Migration ist gut für die Monopole der westlichen
Länder
Aber sie ist schlecht für die Arbeiter in den
westlichen Ländern
(Lohndrückerei)
und schlecht für die Entwicklung der
Entwicklungsländer selbst
(Braindrain – Abwanderung der Gehirne)
Wirtschaftswissenschaften: Wer von der Migration
profitiert und wer nicht
Häring, Norbert
© dpa Die Länder, die Migranten aufnehmen,
profitieren in der Regel von ihrer Bildung und Berufserfahrung.
Der Entwurf
des globalen Migrationsabkommens sieht Vorteile für alle Beteiligten. Doch die
ökonomischen Daten zeigen: Die Herkunftsländer verlieren.
Im Dezember wollen 190 Länder das Globale Migrationsabkommen unterzeichnen.
Dessen letzte Meter bis zum finalen
Entwurf hat die Bundesregierung zusammen mit Marokko als gemeinsame Vorsitzende
des „Globalen Forums für Migration und Entwicklung“ der UN betreut.
Das Abkommen soll grenzüberschreitende Arbeitsmigration erleichtern und die Bedingungen dafür verbessern. Nur die USA und Ungarn
machen nicht mit, weil sie Migration nicht fördern wollen.
Wenn es nach dem finalen Entwurf geht, dann ist freiwillige Migration gut für alle: für die Migranten selbst, für die
Zielländer – wo sie das Arbeitskräfteangebot für die Unternehmen erhöhen und
der Bevölkerungsalterung
entgegenwirken – und für die Herkunftsländer, wo sie den Arbeitsmarkt entlasten und durch
Geldtransfers in die Heimat Armut lindern.
„Migration trägt zur Entwicklung bei und dazu, die
Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, wenn sie
angemessen gemanagt wird“, heißt es in dem Text des Abkommens. Es gebe
„machtvolle Belege, dass Migranten große Vorteile sowohl für die
Gastgeberländer als auch für die Ursprungsländer bringen“.
Deshalb verpflichten sich die
Unterzeichner, „Wege für reguläre Migration so anzupassen, dass
Arbeitsmobilität gefördert wird“.
Diese positive Sicht auf die Migration findet sich
heute auch bei wichtigen internationalen Organisationen wie der Internationalen
Organisation für Migration (
Der mexikanische Entwicklungsökonom Raúl
Delgado Wise, einer der führenden Experten aus dem Süden, kritisiert dies auf
Anfrage als sehr einseitige Sicht. Er ist
Unesco-Koordinator für Migration und Entwicklung und Präsident des
Internationalen Netzwerks für Migration und Entwicklung.
„Wenn man sich die Daten anschaut, ist Migration eine
Subventionierung des Nordens durch den Süden“, stellt er fest. So machten die
Überweisungen von Mexikanern aus den USA in ihre Heimat nur ein Drittel dessen
aus, was die USA allein an Bildungsausgaben hätten aufwenden müssen, um
Arbeitskräfte mit dem Bildungsniveau hervorzubringen, wie es mexikanische
Einwanderer aufwiesen. Da die Hälfte von diesen keinen legalen Status habe,
arbeiteten sie noch dazu zu sehr niedrigen Löhnen und könnten kaum
Sozialleistungen in Anspruch nehmen.
Immigranten
leisten einen Beitrag zur Wohlstandsvermehrung
Eine aktuelle Studie der US-Großbank Citi zusammen mit
Oxford-Professor Ian Goldin bestätigt dieses Verdikt, aus der
Industrieländerbrille.
„Migranten kommen mit Ausbildung und
Erziehung, für die das Ursprungsland bezahlt hat“, heißt es in der Studie, und weiter:
„Sie nehmen
weniger Sozialleistungen in Anspruch und bekommen weniger staatliches Geld als
Bürger des Landes und sie sind in aller Regel im arbeitsfähigen Alter.“
Immigranten hätten daher einen großen Beitrag zur
Wohlstandsmehrung in den Industrieländern geleistet.
