Antideutsches Denken: Eine pseudo-linke Ideologie
Dr. Sabine Schiffer, Institut für Medienverantwortung
Um
welches Phänomen geht es?
Als der Antisemitismusvorwurf
gegen den griechischen Finanzminister Varoufakis und die gesamte griechische
Regierung aufkam, schickte mir mein Kollege einen Hinweis auf den Artikel in
Springers „Welt“ mit dem Vermerk: „Da ist es.“
[http://www.welt.de/debatte/kommentare/article136950193/Sojudenfeindlich-sind-Tsipras-und-seine-Leute.html]
Ja, wir hatten so etwas
erwartet. Denn es ist in den letzten Jahren gängige Praxis geworden, dass
Kritik am Wirtschaftssystem mit Antisemitismusvorwürfen bekämpft und somit
erschwert wird. Dies erging der globalisierungskritischen Bewegung Attac ebenso
wie Blockupy oder Sarah Wagenknecht. Letztere wurde kürzlich in Twitter mit
Antisemitismusvorwürfen konfrontiert, weil sie in einer Talkshow kritisiert
hatte, dass man in Griechenland einen Umbau der Wirtschaft im neoliberalen
Sinne durchführe. Wohlgemerkt, sie hat sich dabei nicht auf Juden bezogen, aber
sie hat Kategorien der Wirtschaft angesprochen. Diejenigen, die dann
„Antisemitismus“ schreien, werfen den Kritikern des Wirtschaftssystems einen
Zusammenhang mit dem Judentum vor, den sie selber erst herstellen. Das hat
Tradition und scheint eine effektive Strategie, um finanz-, wirtschafts- und kapitalismuskritische
Positionen zu verunmöglichen. Im Falle Yannis Varoufakis' löste sich die Sache
relativ schnell in Wohlgefallen auf – nicht zuletzt durch einen Beitrag auf
Spiegel-online
[http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/giannis-varoufakis-istgriechenlands-finanzminister-antisemit-a-1017402.html].
Dort wurde die völkerrechtliche
Position des unbequemen Finanzministers gegenüber den Palästinensern erläutert,
die er vor Jahren in einer Radiosendung in Australien vertreten hat: Es ging um
den „Mauerbau“ in Israel. Wurde also hier Israel als Vorwand benutzt, um eine
Person zu diskreditieren, die einige Regularien europäischen und angloamerikanischen
Neoliberalismus in Frage stellt, indem er sich gegen die Auflagen der nicht
gewählten
Troika stellt? [Schumann-Doku
„Macht ohne Kontrolle“ 90 Min
https://www.youtube.com/watch?v=E6aNwBwEm6U]
Es sieht ganz so aus und die
Sache hat System. Gerade innerhalb der Linken – aber nicht nur dort – hat sich
in den letzten beiden Jahrzehnten eine Bewegung etabliert und wichtige
Schaltstellen besetzt, die die Instrumentalisierung von Juden und
Antisemitismusvorwürfen gut beherrscht. Dies kann man anhand der Arbeitsweise
eines Bundesarbeitskreises Shalom (BAK-Shalom) der Linksjugend nachvollziehen.
Wer
nämlich die Prinzipien des
BAK-Shalom liest, wird nicht mehr darauf hereinfallen, dass es sich – wie der Name
suggeriert – um Israelsolidarität und Friedensliebe handeln könnte. Der ganze
zur Schau gestellte Israel-Fetisch in Form von Fahnen, Stickern und dergleichen
dient ganz anderen Zwecken.
Wie hältst Du es mit
Israel?
