Kurt Gossweiler : Zum Revisionismus

Auszüge aus seinem Vortrag, gehalten am 27. März 2004 in Bernburg

Revisionismus in der Gegenwart kommentiert von Brigitte Queck

 

1. Zu Geschichtlichen Abläufen

Auch das heute immer wieder ins Feld geführte angebliche “Testament” Lenins, in dem er vor Stalin gewarnt habe, brachte dieser junge Trotzkist schon damals vor.

Natürlich hatten wir damals keine Möglichkeit, all dies zu überprüfen. Aber dafür, zu über-prüfen, ob unser Vertrauen zur Sowjetunion und zu Stalin gerechtfertigt war, gab es ein sehr einfaches und zugleich überzeugendes Mittel: die Prüfung der Taten der Sowjetunion und Stalins in der Auseinandersetzung mit dem Faschismus!.....

Im Sommer 1936 hatte Franco seinen Putsch gegen die Spanische Volksfrontregierung unternommen und damit das Startzeichen für die Intervention des faschistischen Deutschland und Mussolini-Italiens zugunsten der Errichtung eines faschistischen Regimes in Spanien gegeben…

Allein die Sowjetunion kam dem spanischen Volk und den Freiwilligen in den Interbrigaden mit Waffen und Soldaten zu Hilfe. Sie tat also genau das, was wir von ihr erwarteten. Sie hat unser Vertrauen nicht enttäuscht.

Vergleiche heute: Russlands militärische, medizinische u. ökon.  Hilfe in Syrien

Eine zweite Belastungsprobe stellte im August 1939 der Abschluss des Nichtangriffsvertrages der Sowjetunion mit Hitlerdeutschland dar

Das Wichtigste für uns beide war, den veröffentlichten Wortlaut des Vertrages daraufhin zu untersuchen, ob in ihm irgend eine Passage enthalten war, die über ein Abkommen zum ge-genseitigen Nichtangriff hinausging und dem Ganzen Bündnischarakter verliehen hätte. Es gab zu unserer großen Beruhigung keine einzige solche Passage. Bei der Suche nach Gründen, welche die Sowjetunion zu diesem Schritt veranlasst haben könnten, waren wir uns einig, dass die Sowjetunion damit sicher der ja offenkundigen Gefahr vorbeugen wollte, dass die West-mächte etwa mit Hitlerdeutschland ein neues Münchener Abkommen, diesmal aber auf Kosten der Sowjetunion, schließen würden; wir wussten beide sehr gut, dass sie die Aufrüstung Na-zideutschlands nicht nur geduldet, sondern gefördert hatten in der Hoffnung, die deutsche Aggression gegen die Sowjetunion lenken zu können. Wenn es der Sowjetunion mit diesem Abkommen gelang, Zeit zu gewinnen, dann konnte uns das nur recht sein. Dass es nur um Zeitgewinn gehen konnte, dessen waren wir uns gewiss; denn soviel wussten wir: das wichtigste Kriegsziel Hitlers und seiner finanzkapitalistischen Hintermänner war die Vernichtung der “bolschewistischen Gefahr”, der Sowjetunion. Wenn sich Deutschland zunächst gegen den Westen wenden würde, dann auch mit der Absicht, sich den Rücken frei zu machen für einen späteren Krieg gegen die SU.

Vergleiche heute: Russlands teilweises Zusammengehen mit der Türkei, aber auch diplomatisches Geschick in der Syrien-bzw. Korea-Frage gegenüber den US/NATO-Staaten und UNO-Gremien !

Auch die Besetzung der ostpolnischen Gebiete durch die Rote Armee am 17.September, die noch heutzutage von so genannten “demokratischen Sozialisten” in höchsten Tönen moralischer Entrüstung als grobe Verletzung des Völkerrechts verurteilt wird , – von den gleichen Leuten also, die heute, sobald sie in die so heiß begehrten Regierungsämter gelangt sind, sich zu Bütteln der Durchsetzung der Programme des Kapitals zur Ausplünderung der Wähler hergeben, denen sie vorher die Vertretung ihrer Interessen versprachen, – diese Besetzung zu bejahen und zu begrüßen machte uns überhaupt keine Schwierigkeiten. Zum einen deshalb, weil, wo die Rote Armee Wache hielt, die Wehrmacht nicht weiter vorrücken konnte, die Bevölkerung also davor bewahrt blieb, unter den Stiefel der Faschisten getreten zu werden.

