NATO
German Foreign Policy vom 28.10.2015
Die NATO stützt sich bei der Entwicklung neuer Propagandatechniken
zunehmend auf deutsche Wissenschaftler und Journalisten. Jüngster Ausdruck
dieses Vorgangs ist eine für Ende November im nordrhein-westfälischen Essen
anberaumte Konferenz über "strategische Kommunikation", die ein
Think-Tank des westlichen Militärbündnisses veranstaltet - unter Mitwirkung
unter anderem eines Korrespondenten der ARD. Erklärtes Ziel der von führenden
deutsch-europäischen Rüstungskonzernen gesponserten Tagung ist es, Methoden zu
erarbeiten, mit denen sowohl "öffentliche Unterstützung" für
Kriegsoperationen der NATO generiert als auch "feindliche Medienarbeit"
gekontert werden kann. Deutschland gilt den Konferenzplanern in diesem
Zusammenhang als "problematischer Fall". Ihrer Auffassung nach sind
"pazifistische Auffassungen" weit verbreitet unter den Deutschen, die
sich deshalb oftmals als besonders anfällig für antimilitaristische
"Desinformationskampagnen" erweisen. Dies zeige sich insbesondere bei
den öffentlichen Auseinandersetzungen über die zivilen Opfer westlicher
"Luftschläge" und den Einsatz bewaffneter Drohnen.
Unterstützung generieren
Wie das im nordrhein-westfälischen Kalkar beheimatete "Joint Air
Power Competence Centre" (JAPCC) der NATO mitteilt, wird es in der
Zeit vom 23. bis zum 25. November eine Konferenz über
"Luftkriegsführung und strategische Kommunikation" veranstalten.
Die von führenden deutsch-europäischen Rüstungskonzernen wie Airbus Denfence
and Space oder Rohde und Schwarz gesponserte Tagung in der Ruhrmetropole Essen
richtet sich explizit an "Führungskräfte" und "Entscheider"
aus Politik, Militär, Wirtschaft und Wissenschaft. Zu den vom JAPCC geladenen
Referenten zählen unter anderen zwei Deutsche: der Militärhistoriker Philipp
Fraund von der Universität Konstanz, der sich insbesondere mit Fragen der
Kriegsberichterstattung befasst, und der "Hauptstadtkorrespondent" der
öffentlich-rechtlichen ARD, Christian Thiels, der als Experte für Medien- und
Militärpolitik gilt. Erklärtes Ziel der Konferenz ist es, Methoden zu
erarbeiten, mit denen sowohl "öffentliche Unterstützung" für
Kriegsoperationen der NATO generiert als auch "feindliche
Medienarbeit" gekontert werden kann.[1]
Luftschläge und Kollateralschäden
Ausgangspunkt der Tagung des JAPCC ist die These, dass von Kampfjets
und Drohnen der NATO ausgeführte "Luftschläge" zwar wesentlich für
den "strategischen Erfolg" des westlichen Militärbündnisses sind,
aber gleichzeitig immer wieder massive öffentliche Kritik nach sich ziehen.
Insbesondere die von Aufständischen und "radikalen Gruppen"
lancierten Berichte über zivile Opfer und "Kollateralschäden" trügen
dazu bei, die "öffentliche Meinung" über die westliche
Luftkriegsführung zu "unterminieren", heißt es. Dies könne
schlimmstenfalls dazu führen, dass die NATO die für sie entscheidende
"Unterstützung" durch die Bevölkerungen ihrer Mitgliedsstaaten
einbüße, erklärt das JAPCC.[2]
PR-Strategien
Das JAPCC hält Deutschland in diesem Zusammenhang für einen besonders
"problematischen Fall". Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs habe
sich hier eine "starke pazifistische Haltung" etabliert; auch lasse
die "öffentliche Meinung" die in den USA und Großbritannien gängige
Unterstützung für die eigenen Streitkräfte sträflich vermissen, heißt es:
"Wann immer die NATO Gewalt anwendet, sind die Deutschen weit
empfänglicher für anti-militaristische Desinformationskampagnen als alle
anderen NATO-Staaten."[3] Um hier Abhilfe zu schaffen, hat das JAPCC
eigens ein Forschungsprojekt initiiert, das das Ziel verfolgt, gegen die
Luftkriegsführung der NATO gerichtete Anwürfe im Hinblick auf deren
"Effektivität" zu analysieren. Darauf basierend sollen dann
erklärtermaßen "Informationsstrategien" entwickelt werden, die die
Luftkriegsführung der NATO als mit dem Völkerrecht übereinstimmend und
"human" porträtieren.[4] Zu den Mitarbeitern des Projekts zählt unter
anderen der an der Universität Konstanz beschäftigte Militärhistoriker Philipp
Fraund, der auch als Redner der jetzt angekündigten Konferenz des JAPCC
vorgesehen ist. Erst im November 2013 war Fraund bei einem medienpolitischen
"Workshop" des "Zentrums für Militärgeschichte und
Sozialwissenschaften" der Bundeswehr (ZMSBw) aufgetreten, wo er einen
Vortrag über "Pressepolitik und Kommunikationsstrategien" der
deutschen Streitkräfte hielt (german-foreign-policy.com berichtete [5]). Seine
offenkundige Einbindung in militärische Strukturen entbehrt nicht einer
gewissen Pikanterie: Die Konstanzer Hochschule hat sich durch eine sogenannte
Zivilklausel verpflichtet, nicht mit Streitkräften und Rüstungsindustrie zu
kooperieren.