Der Mythos einer
bedingungslosen Israelsolidarität wurde nicht zuletzt durch die Studie zum
deutschen Diskurs über den Nahostkonflikt von Prof. Wilhelm Kempf an der Uni
Konstanz widerlegt, aus der hervorging, dass die sog. Israel-Freunde
antisemitischer sind als die sog. Palästina-Freunde. Um die Komplexität und
Aussagekraft der Studie einschätzen zu können, empfehle ich das Interview mit
Rolf Verleger hier auf den Nachdenkseiten
[http://www.nachdenkseiten.de/?p=24581]. Psychologieprofessor Verleger war als
Berater der Studie tätig und erläutert die Ergebnisse nachvollziehbar, obwohl
die Studie komplex angelegt ist – ihre Stärke und Schwäche zugleich, denn im
Mediendiskurs wird Einfachheit bevorzugt. Aber bereits die Gründungserklärung
des BAK-Shalom vom Mai 2007 gibt genügend Hinweise, worum es wirklich geht und
warum die ideologische Verknüpfung mit Israel und Juden dafür nötig ist. Ziel
der Plattform ist angeblich die Bekämpfung von „Antisemitismus, Antizionismus,
Antiamerikanismus und regressivem Antikapitalismus“. Dabei betont man
einerseits die Rolle Israels als Paria unter den Staaten und stellt nüchtern
fest, wo sich Linke rauszuhalten haben: „Die deutsche Linke wird den
Nahostkonflikt nicht lösen. Deshalb geht es uns nicht um konkrete Vorschläge
für ein Vorankommen des Friedensprozesses.“ Das ist eindeutig und das merkt
man, wenn Vertreter dieser Strömung auftreten – denn dem Frieden sind sie nicht
verpflichtet. So wird die palästinensische Hamas (deren Gründung von Israel als
Gegengewicht zur PLO unterstützt wurde), nicht als antiisraelisch, sondern als
antisemitisch eingestuft und ein „eliminatorischer Judenhass“ bei ihr
ausgemacht. Diese Verkürzung erlaubt es, jeder Friedensverhandlung mit dieser
Organisation und den Palästinensern generell eine Absage zu erteilen. sie nicht
verpflichtet. So wird die palästinensische Hamas (deren Gründung von Israel als
Gegengewicht zur PLO unterstützt wurde), nicht als antiisraelisch, sondern als
antisemitisch eingestuft und ein „eliminatorischer Judenhass“ bei ihr
ausgemacht. Diese Verkürzung erlaubt es, jeder Friedensverhandlung mit dieser
Organisation und den Palästinensern generell eine Absage zu erteilen. Statt im
klassischen linken Sinne Herrschaftsverhältnisse zu analysieren und den
Stärkeren und den Schwächeren im Nahostkonflikt festzustellen, wird mit dem
Verweis auf „antiemanzipatorische Bewegungen“, wie beispielsweise die Hamas,
der Bogen zur Abschaffung einer weiteren linken Position geschlagen: die Absage
an den angeblich „obsoleten Antiimperialismus“ (sic!). Die geforderte Absage an
den Antiimperialismus diene als „Voraussetzung für die Neukonstituierung einer
emanzipatorischen Gesellschaftskritik.“ Emanzipatorisch, also fortschrittlich,
sei demnach auch, entgegen dem Antiamerikanismus nun an der Seite „Amerikas“
gegen die antimodernen und antisemitischen Feinde der USA und Israels zu kämpfen
– also gegen „den politischen Islam“. Dieser sei eben keine „nationale
Befreiungsbewegung“ mit „fortschrittlichen Zielen“, deshalb dürfe sie trotz der
völkerrechtswidrigen Herrschaftsverhältnisse nicht unterstützt werden. Mit
dieser Absage an linke Herrschaftskritik wird das Tor für die Unterstützung von
Kriegstreibern aufgestoßen. Über diese Stufen der Aushebelung linker
Positionen, über denen stets das Damoklesschwert des früher vornehmlich rechts
verorteten Antisemitismus schwebt, wird der Schwenk hin zu der Behauptung einer
Übernahme rechter Positionen durch die Linke gemacht. Demnach seien die
„nazistische Hetze gegen den liberalen Kapitalismus, das Finanzkapital und die
Globalisierung“ Teil der nicht fortschrittlichen, sprich „regressiven“, Kritik an
der bürgerlichen Gesellschaft. Nun ist klar, was mit regressivem
Antikapitalismus gemeint ist, nämlich jede Kritik am Kapitalismus. Damit ist
auch klar, dass die sog. antideutsche Bewegung (deren Gründungsgeschichte wir
uns hier ersparen wollen) eine zutiefst antilinke Bewegung ist. Ein Kuckucksei
im Nest der einzig verbliebenen politischen Partei, die noch in Teilen gegen
den Kapitalismus als Akkumulationssystem zuungunsten der Mehrheit der Menschen
und gegen die daraus resultierenden Kriege (=Imperialismus), die das
Völkerrecht verletzen, sind. Und dafür muss Israel als Metapher herhalten. Und
um die hier entworfene Grundkonstellation nicht zu gefährden, darf auch der
Nahostkonflikt nicht gelöst werden – genauso wenig wie der gleichzeitig
implizierte „War on Terror“. In diese Logik passt die von einem Stephan Grigat
mit Vehemenz betriebene Initiative „Stop the Bomb“, wo es vermeintlich um die
Verhinderung einer iranischen Atombombe geht – in Wirklichkeit aber um die
Legitimation zum Angriff auf den Iran, angeblich aus Liebe zu Israel.
