Hitler-Stalin-Pakt  (Nichtangriffsvertrag)

 

Gegenstand unserer heutigen Veranstaltung ist der am 23. August (genauer in der Nacht vom 23. zum 24. August)  1939 auf 10 Jahre abgeschlossene Nichtangriffsvertrag zwischen Hitler und Stalin, auch Molotow-Ribbentrop-Pakt genannt, weil die Unterzeichner dieses Vertrages der sowjetische Volkskommissar für Äußeres (Außenminister) Molotow, zu der Zeit auch noch Vorsitzender des Rats der Volkskommissare der UdSSR, und der deutsche Reichsaußenminister Ribbentrop waren. Die Bezeichnung Hitler-Stalinpakt ist keine offizielle Bezeichnung. Es  war in dem Sinne auch kein Pakt, denn das unterstellt die Komplizenschaft von Hitler und Stalin. Man unterstellt Stalin, er habe  den Kommunismus und die internationale Arbeiterbewegung verraten und mit diesem Teufelspakt (wie er auch genannt wird) habe Stalin den Beginn des 2. Weltkrieges ermöglicht und sich auch direkt an der Eröffnung des 2. Weltkrieges beteiligt. Er sei von den Prinzipien des antifaschistischen Kampfes des Sowjetstaates als Arbeiter- und Bauernstaat abgerückt.  Diese Propaganda mit heute antirussischer Stoßrichtung haben wir gerade wieder in den letzten Wochen anlässlich des 70. Jahrestages des Beginns des 2. Weltkrieges vernommen.  Putin hat sich bei der Gedenkfeier an der Westernplatte bei Gdansk nochmals für den Nichtangriffspakt entschuldigt. Das war aber nur in sofern richtig und als diplomatische Geste zu werten, als natürlich dieser Pakt auch für die Sowjetunion nicht erfreulich war. Er hat auch begründet, wie es zu diesem Nichtangriffspakt gekommen ist. und dass es für  die Sowjetunion  unter den damals gegebenen politischen Kräftekonstellationen das einzig Machbare war, was die sowjetische Diplomatie auch zum eigenen Schutz der UdSSR erreichen konnte. Äußerlichkeiten bei der Unterzeichnung dieses Vertrages, z. B. dass Stalin auf Hitler eine Toast ausbrachte, sind eigentlich nicht besonders erwähnungswert, weil so etwas auch damals zu ganz normalen diplomatischen Gepflogenheiten unter Staatsmännern, gleich ob sie sich freundlich oder feindlich gesonnen waren, gehörte Man muss folgendes beachten: Die Sowjetunion war nicht nur als sozialistischer Staat ein antifaschistischer Staat, sie war auch ein antikapitalistischer und antiimperialistischer Staat. So hatte er nicht nur die deutschen Faschisten zum Gegner, sondern auch das militaristische und aggressive Japan. Aber auch alle sog. westlichen Demokratien waren dem Sowjetstaat als kapitalistische und imperialistische Staaten feindlich gesonnen. Und sie dürsteten alle zusammen nach der Eroberung der russischen Rohstoffquellen. Und  erbitterte Feinde hatte die Sowjetunion auch in Nachbarländern wie Polen und Rumänien, auch in Finnland und in den baltischen Republiken, die man als halbfaschistoide Staaten bezeichnen konnte. Man denke nur an die Pilsudski-Diktatur in Polen.

 

Man muss diesen Nichtangriffspakt vom 23. August 1ß39, um ihn richtig bewerten zu können, im großen internationalen Zusammenhängen betrachten. Ganz real war für die Sowjetunion die Gefahr einer Einheitsfront von kapitalistischen und imperialistischen Staaten gegen die Sowjetunion und es war insbesondere Hitler, der zunächst daran arbeitete, im Rahmen einer möglichst breiten Front von kapitalistischen Staaten gegen die Sowjetunion seine Bestrebungen des Drang nach dem Osten, der Ostexpansion  des deutschen Großkapitals zu verwirklichen. Es ging um die Eroberung der weiten Gebiete der Sowjetunion, immerhin ein Fünftel der Erde mit fruchtbarem Boden und reichen Rohstoffquellen zu betreiben. Den Drang zur Eroberung der weiten Russlands und der Sowjetunion hatten außer Hitler aber auch Staaten wie eben Polen, das sich als europäische Großmacht ansah, sowie Japan, aber auch Großbritannien, Frankreich und die USA. Einer der erbitternsten Feinde der Sowjetunion war bekanntlich ab 1917 Winston Churchill, der Haupteintreiber der westlichen Intervention im sowjetischen Bürgerkrieg, Er mobilisierte 14 Staaten zur militärischen Intervention und zu einem Kreuzzug gegen Sowjetrussland. Während der ganzen Zeit von 1922, als der Bürgerkrieg zu Ende gegangen war, bis 1940 und dann  wieder ab 1945 nach dem Sieg über Hitlerdeutschland und Japan arbeitete er daran, den Sowjetstaat als ersten Arbeiter- und Bauernstaat zu vernichten.  

 

Was veranlasste nun die sowjetische Führung zum Nichtangriffspakt vom 23. August 1939?

 

Hitler hatte schon 1934 mit Polen einen Nichtangriffsvertrag abgeschlossen. Es bahnte sich ein deutsch-polnisches Bündnis gegen die UdSSR an. Das deutsch-britische Flottenabkommen von 1935 billigte dem Großdeutschen Reich 35 % der Flottenstärke Großbritanniens zu. Das gab Freiraum für die deutsche Aufrüstung, indem es u.a. die sog. Stresa-Front aushebelte, zu der neben Großbritannien und Frankreich auch Italien gehörte und die vorsah, sich einseitigen Aufkündigungen von Verträgen durch den Hitlerstaat zu widersetzen. Das beschleunigte enorm die deutsche Aufrüstung und ermöglichte damals bereits Hitler und Mussolini mit bewaffneter Macht in den spanischen Bürgerkrieg einzugreifen, wo es dann schon ab Juli 1936 zum Waffengang der Legion Condor (6000 Mann stark) und von deutschen Marineverbänden auch mit der Sowjetunion, die das republikanische Spanien militärisch unterstützte, kam. Die Italiener unterstützten Franco hauptsächlich mit Landstreitkräften.

Die Sowjetunion unter Stalin unterstützte ab 1936 die Volksfrontregierung der Spanischen Republik, bestehend aus Linksrepublikanern, Sozialisten und Kommunisten in ihrem Abwehrkampf gegen die faschistischen Franco-Putschisten, die sog. Falangisten. Hitler ging es zusammen mit dem faschistischen Italien um die Eindämmung des Kommunismus und das geschah im stillen Einvernehmen mit den Westmächten, Frankreich, Großbritannien sowie den USA. Hier traf die sowjetische Waffentechnik bis März 1930 auf die deutsche und italienische Waffentechnik. Nun, Franco errang in diesem Bürgerkrieg den Sieg, seine Truppen rückten im März 1939 in Madrid ein. In diesem Bürgerkrieg fanden unter den 500 000 Kriegstoten auch viele sowjetische Soldaten den Tod. Der spanische Bürgerkrieg diente Hitler als Testfeld seines geplanten Krieges gegen die Sowjetunion.

