Zu den neuen Ereignissen in Kirgistan
von Hans-Jürgen
Falkenhagen und Brigitte Queck
Kirgistan, als ehemals Kirgisische Sozialistische Sowjetrepublik seit 1991 ein sog. unabhängiger Staat, hatte 1986 eine Einwohnerzahl von 4,051 Millionen (1940 waren es noch 1,5 Mio.), gegenwärtig zählt es 5,4 Mio. Einwohner. Davon sind 64,9 % Kirgisen, 13,8 % Usbeken, 12,5 % Russen, 1 % Ukrainer und 0,4 % Deutsche. Ferner leben dort Dunganen, Tataren, Tadschiken und Uiguren. Staatssprachen sind Kirgisisch und Russisch. Nach offiziellen statistischen Daten sind 75 % der Bevölkerung Muslime und 20 % orthodoxe Christen.
Aus Sowjetzeiten verfügt Kirgistan
neben Bergbau noch über eine beachtliche Industrie. Kirgistan ist auch ein beachtlicher
Nahrungsgüterexporteur.
Die letzten Jahre waren von
steigender Arbeitslosigkeit (bis zu 30 %) und hoher Inflation (jährlich 20% und mehr) gekennzeichnet. Eine wachsende
Armut und sich zuspitzende Polarisierung der Gesellschaft in Arm und Reich steigerte
die Unzufriedenheit der Bevölkerung und führte im April 2010 zu einer Art
Volksaufstand. Dabei kamen nach offiziellen Angaben (Stand 11. April) 81
Menschen ums Leben, 1600 wurden verletzt, davon 500 so schwer, dass sie in
Krankenhäuser eingeliefert werden mussten. Es kam vor allem in der Hauptstadt
Bischkek zu umfangreichen Zerstörungen und Plünderungen. Das Ergebnis war der
Sturz des Präsidenten Kurmanbek Bakijew und der Regierung von Igor Tschudinow.
Das erst im Dezember 2007 gewählte Parlament (90 Sitze mit 71 Sitzen der
Regierungspartei Ak Dschol, 11 Sitzen der Sozialdemokratern und 8 Sitzen der
Kommunisten) wurde aufgelöst. Gebildet wurde eine neue Übergangsregierung unter
der Führung von Rosa Otunbajewa. Ihr Stellvertreter ist der bisherige Oppositionsführer
Atambajew, zuständig für Wirtschaftsfragen, weiterer Stellvertreter ist Omurbek
Tekebajew. Neuer kirgisischer Verteidigungsminister wurde Ishmail Isakow. Dass
es erneut zum gewaltsamen Sturz des Staatspräsidenten und der Regierung kam, nachdem
2005 der damalige Präsiden Askar Akajew gestürzt worden war, ist aber nicht nur
inneren Faktoren geschuldet.
Kirgisistan oder Kirgistan
befindet sich, obwohl mit 199 900 Quadratkilometern ein relativ kleiner
Staat, auf Grund seiner geostrategischen Lage im Fokus der Interessen nicht
nur der Nachbarstaaten Russland, VR China, Kasachstan, Usbekistan und
Tadschikistan, sondern auch der USA und NATO. Die vor fünf Jahren in der
Hauptstadt Bischkek stattgefundene sogenannte Tulpenrevolution war weitgehend
von den USA aus gesteuert. Der damals an die Macht gespülte neue Staatspräsident
Bakijew war im gewissen Sinne ein Günstling Washingtons. Er war es, der auch
dem weiteren Betrieb des seit
Die Zusammenarbeit mit den Amerikanern
war für das korrupte System von Bakijew lohnender. Bestechungsgelder aus den USA
ermöglichten eine ausufernde Vetternwirtschaft und die Korrumpierung kirgisischer
Politiker mit hohen Dollar-Beträgen.
.
Washington war also bereit, die Pachtgebühren für Manas beträchtlich aufzustocken, nachdem Moskau und Peking von der kirgisischen Regierung zur Verbesserung der Sicherheitslage in Asien die Schließung dieses Militärstützpunktes gefordert hatten. Übrigens entspricht diese Forderung auch den Interessen der anderen Shanghai-Paktstaaten und weiteren Staaten, denn eine zunehmende Präsenz der amerikanischer Militärs und Geheimdienste in Kirgistan richtet sich nicht nur gegen Russland und die VR China, sondern z. B. auch gegen Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan, die Mongolei sowie auch gegen Turkmenistan.
Die USA-hörige Politik von Bakijew führte zu wachsender Kritik seitens Moskaus Pekings und anderer Staaten dieser Region.
Der Widerstand der eigenen Bevölkerung
wuchs auch, weil die kirgisische Regierung zunehmend auf der Seite der USA und
NATO in den Afghanistankrieg verwickelt wurde. Da aber die Mehrheit der Kirgisen
mit dem afghanischen Widerstand sympathisiert und diesen auch tatkräftig unterstützt, war das weiterer
Anlass für die zunehmende Verhasstheit
Bakijews und seiner Günstlinge im Volke. Bakijew griff zur Absicherung seiner
Macht immer mehr zu diktatorischen Methoden der Repression und Unterdrückung,
wobei durch die ausufernde Misswirtschaft, Korruption und Vetternwirtschaft
auch der Lebensstandard der Bevölkerung immer mehr sank.