Bei Organisationen wie dem BAK
Shalom handelt es sich im Grunde um eine Art Rekrutierungsplattform, von wo aus
Netzwerke in die Rosa-Luxemburg-Stiftung und die Partei Die Linke hinein
geknüpft werden.
Bestimmte Karrieren wurden
gezielt gefördert und damit können durchschaubare Interessen durchgedrückt
werden – wie in einem Artikel des Magazins Hintergrund ausführlich beschrieben
wird.
[http://www.hintergrund.de/20100317759/politik/inland/die-linke-von-innen-umzingelt.html]
Tod auch dem
Antifaschismus
Die Aufsatzsammlung von Susann
Witt-Stahl und Michael Sommer mit dem Titel „Antifa heißt
Luftangriff“unterstreicht, wie der Antifaschismus durch diese Strategie
neutralisiert wird [http://www.laikaverlag.
de/edition-theorie/%C2%BBantifa-hei%C3%9Ft-luftangriff%C2%AB].
Die Herausgeber legen großen Wert
auf die Unterscheidung zwischen Antifaschisten und Nazi-Gegnern. Letztere
bekämpfen nur Nazis, eine bestimmte Erscheinungsform von Faschismus. Erstere
hingegen nehmen alle Erscheinungsweisen des Faschismus in den Blick, bekämpfen
seine Ursachen, also die kapitalistische Produktionsweise, und fordern
deren vollständige Beseitigung.
Pseudo-Antifaschisten wie etwa „Antideutsche“ nennen sich oft genug weiterhin
„Antifa“, obwohl sie im Grunde für den Erhalt der kapitalistischen Verhältnisse
kämpfen – sie sind getarnte Neocons oder Neurechte. Wie militant die Vertreter dieser anti-Antifa
auftreten, erfuhr Herausgeberin Witt-Stahl bei einer Lesung während der
Leipziger Buchmesse. Antideutsche begnügten sich nicht mehr nur mit Stören .
https://aknahost.wordpress.com/2015/03/17/stellungnahme-zur-buchlesung-antifa-heist-luftangriff/].
Zu den neuen Strategien der
Bewegung weiter unten mehr. Im Moment bleiben wir noch bei den antilinken
Argumentationsmustern, weil man diese inzwischen in einigen Diskursen zur
Befürwortung von Krieg und Neoliberalismus wiederfinden kann – und zwar
überparteilich. Wenn es nicht verblendete Jugendliche wären, könnte man glatt
meinen, das ausgeklügelte System hätten sich Agenten ausgedacht.
Entlarvende
Argumentationsmuster
Versuch einer
Rehabilitation für Kapitalmaximierung & neoliberale „Globalisierung“
Etwas ausgefeilter mit Blick
auf die Aushebelung von Kapitalismuskritik kommt die Theorie bei einem der ideologischen
Denker der antilinken Bewegung zum Ausdruck: Samuel Salzborn, Professor an der Universität
Göttingen. In einem Beitrag für die Jüdische Allgemeine vom 27.10.2011 wirft er
der gesamten Occupy-Bewegung Antisemitismus vor
[http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/11509]. Und das geht so: Tendenzen zur
„Personalisierung“ und „Moralisierung“ des Protests verweisen nach Salzborn „auf
eine Kapitalismuskritik, die strukturell antisemitisch ist“. Während man
abstrakte Strukturen gesellschaftlicher Verhältnisse nicht begreife, würden
„konkrete Menschen in die Verantwortung für ein System“ genommen. Der
geschickte Schachzug liegt hier darin, dass anhand der Kritik an einigen
Bankern und Börsenspekulanten und der damit unterstellten Unfähigkeit das
Systemische zu kritisieren, genau diese systemische Kritik unaussprechbar wird
– weil jedem Kritiker des Systems latenter Antisemitismus unterstellt werden
kann. Denn Autoren wie Salzborn assoziieren hierbei sofort Juden – als
imaginierte Finanzhaie, die Profit aus Aktien und Geldgeschäften ziehen würden.