Was Stalin  und seinen Außenkommissar (Außenminister Litwinow damals  besonders erschütterte, war die Hitler- und Mussolini-freundliche Haltung der Westmächte. Litwinow befürwortete dennoch ein Bündnis der Sowjetunion mit den Westmächten Frankreich, Großbritannien und USA um jeden Preis, z. B. auch um den Preis der Aufgabe nationaler Interessen der Sowjetunion. Er wurde deswegen 1939 als Außenminister (Außenkommissar) durch Molotow ersetzt. Stalin hatte auf dem XVIII: Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion den Aufbau des Kommunismus verkündet. Das erhöhte noch den Hass der Kapitalistenklasse auf die Sowjetunion.  Die Aggressivität steigerte sich.

 

Was geschah in der internationalen Politik sonst noch?

 

1936 griff Italien Äthiopien (Abessinien) an und eroberte im April 1939  Albanien. Seit 1935 schlug die Sowjetunion  zur Abwehr von Aggressionen ein System der kollektiven Sicherheit vor. Sie schloss Verträge über gegenseitigen Beistand mit Frankreich und der Tschechoslowakei ab.

Japan hatte schon 1931 die Mandschurei erobert, im Juli 1937 fiel es in die  Nordprovinzen Chinas ein.

1936 schmiedete Hitler den Antikominternpakt. Es entstand die Achse Berlin-Tokio, der sich dann 1937 Italien anschloss, Dieser Pakt sah gemeinsame militärische Aktionen gegen die UdSSR vor. Im Oktober 1938 vollzog Hitler den Anschluss Österreichs an das Großdeutsche Reich, kurz vorher, am 11. März 1938 hatte Radio Berlin einen kommunistischen Aufstand in Österreich gemeldet.  Ende September 1938 wurde im Ergebnis des Münchener Abkommens die Tschechoslowakei aufgeteilt, obwohl die Sowjetunion und Frankreich mit der Tschechoslowakei einen Beistandspakt geschlossen hatten. Zum Schutz der Tschechoslowakei und zur Erfüllung ihrer Bündnisverpflichtungen war die Rote Armee mit 40 Divisionen an den Westgrenzen aufmarschiert und lässt 330000 Reservisten einziehen, während Franreich nichts dergleichen tat. Frankreich wurde im Gegenteil Partner des Münchener Abkommens, die Sowjetunion und auch die Regierung der Tschechoslowakei lud man gar nicht nach München ein. Der Sudetengau ging an Deutschland und schon im März 1939  okkupierten die Nazis vertragswidrig den restlichen Teil Tschechiens, das sog. Böhmen und Mähren. Sogar nach Abschluss des Münchener Abkommens hatte die Sowjetunion Prag noch militärischen Beistand angeboten. Er war zu dieser Zeit der einzige Staat, der das tat. Man lehnte die Hilfe aber ab. .Die Slowakei wurde ebenfalls von der Tschechoslowakei getrennt und Vasallenstaat des Großdeutschen Reiches. Die  Zerschlagung der Tschechoslowakei beraubte die Sowjetunion ihres einzigen noch verlässlichen Verbündeten in Europa. An der Aufteilung der Tschechoslowakei beteiligt sich sogar Polen.  Eine Woche später besetzten deutsche Truppen das litauische Territorium von Klaipeda (Memelland). Klaipeda war  ein wichtiger Hafen des Baltikums. Im Oktober 1938 verhandelte Ribbentrop mit dem polnischen Botschafter in Berlin über ein gemeinsames Vorgehen gegen die UdSSR auf der Grundlage des Antikominternpaktes. Im Januar 1939 nimmt dieser Plan schon während eines Treffens von Hitler mit dem polnischen Außenminister Beck konkrete Gestalt an. Beck erklärte die Bereitschaft Polens, an der Seite Deutschlands gegen die Sowjetunion in den Krieg zu ziehen, Ausgangspunkt sollte die  Karpato-Ukraine sein, die Ende 1938 von der Tschechoslowakei abgetrennt wurde. Aktiviert wurden sowohl von Deutschland als auch von Polen aus die ukrainischen Nationalistischen Organisationen. Unabhängig davon, dass Frankreich immer noch mit der Sowjetunion mit einem Vertrag über gegenseitigen militärischen Beistand verbunden war, gab der französische Außenminister Bonnet Ribbentrop bei einem Treffen im Dezember 1938 zu verstehen, dass  Frankreich am Schicksal des Osten nicht interessiert sei. In dem französischen Politiker Bonnet hatte Hitler einen Freund in der französischen Regierung, unabhängig ob er Außenminister oder Justizminister war.

 

Stalin beunruhigte nun in der Tat in starkem Maße die Gefahr der Provozierung eines Krieges zwischen der Sowjetunion und Deutschland.

 

Nun ist es richtig, die Verhandlungen zwischen Polen und Deutschland über ein Militärbündnis gegen  die Sowjetunion gerieten in der Frage des Danziger Korridors in eine Sackgass. Die Nazis wollten diesen Korridor im Austausch mit einer künftigen Aufteilung der Ukraine. Polen lehnte das ab. Polen suchte Beistand im Westen. Sowjetischen Beistand lehnte es entschieden ab. Es wollte nicht einmal im Falle der Besetzung polnischer Gebiete durch Deutschland sowjetische Truppen zur Abwehr der Angriffe auf sein Territorium lassen.

 

In dieser Zeit spitze sich auch die Lage in Fernost zu

Im Mai 1939 griff die Japanisch Kaiserliche Armee die mit der UdSSR verbündete Mongolei erneut an. Die Rote Armee kommt dem Land zu Hilfe. Es kommt zu erbitterten Kämpfen, in deren Verlauf die Japaner über 200 Flugzeuge verlieren. Den Japanern schwebte zu dieser Zeit die Bildung eines großmongolischen Reiches unter ihrer Oberhoheit vor. Es sollte die innere Mongolei, die zu China gehörte, die mit der UdSSR verbündete Mongolische Volksrepublik und auch Gebiete der Sowjetunion insbesondere Burjatien umfassen.

50000 japanische Soldaten werden getötet oder verwundet.  Erst am 30. August verlassen die letzten japanischen Soldaten die Mongolei, nachdem sie nicht mehr mit Beistand aus Deutschland rechnen konnten.

