Gespräch mit Thierry Meyssan am Sonntag, 21. August

„Es ist die NATO, die alle militärische Arbeit leistet, nicht die Rebellen“

Von Silvia Cattori

 

« C'est l'OTAN qui fait tout le travail militaire, pas les rebelles »Im vollen Angriff der NATO auf Tripolis hat Silvia Cattori mit Thierry Meyssan am Sonntag, dem 21. August 2011 um 23 Uhr gesprochen. Der Präsident von Voltairenet hat sich auch zwei Stunden über Video um 2 Uhr morgens verständigen können. Die Verbindungen sind seitdem extrem schwierig. Obwohl die NATO, der CNT und die sie unterstützenden  Medien schon vom Fall Tripolis sprachen, scheint sich die Lage radikal geändert zu haben. Die letzte Nachricht von Thierry Meyssan datiert von 4 Uhr 30, dem heutigen Dienstag, 23. August, spricht vom großen „Sieg“ der Loyalen. Gemäß T. M. sind die Aufrührer zerschlagen worden, « Boden-Luft-Raketen sind in die Stadt transportiert worden », während „die NATO ihre Bombardements stoppen musste“. „Saif al-Islam, den man als verhaftet behauptete, ist im Rixos erschienen und ist durch die Massen in Bab Al Azizia begeistert begrüßt worden“. Die Wahrheit erscheint ein weiteres Mal sehr entfernt von ihrer Darlegung.  ---

Thierry Meyssan von Tripolis aus im Gespräch in der Nacht vom Sonntag, dem 21. Zu Montag, dem 22. August:

Silvia Cattori : Hier hat man das Gefühl, dass Tripolis dabei ist, unterzugehen. Was ist Ihre Ansicht?

Thierry Meyssan : Wir sind im Hotel Rixos eingesperrt. Man kann nicht sagen, ob alles zusammenbricht oder nicht. Aber die Lage ist sehr angespannt. Gestern Abend zum Zeitpunkt des Gebets sind mehrere Moscheen verschlossen worden. Sofort danach haben Lautsprecher zur Revolte aufgerufen. In eben diesem Moment haben bewaffnete  Gruppen begonnen, die Stadt zu durchstreifen und in alle Richtungen zu schießen. Wir haben begriffen, dass die NATO ein Boot in unmittelbarer Nähe von Tripolis mit  Waffen und Spezialkräften angelandet hat. Seitdem wird alles immer schlimmer.

Silvia Cattori: Handelt es sich um ausländische „Spezialkräfte“?

Thierry Meyssan: Man kann es annehmen. Aber ich bin nicht in der Lage, es zu prüfen. Selbst wenn diese „Spezialkräfte“ aus Libyern bestehen, ihre ganze Eingliederung ist ausländisch.

 Silvia Cattori : Welche Nationalität haben die « Spezialkräfte“?

Thierry Meyssan : Das sind Franzosen und Briten! Seit dem Beginn sind sie es, die alles machen.

Silvia Cattori : Wie hat sich plötzlich alles überschlagen ?

Thierry Meyssan : Am 21. August gegen Ende des Tages ist ein Autokonvoi mit Amtsträgern plötzlich angegriffen worden.  Um sich vor dem Bombardement zu schützen, haben die Mitglieder dieses Zuges sich ins Hotel Rixos geflüchtet, wo sich die internationale Presse aufhält und wo ich mich zufällig auch befinde.

Seitdem ist das Hotel Rixos eingeschlossen. Alle tragen Schusswesten und Helme. Man hört schießen in alle Richtungen um das Hotel.

Die gestern in Tripolis eingedrungenen Kräfte  haben kein bestimmtes Gebäude eingenommen. Sie haben Ziele in bestimmten Umgebungen angegriffen, indem sie sich fortbewegten. Es gibt im Moment kein okkupiertes Gebäude. Die NATO bombardiert nach dem Zufallsprinzip, um vor allem zu terrorisieren. Es ist schwierig einzuschätzen, ob die Gefahr so groß ist, wie sie erscheint. Die Straßen der Stadt sind leer. Alles bleibt eingeschlossen bei sich.

Wir, wir sind eingeschlossen im Hotel. Das heißt, man hat Strom, Wasser. Wir sind nicht zu beklagen. Die Libyer wohl. Es gibt jetzt Schüsse ringsum, eine riesige Schlacht. Es gab schon zahlreiche Tote und Verwundete in wenigen Stunden. Aber wir sind ausgespart. Wir sind alle vereinigt  in der Moschee des Hotels. Sie hören die Schüsse in diesem Moment.

Silvia Cattori : Wie viel Aufständische umzingeln im Moment Ihr Hotel ?

Thierry Meyssan: Ich bin unfähig, es Ihnen zu sagen. Das ist eine reichlich große Fläche, weil es einen Park rings ums Hotel gibt. Ich denke, wenn es nur die Aufständischen gäbe, wäre es nicht so leicht, Tripolis einzunehmen. Aber wenn andere Truppen der NATO mit ihnen sind, das ändert alles, die Gefahr wird groß.

Silvia Cattori: Auf den von den Fernsehstationen hier in den letzten sechs Monaten verbreiteten Bildern sind es immer die Aufwiegler, die in die Luft schießen und nicht sehr professionell erscheinen…

Thierry Meyssan: Man hat in der Tat Banden gesehen, die sich bewegen und nicht militärisch ausgebildet sind. Das ist pures In-Szene-Setzen, nicht die Realität. Realität ist, dass alle Kämpfe von der NATO durchgeführt werden. Wenn ihr Ziel erreicht ist, ziehen sich die NATO-Truppen zurück. Dann kommen kleine Truppen – man sieht jedes Mal um die zwanzig Personen – aber man sieht sie niemals wirklich in Aktion. In Aktion sind die Kräfte der NATO.

