NATO: Der Irrsinn der Bündnispflicht

von  Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait

NATO-Beistandspflicht von US-Außenminister nicht einmal erwähnt

Der amtierende US-Außenminister Mike Pompeo hat nicht die NATO-Beistandspflicht bekräftigt, er hat sie nicht einmal erwähnt. Die Süddeutsche Zeitung lügt, wenn sie das Gegenteil am 5.4. als kleine Randnotiz auf die erste Seite setzt, auch noch anonym mit sz Signatur. Das belegt noch einmal den bösen Ruf der Süddeutschen Zeitung, das Zentralorgan des Pentagon in Deutschland zu sein, denn die SZ greift wiederholt zur Falschnachricht, wenn die Interessen des US-Militärindustriekomplex im Pentagon und seinem deutschen Umfeld als gefährdet angesehen werden können. Und dafür gibt es handfeste Hinweise: <Die Zustimmung zu einer Mitgliedschaft in der NATO ist … 70 Jahre nach ihrer Gründung in den meisten europäischen Ländern erheblich gesunken, auch in Deutschland, wo es 2019 nur noch 54 Prozent beträgt. In Großbritannien sank die Zustimmung auf 59 Prozent, in Frankreich auf 39 Prozent. (Umfrage des Meinungsforschungsinstitut Yougov - „NATO streitet zum Geburtstag“ am 5.4.19 - dpa/jw)

NATO-Bündnisfall nie eingetreten

Der NATO-Bündnisfall (Art.5) ist niemals zustande gekommen - Gott sei Dank! Eine falsche Behauptung, die von einem ehemaligen NATO-Generalsekretär stammt, führte zu dem Denkfehler, dass sich der Verteidigungsfall im NATO-Bündnis just nach den Anschlägen von 9/11 in New York (11.9.2001) für die USA wirksam gemacht habe, eine falsche Annahme, die mit Erfolg in Regierungskreise, in alle wichtigen Nachrichtenagenturen und Medien getragen wurde.

Der NATO-Bündnisfall wurde damals unilateral vom NATO-Generalsekretär George Robertson in einer Pressekonferenz erklärt, aus welchen Gründen auch immer (Meldungen vom 2.10.2001). Aber gerade deshalb ist er nicht eingetreten, denn als Sekretär und Administrator hatte Robertson keine Entscheidungsfunktion, keine Befugnisse, eine solche Feststellung zu treffen. Für alle Entscheidungen sind die Verteidigungsminister der Mitgliedsstaaten zuständig, also der NATO-Rat, nicht der Generalsekretär oder irgendein anderer Sekretär.

Das damalige zurückhaltende Verhalten der republikanischen US-Bush-Regierung leuchtet ein, wenn man davon ausgeht, dass innerhalb der Republikanischen Partei auf breiter Ebene klar verstanden ist, was die verheerende Bündnispflicht oder der Bündnisfall bedeutet. Es gab damals keine konkrete Anforderung der US-Bush-Regierung für einen Bündnisfall, der die USA betrifft. Der US-Repräsentant war nicht einmal anwesend bei dem seltsamen Alleingang, bei der seltsamen Allein-Erklärung des damaligen britischen NATO-Generalsekretärs.

Die USA legten in der Tat auf der NATO-Ratssitzung nach dem 11. September 2001, dem sog. 9/11, keine entsprechenden Dokumente vor, und zwar auf der Sitzung am Mittwoch 26.9.2001 in Brüssel, ob sie nun existierten oder nicht. Die damalige Erklärung von NATO-Generalsekretär Robertson lautete, die NATO betrachte die Terroranschläge in den USA als Angriff auf das gesamte Bündnis, „falls“ - hier liegt die Betonung und der entscheidende Punkt - „falls der Angriff vom Ausland aus gesteuert worden sein sollte“. Offenbar gab es genau dazu Meinungsverschiedenheiten innerhalb der NATO: Vertreter der Niederlande, Belgiens und Portugals hatten sich gegen eine Feststellung des Bündnisfalls ausgesprochen. Wie gesagt, legten die USA keine Beweise, keine Anforderung, keine entsprechende Dokumente vor, was bestätigt, dass 9/11 ein höchst eigenartiger unaufgeklärter Fall in der Kriminalgeschichte der USA war und bezeichnenderweise immer noch bleibt.