Der Vorwurf zielt also genau am Kern der behaupteten Sache, „Systemkritik“,
vorbei und erreicht sein Ziel der Tabuisierung von Kapitalismuskritik durch
genau diesen Kreisschluss, eine Tautologie. Wie Salzborn sich selbst als
intelligenter als die vielleicht verunsicherten Adressaten inszeniert, wird in
der folgenden Passage deutlich, die die gelungene Verquickung offen legt, womit
er die angestrebte Zensurzu erreichen sucht: „Dabei geht es nicht um eine
„verkürzte Kapitalismuskritik“, sondern um einen antisemitischen Antikapitalismus,
der eben die Struktur der kapitalistischen Vergesellschaftung intellektuell
nicht begreift, aber gerade deshalb infantil gegen sie rebelliert. In ihrer
gefühlten Ohnmacht verfolgen die Globalisierungsgegner vielleicht subjektiv gar
keine antisemitischen Ziele, objektiv ist das Potential zum manifesten
Antisemitismus aber in jeder Kapitalismuskritik angelegt, die personalisierend
und moralisierend auftritt.“ Im Folgenden übernimmt Salzborn die Einteilung der
Nazis in „schaffendes“ und „raffendes“ Kapital, ohne die Begriffe zu nennen –
aber er stellt den Geldgeschäften und dem Finanzkapital die Arbeit und das Industriekapital
gegenüber und weist diese Einteilung den Kapitalismuskritikern zu. Durch die
Kritik der sog. Globalisierungsgegner am Profit aus Kapitalismus und
Finanzkrise sei die Argumentation demnach automatisch antisemitisch, wobei
Salzborn geschickt offen lässt, inwiefern denn das mittelständische Wirtschaften
sowie der Lohnerwerb systemisch zu kritisieren seien. Derlei argumentative
Lücken – Ellipsen – durchziehen einen Text, nach dessen Lektüre sich vielleicht
nicht viele mehr zu rufen trauen: Der Kaiser ist nackt! Wichtig ist hier der
Begriff „verkürzte Kapitalismuskritik“, ein Signalwort für antideutsche
Agitation. Die Schüler Salzborns tragen diese verbalen Verwirrstrategien in die
Welt, denn es sollte bereits klar geworden sein, dass jedwede
Kapitalismuskritik ausgehebelt werden soll, während adjektivisch markierte
Formen wie „verkürzt“ oder „regressiv“ noch Glauben machen könnten, dass es
eine richtige, eine legitime Kapitalismuskritik im antideutschen Sinne
überhaupt noch geben könnte.
Wie hältst Du es mit dem
Antisemitismus?