So ist es, wie es sich immer in den Städten abgespielt hat, sie wurden eingenommen, verloren, wiedererobert, wiederverloren usw. Jedes Mal sind es die Kräfte der NATO, die mit den Apache-Hubschraubern kommen und auf alles schießen. Niemand kann am Boden den bombardierenden Apache-Hubschraubern  widerstehen, das ist unmöglich. Also es sind nicht die Rebellen, die die militärische Arbeit machen, das ist eine reine Lüge! Das ist die NATO, die alles macht. Danach ziehen sie sich zurück, dann kommen „die Rebellen“ um zu posieren. Das ist es, was Sie ununterbrochen gesendet sehen.

Silvia Cattori: Weiß man, wie viel  bewaffnete « Rebellen » diese Nacht nach Tripolis gekommen sind ? Und ob Untergrund-Zellen schon da waren? 

Thierry Meyssan: Natürlich, ja, es gibt Untergrund-Zellen in Tripolis. Das ist eine Stadt mit eineinhalb Millionen Einwohnern. Dass es Kämpfer-Zellen innerhalb der Stadt gibt, ist sehr wahrscheinlich.  Bezüglich der Angreifer sage ich noch einmal, dass ich nicht weiß, in welchem Verhältnis die Eingliederung durch die Kräfte der NATO erfolgt. Die wahre Frage muss dahin gehen, zu wissen, wie viel Streitkräfte sie schon haben aufmarschieren lassen.

Es gibt jetzt militärische Kräfte des Kolonel Kadhafi in der Stadt. Sie sind ziemlich spät von außerhalb eingetroffen.  Die Angreifer umschließen das Hotel.  Ich denke, dass es diese Nacht unmöglich ist, einen Angriff gegen das Hotel zu wagen.

Silvia Cattori: Sind die Menschen im Hotel von Panik ergriffen?

Thierry Meyssan: Ja, die im Hotel wohnenden Journalisten sind voller Panik. Das ist eine allgemeine Panik.

Silvia Cattori: Und Sie, wie fühlen Sie sich?

Thierry Meyssan: Ich versuche, in dieser Situation Zen zu bleiben.

Silvia Cattori: Wie viel ausländische Journalisten sind im Hotel eingeschlossen? 

Thierry Meyssan: Ich würde sagen zwischen 40 und 50.

Silvia Cattori:  Die Menschen wissen nicht, dass dort, wo es Journalisten gibt, die den Krieg beschreiben, es immer eine gute Anzahl unter ihnen gibt, die Auskünfte geben, die Doppelagenten oder Spione sind …

Thierry Meyssan: Es gibt überall Spione, aber ich denke, sie wissen nicht alles.

Silvia Cattori: Man sagt, dass der Plan für die Evakuierung  der Ausländer fertig ist. Sie können also unmittelbar  ausreisen …

Thierry Meyssan : Die Internationale Organisation für Flüchtlinge hat ein Schiff, das bereit ist, im Hafen von Tripolis anzulegen, um die Ausländer zu evakuieren, vor allem also die Presse, was in dem Fall vorrangig ist.

Silvia Cattori: Und Sie, was gedenken Sie zu tun ?

Thierry Meyssan: Im Moment ist dieses Boot immer noch auf Reede. Es ist nicht in den Hafen gekommen. Es ist die NATO, die es am Anlegen hindert. Wenn die NATO zustimmt, findet die Evakuierung statt.

Silvia Cattori: Überrascht Sie diese Entwicklung?

Thierry Meyssan: Die Dinge haben sich beschleunigt,  als das Boot der NATO angekommen ist. Wenn dies Kämpfer sind, die zu den  Streitkräften der NATO gehören, die hier an Land sind, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass alles schnell fallen kann …  

Silvia Cattori: Sind die Einwohner alle mit Gewehren ausgestattet, wie man es gesagt hat ?

Thierry Meyssan:Die Regierung hat nahezu zwei Millionen Kalaschnikows im Land verteilt, um die Verteidigung angesichts einer ausländischen Invasion zu gewähren. In Tripolis haben alle erwachsenen Bürger eine Waffe und Munition erhalten. Es hat in den letzten Monaten eine Ausbildung stattgefunden.

Silvia Cattori: Die Libyer, die es wollten, sind also nicht in der Lage, gegen die Streitkräfte der NATO zu demonstrieren? 

Thierry Meyssan: Die Menschen  sind paralysiert vor Angst, man schießt überall; und außerdem wird bombardiert.

Silvia Cattori: Ihre Lage ist nicht einfach. Unter den Journalisten müssen Sie Feinde haben, die Ihre Haut wollen, weil Sie ihrer Version der Fakten widersprochen haben!

Thierry Meyssan : Ja. Ich bin schon bedroht worden von US-« Journalisten », die gesagt haben, dass sie mich töten wollen. Aber danach haben sie sich entschuldigt …. Ich zweifle nicht an ihnen.

Silvia Cattori: Haben sie diese Drohung vor Zeugen ausgesprochen ?

Thierry Meyssan : Ja, in Anwesenheit von […]

Dieses Gespräch wurde geführt von  Silvia Cattori am Sonntag, dem 21. August 2011, um 23 Uhr. Es wurde von Marie-Ange Patrizio aufgezeichnet.

Für die Übersetzung  a. d. Frz.: Gudrun Stelmaszewski