Aber noch viel wichtiger: wir wussten doch, dass dies Gebiete waren, die zu Weißrussland und zur Ukraine gehört hatten und 1920 vom Pilsudski-Regime gewaltsam und völkerrechtswidrig annektiert worden waren. Wir empfanden es als einen Geniestreich Stalins, die gegenwärtigen Verstrickungen der imperialistischen Mächte dazu auszunutzen, friedlich das zurückzuholen, was Sowjetrussland seinerzeit gewaltsam entrissen worden war.

Heutiger Bezug : Russland stimmt nach der Volksabstimmung auf der Krim dem Vorschlag der Autonomen Republik Krim nach Beitritt zur Russischen Föderation zu !> Vorgehen Chrustschows 1954 bezüglich der Krim ENTSPRACH NICHT  DER VERFASSUNG DER UdSSR !!

2. Zur Rolle der Persönlichkeit im Sozialismus

Nur zu bald sollte ich feststellen, dass ich unrecht, dass ich die Rolle der Persönlichkeit doch unterschätzt hatte.

Woher kam das? Mir war noch nicht klar, was ich erst langsam hinzulernte: dass nämlich die Rolle der Persönlichkeit in der sozialistischen Gesellschaft um vieles bedeutsamer ist, als im Kapitalismus. Im Kapitalismus wäre ganz unmöglich, dass ein Partei- oder Staatsführer durch eine Politik des Verrates an seiner Klasse die kapitalistische Ordnung unterminieren und Schritt für Schritt und Stück für Stück in eine nicht mehr kapitalistische, in eine sozialistische über-führen könnte.

Im Sozialismus aber ist ein solcher Weg der Unterminierung der sozialistischen Ordnung und ihre Perestroika in eine kapitalistische mittels einer Politik des Klassenverrates durch die Partei- und Staatsführung nicht nur möglich, sondern von Chruschtschow begonnen und von Gorbatschow zum Erfolg geführt worden. Woran liegt das?

Während der Prozess der Entstehung und Entwicklung des Kapitalismus ein spontaner Prozess ist, ist der Prozess der Errichtung und Entwicklung des Sozialismus ein bewusster, organisierter Prozess.

Das aber bedeutet, dass die Führungsqualitäten der führenden Persönlichkeiten im Sozialismus eine für das Schicksal des Sozialismus, für das Gelingen oder das Scheitern des sozialistischen Aufbaus, entscheidende Rolle spielen !

Das bedeutet aber auch, dass die imperialistischen Politiker über ganz andere und wirkungs-vollere Mittel der Einflussnahme auf die politische Entwicklung in den Ländern des Sozialismus verfügen, als umgekehrt.

Das sozialistische System kann durch Einschleusung von Agenten des Imperialismus in seinen Herrschaftsapparat oder durch Korrumpierung von Führungskräften paralysiert und sogar zerstört werden, das kapitalistische System nur durch den Kampf der Massen.

Die Bourgeoisie weiß um diese besonders große Bedeutung revolutionärer Persönlichkeiten für den Sieg des Sozialismus offenkundig besser Bescheid, als wir. Daher gehört die Planung von Morden an besonders fähigen, populären und unbestechlichen Führern der kommunistischen Parteien und der antiimperialistischen Bewegungen ebenso zum Alltagsgeschäft der imperia-listischen Geheimdienste wie die

Zersetzung revolutionärer Bewegungen und der kommunistischen Parteien von innen.

Gegenwärtiger Bezug :

Irakische Kommunistische Partei spaltete sich 2003 in 2 Teile:

Ein Teil davon glaubte, mit den US-Truppen in Bagdad einmarschieren und dort den Sozialismus errichten zu können

Kurdische Bewegung im Norden Syriens 2017:

            Die Führung der Kurden glaubt, dass sie mit der Militärhilfe der USA

            nicht nur die ISIS besiegen, sondern später den Sozialismus im Norden

            Syriens errichten könnten !!!

