Jugoslawien - Serbien
»Neutralität ist die beste Option«
Serbien braucht Partner, keine
Befehlshaber: Mehrheit der Bevölkerung gegen Mitgliedschaft in der NATO. Ein
Gespräch mit Zivadin Jovanovic, geführt von Klaus Hartmann am 6.1. 2014
Der Jurist Zivadin Jovanovic war 1998 bis 2000
jugoslawischer Außenminister. Heute ist er Präsident des »Belgrad Forums für
eine Welt der Gleichen«
Das Jahr bringt uns drei bedeutsame Jahrestage: der
Beginn des Ersten Weltkriegs durch die von Deutschland unterstützte Kriegserklärung
Österreich-Ungarns gegen Serbien, die Befreiung Belgrads von den
Hitler-Faschisten 1944, und der 15. Jahrestag der NATO-Aggression gegen
Jugoslawien. Welchen Zusammenhang sehen Sie bei diesen Ereignissen?
Alle drei, der Erste und Zweite Weltkrieg und die
NATO-Aggression, wurden gegen unser Land geführt, im selben 20. Jahrhundert.
Alle waren sie imperialistische Kriege, die unter verlogenen Vorwänden
gestartet wurden. Sie bewirkten enorme menschliche, wirtschaftliche und
politische Konsequenzen, die auch im 21. Jahrhundert noch nicht bewältigt sind.
Serbien nimmt diese Jahrestage zum Anlass, seiner Millionen gefallener
Landsleute zu gedenken sowie aller Opfer, die ihr Leben für Freiheit und
Menschenwürde gaben. Wir alle müssen die Erinnerung wach halten und die
Botschaft vermitteln, dass sich solche Katastrophen für die Menschheit nicht
wiederholen dürfen.
Ist im Bewusstsein der Öffentlichkeit Serbiens
weiterhin präsent, dass das Land dreimal in einem Jahrhundert Ziel westlicher
Aggressionen wurde?
Eine Nation, die über ein Drittel ihrer Bevölkerung im
Ersten und mehr als eine Million im Zweiten Weltkrieg verloren hat, während die
»humanitäre Intervention« der NATO auch nach 15 Jahren immer noch Todesopfer
fordert, diese Nation kann und darf nicht vergessen. Das wäre unzivilisiert und
unverantwortlich gegenüber der Zukunft.
Das »Belgrad Forum« spielt als unabhängige Organisation von Intellektuellen
eine wichtige Rolle, das öffentliche Bewusstsein für die Aggressionskriege
gegen Serbien im 20. Jahrhundert zu schärfen. Unter dem Motto »Niemals
vergessen!« bereitet es eine Reihe Veranstaltungen zum bevorstehenden 15.
Jahrestag der NATO-Aggression vor, darunter eine internationale Konferenz am
22. und 23.März in Belgrad mit dem Titel »Globaler Frieden gegen globalen
Interventionismus und Imperialismus«, zu der prominente unabhängige
Wissenschaftler und Friedensaktivisten aus der ganzen Welt erwartet werden.
Hat Europa Lehren aus der Geschichte des 20.
Jahrhunderts gezogen?
Ich fürchte nicht. Ich bin besorgt über die
Militarisierung der EU und die Expansion der NATO nach Osten. Einige
europäische Regierungen, einschließlich links orientierter, kopieren mehr und
mehr die imperiale Politik und das Benehmen der USA, sie verlieren den Respekt
für die Werte der Zivilisation. Abhängig gemacht von US-Doktrinen wie dem
»Recht auf humanitäre Intervention«, der »Schutzverantwortung« oder dem »Krieg
gegen Terror«, hat Europa die Kraft und das Selbstvertrauen verloren, zu
offenkundig antieuropäischer Politik nein zu sagen. Manche europäischen
Regierungen wetteifern darin, der NATO Zugeständnisse zu machen. Hinter dem
Vorhang antikommunistischer Rhetorik in verschiedenen nationalen und
EU-Institutionen lebt der Faschismus wieder auf. Wir sind mit der
systematischen Revision der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts
konfrontiert. Die Rehabilitierung von Nazis in einigen »Neuen Demokratien« geht
einher mit Anklagen gegen Veteranen des antifaschistischen Kampfes und der
Zerstörung von Denkmälern für Partisanen.
Die Revision der Geschichte ist kein Selbstzweck. Wenn bestimmte ungarische
Politiker den Vertrag von Trianon des Jahres 1920 revidieren wollen, wird
vollkommen klar, dass ihr wahres Ziel die Änderung der Grenzen ist.
Das Ziel des Krieges 1999 war die Zerstörung Jugoslawiens
und die Zerstückelung Serbiens. Wie erfolgreich war die NATO?
Tatsächlich hat die NATO Jugoslawien zerstört,
wirtschaftlich und als Staat, und sie hat Serbien und die serbische Nation
fragmentiert. Ich bezweifle aber, dass dies ein Erfolg für irgendjemand ist.
Die USA und die NATO unterliegen keinerlei rechtlichen oder sonstigen
effektiven Kontrolle, ihr Krieg war ein Krieg gegen Europa – mit aktiver
Beteiligung Europas!
Großbritannien führte enthusiastisch die Nützlichkeit seiner doppelgesichtigen
Loyalität vor. Deutschland sah eine gute Gelegenheit, die ihm nach dem Zweiten
Weltkrieg verpassten Einschränkungen, die es als Zwangsjacke empfand,
loszuwerden, der Rest der EU hatte nichts zu melden. Das »Racak-Massaker«, der
»Hufeisenplan«, die »Rambouillet-Verhandlungen« und das Hager Sondertribunal
waren Bausteine, um Serbien als neuen Nazistaat vorzuführen, um Sanktionen zu
rechtfertigen, die kriminelle NATO-Aggression, die politische Erpressung und
letztlich den Raub von Kosovo und Metohija.
In der Friedensbewegung gibt es die Auffassung, dass
mit der NATO-Aggression eine dauernde Militärpräsenz der USA in diesem Teil
Europas begründet werden sollte.
Das trifft zu. Sofort nach dem Krieg schufen die USA
mit dem »Camp Bondsteel« in Kosovo und Metohija einen der weltweit größten
Militärstützpunkte vom Typ der Ramstein Air Base. Der frühere Staatssekretär
Willy Wimmer berichtete dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder, die USA
wollten damit den »Fehler« von Präsident Eisenhower korrigieren, der es im
Zweiten Weltkrieg versäumt habe, US-Truppen in Jugoslawien zu stationieren.
Dies ist Teil der militärischen Expansion Richtung Rußland, Kaspisches Meers,
Zentralasien und Mittlerer Osten. Heute gibt es in Europa mehr ausländische
Militärbasen als auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges ...
Welche Haltung nimmt die gegenwärtige Regierung in
Belgrad gegenüber den Aggressoren von 1999 ein? Will sie immer noch in die EU,
obwohl Kosovo und Metohija endgültig von Serbien abgetrennt werden soll?
Der Druck, den speziell die USA, Deutschland und
Großbritannien auf Serbien ausüben, die einseitige illegale Sezession von
Kosovo und Metohija anzuerkennen, um im Austausch dafür irgendwann nach 2020
die EU-Mitgliedschaft zu erhalten, ist unanständig, revanchistisch und kontraproduktiv.
Eine Lösung im Widerspruch zur UN-Charta und zum OSZE-Abkommen von Helsinki,
zur UN-Resolution 1244 und zur serbischen Verfassung ist keine Lösung. Die USA
wollen die Angelegenheit dem UN-Sicherheitsrat aus der Hand nehmen, um Serbien
der russischen und chinesischen Unterstützung zu berauben. Dazu nutzt
Washington die EU als Vermittler. Doch 100 Jahre nach dem Wiener Diktat wird
kein westliches Diktat das Statusproblem lösen.
1999 bezeichnete ich die NATO-Aggression als
»Türöffner-Krieg« für die nächsten Kriege – inzwischen erlebten wir die Kriege
gegen Afghanistan, den Irak, Libyen, Syrien, ebenso gegen Pakistan und viele
afrikanischen Länder. Es ist schwer nachvollziehbar, dass Serbien Mitglied
dieser Terrororganisation werden will.
Rund 75 Prozent der Bevölkerung Serbiens sind
entschieden gegen eine NATO-Mitgliedschaft, nur 13 Prozent befürworten sie. Als
Relikt des Kalten Krieges gehört die NATO aufgelöst. Serbien ist ein kleines,
friedliebendes Land ohne imperialistische Ziele. Die NATO ist eine aggressive
Maschinerie, die den Interessen des Militärisch-Industriellen Komplexes und des
Finanzkapitals dient. Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien waren nur
Wiederholungen des jugoslawischen Präzedenzfalls. Das selbst angemaßte Recht
der NATO, an jedem Punkt der Welt anzugreifen, ist die Quelle größter Gefahr
für Frieden und Stabilität.
Wenn die Aggression 1999 der Wendepunkt Richtung Globalisierung des
NATO-Interventionismus war, dann markieren die Ereignisse im Iran, in Syrien
und der Ukraine 2013 den Wendepunkt vom Monopol zur Multipolarität. Für Serbien
ist die Neutralität die beste Option. Wenn sechs Staaten in der EU sein können
ohne Mitglied der NATO zu sein, warum sollte das Serbien als Gründungsmitglied
der Blockfreien-Bewegung nicht können?
Bei verschiedenen Gelegenheiten wurden serbische
Hoffnungen auf russische Hilfe und Unterstützung enttäuscht, andererseits kann
eine komplette Einkreisung auf dem Balkan nicht in Moskaus Interesse liegen.
Wie sind die serbisch-russischen Beziehungen?
Rußland war in der Geschichte immer Serbiens
Verbündeter, es unterstützt Serbiens Souveränität und territoriale Integrität
sowie die Umsetzung der UN-Resolution 1244 über Kosovo und Metohija. Rußland
unterstützt Serbien auch bei der Durchsetzung des Dayton-Friedensabkommens über
Bosnien und weist Versuche zurück, es zu Lasten der Serbischen Republik zu
revidieren.
Für Entwicklungsprojekte in Serbien gewährt Rußland zinsgünstige Kredite über
fünf Milliarden Dollar. Mit der Erdgas-Pipeline »South Stream« durch Serbien
wird die Energiesicherheit in Europa garantiert und zugleich die geopolitische
Position Serbiens gestärkt. Die EU-Mitgliedschaft ist für Serbien keineswegs
alternativlos – es kann auch als neutrales Land ein guter und prosperierender
Nachbar der EU sein. Serbien braucht den weiteren Ausbau der Beziehungen zu
Rußland, China, Indien und allen anderen Ländern, die keine politischen
Vorbedingungen stellen und die Serbiens Souveränität und territoriale
Integrität unterstützen. Ein Grundsatz ist besonders wichtig: Serbien braucht
andere Partner genauso, wie sie Serbien brauchen – nicht mehr, aber auch nicht
weniger.
http://www.jungewelt.de/2014/01-06/025.php
Kommentar zu den Ausführungen von Z. Jovanovic durch Brigitte
Queck :
Den meisten Positionen von Z. Jovanovic stimme
ich unbedingt zu.
Nur in der Haltung zum
EU-Beitritt stimme ich mit Z. Jovanovic überhaupt nicht überein.
Doch gerade das sind
m.E. schwerwiegende Probleme für Serbien !!
Genau wie heute in der
Ukraine, meinen manche Politiker, aber auch mehrere Menschen dort, dass ein EU- Assoziierungsabkommen mit
dem Westen ihnen vor allem von
ökonomischem Nutzen sei.
Dass dieses aber
keinen Vorteil für die dort lebenden Menschen bringt, sondern ganz im Gegenteil
und sich hinter diesem
EU-Assoziierungsabkommen militärische westliche Interessen verbergen, ja die
militärischen Komponenten sogar in dem 1000-seitigem Papier eingebaut sind, die
einer faktischen Zustimmung zur NATO gleichkommen (!!)
legen 2 amerikanische
Professoren der New York University und der Oxford- University, sowie ein
geopolitischer Analytiker am 5.2.2014 in RT live.com dar.
Quelle:
5.2.14
RT live. www.rt.com Diskussion über Thema:
„New Cold War?“
http://rt.com/shows/crosstalk/cold-war-west-russia-667/
Z.
Jovanovic, aber auch gewisse Menschen in der Ukraine, sollten sich das
Interview genau anschauen und dann vielleicht ihre pro- EU-Position überdenken
!!