Lateinamerika ist links

Zumindest seit dem Sturz Salvador Allendes in Chile 1973 war es für die Linke des Kontinents klar: Che Guevara hatte Recht - die Veränderung der Verhältnisse über Wahlen läuft nicht, die Macht kommt aus den Gewehrläufen. Wenn auch die Gewehrläufe in den späten 1980er Jahre verstummten, so war die lateinamerikanische Opposition dennoch auf der Straße zu verorten und nicht in den Regierungspalästen. Bäuerliche und indigene soziale Bewegungen kündigten ab der ersten Hälfte der 1990er Jahre die Rückkehr der Linken an. Dann kam Hugo Chavez, der sowohl die linke Taktik als auch die Ideologie am Kontinent verändern sollte: vom außerinstitutionellen Protest zur "friedlichen Revolution" über Wahlen. Seine Wahl zum Präsidenten am 6. Dezember 1998 löste eine Kettenreaktion aus. Es folgten 2002 Brasiliens Lula und seine Arbeiterpartei, 2003 der Linksperonist Nestor Kirchner in Argentinien, 2004 die Breite Front mit Tabaré Vazquez in Uruguay, 2005 Evo Morales in Bolivien, 2006 Rafael Correa in Ekuador und Michelle Bachelet in Chile und 2008 der Befreiungstheologe Fernando Lugo in Paraguay. Selbst die mittelamerikanische Brücke zum großen Bruder USA wurde "rot": 2006 kehrte der Sandinist Daniel Ortega an die Macht zurück, seit März 2009 regiert mit Mauricio Funes auch ein FMLN-Mann in San Salvador. Selbst einen Liberalen wie Manuel Zelaya in Honduras zog die linke Welle in ihren Bann. Zu guter Letzt ging den USA auch noch ihr traditionelles Machtinstrument zur "Sicherung der Demokratie" am Kontinent durch die Finger: Mit dem Chilenen José Miguel Insulza steht seit 2005 der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) kein Mann Washingtons mehr vor. Gegen den Willen der USA verkündete er die symbolisch bedeutende Annäherung an Kuba. Heute sind als wichtige Stützen der USA nur noch Mexiko, Peru und Kolumbien übrig.

Die wirtschaftliche Krise des neoliberalen Modells, symbolisiert im argentinischen Kollaps 2002, hat die Hegemonie der alten US-hörigen Eliten mit in den Untergang gerissen. Eine neue Führungsgruppe, die vielfach aus dem linken, anti-diktatorischen Widerstand der 1970er und 1980er Jahre kommt, hat sich in den Präsidentenpalästen etabliert, um die sozialen Ungleichheiten am Kontinent - immer noch leben 33 % der Menschen in Armut und 13 % in extremer Armut (1) - zu lösen.
aus : German foreign Policy Frühjahr 2010