Vor einigen Jahren erhielt eine
kleine Umfrage zu Antisemitismus in der Linken mediale Aufmerksamkeit. Die von
bestimmten Kreisen hochgejubelte Magisterarbeit eines „Schülers“ Salzborns, der
im Peter Lang Verlag eine Reihe mit ähnlich unterqualifizierten Arbeiten hält,
kann ihren Ansprüchen zwar nicht gerecht werden, aber zum Aufzeigen der subtil
diffamierenden Kommunikationsstruktur ist sie geeignet. (Rezension der
Magisterarbeit für interessierte Leserinnen und Leser zum Nachlesen
http://www.medienverantwortung.de/wp-content/uploads/2009/07/20141208_IMVSchiffer_
Umfrage-Antisemitismus-Linke.pdf)
Mit irreführenden
Fragestellungen, die stark unterstellenden Charakter haben, wird vorgegeben Antisemitismus
in der Linken untersuchen zu wollen. Statt jedoch eine seriöse
Antisemitismusdefinition vorzulegen und eine neutrale Stichprobe von Linken zu
befragen, verlegt sich der Studierende auf eine vom Inlandsgeheimdienst
Verfassungsschutz gestützte Einteilung von Medien, deren Klientel er demnach als
antisemitisch oder nicht einstuft und so die zu Befragenden auswählt. vorzulegen
und eine neutrale Stichprobe von Linken zu befragen, verlegt sich der
Studierende auf eine vom Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz gestützte
Einteilung von Medien, deren Klientel er demnach als antisemitisch oder nicht
einstuft und so die zu Befragenden auswählt. Statt eine saubere
Medieninhaltsanalyse zu machen, wird versucht über eine „Leseranalyse“ (à la Verfassungsschutz)
Rückschlüsse auf die Sicht der Medien zu ziehen. Hier kommt es immer wieder zu Zirkelschlüssen
und Tautologien, weil weder das eine noch das andere präzise geklärt, aber als Faktenbehauptung
ständig aufeinander bezogen wird. Wie spekulativ gearbeitet wird, kommt in folgender
Passage der Arbeit zum Ausdruck: „[Das Neue Deutschland] …, dürfte in der
radikalen Linken wegen des gemäßigten Auftretens aber eher eine nebensächliche
Rolle spielen. Die Leserschaft sollte weniger dogmatisch sein…. In Bezug auf
Antisemitismus lässt dies vermuten, dass ihre Leser nichtso stark zum
Antisemitismus neigen ... Da sie aber einen marxistisch-leninistischen …
Hintergrund besitzt, könnten aber gemäß der theoretischen AnnahmenAbgrenzungsprobleme
zum Antisemitismus auftreten. In jedem Fall ist die Zeitung eher palästina-solidarisch.“
(S. 87/ Hervorh. von mir) „Große linke Zeitschriften, bei denen zu erwarten
ist, dass ihre Leser deutlich keine Antisemiten sind, sind die Wochenzeitung
„Jungle World“ und die Monatszeitschrift „konkret“. Die Jungle World spaltete
sich 1997 von der jungen Welt ab, weil der damalige Chefredakteur seine Redaktion
von Linksradikalen säubern [sic!] wollte. (S. 88) Schließlich wird auf
Medieninhalte geschlossen: „Die Zeitung, von der aufgrund ihrer Leserschaft angenommen
werden kann, dass sie antisemitische Ressentiments bedient, ist die junge
Welt.“ (S. 149)
Diese Vorgehensweise ist
antiaufklärerisch, aber sie führt offensichtlich zum gewünschten Ziel.
Nach einigen Verdrehungen, um
die sog. Israelkritik [zur Problematik des Begriffs siehe
http://www.perlentaucher.de/buch/sabine-schiffer-constantin-wagner/antisemitismus-undislamophobie.
html] zu tabuisieren, indem man Parallelen zu Nazi-Maßnahmen zieht, und der
üblichen Unterstellung, dass die eigene Israelfixierung bei den Angegriffenen
auszumachen sei, ist folgender Signalsatz zu lesen: „Antisemitismus hängt mit
einer rückwärtsgewandten Kapitalismuskritik zusammen."(sic!)
