prozent höher als im Jahr 1990, während sich der Umfang
der Weltwirtschaft seit 1990 fast verdreifacht hat. So war das
durchschnittliche Wirtschaftswachstum in den letzten drei Jahrzehnten weltweit
mindestens zwölfmal so hoch wie das Russlands.
Als Hauptgrund dafür wird die ineffiziente und unverantwortliche Verwaltung der
Wirtschaft infolge der Privatisierung genannt. Aufgrund der praktisch illegalen
Privatisierungsgeschäfte sind die meisten russischen Unternehmen in den Händen
von Eigentümern gelandet, die über keine ernsthaften Managementfähigkeiten
verfügen. Gleichzeitig sind sie nicht bereit, die für die Entwicklung
erforderlichen Mittel zu investieren, sondern sind nur auf ihren persönlichen
Profit bedacht und ziehen unbegrenzte finanzielle Mittel ins Ausland ab. Nur 15
Prozent der strategisch wichtigen Vermögenswerte verbleiben in den Händen des
Staates. Diese beklagenswerten Ergebnisse der Privatisierung wirken sich bis
heute auf die heimische Wirtschaft aus und bestimmen fast vollständig deren
Charakter und Zukunftsperspektiven.
Den einzig wirksamen Ausweg aus dieser Situation sehen die Wissenschaftler in
der Überführung strategisch wichtiger Wirtschaftsbereiche in die Hände des
Staates. Mit anderen Worten: Verstaatlichung von Schlüsselunternehmen und
Entfernung der derzeitigen Oligarchie aus der Verwaltung der Wirtschaft des
Landes.
Die Experten fordern auch eine Wiederbelebung der sowjetischen Praxis der
Fünfjahrpläne. In erster Linie sollten sie die vollständige Wiederherstellung
bestehender Einrichtungen und die Schaffung neuer Einrichtungen für
bahnbrechende technologische Entwicklungen umfassen.
Es liegt auf der Hand, dass ein solcher Wandel nur auf der Grundlage eines
kohärenten staatlichen Programms erfolgen kann, das eine grundlegende
Überarbeitung des wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsmodells des Landes
beinhaltet. Nach unserer Überzeugung kann ein solches Programm nur
sozialistisch sein und das Beste aus der sowjetischen Praxis und den jüngsten
technologischen Fortschritten vereinen.
Es war die KPRF, die der Gesellschaft ein solches Programm vorschlug, das aus
den Bemühungen der besten Spezialisten hervorging und von Wissenschaftlern,
Industriellen, Vertretern des Bildungswesens und der Medizin aktiv unterstützt
wurde.
Wir haben eine Reihe von Maßnahmen zur Wiederbelebung des russischen ländlichen
Raums und zur grundlegenden Verbesserung der Produktivität des Agrarsektors
entwickelt. Die wichtigsten davon spiegeln sich in unseren Programmen »Neues Neuland«
und »Nachhaltige Ländliche Entwicklung« wider.
Wir haben ein überzeugendes Programm für die Wiederbelebung der heimischen
Wissenschaft und Bildung vorgelegt, auf dem unser Gesetzentwurf »Bildung für
alle« basiert.
Als wir einer Flut von feindlichen Sanktionen ausgesetzt waren, als der Westen
offen erklärte, dass es sein Ziel sei, unsere Wirtschaft und damit unser Land
selbst zu zerstören, waren wir es, die »Zwanzig Sofortmaßnahmen für die
Umgestaltung Russlands« vorschlugen.
Sie enthalten einen klaren Plan zur Verstaatlichung von Schlüsselbereichen der
Wirtschaft und des Bankensystems. Wiederherstellung der staatlichen Planung.
Gewährleistung der Ernährungssicherheit und Schutz der Interessen der
heimischen Agrarindustrie. Erleichterung des Finanzsystems des Landes zur
Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung. Begrenzung der Ausfuhr von
Finanzmitteln ins Ausland. Starker Schutz der Arbeitnehmer vor Arbeitslosigkeit
und Elend. Eine Verdoppelung des existenzsichernden Lohns und des Mindestlohns.
