Lateinamerika – angegriffen
von der Rechten und
ihren eigenen Fehlern?
Rafael Correa über die Strategie der
konservativen Restauration und Probleme der Linken an der Macht übersetzt von Vilma Guzmán in amerika21 am 2.3.2018
Die Präsidenten der Linksregierung von Paraguay,
Fernando Lugo, Bolivien, Evo Morales, Brasilien, Lula da Silva, Equador, Rafael
Correa, und Venezuela, Hugo Chávez, beim Weltsozialforum 2009 in Bélem,
Brasilien
Der Epochenwandel
Nach der langen und traurigen neoliberalen Nacht der
1990er Jahre, an der ganze Nationen wie Ecuador zerbrochen sind, und seitdem
Hugo Chávez Ende 1998 die Präsidentschaft der Republik Venezuela gewann,
begannen die rechten und unterwürfigen Regierungen des Kontinents wie
Kartenhäuser zusammenzubrechen und in Unserem Amerika kamen popuare Regierungen
auf, die sich dem Sozialismus des Buen Vivir (würdiges, gutes leben)
verschrieben hatten.
Auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung hatten im Jahr
2009 von zehn Ländern Südamerikas acht linke Regierungen. Außerdem gab es in Zentralamerika und der Karibik die Front Farabundo
Martí in El Salvador, den Sandinismus in Nicaragua, Álvaro Colom in Guatemala,
Manuel Zelaya in Honduras und Leonel Fernández in der Dominikanischen Republik.
In Ländern wie Guatemala, mit Álvaro Colom, oder Paraguay, mit Fernando Lugo,
war es das erste Mal in der Geschichte, dass die Linke an die Macht gelangte,
im letzten Fall durchbrach sie sogar eine jahrhundertealte Konstante des
Zweiparteiensystems.
Im Mai 2008 entstand die Union südamerikanischer
Nationen (Unasur) und im Februar 2010 wurde die Gemeinschaft
lateinamerikanischer und karibischer Staaten (Celac) geschaffen, mit 33
Mitgliedern. Von den 20 lateinamerikanischen Ländern der Celac hatten 14 linke
Regierungen, also 70 Prozent.
Der erste Teil des 21. Jahrhunderts sind zweifellos
gewonnene Jahre gewesen. Die wirtschaftlichen, sozialen und politischen
Fortschritte waren historisch und setzten die Welt in Erstaunen und all das in
einer Atmosphäre der Souveränität, der Würde, der Autonomie, mit eigener
Präsenz auf dem Kontinent und in der ganzen Welt. Natürlich hat die günstige
weltwirtschaftliche Lage sehr geholfen. Die Rohstoffe, die speziell Südamerika
exportierte, erzielten hohe Preise in diesen Jahren, aber der große Unterschied
ist, dass dieser Reichtum endlich in das Buen Vivir unserer Völker investiert
wurden.
Lateinamerika erlebte keine Zeit des Wandels, sondern einen wahren
Epochenwandel, der auch das geopolitische Gleichgewicht der Region wesentlich
veränderte. Deshalb war es für die faktischen Mächte und
hegemonialen Länder unerlässlich, diesen Veränderungsprozessen zugunsten der
großen Mehrheiten und die die zweite und endgültige regionale Unabhängigkeit
anstrebten, ein Ende zu setzen.
Die konservative
Restauration
Obwohl die Regierung von Hugo Chávez bereits 2002
einen misslungenen Staatsstreich aushalten musste, haben sich tatsächlich seit dem Jahr 2008 die undemokratischen
Versuche gehäuft, mit den progressiven Regierungen Schluss zu machen: in Bolivien 2008, Honduras 2009, Ecuador 2010 und Paraguay 2012. Vier Destabilisierungsversuche, zwei davon erfolgreich – Honduras
und Paraguay – und alle gegen linke Regierungen gerichtet.
Ab 2014 und unter Ausnutzung des veränderten
Wirtschaftszyklus‘ festigten sich diese Anstrengungen zur Destabilisierung und
bildeten eine wahre «konservative Restauration», mit nie gekannten Koalitionen
der Rechten, internationaler Unterstützung, unbegrenzten Ressourcen,
ausländischer Finanzierung usw. Die Reaktion hat sich vertieft
und Schranken und Skrupel verloren. Jetzt haben wir die wirtschaftliche
Hetzjagd und den Boykott gegen Venezuela, den parlamentarischen Putsch in
Brasilien und die Verrechtlichung der Politik – Lawfare –, wie uns die Fälle
von Dilma (Rousseff) und Lula (da Silva) in Brasilien, Cristina (Fernández de
Kirchner) in Argentinien und des Vizepräsidenten Jorge Glas in Ecuador beweisen.