"Russische Desinformation"
Besonderes Augenmerk widmen die Organisatoren der JAPCC-Konferenz der
russischen Medienpolitik. Diese habe insbesondere zwei Stoßrichtungen, heißt
es: Zum einen werde versucht, der eigenen Bevölkerung eine "xenophobe
Weltsicht" zu vermitteln, der zufolge Russland das Opfer einer
"permanenten westlichen Aggression" sei. Zum anderen ziele die
russische Propaganda auf die "Eliten" und die politische Linke des
Westens; beiden gesellschaftlichen Gruppen werde vorgemacht, dass Russland seit
dem Ende der Sowjetunion Objekt "westlicher Ausbeutung" sei und dass
der Westen die von ihm zu Beginn der 1990er Jahre eingegangene Verpflichtung,
die NATO nicht gen Osten zu erweitern, gebrochen habe. Zwar handele es sich
jeweils um "reine Desinformation", jedoch müsse auch diese gekontert
werden; schließlich beabsichtige Russland, den Westen im Allgemeinen und die
NATO im Besonderen zu "diskreditieren". Gleichzeitig habe Russlands
Vorgehen in der Ukraine und auf der Krim gezeigt, dass
"Informationskampagnen" mittlerweile integraler Bestandteil der
russischen Militärstrategie seien und bei Bedarf mit "Cyberkrieg" und
Operationen von "Spezialkräften" gekoppelt würden, erklärt das JAPCC.
Dem JAPCC zufolge ist es daher unabdingbar, die russische Medienpolitik
genauestens zu beobachten; dies ermögliche die "frühzeitige Aufdeckung
potentiell aggressiver Handlungen".[6]
"Stumpfe Speerspitze"
An dieser Stelle dürfte der als Referent der JAPCC-Tagung vorgesehene
ARD-Korrespondent Christian Thiels ins Spiel kommen, der sich erst unlängst als
antirussischer Propagandist und Advokat der Bundeswehr hervorgetan hat. So
monierte er in einem Beitrag, die "zur Abschreckung gegen Russland"
aufgestellte "Speerspitze" der NATO ("Very High Readiness Joint
Task Force"/VJTF) könne sich "im Ernstfall als ziemlich stumpf
erweisen". Schuld daran ist seiner Ansicht nach die deutsche
"Bürokratie", die eine schnelle Verlegung der Truppe ins Ausland
unmöglich mache, weil sie unter anderem "Sondergenehmigungen für den
Transport von Kriegswaffen" verlange. Zudem fehle es der Bundeswehr an
"geeigneten Flugzeugen" für den Transport von Soldaten und
Kriegsgerät, ließ Thiels verlauten. Zwar könnten die deutschen Streitkräfte wie
beim Rückzug aus Afghanistan auf Antonow-Maschinen der Ruslan Salis GmbH
zurückgreifen; nur sei an dieser Firma "pikanterweise ... auch ein
russisches Unternehmen beteiligt".[7]
Streubomben
Unterdessen hat das JAPCC schon im Vorfeld seiner Konferenz über
"strategische Kommunikation" etliche "Empfehlungen" für
die "Erziehung der Öffentlichkeit" im Sinne der NATO formuliert.
Danach soll das westliche Militärbündnis etwa spezielle "Medienteams"
aufstellen, die bei künftigen Konflikten gezielt über
"Menschenrechtsverstöße des Feindes" berichten. Umgekehrt müssten
diejenigen "aggressiv" in ihre Schranken gewiesen werden, die den
Einsatz von Streubomben oder illegale Tötungen durch bewaffnete Drohnen
"per se als Kriegsverbrechen brandmarken". Ihnen gegenüber sei zu
betonen, dass "terroristische Gruppen" und "Diktatoren"
sich ohnehin nicht an das Völkerrecht hielten, während die NATO stets alle
"verfügbaren Ressourcen" mobilisiere, um "zivile Opfer zu
vermeiden": "Streubomben sind sehr wichtig, wenn man einen Feind
bekämpft, der als konventionelle Streitmacht organisiert ist."[8]
[1], [2], [3] Joint Air
Power Competence Centre (JAPCC): Air Power and Strategic Communications. NATO
Challenges for the Future. Joint Air and Space Power Conference 23-25 November
2015. Read Ahead. Kalkar 23.09.2015.
[4] Siehe hierzu auch: Study of Airpower and Disinformation. Lessons for Future
Operations. www.japcc.org.
[5] Siehe dazu Vierte Gewalt.
[6] Joint Air Power Competence Centre (JAPCC): Air Power and Strategic
Communications. NATO Challenges for the Future. Joint Air and Space Power
Conference 23-25 November 2015. Read Ahead. Kalkar 23.09.2015.
[7] Christian Thiels: Die ausgebremste Eingreiftruppe. www.tagesschau.de 22.08.2015.
[8] Joint Air Power Competence Centre (JAPCC): Air Power and Strategic
Communications. NATO Challenges for the Future. Joint Air and Space Power
Conference 23-25 November 2015. Read Ahead. Kalkar 23.09.2015.
Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59235