 Einige kommunistische Parteien in Europa meinen, dass China Russland imperialistische Staaten seien, denen der USA und Europas gleichwertig !!

Wie sagte doch Kurt Goßweiler in der schweren Zeit, als die Sowjetunion nach dem Nichtangriffspakt mit dem faschistischen Deutschland auch von einigen Kommunisten nicht mehr verstanden wurde?

Ein überzeugendes Mittel für uns war: die Prüfung der Taten der Sowjetunion und Stalins in der Auseinandersetzung mit dem Faschismus !!!

Berücksichtigen das alle Kommunistischen Parteien heute bezüglich Russland und China, die in der Gegenwart von den imperialistischen Staaten der Welt angegriffen und verunglimpft werden und die ihrerseits einen Kampf  gegen Angriffskriege der US/NATO,  gegen  neokoloniale Unterdrückung der Entwicklungsländer, sowie der Verteidigung der Souveränität jedes Staates der Welt auf der Grundlage der UNO-Charta führen ? !!

3. Sieg des Sozialismus in einem Lande möglich

Schon in den letzten Wochen und Tagen Lenins hoffte man im Westen auf die Schwächung und Zersetzung der Sowjetmacht durch Machtkämpfe um die Nachfolge Lenins nach dessen Tod. Und sie hatten Grund zu solchen Hoffnungen, denn der jahrzehntelange Gegner Lenins, der erst in den letzten Monaten vor der Oktoberrevolution, auf dem VI. Parteitag der Bolschewiki im August 1917, durch Eintritt in die Partei Lenins auf den Zug der von den Bolschewiki vorbereiteten und geführten Revolution aufgesprungen war, Trotzki, setzte alles daran, sich als Nachfolger Lenins an die Spitze der Partei zu setzen.

Wäre ihm das gelungen, wäre das gleichbedeutend gewesen mit dem Ende der Partei als marxistisch-leninistischer Partei, und damit gleichbedeutend mit dem Ende der Sowjetmacht. Denn im Gegensatz zu Lenin und der Mehrheit der führenden Genossen vertrat Trotzki vehement die These, dass der Sieg und der Aufbau des Sozialismus in einem Lande unmöglich sei.

Lenin hatte 1915 in einem Aufsatz in der Schweizer Zeitung “Sozialdemokrat” erstmals davon gesprochen, dass der Sieg des Sozialismus in einem einzeln genommenen Lande möglich sei. Er schrieb in dem Artikel “Die Vereinigten Staaten von Europa”:

Als selbständige Losung wäre … die Losung Vereinigte Staaten der Welt wohl kaum richtig, denn erstens fällt sie mit dem Sozialismus zusammen, und zweitens könnte sie die falsche Auffassung von der Unmöglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem Lande und eine falsche Auffassung von den Beziehungen eines solchen Landes zu den übrigen entstehen lassen. Die Ungleichmäßigkeit der ökonomischen und politischen Entwicklung ist ein unbedingtes Gesetz des Kapitalismus. Hieraus folgt, dass der Sieg des Sozialismus zunächst in wenigen kapitalistischen Ländern oder sogar in einem einzeln genommenen Lande möglich ist.” (Nachzulesen ist das in Bd.21, S.345 der Werke Lenins, Berlin 1960).

Sofort meldete sich Trotzki mit einem Gegenartikel zu Wort, in dem er schrieb: “ Das einzige einigermaßen konkrete historische Argument gegen die Losung der Vereinigten Staaten wurde im schweizerischen ‚Sozialdemokrat’ in folgendem Satz formuliert: ‚Die Ungleichmäßigkeit der ökonomischen und politischen Entwicklung ist ein unbedingtes Gesetz des Kapitalismus.’ Daraus zog der ‚Sozialdemokrat’ den Schluss, dass der Sieg des Sozialismus in einem Lande möglich sei.” Dem widersprach Trotzki mit der Feststellung, es wäre aussichtslos, zu glauben, “dass zum Beispiel ein revolutionäres Russland einem konservativen Europa gegenüber sich behaupten … könnte.”
(In: Trotzki, Schriften, Bd. III, Teil I, S.89).