Da der Marxismus-Leninismus als
strukturell prädestiniert für Antisemitismus ausgemacht wird (s.o.), sei die Kritik
am Kapitalismus „strukturell antisemitisch“. Die Unterscheidung von
Realwirtschaft und Kapitalwirtschaft entspräche nämlich der von „schaffendem
und raffendem“ Kapital – so steht es im Text. Im Duktus von echter Nazisprache
heißt es dann: "Wird Israel eine elementare Bedeutung für den Erhalt des
Kapitalismus zugesprochen, ergibt sich daraus eine "diesseitige
Eschatologie" und "politische Heilslehre", nach der der Weg zum
Paradies über die Lösung der Judenfrage ginge." (Hervorh. von mir) Die
exklusive Begriffswahl hat System. Sie soll die Nacktheit des Kaisers
verdecken. Wie perfide und unverblümt darüber hinaus die Kapitalismuskritik mit
einer angeblichen „Judenfrage“ verknüpft wird, zeigt sich hier überdeutlich. Im
Fokus der Kampagne steht gut erkennbar die "globalisierungskritische
Linke": "Die globalisierungskritische Linke wehrte sich gegen
Privatisierungen und Globalisierung und Liberalisierungen der Weltmärkte auf
Kosten der Armen. Das Auftreten der globalisierungskritischen Linken in ihren
politischen Kämpfen dabei war nicht prinzipiell fortschrittlich, es war oft
antimodern; sie wollte auf gesellschaftlichen Eigentumsverhältnissen beharren
[…] Wenn Kapitalismuskritik antimodern wird, weil sie die Möglichkeit der
positiven Veränderung im Rückschritt sieht, droht sie, wie die Geschichte
zeigt, eine Affinität zum Antisemitismus zu entwickeln." Während die sog.
„Privatisierungen“ als Abschaffung von „Privateigentum“ umgedeutet werden, wird
ganz klar: Um „die Juden“ und „Israel“ geht es nicht. Diese dienen primär als
Schablone für die Ablehnung linker Kritik an neoliberaler Wirtschaftspolitik.
Das ist das zentrale Anliegen dieser Bewegung. Dabei betreibt man das, was man
dem politischen Gegner, der Linken, vorwirft: Die Instrumentalisierung von
Juden. Indem man – wie man bereits bei der Ablehnung von Occupy und Blockupy
sehen konnte – alles, was irgendwie Wirtschaft, Geldpolitik oder das
Bankenwesen kritisiert, als antisemitisch diffamiert. So wird jegliche Kapitalismuskritik tabuisiert.
Dass man dabei selbst die Verbindung zwischen Geldthemen und Judentum
herstellt, nimmt man billigend in Kauf, denn – wie gesagt – um Juden und die
Bekämpfung von Antisemitismus geht es nicht. von Antisemitismus geht es nicht. Im
Gegenteil, der Antisemitismus wird durch die aktive Verknüpfung von Geldthemen
und Judentum geradewegs gefördert – man benötigt ihn ja auch, als
Projektionsfläche für die Ablehnung jeglicher Kapitalismuskritik.
Neue PR-Strategien für den Kampf der Neocons
Denunziationsstrategien
jenseits des Antisemitismusvorwurfs
Die Konzepte strategischen
Handelns gegen Kriegsgegner und Kritiker am Wirtschaftssystem beschränken sich
inzwischen nicht mehr nur aufs Verbale und nicht mehr nur auf Linke, sondern
man geht gegen alle vor, die gesellschaftskritische und friedenspolitische
Positionen vertreten. Neben Denunziationsblogs gegen angeblich
„antiemanzipatorische Personen“ im Internet, direkten Angriffen und Pöbeleien,
gibt es mindestens noch eine weitere Strategie, um unliebsame Personen und
Äußerungen zu diskreditieren. Am Rande sei zur Klarstellung noch erwähnt, dass
das Sammeln persönlicher Daten und deren Veröffentlichung im Internet mitsamt
übelster Verleumdungen und Diffamierungen in der rechten Szene üblich ist – ein
weiterer Hinweis dafür, dass es sich im Grunde um rechte Agitateure handelt.
Nun aber noch eine Beobachtung
zu weiteren Verunglimpfungsstrategien, die unter anderem zeigt, dass die
Angegriffenen nicht unbedingt Linke sein müssen: Ich besuchte im Frühjahr
letzten Jahres eine Montagsmahnwache in Berlin, nachdem Jutta Ditfurth in 3sat
Kulturzeit die gesamte Bewegung als „antisemitisch“ und
„verschwörungstheoretisch“ ausgemacht hatte – übrigens genau im Duktus antideutscher
„Argumentation“. Und der Begriff „Querfront“ kursiert spätestens seitdem in
aller Munde, ganz so als würden sich unsere Medien Sorgen um eine
Unterwanderung der Friedensbewegung machen. Die Warnung vor einer solchen
„Querfront“, die hier eine Unterwanderung der Linken unterstellen soll, kommt
nicht von ungefähr aus der neurechten Szene der Linken, der antideutschen eben.