Die Versuche, Unasur zu zerstören und die Celac zu neutralisieren sind
ebenfalls offenkundig und nicht selten unverschämt. Ganz zu schweigen davon,
was im Mercosur vor sich geht. Das Scheitern des Alca zu Beginn des
Jahrhunderts 1 soll mit der Pazifik Allianz wettgemacht werden.
In Südamerika gibt es derzeit nur noch drei
fortschrittliche Regierungen: Venezuela, Bolivien und Uruguay. Die ewigen Mächte, die Lateinamerika immer beherrscht und in
Rückständigkeit, Ungleichheit und Unterentwicklung gestürzt haben, kehren nach
mehr als einem Jahrzehnt ununterbrochener Niederlagen rachsüchtig zurück.
Die Eckpunkte der
Strategie der konservativen Restauration
Die reaktionäre Strategie ist regional strukturiert
und basiert hauptsächlich auf zwei Eckpunkten: dem vermeintlichen Scheitern
des Wirtschaftsmodells der Linken und der angeblich fehlenden moralischen Kraft
der fortschrittlichen Regierungen.
Was den ersten Punkt angeht, so erlitt die gesamte
Region seit dem zweiten Halbjahr 2014 aufgrund des ungünstigen internationalen
Umfelds eine Dämpfung des Wirtschaftswachstums, die in den beiden letzten
Jahren zur Rezession wurde. Die Wachstumsraten lagen bei 1,2, - 0,2 und - 0,8
für die Jahre 2014, 2015 und 2016. Die Ergebnisse sind ungleich in den Ländern
und Subregionen, Spiegelbild der unterschiedlichen Wirtschaftsstruktur und
angewandten Wirtschaftspolitiken. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten von
Ländern wie Venezuela oder Brasilien werden jedoch als Beispiel für das
Scheitern des Sozialismus genommen, während Uruguay mit einer linken Regierung
das am weitesten entwickelte Land südlich des Rio Bravo ist und Bolivien die
besten makroökonomischen Indikatoren des Planeten aufweist.
Im Fall Ecuadors waren wir konfrontiert mit dem, was
wir als „perfekten Sturm“ bezeichnet haben: dem Einbruch der Exporte zusammen
mit einer deutlichen Aufwertung des Dollars, dem gesetzlichen Zahlungsmittel. Die negativen externen Schocks, die während der Jahre 2015-2016
aufgetreten sind, sind beispiellos in der Geschichte Ecuadors. Zum ersten Mal
in den letzten 30 Jahren hatten wir in zwei aufeinander folgenden Jahren
rückläufige Exporte mit einem Verlust von rund zehn Prozent des BIP. Für 2016
betrug der Wert der Exporte nur mehr 64 Prozent im Vergleich zum Jahresende
2014. Im ersten Quartal 2016 lag der Preis für ein Barrel ecuadorianischen Öls
unter der mythischen Schwelle von 20 Dollar, der nicht einmal die Produktionskosten
deckte.
Währenddessen verhielt sich der US-Dollar genau
gegensätzlich zu den makroökonomischen Notwendigkeiten und stieg von 0, 734 auf
0, 948 Euro/Dollar zwischen Januar 2014 und Dezember 2016, das heißt um rund 30
Prozent. Die Währungen benachbarter Länder wie Kolumbien haben um mehr als 70
Prozent an Wert verloren.
Die steuerlichen Nettoverluste zwischen 2015 und 2016
werden auf zwölf Prozent des BIP geschätzt. Statt Öleinnahmen zu bekommen,
musste die Zentralregierung zum ersten Mal in der Geschichte den staatlichen
Erdölunternehmen 16 Milliarden Dollar geben, damit sie nicht zusammenbrechen,
so wie es mit vielen Ölfirmen überall auf der Welt geschah. Hinzu kommen
verlorene Streitfälle vor unlauteren Schiedsgerichten, die uns zwangen, mehr
als ein Prozent des BIP an die Ölkonzerne Oxy und Chevron zu bezahlen.
Als ob das noch nicht genug wäre, ereignete sich am
16. April 2016 in der Küstenzone ein Erdbeben von fast acht auf der
Richterskala, das Hunderte von Menschenleben kostete, die Wirtschaft um 0,7
Prozent schrumpfen ließ und Verluste von mehr als drei Prozent des BIP
verursachte, die fast 4.000 Nachbeben nicht eingerechnet.