Gleichzeitig wird eingeräumt, das „Braindrain“-Problem
für die Herkunftsländer müsse gemanagt werden.
„Abwanderung
der Hochqualifizierten hat erhebliche finanzielle und soziale Kosten für viele
Länder und gilt als größte Gefahr der Mobilität für Entwicklungsländer“
, schreiben die Experten. Zwischen einem Fünftel und
der Hälfte der Hochqualifizierten in Afrika und Mittelamerika wanderten aus,
und das bei einem Anteil der Universitätsabsolventen, der in Sub-Sahara-Afrika
ohnehin nur vier Prozent betrage.
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) schloss
sich jüngst im Handelsblatt-Interview dieser Kritik an: „Es ist ja nicht so,
dass Afrika kein Potenzial hätte. Aber das wird nicht dadurch größer, dass die
Tüchtigsten lieber nach Europa fliehen.“
„Heimüberweisungen sind das neue Entwicklungsmantra“,
kritisiert Delgado Wise: Das „unrealistische Win-win-win-Szenario“ der
UN-Organisationen begünstige einseitig die Interessen der Empfängerländer und
der Arbeitgeber dort“. Vor allem die Weltbank habe viel dazu beigetragen, das
neue Mantra durchzusetzen, diagnostiziert er.
Schützenhilfe bekommt er ausgerechnet von deren
Schwesterorganisation, dem Internationalen Währungsfonds. Vier Ökonominnen und
Ökonomen des Fonds haben unter dem Titel „Are Remittances Good for Labor Markets“
eine empirische Studie vorgelegt, die zeigt, dass die große Abhängigkeit vieler
armer Länder von Heimüberweisungen für diese ein beträchtliches Problem
darstellt.
„Sie vermindern die Erwerbsbeteiligung und erhöhen den
Anteil informeller Beschäftigungsverhältnisse“, heißt es darin. Von der
zusätzlichen Nachfrage würden Branchen mit niedriger Produktivität und
niedrigen Löhnen profitieren, zulasten der produktiveren. Zwar nehme bei hohen
Heimüberweisungen die Ungleichheit etwas ab, aber gleichzeitig sänken die
Durchschnittslöhne und das Produktivitätswachstum.
Als Instrument zur Erreichung von Entwicklungszielen
könne man sie daher kaum sehen, eher als süßes Gift.
Braindrain-Problem
findet zu wenig Beachtung
Das Problem des Braindrain wird im Migrationsabkommen
nur kurz in einem Nebensatz erwähnt, als etwas, das es – nicht ganz schlüssig –
durch zusätzliche Ausbildungsanstrengungen zu vermeiden gelte. Zwar wird in dem
Abkommen aufgerufen, im Interesse der Betroffenen sicherzustellen, dass
Migration freiwillig geschieht und nicht durch Verzweiflung und
Perspektivlosigkeit erzwungen ist.
Dem hält Delgado Wise entgegen:
„Migration von Süden nach Norden ist im
Kern eine durch das Wohlstandsgefälle erzwungene Migration.“ Sie als freiwillig
zu bezeichnen sei Schönfärberei.
Auch UN-Organisationen haben eine differenziertere
Sicht. So heißt es in dem Strategiepapier „Mainstreaming Migration into
Developing Planning“ der mit Migration befassten UN-Einheiten von 2010, es gebe
Befürchtungen, dass die Abwanderung und Heimüberweisungen die Inflation
antreiben könnten, ohne die Produktivität zu erhöhen, und dass sie das
Bildungssystem und wichtige Wirtschaftszweige durch Braindrain schädigen
könnten.
Auch in den Zielländern profitieren nicht unbedingt
alle Gruppen von der Zuwanderung. In einer im Internet dokumentierten
Präsentation sagte der Vizechef der
Generaldirektion Volkswirtschaft der Bundesbank im Januar 2018:
„Nettoeinwanderung aus EU-Staaten war in den
letzten Jahren ein Faktor, der die Lohnsteigerungen stark dämpfte.“ Was gut ist
für die Arbeitgeber, ist offenbar nicht unbedingt auch gut für die Arbeitnehmer.