Um mir nun ein eigenes Bild zu
machen, hielt ich mich am Rande der Versammlung am Brandenburger Tor auf und
konnte dort einige junge Leute beobachten, die mehrere Israelfahnen schwenkten.
Vom Veranstalter darauf aufmerksam gemacht, dass keinerlei nationale oder auch
parteipolitische Fahnen gewünscht seien, packten sie die Flaggen ein. Kurze
Zeit später sprach der Journalist Ken Jebsen, den Jutta Ditfurth ganz in
antideutscher Manier scharf angegriffen hatte. Die bereits zuvor beobachteten jungen
Leute gingen nach vorne und legten sich mitgebrachte Alufolie auf den Kopf. Mit
diesen „Aluhüten“ gingen sie ans Podest und jubelten Jebsen lautstark zu. So
konnten bestimmte medienwirksame Bilder entstehen, die Jebsen umringt von
Aluhutträgern zeigen. Ähnliches wird aus Dresden berichtet. Was hat das zu
bedeuten? Waren das Antideutsche, denen jedes Mittel recht ist, zur
Diffamierung dessen, was sie verhindern wollen? Frieden in der Ukraine? Oder
waren es Agenten, die genau wussten, wie man einen unliebsamen Redner in die
esoterische Ecke stellen konnte? Nicht zuletzt Ditfurth hat die Diffamierungskampagne
„Aluhut für Ken“ unterstützt, die unterstellt, dass Jebsen mit Strahlengegnern
und anderen Irrationalen gemeinsame Sache machen würde. Natürlich fehlt es auch
an Antisemitismusvorwürfen ihm gegenüber nicht. Als günstige Vorlage diente ein
eMail-Wechsel und eine Kampagne Henryk Broders gegen den Radio-Moderator. Die
Angriffe zielten auf die Existenz des Formats
Radio-Fritz beim RBB und die
Existenzgrundlagen Jebsens. [http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/eine_frage_der_grundversorgung_beim_rbb]
Obwohl letzterer nachweislich
nicht aus diesem Grund vom RBB entlassen worden war, haftet ihm seither das
Label an – und kann ganz im Sinne antideutscher Agitation ausgeschlachtet
werden.
Der gesamte Umgang mit den sog.
Montagsmahnwachen deutet auf das Muster einer antideutschen Kampagne hin, denn
man sucht nicht das Gespräch, um mit Rednern zu klären, was genau etwa mit dem Hinweis
auf die private Federal Reserve Bank in den USA im Rahmen von Wirtschaftskrise
und Krieg gemeint sein könnte. Sondern man verknüpft selber solche Äußerungen
mit einer Anspielung auf jüdische Banker, um dem Redner Antisemitismus
unterstellen zu können. Auch das ist antiaufklärerisch. Statt das zu erkennen,
ist es den angeblich um die linke Friedensbewegung Besorgten gelungen, diese
damit zu beschäftigungstherapieren.
Nun gibt es durchaus Versuche
von rechts, die Kriegs- und Krisenängste der Bevölkerung zu instrumentalisieren
und für eigene Zwecke zu missbrauchen. Ihnen darum alle neu auf die Straße Gegangenen
zuzuschanzen, reiht sich jedoch genau in die antilinken Strategien sog.
Antideutscher ein. Die Spaltung und Schwächung der kapitalismuskritischen
Friedensbewegung scheint auf diesem Wege zu gelingen. Auch hier könnte man
meinen, dass es sich um einen Agentenstreich und nicht um Zufall handelt.