Aufgrund all dieser Faktoren ging die Wirtschaft von
einem starken Wachstum von vier Prozent im Jahr 2014 auf nur noch 0,2 Prozent
im Jahr 2015 zu einem Rückgang von -1,5 Prozent im Jahr 2016 über. Trotz der
extremen Schwierigkeiten und des Fehlens einer nationalen Währung wurde die
Rezession in Rekordzeit, mit minimalen Kosten und ohne zunehmende Armut oder
Ungleichheit überwunden, was in Lateinamerika beispiellos ist. Für 2017 wurde
bereits ein Wachstum von mindestens zwei Prozent erwartet, also mehr als der
lateinamerikanische Durchschnitt von 1, 3 Prozent.
In Ecuador haben die außerhalb des ökonomischen
Mainstreams liegenden Politiken bewiesen, dass sie sowohl in Zeiten des
Wachstums wie auch in denen der Rezessionen wirkungsvoller sind. Zwischen
2007 und 2017 hat Ecuador die Größe seiner Wirtschaft mehr als verdoppelt, das
Wirtschaftswachstum lag über dem Durchschnitt der Region und es war das Land in
der Region, das die Einnahmen der Armen am meisten erhöht und die Kluft
zwischen Arm und Reich am meisten verringert hat; mehr als zwei Millionen
Menschen konnten aus der Armut herauskommen, das bedeutet eine Reduzierung um
12, 5 Prozent.
Das Problem ist, dass diese ökonomischen Analysen die
Leute kaum interessieren. Sie sehen nur, dass ihre Geschäfte in den letzten
Jahren weniger verkaufen, dass es für ihre Kinder schwieriger geworden ist,
Arbeit zu finden und ihre Einkünfte nicht mehr wie vorher ansteigen. Das hat
eine bestimmte Presse sehr gut ausgenutzt, nicht indem sie informierte, sondern
manipulierte. Eine kontinentale Rezession und, im Falle Ecuadors ohne eigene
Währung, haben sie mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen in Verbindung gebracht,
nicht mit den Strukturen unserer Ökonomien. Oder in anderen Fällen wollen sie
glauben machen, diese Strukturen könnten in einigen wenigen Jahren geändert
werden und dies nicht erreicht zu haben sei angeblich ein Zeichen für das
"Scheitern" der Linken. Während die Regierungen der Rechten
kritisiert werden, sie hätten nichts getan, werden die Linksregierungen
kritisiert, nicht alles getan zu haben.
Der zweite Eckpunkt der neuen Strategie gegen die fortschrittlichen
Regierungen ist die Moral. Das Thema Korruption ist zu einem effektiven
Instrument geworden, um die politischen Prozesse national-popularen Zuschnitts
in Unserem Amerika zu zerstören. Der exemplarische Fall
ist Brasilien, wo mit einer sehr gut organisierten politischen Operation die
Absetzung von Dilma Rousseff aus der Präsidentschaft Brasiliens erreicht und
hinterher nachgewiesen wurde, dass diese Operation nichts mit den ihr
zugeschriebenen Themen und Vorwürfen zu tun hatte. In Ecuador wird genau diesem Drehbuch gegen den Vizepräsidenten der
Republik, Jorge Glas, gefolgt.
Diese Strategie des Lawfare beginnt mit irgendeinem
Vorwurf von großer Wirkung und geringer Substanz; dann kommt ein
Medienbombardement, das die Unterstützung des ausgewählten Opfers zunichte
machen kann; und schließlich wird die Frage der Schuld oder Unschuld für
Richter unter politischem und medialem Druck ein irrelevantes Detail sein;
Richter, die nicht mehr darauf aus sind, begründete Urteile zu sprechen, sondern
nach Gründen für eine Verurteilung zu suchen, weil das Urteil bereits von den
Medien und der "öffentlichen Meinung" festgelegt wurde.
Wer könnte gegen einen wirklichen Kampf gegen die
Korruption sein? Genau das haben wir in Ecuador in den vergangenen zehn Jahren
gemacht, in dem wir die bestehende institutionalisierte Korruption beseitigt
haben. Der angebliche Kampf gegen Korruption der Rechten und ihrer Medien ist
absolut unaufrichtig und ausschließlich ein Instrument des politischen
Angriffs, wie der Kampf gegen den Drogenhandel in den 90er Jahren oder
seinerzeit der Kampf gegen den Kommunismus. Für einen wirklichen Kampf gegen
die Korruption würde es zum Beispiel genügen, die Steuerparadiese zu verbieten,
über die praktisch die gesamte Korruption läuft, mit der wir konfrontiert sind.