Im März 1939  nahm die Sowjetunion erneut Verhandlungen auf, um eine antifaschistische Allianz zu bilden. Großbritannien und Frankreich ließen die Dinge schleifen und manövrierten. Hitler wurde zu verstehen gegeben, dass er gegen die Sowjetunion marschieren kann. Vom Juni bis August 1939 fanden geheime deutsch-britische Verhandlungen statt, in deren Verlauf die Briten Hitler Handlungsfreiheit im Osten im Austausch gegen die Garantie der Unversehrtheit des britischen Empires zusagten. Das Britische Empire war damals durch zunehmende Unruhen und Aufstände in seinen Kolonien bedroht. Am 29. Juli 1939 führte Charles Roden Buxton eine geheime Mission für den britischen Premierminister Chamberlain in der deutschen Botschaft durch.  Er entwickelte den Plan:

1. Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des britischen Empires durch Deutschland und seitens der Kominternpakt-Staaten;

2. Großbritannien verpflichtet sich, die deutschen Interessensphären in Süd- und Osteuropa  zu respektieren mit der Konsequenz des Verzichts von Garantien, die es gewissen Staaten gewährt hatte;

2. die Gespräche zum Abschluss eines Paktes mit der UdSSR werden seitens von Großbritannien eingestellt.

 

Stalin wurde von seinen Geheimdiensten darüber genau informiert.

 

Im August 1939 traten die Verhandlungen zwischen Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion in eine Schlussphase. Aber die beiden Westmächte schickten zweitrangige Delegationen nach Moskau, die kein Mandat zum Abschluss von Verträgen hatten. Der britische Außenminister Halifax erschien nicht in Moskau, eben sowenig der französische Außenminister. Woroschilow forderte energisch bindende und präzise Verpflichtungen, dass die Alliierten im Falle einer Aggression durch Hitlerdeutschland sofort in den Krieg eintreten. Er erhielt keine Antwort. Stalin wollte auch einen Vertrag mit Polen abschließen, damit die sowjetischen Truppen auf polnischem Territorium den deutschen Truppen entgegentreten können. Polen lehnte erneut ab und machte damit jedes wirkungsvolle militärische Abkommen unmöglich. Stalin fürchtete damals ein neues München und dass Hitlerdeutschland gemeinsam mit Polen und auch den Westmächten gegen die Sowjetunion marschieren wird. Auch die japanische Aggression war noch nicht ausgestanden- Noch standen japanische Soldaten auf dem Boden der Mongolischen Volksrepublik, und sie wurden sogar verstärkt.

 

Man muss nun in der Tat die sowjetische Haltung verstehen. Man sah in Moskau, dass die deutsche Armee für den Angriff auf Polen bereit stand. Polen verhandelte aber nicht weiter in der Frage des Danziger Korridors. Es verließ sich auf die Stärke seiner Armee und die Hilfe der Westmächte.  

Da traf in Moskau das Angebot von Hitler zu einem Nichtangriffspakt, verbunden mit dem Angebot der Abgrenzung von Einfluss- und Interessensphären ein. Die Abgrenzung von Einfluss- und Interessensphären war in geheimen Zusatzabkommen zu einem Nichtangriffsvertrag vorgesehen. Es war mit ganz konkreten Angeboten verbunden und bot der Sowjetunion viele Vorteile. Sollte Stalin nun dieses Angebot ablehnen? Nun, er hätte es in Erwartung der Dinge, die da kommen, ablehnen können. Das war aber mit unübersehbaren Imponderabilien verbunden. Hitler war entschlossen, Polen anzugreifen und nun auch ganz  Polen zu okkupieren. Stalin wusste das. Die Westmächte waren zu dieser Zeit unfähig und auch unwillig, ihn daran zu hindern. Die deutschen Truppen standen auch bereit, im Baltikum einzumarschieren. Der Krieg mit Japan drohte erneut an Intensität zu gewinnen. Finnland zeigte aggressive Absichten, und auch Rumänien war zum Krieg gegen die Sowjetunion bereit. Auch die Türkei und der Iran bedrohten die UdSSR vom Süden. Sowohl in Großbritannien als auch in Frankreich traten viele maßgebende Politiker dafür ein, sich mit Hitler zu einigen und ihn zum Krieg gegen die Sowjetunion zu ermutigen.  Und die Rote Armee war nicht in der Lage, einen Mehrfrontenkrieg zu führen. Sie stand  auch militärisch vor einer Umrüstung, damit sie den modern ausgerüsteten Armeen Hitlers gewachsen ist. Hitler besaß 1939 die zahlenmäßig stärkste und  modernst ausgerüstete Armee der Welt, das stand außer Frage, wenn diese auch nicht alleine in der Lage gewesen wäre, in den Weiten der Sowjetunion zu operieren, zusammen mit den Japanern und anderen Verbündeten, ev.  sogar mit Polen als neuer Satellitenstaat von Berlin  hätte aber Hitler auch seine Pläne im Osten verwirklichen können. 

 

Da musste das Angebot aus Berlin Stalin wie ein Rettungsanker erscheinen. Für ihn kam es auf Zeitgewinn an. Dass es mit Hitler auf kurz oder lang zum Krieg kommt, darüber machte sich Stalin keine Illusionen. Das geht aus den Protokollen des Politbüros dieser Zeit hervor  und Stalin ließ sogar nach den Tagebüchern von Ribbentrop am Verhandlungstag am 23. August, auch nach den Verhandlungen über den Vertrag über Freundschaft und Grenzen  am 28. September. 1939 das durchblicken, indem er z. B. auf eine euphorisch gehaltene Rede Ribbentrops (wie werden niemals wieder die Klingen kreuzen),  verhalten skeptisch  mit den Worten antworte, nun bitte,  das sollte trotz allem  zumindest so sein (S. 169 in „Stalin auf der Höhe der Macht“). Für Hitler und seine Generäle kam es darauf an, nicht in einen Zweifrontenkrieg verwickelt zu werden, Sie wollten aber auch die Sowjetunion in einen Krieg mit Großbritannien und Frankreich verwickeln. Man wollte Stalin hier eine Falle stellen, der Stalin aber sehr intelligent auswich. Darauf komme ich noch zurück. Hitler war zudem ein unberechenbarer Abenteurer. Und es gab in Moskau noch eine Kalkulation. Für den Fall dass die Rote Armee ohne vertragliche Grundlage auf polnischem Gebiet dem Aggressor Hitler entgegentritt, gab es zwei Möglichkeiten, 1. die Rote Armee kann nicht offensiv werden u.a  deswegen weil auch Japan vom Osten her angreift oder 2. es gelingt ihr in die Offensive zu gehen, aber in diesem Falle rechnete Stalin damit, dass die Westmächte aus Angst vor dem Kommunismus mit Hitler sofort einen Kompromissfrieden schließen und zusammen mit den Hitlertruppen gegen die Sowjetunion marschieren.  

 

Man wirft Stalin vor, er habe für Nazi-Deutschland zum großen Teil die Rohstoffversorgung sichergestellt. Daran ist was dran, aber die Sowjetunion lieferte damals Waren nur zum gegenseitigen Vorteil, auch Hitlerdeutschland musste fleißig besonders neue Technik liefern. Die Verweigerung von Rohstofflieferungen hätte Hitler wo möglich zur Eröffnung sofortiger Angriffshandlungen gegen die UdSSR schon 1939/1940 bewegt. Hitler war ein Vabanque-Spieler. Er versuchter auch zu tricksen. Auch das musste Stalin in seiner Politik berücksichtigen.