Antilinke Unterwanderung
Die Tabuisierungsversuche von
Kritik an Wirtschaft, Krieg und Entdemokratisierung, die einhergehen mit der
Ausweitung von Überwachung und Redeverboten, beschränken sich also nicht auf
Linke. Dennoch steht die Partei Die Linke als noch einzig verbliebene
Antikriegspartei besonders im Fokus antilinker Agitation. In dem Kontext
verwundern die regelmäßig aufscheinenden Kampagnen zur Denunziation angeblicher
Antisemiten in der Partei Die Linke nicht und sie kommen jeweils aus den
eigenen Reihen – vom sog. Reformflügel. Um eine angebliche
„Regierungsfähigkeit“ à la SPD und Grüne zu erreichen, muss zunächst der kriegsfeindliche
Kurs der Parteilinken abgeschafft werden. Dass aber die Wähler bei
Vereinheitlichung der Parteiprofile lieber das Original als die Kopie wählen,
lässt sich am Schicksal von SPD und Grünen gut ablesen. Eine weitere dem
Neoliberalismus verpflichtete Partei brauchen wir nicht. Die Aufgabe der
letzten und zentralen unterscheidenden politischen Position würde Die Linke
überflüssig machen und damit auch nicht „regierungsfähig“. Es ist davon
auszugehen, dass „Reformer“ innerhalb der Partei wie etwa MdB Stefan Liebich –
um nur einen profilierten Namen zu nennen – dies wissen. Man will nicht
unterstellen, dass antilinke Agitatoren in der Partei bezahlte oder einfach nur
überzeugte Agenten für diesen Zweck sind, obwohl es im Falle Liebichs – einem
Mitglied des transatlantischen ThinkTanks „Atlantik-Brücke“
[www.atlantik-bruecke.org ] – durchaus Hinweise dafür zu geben scheint. So könnte
man etwa die Äußerungen des Gedenkstättendirektors von Berlin-Hohenschönhausen,
Dr. Hubertus Knabe, werten, der in der FAZ vom 1. Dezember 2014 schrieb: „Bei
Claus und Dehm liegen zahlreiche Indizien für eine IM-Tätigkeit vor. Beide
bestreiten jedoch als IM für die Stasi tätig gewesen zu sein. Hinzurechnen
müsste man eigentlich noch Stephan Liebig der als Jugendlicher mit der Stasi kooperierte
(weshalb über ihn keine Akten herausgegeben werden).“ Wer die
Veröffentlichungspraxis der Gauck-Folgebehörde in Sachen Stasi-Akten kennt,
weiß, dass die in Klammern formulierte Begründung nicht ausreichen würde.
Demnach sollte man vielleicht dem Hinweisnachgehen, warum genau keine Einsicht
in Liebichs Akte möglich ist – allein um auszuschließen, dass darin ein Hinweis
zu finden ist, wie er möglicherweise von einer anderen Behörde oder Organisation
nach dem Zusammenbruch der DDR angeworben wurde. Ob bezahlter Agent, antilinker
Neocon oder einfach nur dummer Mitläufer einer vermeintlich fortschrittlichen
„Reform“-Bewegung in der Linken, das Ergebnis ist das gleiche: Linke Positionen
mit einer sozialen und friedenpolitischen Agenda stehen nicht auf der Liste der
Gruppierungen, die geduldet werden – in der sich verschärfenden
Wirtschaftskrise, die man mit Mehr vom Gleichen ja nicht bekämpfen kann. Mehr
vom Gleichen führt zu einer Verschlimmerung der Krise, denn man hat nichts an
den Strukturen verändert, die dazu geführt haben. Sowohl in der EU, als auch
global, führten weder die Finanz-, noch die Banken-, noch die Eurokrise zu
einer grundlegenden Veränderung oder auch nur Korrekturen an den Mechanismen,
die offensichtlich in die Krise steuern. Kapitalakkumulation ist weiterhin
möglich, ja nötig
(Stichwort: Wachstumszwang),
die Prekarisierung von Arbeit schreitet ebenso fort – wenn auch die Auswirkungen
in Deutschland bisher nur ansatzweise zu spüren sind. Das vielfach beschworene
Ende der Krise gibt es nicht, wir stehen immer noch am Anfang – und bisher
wurde nichts unternommen, den Krisenmechanismus an sich zu bekämpfen. Und die
geschilderten Instrumente der antilinken Antideutschen sollen dafür sorgen,
dass darüber auch keine ernsthafte und möglicherweise konstruktive Debatte in
Gang kommt.
Dr. Sabine Schiffer
Institutsleitung. Die Autorin ist Beiratsmitglied des Deutschen
Freidenker-Verbandes
Institut für
Medienverantwortung