Sie erzählen uns was über mangelnde Kontrollen,
Nachgiebigkeit, Systemen der Korruption. Welche Kontrolle ermöglicht es,
Schmiergelder auf einem geheimen Konto in einem Steuerparadies aufzuspüren? In
Ecuador sind die Kontrollen so stark, dass die Herkunft von Einlagen von über
10.000 US-Dollar nachgewiesen werden muss, aber in Steuerparadiesen können
Millionen deponiert werden, ohne dass jemand etwas meldet.
Und natürlich zeichnen die Medien das Bild, dass der
Staat Schuld an der Korruption ist, dass die öffentliche Hand, im Gegensatz zur
Privatwirtschaft, die Ursache der Probleme ist. Die Realität ist, dass – wie im
Fall Odebrecht, dem brasilianischen Bauunternehmen, das eine regelrechte
Korruptionsstruktur in zwölf Ländern aufgebaut hat – die Korruption
größtenteils vom Privatsektor vorangetrieben wird. In Ländern wie Deutschland
konnten seine Unternehmen bis vor kurzem die Ausgaben für illegale Zahlungen in
unseren Ländern von der Steuer absetzen.
Weltweit existiert eine große Heuchelei im
Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Korruption. Es sei darauf hingewiesen,
dass Ecuador das erste Land der Welt ist, das im Rahmen einer Volksbefragung
ein Gesetz verabschiedet hat, das Staatsangestellte daran hindert, in
Steuerparadiesen irgendwelche Operationen durchzuführen. Es ist jetzt schon
eine Straftat, diese Refugien zu benutzen, aber es gibt sie immer noch.
Kurz gesagt: nicht nur das Modell soll zerstört werden, sondern auch die
Errungenschaften der fortschrittlichen Kräfte, indem vor allem durch die Medien
die fast unausweichlichen Probleme der Machtausübung aufgebläht und
verallgemeinert werden.
Ist die Linke Opfer
ihres eigenen Erfolgs?
Vielleicht ist die Linke auch Opfer ihres eigenen
Erfolgs. Wie der Wirtschaftsausschuss für Lateinamerika und die Karibik der
Vereinten Nationen (Cepal) ausweist, sind im letzten Jahrzehnt fast 94
Millionen Menschen der Armut entkommen und Teil der regionalen Mittelschicht
geworden, was in der großen Mehrzahl der Fälle das Ergebnis der Maßnahmen der
linken Regierungen war.
Zwischen 2003 und 2013 kamen in Brasilien 37,5
Millionen Menschen aus der Armut heraus und gehören nun zur Mittelschicht, aber
diese Millionen waren keine Kraft, die sich mobilisierte, als ein der
Korruption beschuldigtes Parlament Dilma Rousseff absetzte.
Wir haben
Menschen, die die Armut überwunden haben und die jetzt (aufgrund dessen, was
oft als objektiver Wohlstand und subjektive Armut bezeichnet wird), obwohl sie
viel höhere Einkommen haben, noch mehr fordern und sich arm fühlen nicht wegen
dem, was sie bereits haben und erst recht nicht, was sie früher hatten, sondern
in Bezug auf das, was sie anstreben.
Diese neue Mittelklasse, die aus dem Erfolg der
Wirtschafts- und Sozialpolitik der Linken selbst hervorging, verlangt einen
neuen Diskurs und eine neue Botschaft. Ihre Forderungen sind nicht nur
unterschiedlich, sondern sogar antagonistisch zu denen der Armen und sie
erliegen leichter den Sirenenrufen der Rechten und ihrer Presse, die allen
einen Lebensstil à la New York bietet.
Die Linke ist immer gegen den Strom geschwommen,
zumindest in der westlichen Welt. Die Frage ist: kämpft sie etwa gegen die menschliche
Natur?