 

Dass es hier keine Komplizenschaft zwischen Stalin und Hitler gab, beweist auch Folgendes:

Stalin ließ sich ab September1939 bis Juni 1941 nicht dazu bewegen, mit Nazi-Deutschland eine Allianz gegen Franreich und Großbritannien zu bilden. Stalin durchschaute auch diesen Trick: Hitler wollte Stalin mit allen Mitteln in den Krieg gegen die Westmächte locken, wobei Hitler im Hinterkopf hatte, mit diesen Frieden und dann eine Allianz gegen die SU zu schließen. Diese Art Fallenstellerei wurde in Moskau klar erkannt.  

Dann ging es für die UdSSR einmal um Zeitgewinn zur Vorbereitung auf die unausbleibliche Aggression Hitlerdeutschlands gegen die Sowjetunion und auch um territorialen Gewinn, zur Verbesserung der strategischen Ausgangsposition bei einer Hitleraggression. Der sog. Hitler-Stalin-Pakt ermöglichte die Vorverlegung der Grenzen der UdSSR um 150 bis 300 Kilometer. Militärstrategen sind der Meinung, dass das für den Sieg der Roten Armee von großer Bedeutung, ja sogar entscheidend gewesen wäre.  Ich habe gegen diese Aussage Bedenken. Auch ohne dem wäre dem Sowjetvolk und der  Roten Armee der Sieg gelungen, Aber richtig ist natürlich, dass z. B. die Nazis bei der Schlacht um Moskau im Spätherbst 1941 in Zeitverzug geraten waren, der dann die siegreiche Gegenoffensive der Roten Armee im November 1941 bis Februar 1942 erheblich erleichterte.

Aber es ging bei diesem Territorialgewinn auch um die Wiederangliederung von Gebieten, an die Sowjetunion, die bis zum 1. Weltkrieg zum russischen Zarenreich gehörten, also um alte russische Erde. Übrigens auch die baltischen Staaten und Bessarabien, das heutige Moldawien, sogar Finnland gehörten mit unterschiedlichem Völkerrechtsstatus zum russischen Zarenreich. Der russische Zar war auch König von Polen und Großfürst von Finnland.

Die Prawda schrieb am 23. September 1939.  Die einzige noch mögliche Sache war die Westukraine und Westbelorussland (zwei Provinzen, die Polen 1920 der Sowjetunion entrissen hatte, was im Rigaer Vertrag vom März. 1921 festgeschrieben war) und die baltischen Staaten vor einer deutschen Invasion zu bewahren

Zur Verhinderung einer Einheitsfront imperialistischer Staaten gegen die Sowjetunion  blieb die einzige Chance, die Ausnützung von Gegensätzen zwischen den imperialistischen Staaten und der Abschluss des Nichtangriffsvertrages vom 23- August 1939 war eine taktisch und strategisch meisterhafte Ausnutzung der Gegensätze zwischen den imperialistischen Staaten durch Stalin.

 

Was geschah nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf Polen nach dem 1. September 1939

 

Die Sowjetunion hatte den Deutschen die Verpflichtung auferlegt, die Linie die durch die Flüsse San, Narew, Bug und Weichsel festgelegt waren, nicht zu überschreiten, das führte schon zur besseren Ausgangsposition für den unvermeidlichen künftigen Krieg.

Nun belegen folgende Fakten, dass der sog. Stalin-Hitlerpakt alles andere als aus reiner gegenseitigen Sympathie abgeschlossen wurde. Die oft behauptete Komplizenschaft zwischen Hitler und Stalin wird u.a.  durch Folgende Fakten widerlegt:

Hitler wollte, dass die Rote Armee möglichst zeitgleich mit der deutschen Wehrmacht die Angriffshandlungen gegen Polen eröffnet, um die zugesprochenen Gebiete zu besetzen. Seine und seiner Generäle  Kalkulation war, dass dann Großbritannien und Frankreich, die ja mit Polen einen militärischen Beistandspakt hatten, entweder sich nicht wagen werden, nach der begonnenen Aggression am 1. September 1939 wegen Polen in den Krieg gegen zwei Großmächte zu ziehen, weil ihnen beide zu stark erschienen, oder dass sie beiden, Nazideutschland und der UdSSR, den Krieg erklären, was dann Hitler die günstige Option eröffnet hätte, die Waffen gegen die UdSSR  zu kehren und seinen Traum vom Drang nach den Osten zu verwirklichen. Stalin und die sowjetische Führung erkannten diese Lage völlig klar und handelten entsprechend.

 

In die der UdSSR zugesprochenen Gebiete in Polen rückte die Rote Armee erst am 17. September ein und gab das als Befreiungs- und Rettungsaktion aus, als Tat zum Schutz des Lebens und des Vermögens der Bevölkerung der Westukraine und Westbelorusslands. Wie Auf Weisung Stalins wurde der polnischen Regierung und auch den Westmächten am 17. September 1939 in Noten mitgeteilt, dass der polnische Staat aufgehört hatte, zu existieren und die polnische Regierung nicht mehr handlungsfähig ist und sich auflöse, damit seien auch alle zwischen Polen und der Sowjetunion abgeschlossenen Verträge hinfällig.

Wie aus den sowjetischen Archiven hervorgeht (s. „Stalin auf dem Gipfel der Macht. Moskau Verlag Wetsche 2003), plante Stalin das Einrücken der Roten Armee in Ostpolen sogar erst Anfang Oktober, wobei er das von der Entwicklung der militärischen Lage abhängig machte. Er rechnete von Anfang an damit, dass Hitler seine Zusagen nicht einhält und versuchen wird, nach der Besiegung der polnischen Armee die Kampfhandlungen gegen die Rote Armee fortzusetzen. Eine seiner Kalkulationen war aber auch, dass im Oktober für Deutschland ein Kriegsbeginn gegen die Sowjetunion wegen des hereinbrechenden kalten Winters zu spät ist.

Für Stalin unerwartet war Folgendes. 1. der schnelle siegreiche Vormarsch der deutschen Wehrmacht in Polen und die passive Haltung der Westmächte an der Front zu Deutschland. Ihn verdutzte, dass Franreich 110 Divisionen gegen Deutschland mobilisiert hatte und dass es noch 5 britische Divisionen ihres Expeditionskorps gab, während die Deutschen an ihrer Westgrenze im September 1939 gerade mal 21 Divisionen stehen hatten, die noch nicht einmal voll komplettiert waren. Und es gab so gut wie keine Kampfhandlungen, bestenfalls ab und zu ein paar Feuerduelle über die Grenzen hinweg. Es entwickelte sich der drŏle guerre, der sog. drollige Krieg. Da die westlichen Divisionen voll einsatzbereit waren, musste Stalin das wie eine Aufforderung auch von Paris und London an Berlin  verstehen, marschiert weiter bis ihr auf die Russen stoßt und kämpft gleich gegen die Bolschewiken weiter.  Um darauf vorbereitet zu sein, hat das sowjetische Oberkommando den Befehl gegeben, die Truppen an der gesamten Westgrenze erheblich zu verstärken und das sogar mit Armeen, die man für einen Einmarsch in Polen gar nicht brauchte.