Im Titel dieser wissenschaftlichen Konferenz »Die UdSSR: Eine vergangene
Zukunft?« (»СССР: прошедшее
будущее?«)
steht ein Fragezeichen. Aber für uns gibt es kein Fragezeichen. Für uns steht
anstelle des Fragezeichens ein festes und selbstbewusstes Ausrufezeichen.
Die immer stärkere Hinwendung des Massenbewusstseins zu sozialistischen
Prioritäten ist nicht mehr nur ein russischer, sondern ein weltweiter Trend.
Und so sehr sich die »Eliten« auch bemühen, dies zu verschleiern, es fällt
ihnen immer schwerer.
Die beiden dramatischen Ereignisse, die die ganze Welt erschüttert haben – die
globale Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 und 2009 sowie die Coronavirus-Pandemie – haben die Erschöpfung und
Sinnlosigkeit des kapitalistischen Systems in aller Deutlichkeit vor Augen
geführt. Und sie waren ein deutliches Zeichen dafür, dass die Menschheit mit
dem neuen Jahrtausend in eine Periode des endgültigen Zusammenbruchs
eingetreten ist.
Im Westen selbst, dem Zentrum des globalen Kapitalismus, haben führende
akademische Wirtschaftswissenschaftler noch nie so häufig und selbstbewusst von
dessen Bankrott gesprochen wie in den letzten Jahren.
Der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz hat wiederholt
darauf hingewiesen, dass der Kapitalismus unzureichend ist und den Bedürfnissen
der Menschheit nicht gerecht wird. Stiglitz beharrt
darauf: »Handlungen, die die Ungleichheit verstärken – das ist es, was die
Politik der Regierenden in den letzten 30 Jahren ausgemacht hat«.
Thomas Piketty, einer der bedeutendsten
Wirtschaftswissenschaftler in Europa, fordert eine gesetzliche Begrenzung des
Vermögens von Privatpersonen und Beschlagnahme des Großteils der Vermögen von
Milliardären, um es den Bedürfnissen der Gesellschaft zuzuführen. Andernfalls,
davon ist er überzeugt, wird die Welt unweigerlich in Chaos und Aufruhr
versinken.
Der renommierte Wirtschaftswissenschaftler und Historiker Niall Ferguson redet
vom Scheitern und dem perversen Charakter des Neoliberalismus. Er zählt die
zerstörerischen Merkmale des modernen Kapitalismus auf, die durch seine
Ideologie hervorgerufen werden: stark wachsende Staatsverschuldung,
unaufhaltsamer Rückgang der Gesamtnachfrage, Zunahme der versteckten
Arbeitslosigkeit sowie Verschärfung der sozialen Ungerechtigkeit.
Selbst die weitsichtigsten Mitglieder des Großkapitals müssen dies akzeptieren,
da sie wissen, dass eine systembedingte Katastrophe auch sie in den Abgrund
reißen wird. Ein Beispiel dafür ist der Milliardär Ray Dalio,
der als der reichste amerikanische Investor gilt. Im Fernsehen und auf Wirtschaftsforen
spricht er Klartext: Der Kapitalismus, wie wir ihn kennen, ist nicht
lebensfähig. Ohne einen grundlegenden Wandel des Weltwirtschaftssystems hin zu
echter sozialer Gerechtigkeit ist eine Krise unvermeidlich, die zu Revolutionen
und Bürgerkriegen auf dem gesamten Planeten führen wird.