Das Problem ist noch viel komplexer, wenn wir die
hegemoniale Kultur hinzunehmen, die von den Medien konstruiert wird um, wie
Gramsci sagt, zu erreichen, dass die Wünsche der großen Mehrheiten den
Interessen der Eliten dienlich sind. Ein dramatisches Beispiel war die
Ablehnung des Erbschaftsgesetzes, das in Ecuador versucht wurde einzuführen und
das aus einer viel progressiveren Steuer für große Erbschaften bestand. Trotz
der Tatsache, dass nur drei Promille der Bevölkerung Ecuadors eine Erbschaft
erhalten und die neue Steuer nur die großen betraf, das heißt, 0, 004 Prozent
der Erbschaften und das entspricht 172 Personen im Jahr bei einer Bevölkerung
von 16 Millionen, gingen viele Arme und viele aus der Mittelklasse auf die
Straße und protestierten gegen eine Steuer, die sie niemals würden bezahlen
müssen – größtenteils manipuliert von den Medien.
Unsere Demokratien müssen als Mediendemokratien
bezeichnet werden. Die Kommunikationsmedien sind ein wichtigerer Bestandteil im
politischen Prozess als die Parteien und Wahlsysteme; sie sind zu den
wichtigsten Oppositionsparteien der fortschrittlichen Regierungen geworden; und
sie sind die wahren Vertreter der konservativen politischen Macht der
Unternehmer.
Es spielt keine Rolle, was den großen Mehrheiten passt, was in der
Wahlkampagne vorgeschlagen wurde und was das Volk, der Auftraggeber in jeder
Demokratie, an den Wahlurnen entschieden hat. Was zählt ist, was die Medien in
ihren Schlagzeilen gutheißen oder ablehnen. Sie haben den Rechtsstaat durch den
Meinungsstaat ersetzt.
Gibt es eine
"strategische Herausforderung"?
Die Linke der Region ist mit den Problemen
konfrontiert, die Macht auszuüben - oder ausgeübt zu haben - oftmals
erfolgreich, aber zermürbend.
Es ist unmöglich zu regieren und alle zufrieden zu
stellen, vor allem, wenn so viel soziale Gerechtigkeit gefordert ist. In
Ecuador haben wir uns große Feinde gemacht und wurden beschuldigt, das Land
"polarisiert" zu haben, weil wir den einfachen Menschen eine Stimme
gegeben haben, den Armen Möglichkeiten, den Arbeitern Rechte und unseren
Kleinbauern Würde, um denjenigen die Macht zu entziehen, die schon immer davon
profitiert haben ‒ den Banken, den Medien, der Parteienherrschaft. Sie
vergessen, dass wir für die Hälfte dessen, was wir erreicht haben, vor einigen
Jahrzehnten einen Bürgerkrieg gehabt hätten. Wir haben es geschafft, indem wir
immer wieder Wahlen gewonnen haben.
Wenn man als Linke mit drei Prozent Zustimmung in
ständiger Opposition ist, ohne Berufung zur Macht, gewohnt zu protestieren und
keine Vorschläge zu machen, versteht man nicht was es bedeutet, in widrigen
wirtschaftlichen Situationen regieren zu müssen, oder Verrätern
gegenüberzustehen, die der Versuchung von Macht und Geld erlegen sind. Es ist klar, dass die einzige Schlacht, die
ein Revolutionär nicht verlieren kann, die moralische Schlacht ist, aber eine
vertrauenswürdige Regierung ist nicht diejenige, die niemals Korruptionsfälle
erleidet, sondern die, die sie niemals toleriert.
Das nicht zu verstehen, verwirrt Viele in den eigenen
Reihen und untergräbt die Einheit und Stärke der progressiven Bewegungen, indem
man sich selbst angesichts der ersten Schwäche demoralisiert und den Gegnern
oft eine Begründung gibt, die sie nie hatten.
Man muss immer selbstkritisch sein, aber es geht auch
darum, an uns selbst zu glauben. Die fortschrittlichen Regierungen werden
ständig angegriffen, die Eliten und ihre Medien verzeihen uns keinen einzigen
Fehler, sie wollen unsere Moral schwächen und uns an unseren Überzeugungen,
Vorschlägen und Zielen zweifeln lassen. Deshalb ist die größte
"strategische Herausforderung" der lateinamerikanischen Linken
vielleicht zu verstehen, dass jeder transzendentale Prozess Fehler und
Widersprüchlichkeiten haben wird ‒ aber auch, zu verstehen, wie Ignatius
von Loyola 2 gesagt hat, dass in einer belagerten Festung jede
Uneinigkeit Verrat ist.
Rafael Correa, Wirtschaftswissenschaftler,
Mitbegründer der Bürgerrevolution und der Regierungspartei Alianza País, war
von 2007 bis 2017 Präsident von Ecuador
Quelle: www.https://amerika21.de/analyse/196340/herausforderung-linke-lateinamerika