 

Der deutsche Außenminister von Ribbentrop und sein Botschafter in Moskau von Schulenburg waren ununterbrochen damit beschäftigt, Stalin zum Vorrücken auf Ostpolen zu bewegen und ihm unentwegt zu versichern, dass sich die Deutschen strikt an die Abmachungen halten werden. Als man in Moskau dennoch weitert zögerte, gab es sogar seitens Berlin die offene Drohung, in den Ostprovinzen Polens eine ukrainische Republik  und belorussische Republik als Satellitenstaaten Hitlers zu gründen. Dazu standen die ukrainischen Bandera- und Schuchewitsch-Faschisten bereit. Auch ein litauischer Staat als Bündnispartner von Berlin drohte zu entstehen, wurden ihm doch die vorher polnischen Gebiete um Wyborg (Vilnius)  auch mit Einverständnis von Hitler zugeschlagen. Stalin  und Molotow antworteten ständig, dass ihre Truppen zum Einmarsch noch nicht bereit waren. Andererseits verstärkte die sowjetische Armeeführung, wie schon gesagt, die Einheiten der Roten Armee in der Ukraine und in Belorussland. Zahlenmäßig waren diese stärker als die deutschen fünf Armeen, die jetzt den sowjetischen Truppen gegenüberstanden.

 

Nun ging es um die Demarkationslinie. Für die Rote Armee bestand das Problem, dass die deutschen Truppen an einigen Abschnitten schon über die Linie hinaus vorgerückt waren, die in den Zusatzprotokollen zum Nichtangriffspakt festgelegt waren. Auch Litauen gehörte nach den Abkommen vom 23. August noch zum Einflussgebiet Deutschlands. Es wurden nun detaillierte Verhandlungen zwischen deutschen und sowjetischen Truppenführern erforderlich, aber es ergab sich auch die Notwenigkeit für einen neuen Vertrag. Der wurde am 28. September in Moskau geschlossen und erhielt den Namen Vertrag  über Freundschaft und Grenzen. Die gemeinsame Grenze in Polen wurde nun exakt auf der Kersonlinie vereinbart, einer Linie, die von einer Kommission der Pariser Friedenskonferenz 1919-1920 bestimmt worden war. Hier wurde in Austausch polnischer Gebiete Litauen zusätzlich zu Lettland und Estland dem Einflussbereich der UdSSR zugesprochen.

Mit den baltischen Republiken Litauen, Lettland und Estland schloss die Sowjetunion zunächst nur Freundschafts- und Handelsverträge ab, wobei sie weder diese Länder okkupierte noch sich in deren innere Angelegenheiten einmischte (sie blieben somit zunächst kapitalistische Staaten). Stalin schlug  auch damit den Westmächten das Argument aus der Hand, auch der Sowjetunion den Krieg zu erklären zu müssen, worauf Hitler spekuliert hatte.  Die baltischen Staaten wurden nicht gewaltsam besetzt. Man schloss mit ihnen Freundschafts- und Beistandsverträge ab und erhielt dabei  ein paar kleine Militärstützpunkte, was Stalin  vor den in Moskau ununterbrochen erscheinenden Emissären der Westmächte und auch gegenüber der kommunistischen Bewegung  als Schutzmaßnahme vor einer Hitleraggression begründete.

 

Am 28. September wurde auch noch in Moskau ein Vertrag mit Estland verhandelt und unterzeichnet.

Nun, die Rote Armee hatte sich am 17. September zur Besetzung der der UdSSR am 23. August zugesprochenen polnischen Gebiete in Bewegung gesetzt. Es gab noch kleine Gefechte mit den polnischen Streitkräften. Davon zeugen auch die Verluste der Roten Armee, die mit  737 Toten und 1862 Verwundeten. = keine schweren Verluste-  angegeben wurden.  Der Empfang der Roten Armee durch die Bevölkerung war freundlich bis begeistert, .es wurde auch Brot und Salz als Symbol der Freundschaft und Brüderlichkeit gereicht. Das ist auch verständlich, es handelte sich von den Polen annektierte ukrainische und belorussische Gebiete, in denen die Masse der Bevölkerung von den polnischen Pans unterdrückt worden war.

Die Grundbevölkerung arbeitete loyal mit den Sowjetorganen zusammen.. Wer noch Widerstand leistete, wurde niedergekämpft oder verhaftet, und so wurden auch mehrere Tausend polnische Offiziere und Beamte, die ihre Feindschaft zur UdSSR offen bekundeten.  verhaftet und in Lager verbracht. Es wird behauptet, dass davon u.a. in Katyn viele umkamen, Wer die Schuld daran trägt - die Nazis oder die Sowjets-, ist bis heute nicht erwiesen. Zu verweisen ist aber in Hinblick auf diejenigen, die das den sowjetischen NKWD unterstellen, dass  1920 von den Polen auch 50000 gefangene Rotarmisten gefoltert und ermordet wurden.

 

Die Westmächte erklärten der UdSSR nicht den Krieg, nur die polnische Emigrantenregierung, die sich in Paris etablierte, erklärte, dass sie sich mit der UdSSR und Deutschland im Kriegszustand befindet.

 

Die Ereignisse in den baltischen Republiken und in Bessarabien. Wie setzte die Sowjetunion dort ihre Interessen durch?

 

Mit den baltischen Republiken, die dem Einflussgebiet der Sowjetunion zugesprochen worden waren,  wurden Verträge der Freundschaft und Zusammenarbeit abgeschlossen. Litauen sollte zunächst deutsches Einflussgebiet werden, das wurde aber am 28. September im Vertrag über Freundschaft und Grenzen revidiert.

 

Auch Finnland war schon am 23. August dem Einflussgebiet der Sowjetunion zugesprochen worden

Jugoslawien oder Bulgarien, auch die Dardanellen blieben in den Verträgen ausgeklammert. In Bezug auf Bessarabien und die Nordbukowina , die zu Rumänien gehörten, wurde der völkerrechtliche Begriff Interessengebiet verwendet. Die UdSSR bekundete ihr Interesse an diesem Gebiet, Deutschland sein Desinteresse. Das war die verwendete völkerrechtliche Bezeichnung -

 

Mit Estland wurde  noch ein besonderer Vertrag notwendig, weil die estnische Regierung zu dieser Zeit mit den Westmächten verhandelte, um sich dem Einfluss sowohl Deutschlands als auch  der Sowjetunion zu entziehen. Die estnische Regierung und Armeeführung hatte den Nazis die Zusammenarbeit angeboten. Hitler konnte aber diesem Ersuchen auf Grund der politisch-militärischen Lage nicht stattgeben. Das war der Sinn dieses besonderen Abkommens über Estland. Aber Hitler erklärte den Esten auch, dass sie bis Herbst 1940 Geduld haben sollten. Das führte zu einer sich hinziehenden abwartenden Politik der estnischen Regierung gegenüber der UdSSR, Estland verhandelte in Moskau bezüglich eines Vertrages zäh, es kam zum Kompromiss von über 25000 Sowjetsoldaten auf estnischem Boden. Ursprünglich standen sich Forderungen nach 35000 und nur 15000 gegenüber. Auf estnischem Territorium wurden Basen für Luftstreitkräfte und Marineeinheiten geschaffen, das wurde am 28. September 1939 vereinbart.