Das alles schuf die wesentlichen
Voraussetzungen für den gewaltsamen Sturz der Bakijew-Regimes.
Nun vermuten viele westliche Medien den russischen Ministerpräsidenten Putin als treibende Kraft hinter dem Sturz des Bakijew-Regimes. Das spiegelt sich in Schlagzeilen wider wie Putin stärkt kirgisischen Revolutionären den Rücken, Putin unterstützt die neue Regierung von Frau Rosa Otunbajewa, Putin erkennt neue Regierung in Bischkek an, Putin sichert Kirgisistan Unterstützung zu.
Auch hinter der Entsendung von
russischen Fallschirmjägern nach Kirgisistan, um, wie es offiziell heißt,
russische Bürger und Diplomaten zu schützen. wird jetzt ein militärischer
Zugriff Moskaus auf Kirgisistan vermutet. Es gibt westliche Politiker und
Militärs, die die Obama-Administration auffordern, desgleichen tun. Allerdings
brauchen das die Amerikaner gar nicht zu tun, um Stärke zu demonstrieren, wenn
man bedenkt, dass Manas allein seit Oktober 2009 über 200 000 US-Soldaten und
andere Koalitionstruppen im Transit durchlaufen haben, davon allein 50 000 im
März 2010.
In der Tat steht nun die Frage, ob es zu einem Schulterschluss von Moskau, Peking und Bischkek kommt?
Eine andere Frage wäre : Müssen
die Amerikaner nun den Luftwaffenstützpunkt Manas und andere Basen
räumen?
Es gibt im Umfeld von Rosa
Otunbajewa Politiker, die das fordern. So machte der neue kirgisische Verteidigungsminister Ishmail Isakow, der schon in der Sowjetarmee
als Offizier diente, Äußerungen in dieser Richtung. Die überwiegende Mehrheit
des kirgisischen Volkes fordert das. Die neue Ministerpräsidentin Otunbajewa
hält sich in dieser Frage aber noch bedeckt. In einem Telefongespräch mit
US-Außenministerin Clinton erklärte sie, alle Abmachungen, die die vorherige
Regierung mit Washington getroffen hat, einhalten zu wollen. Es bleibt deswegen
noch eine offene Frage, ob Moskau mit
ihr einer der russischen Politik näher stehende
Politikerin an den Hebeln der Macht hat als mit anderen kirgisischen
Politikern, die bisher in Bischkek regierten. Rosa Otunbajewa war noch zu
Sowjetzeiten Stellvertretende Ministerpräsidentin der Kirgisischen Sozialistischen
Sowjetrepublik, sie war Außenministerin der kirgisischen Sowjetrepublik und arbeitete
auch für das russische Außenministerium z. B. für UNO-Missionen. Sie ist
offensichtlich aber eine der Kader, die seinerzeit von Gorbatschow gefördert
wurden. Immerhin sagte sie zu, dass sie mit ihrem Kabinett nur ein halbes Jahr
unter Ausnahmebedingungen regieren will. Dann soll in Kirgisistan mit einer
neuen Verfassung eine parlamentarische Demokratie auf der Grundlage freier
Wahlen eingeführt werden. Der Präsident soll demnach nur noch überwiegend
repräsentative Aufgaben erfüllen.
Bakijew versucht indessen, wie verlautet, in seiner Heimatstadt Dschalalabad im Südwesten des Landes, Anhänger zu sammeln, um eine Art Gegenputsch durchzuführen. Ob ihm das gelingt, ist fraglich. Unterstützung im Volk hat er nicht und er hat auch keine hinreichende Unterstützung in der Armee, der Polizei oder im Geheimdienst. Welche ausländischen Staaten könnten ihm also wieder zur Macht verhelfen? Die USA müssen zudem auch die Interessen Russlands, der VR China und der anderen Shanghai-Paktstaaten berücksichtigen, bevor sie sich auf einen neuen Konfrontationskurs begeben.
Um Afghanistan indes schließt
sich weiter der Ring der Kräfte, die einer Dauerokkupation dieses Landes
seitens der USA und der NATO ablehnen
und bekämpfen. Die Prophezeiung von Afghanistan als das nahende Stalingrad
der NATO könnte sich erfüllen. Zumindest gibt es zunehmend Indizien, die eine Entwicklung
zu einem solchen Desaster, wenn nicht sogar einer Katastrophe der NATO anzeigen. Auch das Abschlachten
der afghanischen Bevölkerung in brutalen Militäreinsätzen steigert nur den
Widerstand ganz Asiens gegen Amerika und steigert auch die Missstimmung des
kirgisischen Volkes gegen Amerika und die westliche Welt.
Den USA und NATO-Staaten ist also
dringend in deren eigenem Interesse anzuraten, jetzt einen schnellen
Truppenabzug aus Afghanistan einzuleiten und davon abzusehen, Afghanistan noch
weiter mit Krieg, Tod, Leid und Zerstörung zu überziehen.