Aber eine rechtsstaatliche Demokratie benötigt gut ausgebildete Journalisten. Sonst erfüllen sie nicht ihre gesellschaftliche Aufgabe, eine Lage sachlich und wahrhaftig aufzuklären, sondern widmen sich der Demagogie mit nebensächlichen Banalitäten. Ein solches Verhalten behindert die offene politische Auseinandersetzung und Orientierung in einer Demokratie und was noch gravierender ist, es beinträchtigt die Sicherheitslage, wie sie eine Bündnispflicht bedeutet, die im Falle ihres Eintreffens den totalen Krieg mit sich brächte. Ist das für Journalisten und Außenpolitiker klar?

Die Bündisnispflicht bzw. der Bündnisfall bedeutet den totalen Krieg

Der Artikel 5 des NATO-Vertrags bzw. der Bündnisfall öffnet die Pandora-Büchse, indem er hinsichtlich der NATO auf eine verhängnisvolle Außenpolitik der vollendeten Tatsachen eingeht, die seit langem betrieben wird und gar nichts mit den Grundsätzen der Vereinten Nationen (UN) zu tun hat, nämlich die UN-Rechtsnormen. Der Bündnisfall bedeutet den totalen Krieg von allen gegen einen, was heute absolut irrsinnig wäre. Deshalb stellen nicht nur die republikanische Partei, der republikanische US-Präsident Donald Trump und sein Team, zu dem auch der US-Außenminister Mike Pompeo gehört, den Bündnisfall in Frage, sondern auch europäische Regierungsvertreter. Wie gesagt, schon unter der Bush-Regierung war der NATO-Repräsentant abwesend, als der britische NATO-Generalsekretär, George Robertson, infolge des 9/11-Attentat in New York den NATO-Bündnisfall zu erklären vorhatte. Der US-Repräsentant war in der Tat nicht einmal anwesend bei der seltsamen anmaßenden Allein-Erklärung des Briten im Verlauf der NATO-Ratssitzung am 26.9.2001 in Brüssel. Offenbar gab es in diesem Punkt auch eindeutige konträre Stimmen innerhalb der NATO selbst: Vertreter der Niederlande, Belgiens und Portugals hatten sich gegen eine Feststellung des Bündnisfalls ausgesprochen. Der extreme fatale Fall kam nicht zustande. Ja, der Bündnisfall ist durch die Vernunft überwunden, denn ein totaler Krieg ist entschieden zu vermeiden. Das ist ein kategorischer Imperativ der reinen und praktischen Vernunft.

Mit NATO Gefahr und Risiken, Konsequenz: Türkei auf Distanz

Die türkische Regierung sieht den Irrsinn der Bündnispflicht ein und entfernt sich allmählich von einem Militärbündnis, das weder für die Türkei noch für die europäischen Staaten Sicherheit mit sich bringt, sondern höchste Gefahr und Risiken für alle NATO-Verbündeten. Der türkische Vizepräsident Fuat Oktay hat im Gegenzug auf die impertinente Erklärung des US-Vizepräsident Mike Pence diesbezüglich sofort reagiert: <Washington arbeitet mit Terroristen zusammen, „um die Verteidigung ihres NATO-Verbündeten gegen seine Feinde zu untergraben“. Aus dem russischen Außenministerium in Moskau hieß es am 4.4.: „Jugoslawien, Afghanistan, Libyen – diese Einsätze der Allianz haben Chaos und Zerstörung gebracht und zahlreiche Opfer unter friedlichen Einwohnern gefordert. Dieses Vorgehen wurde zu einem schweren Schlag gegen die Basis des Völkerrechts.“> („NATO streitet zum Geburtstag“, Junge Welt 5.4.19 von dpa/jw)

Deutsche Regierung: Kein „Bekenntnis zum Bündnis“

Pragmatisch handelt die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hoch politisch und lässt sich zu keinem „Bekenntnis zum Bündnis“ treiben. Von „Beistandspflicht“ zu schreiben, ist völlig lächerlich und deplaziert. Schon der damalige Verteidigungsminister Thomas de Mazière lehnte den Ausdruck „Bündnistreue“ als politisch völlig unangemessen ab. Der Grundpfeiler für die internationalen Beziehungen, ja für die Weltordnung ist das Völkerrecht, festgeschrieben in der Charta der Vereinten Nationen. Ein störendes aggressives Bündnis, das heute keine Legitimation findet, ist kein Fundament, kein Grundpfeiler für eine außenpolitische Ordnung. Es ist dies auch niemals gewesen und wird es auch nicht sein können.