Die Sowjetregierung wandte sich nun nicht nur an die Regierunge Estlands, sondern auch an die Regierungen Lettlands und Litauens mit dem Ersuchen der Zurverfügungstellung von Militärstützpunkten und zum Abschluss von Handelsverträgen. In Litauen wurden 20000 Rotarmisten stationiert. Es wurden Litauen im Vertrag vom 3. Oktober auch die Stadt und das Gebiet Vilnius übergeben, Der am 10. Oktober unterschriebene Vertrag lautete „Vertrag über die Übergabe der Stadt Vilnius und  des Vilniuser Gebiets sowie über gegenseitigen Beistand der Sowjetunion und Litauens.

Mit Lettland wurde am 10. Oktober ein Abkommen über die Stationierung eines Kontingents von 25000  Rotarmisten abgeschlossen, ferner. ein Handelsvertrag vereinbart.

Eine Sowjetisierung der drei baltischen Republiken wurde nicht in Angriff genommen, Den Regierungen der baltischen Staaten wurde ausdrücklich versichert, dass die bestehenden Gesellschaftsordnungen erhalten bleiben. Im Gegenteil, es wurde auch den auf baltischen Boden stehenden Truppen der Roten Armee und Flotte strikt verboten, sich in innere Angelegenheiten der Staaten einzumischen.

 

Aber warum wurden Estland. Litauen und Lettland dann 1940 in schnellen Schritten Sowjetrepliken?

 

Das hing mit dem Kriegsverlauf zusammen. Nazideutschland führte nicht nur Krieg mit Frankreich und Großbritannien, Es missachtete auch die Neutralität von Dänemark, Norwegen, und dann von Holland, Belgien und Luxemburg. Dann marschierten  die deutschen Truppen in  einem von Stalin und der Sowjetregierung nicht erwartetem Tempo in Franreich vor und  besetzten Paris. In diesen Tagen wurden auch faschistische Putschversuche in den baltischen Staaten bekannt. Die reaktionären Kräfte im Baltikum fühlten sich durch die schnellen Siege der Nazis ermutigt.  Moskau befürchtete die Besetzung des Baltikums durch Nazi-Truppen.

 

Am 14.  Juni 1940 forderte die Sowjetregierung von Litauen eine Umbildung der Regierung, so dass sie in der Lage ist, die Verpflichtungen aus dem sowjetisch-litauischen Vertrag  ehrlich zu erfüllen. Zudem sollten die weitere Heranführung sowjetischer Truppen in die wichtigsten Zentren nicht behindert werden und provokative Aktionen gegen die UdSSR verhindert werden, hieß es in einer entsprechenden  sowjetischen Note. Analoge Forderungen wurden am 16. Juni 1940 an die Regierungen von Lettland und Estland gestellt. In die Hauptstädte wurden sowjetische Emissäre entsandt, Schdanow nach Tallin, Wyschinski nach Lettland und  Dekanosow noch Litauen, die über die Umbildung der Regierungen wachen sollten. Am 15. bis 17. Juni wurden neue sowjetische Truppenkontingente in die drei Republiken entsandt. Es gab dabei mit den Regierungen keine Komplikationen und auch die Bevölkerung begrüßte die sowjetischen Truppen. Immer noch nicht gingen die sowjetischen Truppen z. B. gegen  estnische Polizeieinheiten vor, die Demonstrationen der Bevölkerung zur Begrüßung der Sowjettruppen gewaltsam auflösten. Aber allmählich änderte sich die Haltung der Sowjetregierung in dieser Frage und man begann in Moskau, ein Vorgehen gegen Bevölkerungsteile, die die sowjetischen Truppen begrüßten, zu untersagen. Die sowjetischen Truppen wurden beauftragt, Demonstranten unter ihren Schutz zu nehmen, Doch auch noch bei der Bildung der neuen Regierungen sollten die Kommunisten nicht dominieren. Die Mehrzahl der Mitglieder der neuen Regierungen bildeten Sozialisten und Parteilose. Auch die Regierungschefs waren keine Kommunisten z. B. war es  in Lettland der Parteilose A. Kirchenstejn, in seiner Regierung befanden sich vier kommunistische Minister. Ihr Posten behielten auch die Präsidenten von Lettland Ulmanis  und Pjats von Erstland, nur der litauische Präsident Smetona emigrierte nach Deutschland.

 

Die Stimmung des überwiegenden Teils der Bevölkerung der baltischen Staaten war sowjetfreundlich. Aber eine Sowjetisierung war immer noch nicht vorgesehen.  Noch am  26. Juni  1940 ging Molotow davon aus, dass die drei baltischen Staaten noch lange selbständige Staaten bleiben werden. Ein Anschluss an die UdSSR wurde noch nicht in Erwägung gezogen. Doch dann änderte sich die Haltung der Sowjetregierung sehr schnell. Das hatte mit der Haltung der  Hitlerregierung im Falle Bessarabiens und der Bukowina zu tun. Mit der Inanspruchnahme dieser Gebiete durch die UdSSR im Juli  1940 entstand bei der Naziführung der Eindruck, dass Stalin jetzt auf ganz Rumänien, den wichtigsten Erdöllieferanten der Nazis, zugreift. Berlin richtete an Moskau in der sog. Bessarabienfrage Protestnoten. Man machte nun der UdSSR den Anspruch auf dieses Gebiet streitig.

Am 23. Juli 1940 wurde der deutsche Botschafter von Schulenburg im sowjetischen Außenministerium einbestellt und es wurde ihm mitgeteilt, dass die Bessarabien- und Nordbukowinafrage gelöst werden muss. Doch nun zeigte sich die Hitlerregierung nicht mehr desinteressiert, wie  am 23. August 1939 im Geheimprotokoll vereinbart war, es gab Einwendungen insbesondere auch in Bezug der Besetzung der Nordbukowina, die Hitler als historisch deutsches Gebiet bezeichnete, weil es einst zur österreichischen Krone gehörte.

Als der rumänische König Carol sich wegen des drohenden Einmarsches der Sowjettruppen in Bessarabien und die Nordbukowina an Hitler um Hilfe wandte, empfahl Hitler zwar noch den Forderungen der SU nachzugeben, die Hitlerregierung protestiert aber dennoch gegen der Besetzung Bessarabiens und der Nordbukowina, ein Gebiet mit jetzt vorwiegend ukrainischer Bevölkerung. Die Nazis waren aber der Meinung, dass dort vorwiegend Deutsche leben würden. Hitler teilte in einer geheimen Besprechung mit Regierungsmitgliedern und Generälen mit, dass er entschlossen sei, die Ukraine und auch die baltischen Länder zu erobern, sobald die Lage das zulasse. Die Sowjetregierung erfuhr über die Ausführungen Hitlers. In Berlin kritisierte Hitler auch das Vorgehen der Sowjetunion im Baltikum. Die Sowjetunion stellte sich nun der  Volksfrontbewegung in allen drei baltischen Ländern nicht mehr in den Weg.

Am 14. bis 15. Juli fanden in den baltischen Statten Wahlen statt. Es handelte sich um Listen der werktätigen Volkes. Die aus diesen Wahlen mit überwältigender Mehrheit der Stimmen hervorgehenden Volksvertretungen wählten neue Volksfrontregierunen und diese  erklärten nun ihren Willen zum Beitritt in den Verband der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Am 3. 5. und 6. August 1940 traf der Oberste Sowjet der UdSSR die Entscheidung, diese Republiken in die UdSSR aufzunehmen, ebenfalls wurde am 3. August die Aufnahme Moldawiens in die UdSSR beschlossen, nachdem dort die Rote Armee einmarschiert war. Die Nordbukowina wurde der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik angeschlossen.

 

Die neue Macht wurde von der großen Mehrheit der Bevölkerung schon deswegen positiv aufgenommen, weil alle sozialen Grundrechte, die dem Sozialismus wesenseigen sind (Mitbestimmung und Arbeiterkontrolle in den Unternehmen, Recht auf Arbeit, Bildung, unentgeltlicher gesundheitliche Versorgung, Recht auf Wohnung   usw. zügig eingeführt wurden andererseits aber die Sowjetmacht auch auf radikale Umgestaltungsmaßnahmen  der Eigentumsverhältnisse verzichtete. Die Klassenantagonismen wurden dennoch beseitigt. Die Gegensätze zwischen Arm und Reich wurden abgebaut. Schon bis Ende 1940 sank die Arbeitslosenquote auf nahezu Null. Warenverknappungen und Preissteigerungen waren jetzt vor allem darauf zurückzuführen, dass die Löhne und Renten stark ansiegen, 

Es  gab auch Kräfte, die gegen die Sowjetmacht arbeiteten, und die mussten schon aus Sicherheitsgründen bekämpft werden. In der westlichen Propaganda wird letzteres natürlich in den Vordergrund gestellt, nicht die vielen neuen Errungenschaften des werktätigen Volkes,

 

Der finnisch-sowjetische Krieg

 

Finnland war  am 23. August in den geheimen Zusatzprotokollen auch dem Einflussbereich der UdSSR zugeordnet worden, was im Abkommen vom 28. September 1939 über Grenzen und Freundschaft bestätigt und präzisiert wurde. Hier gab es jedoch bei der Realisierung besondere Probleme. Die finnische Regierung entfaltete große internationale Aktivitäten zum Schutz vor der UdSSR und es bekam schon im September Hilfszusagen der Westmächte einschließlich der USA. Die finnischen Truppen erhielten moderne Ausrüstungen u. a. neue Flugzeuge, Artilleriegeschütze, Panzer, Maschinengewehre und neuartige Maschinenpistolen. Die kamen aus Frankreich, Großbritannien, den USA und auch aus Italien. Die Finnen hatten schon Monate und Jahre zuvor einen Krieg gegen die UdSSR vorbereitet. Sie waren besonders gut auf einen Winterkrieg vorbereitet.

Unter ihrem Armeeoberbefehlshaber Mannerheim hatten sie umfangreiche Verteidigungsmaßnahmen ergriffen. Sie hatten den sog Mannerheimwall gebaut, hinter dem sie sich relativ sicher fühlten. Und sie fühlten sich auch zu laufenden Grenzprovokationen ermutigt.

Die Sowjetführung unter Stalin beschloss gegen Finnland sehr vorsichtig und gemäßigt vorzugehen.

Als die UdSSR in Realisierung der Abkommen mit Berlin von Finnland nur einen Sicherheitsvertrag, verbunden nur ein paar Grenzkorrekturen vor Leningrad im Austausch gegen Gebiete in Karelien (Leningrad lag nur 32 Kilometer von der finnischen Grenze entfernt), den Hafen Hanko und vier kleine Inseln zur Pacht zwecks Erhöhung der eigenen Sicherheit verlangten, lehnten die finnische Regierung das brüsk ab.

 

Am 30. November erklärte die UdSSR Finnland den Krieg. Anlass waren verstärkte Grenzprovokationen der finnischen Armee.  Erst das war für Rote Armee der direkte Anlass zur Eröffnung der Kampfhandlungen. Allerdings war nach wie vor nicht die Besetzung Finnlands vorgesehen. Die SU wollte nur die Abtretung kleinerer Gebiete im Austausch gegen größere Gebiete Sowjetkareliens  durchsetzen. Die Lage verschärfte sich aber, als die finnischen Streitkräften an der gesamten finnisch-sowjetischen Grenze zu Gegenangriffen übergingen und in die Rote Armee in verlustreiche Kämpfte verwickelt wurde. Stalin musste die Kampfstärkre der Roten Armee wesentlich verstärken, ehe die Durchbrechung der finnischen Front gelang und die Rote Armee zur zügigen Offensive übergehen konnte.

Was war für die Sowjetführung der Grund, die Kampfhandlungen einzustellen und das weitere Vorrücken der Roten Armee auf finnischen Boden abzubrechen? Der UdSSR drohte nicht die Niederlage, sondern es verstärkte sich ganz real die Gefahr, in einen Krieg gegen die  Westmächte verwickelt zu werden. Diese stellten Expeditionskorps auf und drohten mit der Intervention zu Gunsten von Finnland .

Frankreich und Großbritannien, auch die USA drohten mit der Entsendung dieser Expeditionskorps und auch mit Luftangriffen auf die Erdölfelder und -anlagen von Baku, das damals wichtigste Erdölfördergebiet der UdSSR. Wenige Tage nach dem 30. November 1939  gab übrigens Hitler die erste Instruktion für einen künftigen Krieg gegen die Sowjetunion heraus. Auch das wurde in Moskau bekannt.

Bei den erbitterten Kämpfen kam die Rote Armee zwar in schweren verlustreichen Kämpfen siegreich voran, aber ihr drohten nun internationale Komplikationen und es drohte die Gefahr, in einen Krieg mit den Westmächten verwickelt zu werden, was Stalin unbedingt vermeiden wollte. Die UdSSR war schon aus der Liga der Nationen ausgeschlossen worden. In Berlin rieb man sich die Hände. Man ermunterte Italien weiter Waffen an Finnland zu liefern und hoffte nun auf den großen gemeinsamen Feldzug mit den Westmächten gegen die UdSSR nach einem schnellen Friedensschluss an der Westfront.