Die eklatante und hässliche Ungerechtigkeit eines Systems, das im Interesse des
globalen Kapitals aufgebaut wurde, wird von der internationalen
Forschungsorganisation Oxfam anschaulich dargestellt. In diesem Jahr veröffentlichte
sie den Bericht »Von der Krise zur Katastrophe«. Dort heißt es: Das
Gesamtvermögen der zehn reichsten Menschen der Welt übersteigt das Vermögen von
40 Prozent der Weltbevölkerung. Während der Coronavirus-Pandemie
hat sich das Gesamtvermögen der zehn Reichsten auf 1,5 Billionen Dollar mehr
als verdoppelt. Und das Kapital aller Dollarmilliardäre der Welt entspricht 55
Prozent des US-BIP. Gleichzeitig stieg die Zahl der Menschen, die unterhalb der
Armutsgrenze leben, um 163 Millionen. Die Realeinkommen von 500 Millionen
Menschen sind gesunken, das sind dreieinhalbmal so viele wie in Russland. Heute
gibt es mehr als 800 Millionen Menschen auf der Welt, die mit zwei Dollar pro
Tag auskommen müssen.
Die unvermeidliche Folge der sich verschlechternden sozialen Lage ist das
Anwachsen der Proteststimmung in der ganzen Welt, begleitet von einer
offensichtlichen Flucht breiter Massen. Dieser Prozess wird in Europa und den
Vereinigten Staaten immer deutlicher, in den Ländern, die einst als sicherste
Häfen des Kapitalismus galten. Zunächst erschien dieser Protest vor dem
Hintergrund einer epidemischen Krise. Jetzt befindet sich unser Land in einer
neuen Krisenspirale, die aus den Versuchen des Westens resultiert,
wirtschaftliches Engagement in Russland zu untergraben. Dabei wird die linke,
sozialistische Komponente der Proteste immer deutlicher.
Der Linksruck im öffentlichen Bewusstsein spiegelt sich auch in
Meinungsumfragen in der ganzen Welt wider. Internationalen Umfragen zufolge
sind 60 Prozent der Weltbevölkerung mit dem kapitalistischen System
unzufrieden. Soziologen stellen fest, dass selbst in den USA, die seit jeher
die Hauptbastion des Antikommunismus und Neoliberalismus sind, die
sozialistische Stimmung stetig zunimmt. Heute bekennt sich mehr als die Hälfte
der dort befragten jungen Menschen zum Sozialismus.
Vor diesem Hintergrund hoffen die Globalisierer
weiterhin auf einen Sieg, indem sie einen Kreuzzug gegen diejenigen ausrufen,
die eine Alternative zu ihrem unipolaren Weltkonzentrationslager darstellen.
In der Mitte des letzten Jahrhunderts erklärte Friedrich Hayek, der Begründer
der Ideologie des modernen Neoliberalismus, mit unverhohlenem Zynismus: »Das
Proletariat ist eine zusätzliche Bevölkerung.« Diese Worte brachten die
kriminelle und unmenschliche Haltung gegenüber den Arbeitern als »minderwertige
Rasse« zum Ausdruck, die es nicht verdient, in Würde zu leben. Diese Haltung
ist charakteristisch für die Neoliberalen, die der Welt das sozioökonomische
Äquivalent des Nationalsozialismus aufzwingen. Heute müssen wir erkennen, dass
für das globale Kapital und seine Agenten die gesamte Menschheit – mit Ausnahme
der »Auserwählten«, die auf ihr schmarotzen – die gleiche »zusätzliche
Bevölkerung« ist, entbehrliches Material.
Heute befinden wir uns in einer Situation der direkten Konfrontation mit den
Trägern dieser verbrecherischen Ideologie. Sie sind es, die heute hinter dem
Naziregime in Kiew stehen. Wir müssen sie bekämpfen, um den Donbass,
Russland und die russische Welt zu verteidigen.
Wir können den Kampf um unsere Zukunft nur gewinnen, wenn wir das
Wirtschaftsmodell, das die Träger der gleichen Ideologie Russland Ende des
letzten Jahrhunderts aufgezwungen haben, bedingungslos ablehnen. Ein Modell,
das auf der Seite des Feindes gegen uns Krieg führt.
Es zu einem gerechten und wirksamen Modell des Sieges und der Regeneration zu
machen, ist unsere historische Aufgabe. Das ist es, was eine echte Resowjetisierung für uns bedeutet, das ist ihre wichtigste
Bedeutung.
(Übersetzung aus dem Russischen: Jutta Schölzel)
27.12.2022