NATO nur mit Zukunft als Abrüstungsagentur

Die NATO hat nur eine Zukunft als Abrüstungsagentur, wie in Washington nach der Wende 1990 von bedeutenden politischen Persönlichkeiten erkannt wurde und nach dem Abschluss des NATO-Gipfeltreffens in Lissabon vom 20. November 2010 festgestellt ist. Kanzlerin Angela Merkel muss Europa von dem Wahnsinn der nuklearen Abschreckung mit ihren fatalen Risiken der Ausrottung endgültig befreien. Die Bundeskanzlerin muss die Initiative ihres einstigen Außenministers Guido Westerwelle wieder auf die Tagesordnung setzen. Es darf keinen Cent für eine aggressive Militärorganisation geben, die gegen alle offiziellen Vereinbarungen weitere Rüstung plant und die als größtes Sicherheitsrisiko für Europa zu verschwinden hat.

Keine gemeinsame Erklärung der Verteidigungs- oder Außenminister der EU-Staaten zum NATO-Jubiläum ihrer 70-jährigen Existenz

Eine Reise der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen nach Washington wäre ratsam und sinnvoll, um mit ihrem neuen US-Verteidigungskollegen, Patrick Shanahan, dieses schwer belastende Anliegen für alle Partner zu besprechen. Berlin sollte jedenfalls umgehend den zukünftigen Weg für sich selbst und Europa markieren. Das Weiße Haus unter Präsident Donald Trump würde vernünftigen Initiativen sicherlich nicht im Wege stehen, wie vorherige US-Regierungen es so töricht taten. Die Abwesenheit von Ursula von der Leyen bei den NATO-Jubiläumsfeierlichkeiten in Washington war sehr auffällig und rätselhaft. Als Verteidigungsministerin sollte sie dabei gewesen sein und nicht Außenminister Heiko Maas, der offensichtlich in Washington ins politische Berliner Vakuum sprang. Sicherlich wollte die deutsche Verteidigigungsministerin die Solidarität mit ihren Kollegen nicht brechen, denn kein einziger von ihnen ist zum NATO-Jubiläumsfestakt nach Washington geflogen. Offensichtlich gab es für sie alle nichts zu feiern, denn selbst am Hauptsitz der NATO in Brüssel gab es keine besondere Zeremonie. Es gab auch keine gemeinsame Erklärung der Verteidigungs- oder Außenminister der EU-Staaten. Das sagt alles.

Fehler erkennen und nicht wiederholen

Innerhalb des US-amerikanischen Senats ist die lauernde Gefahr des riesigen Militärindustriekomplexes, der auch hinter der NATO steckt und die US-Außenpolitik oftmals entscheidend beeinflusst, schon vor langer Zeit erkannt worden. 1975 bildete der US-Senat unter dem Vorsitz des mutigen und klugen Senators Frank Church aus Idaho eine spezielle Untersuchungskommission, um zu klären, welche Mittel sich die Außenpolitik der USA bedient, um ihre Ziele durchzusetzen. <<“Wir glauben, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat zu erfahren, welche Instrumente ihre Regierung einsetzt“, erklärte die Untersuchungskommission des US-Senats in der Einleitung zu ihrem äußerst brisanten Bericht. „Die Wahrheit über Mordversuche muss ausgesprochen werden, da die Demokratie von einer gut informierten Wählerschaft abhängig ist. Aber dieses Land hat die Kraft, diese Geschichte anzuhören und daraus zu lernen. Wir müssen ein Volk bleiben, das seine Fehler sieht und das fest entschlossen ist, sie nicht zu wiederholen. Wenn wir das nicht schaffen, werden wir untergehen. Aber wenn wir es schaffen, wird unsere Zukunft strahlend sein.“ >> So die amerikanischen US-Senatoren damals – und heute? (Daniel Ganser „Illegale Kriege – Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren“, Verlag Orell Füssli, Zürich, 2016, S.84)