Nicht ein Versagen der Roten Armee, sondern genau das Bestreben Stalins, nicht in einen vorzeitigen Krieg gegen Deutschland und dann noch mit den Westmächten verwickelt zu werden, veranlasste ihn zur Einstellung der Kampfhandlungen und des weiteren Vorrückens seiner Streitkräfte. Man verzichtete auch auf die  Bildung der Kuusinen-Regierung in Helsinki. Deswegen schloss die Sowjetregierung am 14. März 1940 mit Finnland einen Friedensvertrag. Dabei kam es auch zu den kleinen Grenzkorrekturen und zur Pacht des Seehafens und Stützpunktes Hanko. Die UdSSR vereinbarte auch bestimmte Sicherheitsmaßnahmen, die die finnische Regierung allerdings dann nach dem 22. Juni 1941, als sie mit Hitler vertragsbrüchig ein Kriegsbündnis gegen die UdSSR abschloss, nicht mehr einhielt.

Finnland schied allerdings dann auch frühzeitig aus dem Krieg gegen diec Sowjetunion  aus. Es setzte sich in Finnland relativ schnell der realistische Kurs der Paaksinen-Politik durch, die für Finnland einen dauerhaften Neutralitätsstatus, verbunden mit freundschaftlichen Beziehungen auf gleichberechtigter Basis mit seinen östlichen Nachbarn vorsah.

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Das zum Nichtangriffsvertrag. Bekannt ist, dass Hitler diesen Vertrag dann mit dem heimtückischer Überfall  am 22. Juni 1941 wortbrüchig brach. Das war aber auch sein Weg in die Niederlage und in den Abgrund und der Weg in die totale Katastrophe für Deutsuchland.

 

Anlage

 

Hitler setzte ab 1933 die antisowjetische Kampagne, begonnen von Churchill  nur fort

Für einen Kreuzzug gegen die UdSSR verhandelte er sogar anfänglich mit Polen. Er schloss mit der Pilzudski-Regierung in Warschau  1934 einen Nichtangriffsvertrag.

Die Sowjetunion war also extrem bedroht.

 

Man hat oft gesagt, Stalin hätte 1937-1938 die Rote Armee enthauptet, indem er sie ihrer besten Kommandeure beraubte. Das ist auch grundfalsch. Die Rote Armee, in der sich  noch einige trotzkistische  und konterrevolutionär gesonnene Generäle befanden, war 1937, als eine Säuberung in ihren Reihen begann,  ganz und gar nicht optimal entwickelt. Das zeigte sich im spanischen Bürgerkrieg, wo z. B. die anfänglich den Deutschen überlegenen sowjetischen Jagdflugzeuge von der deutschen Neuentwicklung Messerschmidt ME 109 in den Parametern, in den Kampfeigenschaften ab 1938 eingeholt und übertroffen wurde, es zeigte sich bei Panzern und es zeigte sich anfänglich bei Bodenkämpfen mit den Japanern, die damals 1938 begannen, die nicht nur die mit der UdSSR verbündete Mongolei, sondern auch  sowjetische Gebiete zu überfallen. Die technischen Mängel in der Bewaffnung der Roten Armee, das stellte auch eine damals vom sowjetischen Politbüro unter Leitung von Schdanow und Wossnezenski gebildete Kommission fest.

Die erste siegreiche Schlacht am Fluss Schalchin- Gol konnte erst im Juli/August 1939 unter mit neuen Waffen und neuen Kommandeuren unter dem Befehl des neu eingesetzten Generals Shukow erfolgreich geschlagen werden, nachdem Marschall Blücher der langjährige Oberbefehlshaber der Fernostarmee, als Verräter und japanischer Agent entlarvt worden war. Blücher wurde bekanntlich  verhaftet und zum Tode verurteilt, auch übrigens wegen notorischer Trunkenheit. Seine Saufgelage und Sexparty in den Offizierskasinos stanken schon zum Himmel, vor allem weil ihr Ergebnis die sträfliche Vernachlässigung der Verteidigungsaufgaben in Fernost war.  Vorher waren u.a. Marschall Tuchatschewski, der Stellvertretende Verteidigungskommissar nach Woroschilow, und mehrere andere Generäle als mit der Organisation eines Militärputsches gegen Stalin und das Politbüro  von Trotzki beauftragt und als Agenten der Deutschen und Briten entlarvt und abgeurteilt worden.  Die sog. Enthauptung der Roten Armee war ein Art Aufräumen im Augiasstall einiger Generäle.

 

Angesichts drohender Aggressionen bestand nun die Aufgabe, die Rote Armee und Flotte kadermäßig und waffentechnisch auf den modernsten Stand zu bringen und das gelang erst, nachdem die Clique trotzkistischer und konterrevolutionärer Generäle eliminiert und der Offiziersbestand auch moralisch gefestigt und dabei auch wesentlich verjüngt werden konnte. Etwa 40000 Offiziere schieden damals aus der Roten Armee und Flotte aus, meist aus moralischen Gründen sowie aus Gesundheits- und Altersgründen. Die wenigsten davon wurden allerdings verhaftet und abgeurteilt. Übrigens wurden von denn entlassenen Offizieren  mit Kriegsbeginn rund 15000 wieder eingestellt.

Was die Kampfstärke der Roten Armee und Flotte anbetrifft, so ist nur richtig, dass Stalin noch Anfang 1939 die Rote Armee noch nicht hinreichend in der Lage sah, mit der deutschen Kriegsmaschinerie und auch gleichzeitig mit der gut gerüsteten japanischen kaiserlichen Armee den Kampf aufzunehmen. Es bedurfte noch mindestens zwei Jahre, bis die Rote Armee auf den modernsten Stand der Militärtechnik stand. Das zu erreichen, wurde 1939 in Angriff genommen. Eine Statistik belegt die quantitative Verstärkung der Roten Armee ab 1. Januar 1939 bis 22. Juni 1941.

                                                                1. Januar 1939       22. Juni 1941     Steigerung in  %

Divisionen                                                  136                          313                      230

Personalbestand                                         1,9 Mio.               5,8 Mio.                  297

Artilleriegeschütze und Granat-Werfer         55800                 117600                    211

Panzer und Sturmgeschütze                         18400                  23300                      127

Kampfflugzeuge                                          17500                  24500                      140

Der Offiziersbestand wurde von 150 000 auf 500 000 erhöht. Das waren natürlich nun sehr junge Offiziere, die in die Rote Armee kamen. Bei Panzern und Kampflugzeugen ist zu berücksichtigen, dass besonders in den Jahren 1940/Erstes Halbjahr 1941  neue moderne Typen gerade erst  in Serie gingen oder sich noch im Entwicklungsstadium befanden.

Während des Großen Vaterländischen Kriegs hat die Industrie der UdSSR  102 000 Panzer und Sturmgeschütze sowie 137 00 Flugzeuge der modernen Typen produziert.

 

Quellen:  Ju. W. Jemel’janow, „Stalin auf dem Gipfel der Macht.“ Moskau, Verlag Wetsche 2003;, Ludo Mertens „Stalin anders betrachtet“, Verlag EPO, Berchem (Belgien); Die Sowjetgesellschaft, Rossijskij gosudarstvennij humanitarnij universitet, Moskau 1997.

 

Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen