Tagesdosis 7.6.2019
Italien:
Steht die nächste Euro-Krise vor der Tür?
Ein Kommentar von Rainer Rupp.
Nur wer ganz fest die Augen verschlossen hat, hat
nicht gemerkt, dass sich seit Jahren eine neue Euro-Krise zusammenbraut. Es war
nie eine Frage des „ob“, sondern nur des „wenn“ und was oder welches Land der
Auslöser sein würde. Nun scheint der Augenblick gekommen zu sein. Diejenigen,
die ihre Wette auf Italien platziert haben, scheinen den besseren Riecher
gehabt zu haben. Begünstigt wird die neue Krise durch das Wahlergebnis des so
genannten „Europa Parlaments“, das die EU-skeptischen Kräfte gestärkt hat, vor
allem in Italien.
Obwohl der sündhaft teure Debattierklub in
Brüssel und Straßburg so gut wie keine Rechte und Befugnisse hat, die bei einem
nationalen Parlament selbstverständlich sind, haben die Wahlen den bisher in Brüssel
dominierenden Parteienklüngel durcheinander gewirbelt. Dadurch dürfte der
bisherige, neoliberale Konsens der abgehobenen Eurokraten und deren politische
Handlungsfähigkeit in der entscheidenden Auseinandersetzung mit der
aufmüpfigen, italienischen Regierungskoalition geschwächt werden. Dazu meinte
George Lagarias, Chef-Ökonom der international operierenden
Finanzberatungsfirma „Mazars“:
„Insgesamt ist der populistische Fußabdruck
im Europäischen Parlament größer geworden. Dadurch werden die Zentrifugalkräfte
verstärkt, die weitere europäische Integration wird behindert und
möglicherweise die Belastung des Euro erhöht“ (1)
Während der letzten Euro-Krise hatte die
EU-Kommission in Brüssel und die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt
leichtes Spiel mit den schwachen, kleineren Mitgliedsländern wie z.B.
Griechenland und Portugal gehabt. In der neuen Krise hat jedoch Italien, das
nach Deutschland und Frankreich die drittstärkste Wirtschaftsmacht der Eurozone
ist, die Oberhand, falls die EU einen Finanzkrieg gegen Rom führen will. Aber
genau danach sieht es derzeit aus.
Weil sich Italien nicht der von Brüssel
verordneten Austeritätsformel von einem maximalen Haushaltsdefizit von 3% des
Bruttoinlandsproduktes fügen will, will die Europäische Kommission –
unterstützt von dem im Hintergrund agierenden Berlin – ein Disziplinarverfahren
Verfahren gegen Rom einleiten, das die Italiener bis zu 3 Milliarden Euro
Strafe kosten könnte.
Dagegen stemmt sich der neue starke Mann Italiens, Innenminister und
stellvertretender Ministerpräsident Matteo Salvini. Er fordert eine Änderung
der Austerität-Haushaltsregeln der EU. Diese haben sich nicht nur ökonomisch
als absolut untauglich erwiesen, sondern auch in den von der Krise besonders
betroffenen Ländern wirtschaftliche und gesellschaftliche Verheerungen
angerichtet haben, die man sonst nur aus Kriegszeiten kennt, siehe z.B.
Griechenland.
Selbst die deutsche Tageszeitung „Die Welt“
schrieb diese Woche (am 4. 6. 19.), dass „anders als andere Ökonomien
Italien nicht erkennbar von der Mitgliedschaft in der Währungsunion profitiert“
habe (2). Vor allem seit der Finanzkrise sei die die Schwäche der Südeuropäer
immer offensichtlicher geworden. So träten die Aktien an der Mailänder Börse
seit zehn Jahren auf der Stelle. Und während sich andere große
Volkswirtschaften Europas Dank der Geldvervielfältigungspolitik der EZB für
einen Zins von null oder sogar zu negativen Zinsen verschulden können, zahlt
Italien 2,6 Prozent für Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit.
Salvini, dessen rechtskonservative Liga-Partei am
Sonntag bei den so genannten „Europawahlen“ einen überwältigenden Sieg davon
getragen hat, fühlt sich daher in seinem EU-kritischen Kurs bestärkt. Er
versprach bei der Siegesfeier, dass er „alle Kräfte“ einsetzen werde, „um gegen
veraltete und unfaire europäische Haushaltsregeln der EU zu kämpfen“, denn
diese seien für den aktuellen Zustand der Wirtschaft im Land verantwortlich.
Kein Wunder also, dass man sich in Eurokraten-Kreisen angesichts der trotzigen
Regierung in Rom schnell einig war, Italien weiter zu isolieren und bei dem
neuen EU-Rennen um Brüsseler Spitzenjobs auszuschließen.
Mit seinem anti-EU Kurs tritt Salvini inzwischen
bei fast zwei Drittel der Italiener offene Türen ein. Denn in der Masse des
Volkes scheint sich die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass sich nach dem
Ende der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) vieles zum Schlechteren
verändert hat. Immer mehr Italiener geben daher die Schuld für den sozialen und
wirtschaftlichen Niedergang ihres Landes den neuen Regeln und Vorschriften des
neoliberalen Projekts der „Europäischen Union“ (EU). Letztere waren der
italienischen Bevölkerung von den eigenen „Eliten“ mit schönen Versprechungen
untergejubelt worden.
Mit Italiens Mitgliedschaft in der Währungsunion
(Euro) wurde dann der Kurs in die Krise, Stagnation und Niedergang endgültig
besiegelt. Denn das italienische Parlament musste sein Rechte bezüglich der
Gesetzgebung in nationalen und internationalen Handelsfragen zum Wohl der
italienischen und internationalen Finanzeliten an Brüssel abgeben. Damit nicht
genug, auch in Fragen der Geldpolitik hat nicht mehr Rom, sondern Brüssel das
Sagen. Inzwischen bestimmt Brüssel auch schon über viele wichtige Aspekte des
Staatshaushalts, welches das vornehmste Recht eines jeden nationalen Parlaments
ist.
Um die darniederliegenden regionalen
Wirtschaftskreisläufe in den vielen Krisenregionen Italiens wieder in Gang zu
bringen, plant die Regierungskoalition aus der rechts-konservativen Lega und
der mitte-links stehenden Fünf Sterne Bewegung mit höheren Renten und
Sozialausgaben und Aufträgen für die lokale Industrie den Konsum und die
Wirtschaftsaktivitäten anzuschieben. Da die Regierung eine Steuererhöhung
ausschließt, kann der Konjunkturplan nur durch neue Schuldenaufnahme finanziert
werden. Dagegen aber sperrt sich die EU-Kommission, weil dadurch die sogenannte
„EU-Schuldenbremse“ überschritten würde, die die jährliche Neuverschuldung mit
maximal 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) begrenzt.
Unter Verweis darauf, dass die italienische
Staatsverschuldung bereits auf etwa 135 Prozent des BIP angewachsen ist, – das
ist mehr als doppelt so hoch wie die von der EU eingezogene Obergrenze von 60
Prozent des BIP – hat die EU-Kommission am vergangenen Mittwoch das bereits
erwähnte Disziplinierungsverfahren gegen Italien eingeleitet, bei dem Rom eine
Geldbuße bis zu 3 Milliarden Euro droht. Zugleich hat die Europäische
Zentralbank ihre Käufe von neuen staatlichen Schatzbriefen der Italiener
weitgehend eingestellt, was heißt, dass die EZB dabei ist, der Regierung in Rom
den Euro-Geldhahn abzudrehen. Genau mit dieser Masche hatte die EZB einige
Jahre zuvor in Griechenland die damals neue, linke Syriza-Partei in die Knie
gezwungen.
Salvini scheint von dieser massiven
Kriegserklärung aus Brüssel jedoch wenig beeindruckt. Vielmehr zeigt er sich
fest entschlossen, eine alternative Parallelwährung zum Euro als Geheimwaffe
gegen die EZB und Brüssel einzusetzen. In Griechenland hatte Yanis Varoufakis
während seiner kurzen Zeit als griechischer Finanzminister 2015 eine ähnliche
Strategie verfolgt. Aber angesichts der massiven, finanziellen
„Endzeitdrohungen“ der Troika aus EU-Kommission, EZB und Internationalem
Währungsfonds (IWF) bekam er Angst vor seiner eigenen Courage. Er tat nichts
und musste dann der Fledderung der griechischen Wirtschaft durch ausländische
Schnäppchenjäger hilflos zusehen.
Aber Italien ist nicht Griechenland. Die
Regierungspläne zur Einführung der neuen Parallelwährung zum Euro scheinen weit
fort geschritten. Wenn die EZB der Regierung in Rom tatsächlich den Geldhahn
zudreht, dann wird sie einfach eigene Schuldscheine, so genannte Mini-Bots,
herausgeben. Mit diesen Mini-Bots will sie z.B. die Löhne und Gehälter
staatlicher Arbeiter und Angestellter oder Rechnungen von Lieferanten bezahlen.
Zugleich können Bürger und Unternehmen mit den Mini-Bots alle an den Staat zu
leistende Zahlungen, z.B. Steuern begleichen.
Mit einem Kunstgriff kann man die Mini-Bots bei
Bürgern und Unternehmen im Inland sogar besonders attraktiv machen. Ein
Beispiel: Der Staat setzt den offiziellen Kurs von Mini-Bot zu Euro auf einen
Verhältnis von 1 zu 1, d.h. ein Euro ist gleich ein Mini-Bot. Statt wie bisher
1000 Euro Monatslohn bekommt der Staatsdiener jetzt 1000 Mini-Bots. Zugleich
gibt der Staat jedoch einen Preisnachlass, wenn er in Mini-Bots bezahlt wird. Wenn
z.B. ein Unternehmen eine Steuer von 10.000 Euro bezahlen muss, braucht es bei
einem Preisnachlass von 5 % nur 9.500 Mini-Bots zu zahlen.
Vor 10 Jahren hatte der US-Bundesstaat Kalifornien
seine eigene Finanzkrise. Die Banken wollten ihm nur noch zu horrenden
Zinsen Geld leihen. In der Not führte der Staat Kalifornien eine mit den
Mini-Bots vergleichbare Parallelwährungen über einen Zeitraum von etlichen
Jahren ein und machte gute Erfahrungen damit (3). Bei entsprechendem
Preisnachlass war die Parallelwährung sogar ziemlich begehrt und ein reger,
börsenartiger Handel entstand. Tatsächlich kann der Staat damit einen Teil seines
Finanzbedarfs selbst decken und sich in Krisenzeiten unabhängiger von den
Finanz- und Geldmärkten machen.
Da vor einem Jahr die Mehrheit der Italiener noch
gegen einen Austritt Italiens aus dem Euro waren, seither aber viele ihre
Meinung geändert haben, könnte ein Erfolg bei der Einführung der Mini-Bots den
Weg für einen kompletten Ausstieg aus der Eurozone ebnen. Genau das befürchten
viele Eurokraten, deren Experten sich alarmiert zeigen. „Sind die neuen
Mini-Bots erst einmal im Umlauf, könnten sie schnell als Zahlungsmittel
verwendet werden. Offenbar ist genau das, das Ziel der italienischen
Regierung“, schrieb „Die Welt“ in ihrem bereits erwähnten Artikel und führte
weiter aus:
„Würden sich Mini-Bots in der italienischen
Wirtschaft verbreiten und würden sie von Firma zu Firma und Bürger zu Bürger
weitergegeben, könnte der italienische Staat sein eigenes Geld schöpfen. Mit
der Zeit würden die neuen Gutscheine am Markt gehandelt und zu einem
(vermutlich niedrigeren) Kurs zum Euro notieren. Es wäre der Anfang eines
schleichenden Ausstieg Italiens aus dem Euro“.
Die große Befürchtung der Eurokraten ist, dass
bei einer Gesamtverschuldung von 2,3 Billionen Euro Italien über ein enormes
Drohpotenzial gegenüber den europäischen Finanzmärkten verfügt. Obwohl der Großteil
der italienischen Staatschulden inländische Schulden sind, würde eine
Zahlungsunfähigkeit des Staates die europäischen Banken und Finanzinstitute
extrem erschüttern. „Allein die Androhung einer Parallelwährung könnte die
Euro-Zone destabilisieren“, heißt es daher weiter in „Die Welt“.
Offen ist noch, ob Salvini tatsächlich die
Mini-Bots-Parallelwährung zum Euro einführen will, oder ob die Mini-Bots nur
als Drohmittel gegen das anstehenden Defizitverfahren der EU-Kommission
eingesetzt werden sollen? Er könnte versuchen, damit die EU zu zwingen, ihre
Regeln flexibler zu gestalten, was jedoch auf eisernen Widerstand aus Berlin
treffen würde. Ebenfalls offen ist, ob Salvini für seine Mini-Bots-Pläne
tatsächlich eine parlamentarische Mehrheit finden wird. Denn das erste
zustimmende Abstimmungsergebnis im Parlament zu den Mini-Bots vor einer Woche
hat keine bindende Gesetzeskraft sondern war nur eine Art unverbindliche
Empfehlung an die Regierung.
Allerdings ist Euro-Gegner Claudio Borghi, der
nicht nur Salvinis wichtigster Berater sondern der einflussreichste
Wirtschaftsspezialist der Lega ist, einen glühender Kämpfer für die Einführung
einer Parallelwährung in Italien. Berichten zufolge hat Borghi schon vor zwei
Jahren gesagt, dass in dem Moment, in dem man entscheidet, aus dem Euro
auszutreten, die Mini-Bots zum Bargeld der neuen Währung werden. Um den
Euro-Exit zu erreichen, müsse man ihn nur „in einzelne Schritte zerlegen“, habe
Borghi damals betont.
Unterstützung erhält Borghi von Alberto Bagnai,
Präsident des Finanzausschusses im Senat von Rom. Borghi ist Präsident des
Haushaltsausschusses im Unterhaus des italienischen Parlaments. Damit haben
beide eine wichtige politische Plattform, auf der sie für ihre Vorschläge
werben können.
Für die ohnehin nur noch dahin stolpernde EU sind
die Entwicklungen in Italien weitaus gefährlicher als der drohende Exit der
Briten
Quellen: