Professor Ilan Pappé: Israel hat sich dafür entschieden,

ein von den USA unterstützter "rassistischer Apartheid-Staat" zu sein

 

Interview von Democracy now mit Professor Ilan Pappé am 28.07.2014

 

Darüber, dass die Zahl der im Gaza-Streifen getöteten Palästinenser bereits wieder aufüber 1.000 angestiegen ist, haben wir auch mit dem israelischen Professor und HistorikerIlan Pappé in Haifa gesprochen. "Ich denke, Israel hat 2014 die Entscheidung getroffen,dass es lieber ein rassistischer Apartheid-Staat als eine Demokratie sein will," sagt Pappé. "Israel hofft, dass die USA seine Entscheidung unterstützen und es immun gegen mögliche Folgen einer Politik machen werden, die in der unbegrenzten Bekämpfung der Palästinenser besteht."

 

Pappé, ein Professor für Geschichte und der Direktor des Europäischen Zentrums für Studien über Palästina an der Universität Exeter (in Großbritannien) hat mehrere Bücher geschrieben, zuletzt das Buch "The Idea of Israel: A History of Power and Knowledge" (Die Idee Israel: Eine Geschichte über Macht und Einsicht, s. http://www.globalresearch.ca/the-idea-of-israel-a-history-of-power-and-knowledge/5378857 ).

 

Das ist eine schnell erstellte Erstfassung, die sich noch verändern kann.

 

AMY GOODMAN: Im Rahmen unserer Berichterstattung über Gaza sprechen wir jetzt in Haifa in Israel mit Ilan Pappé, der Professor für Geschichte und Direktor des Europäischen Zentrums für Studien über Palästina an der Universität Exeter in Großbritannien ist. Er hat mehrere Bücher geschrieben, zuletzt das Buch "The Idea of Israel: A History of Power and Knowledge"; er wird DEMOCRACY NOW! jetzt per Videostream aus Haifa zugeschaltet.

Herzlich willkommen bei DEMOCRACY NOW!, Professor Pappé. Bis jetzt sind nach meiner Kenntnis mehr als 1.000 Palästinenser, 45 israelische Soldaten und drei israelische Zivilisten getötet worden. Was können Sie uns zum Stand der Verhandlungen über eine Waffenruhe sagen, und was müsste Ihrer Meinung nach geschehen?

ILAN PAPPÉ: Es ist gut, Amy, dass ich in ihrer Sendung zu Wort komme. Es gibt keinerlei Anzeichen für eine baldige Waffenruhe bei den Bodenkämpfen. Es laufen aber weiterhin zwei konkurrierende Initiativen: Die ägyptisch-israelische Initiative, mit der die Hamas zur Rückkehr zum vorherigen Zustand und zur Aufgabe sämtlicher Ziel, für die sie kämpft, veranlasst werden soll, und eine ernsthaftere Initiative des US-Außenministers John Kerry, der gemeinsam mit Katar und der Türkei einige der Ursachen für den jüngsten Gewaltausbruch anzugehen versucht. Bis jetzt hat aber noch keine der beiden Initiativen Wirkung erzielen können, abgesehen von einem im Vergleich mit den vergangen 20 Tagen leichten Rückgang (der Kampftätigkeit).

AMY GOODMAN: Es gab Proteste in Tel Aviv. Wie viele Leute haben sich an diesen Protesten, und an denen, die an diesem Wochenende in Haifa stattfanden, beteiligt? Waren Sie auch beim Protest in Haifa, Professor Pappé?

ILAN PAPPÉ: Ja, Ja, ich war da. In Haifa haben etwa 700 Menschen protestiert. In Tel Aviv waren es 3.000. Ich sollte aber erwähnen, dass die Protestierenden zum größten Teil palästinensische Bürger Israels waren. Die Anzahl der israelischen Juden, die mutig genug sind, um auf der Straße zu demonstrieren, ist viel kleiner, als diese Zahlen vermuten lassen. Und sie wurden von rechten Gegendemonstranten und der Polizei sehr brutal angegangen.

AMY GOODMAN: Was sollten Ihrer Meinung nach die Menschen unbedingt wissen, um diesen Konflikt verstehen zu können?

ILAN PAPPÉ: Ich denke, am wichtigsten sind die historischen Zusammenhänge. Die Berichte der Mainstream-Medien über die Situation in Gaza vermitteln den Eindruck, alles habe mit den unsinnigen Raketenangriffen der Hamas auf Israel begonnen. Zwei vorausgegangene wichtige Entscheidungen israelischer Regierungen werden einfach unterschlagen. Die jüngste erfolgte erst kurz vorher im Juni 2014, als man beschlossen hat, den politischen Einfluss der Hamas auf die West Bank gewaltsam zu reduzieren und mit allen Mitteln eine internationale Kampagne zu verhindern, mit der die (aus Fatah und Hamas gebildete) palästinensische Einheitsregierung gegen Israel in Gang bringen wollte. (http://www.spiegel.de/politik/ausland/einheitsregierung-in-palaestina-abbas-vereidigt-expertenkabinett-a-972909.html

Und der tiefere historische Zusammenhang ist die Tatsache, dass der Gaza-Streifen seit2005 ein Gefängnis ist, in das die dort lebenden Menschen wie Kriminelle eingesperrt sind; dabei besteht ihr einziges "Verbrechen" darin, dass sie Palästinenser sind und sich in einer geopolitischen Lage befinden, mit der Israel nicht vernünftig umzugehen weiß. Und immer, wenn die Menschen in Gaza demokratisch jemanden gewählt haben, der versprochen hat, sich gegen diese Ghettoisierung und Belagerung zur Wehr zu setzen, hat Israel sofort mit militärischer Gewalt reagiert. Das ist der größere historische Zusammenhang; man muss den Leuten die verzweifelte Situation der Palästinenser erklären, dann verstehen sie auch, warum die sich daraus befreien wollen. Darüber haben wir uns bereits in einem früheren Interview unterhalten. Das ist der Kern des Problems, das durchaus lösbar ist. Man kann es lösen, wenn man die Belagerung lockert und den Menschen in Gaza Kontakte zu ihren Brüdern und Schwestern im Westjordanland ermöglicht; man muss ihnen auch erlauben, Verbindungen zur übrigen Welt aufzunehmen und die unhaltbaren, an keinem anderen Ort der Welt herrschenden Verhältnisse ändern, unter denen sie leben müssen.

AMY GOODMAN: Professor Pappé, am Wochenende hat der BBC-Korrespondent Jon Donnison berichtet, die israelische Polizei habe zugegeben, dass die Hamas nicht für den Tod der drei israelischen Jugendlichen verantwortlich sei, die im Juni auf der West Bank ermordet wurden. Über Twitter hat Donnison verbreitet, Micky Rosenfeld, ein Sprecher der israelischen Polizei, habe ihm mitgeteilt, die Mörder der drei Jugendlichen hätten einer der Hamas nahestehenden Zelle angehört, aber nicht in deren Auftrag gehandelt. Was hat das zu bedeuten?

ILAN PAPPÉ: Das ist sehr wichtig, weil die israelische Polizei das sofort wusste, als sie von der Entführung und Ermordung der drei jungen Siedler erfuhr (s. dazu auch http://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_13/LP10614_220714.pdfhttp://www.luftpost-kl.de/luftpost- archiv/LP_13/LP10614_220714.pdf ).

 

Damit ist klar, dass Israel nur nach einem Vorwand suchte, um seine Militäreinsätze im Westjordanland und im Gaza-Streifen zu rechtfertigen; der israelischen Regierung ging es nur darum, die Situation vor dem erfolglosen Friedensprozess wieder herzustellen, um ihre Politik nicht ändern zu müssen und die Besiedlung der West Bank fortsetzen zu können (s. dazu auch http://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_13/LP10914_250714.pdf ).

Die Enttäuschung, die sich nach den gescheiterten Friedensverhandlungen im Mai 2014 im Westjordanland ausbreitete (s. http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-04/israel-hamas-fatah-friedensgespraeche ) und die Wut über die Tötung fünf junger Palästinenser durch die israelische Armee könnten Gründe für die Einzelaktion der Entführer gewesen sein, die nicht der Hamas angelastet werden kann.

Die Hamas zeigte sich nämlich kompromissbereit, als sie gemeinsam mit Abu Mazen (von der Fatah, s. http://de.wikipedia.org/wiki/Mahmud_Abbas ) eine Einheitsregierung bildete und dessen Initiative unterstützte, Israel vor den Vereinten Nationen und anderen internationalen Gremien wegen seiner über 46jährigen Siedlungs- und Besatzungspolitik zu verklagen.

 

Die israelische Regierung brauchte also nur einen Vorwand für das Blutbad, das sie jetzt wieder im Gaza-Streifen anrichtet.

AMY GOODMAN: Noch eine Schlussfrage, Professor Pappé: Sie haben jahrelang in Israel gelehrt, Israel dann aber verlassen, um an der Universität Exeter in Großbritannien zu lehren.

Jetzt sind Sie nach Haifa zurückgekehrt. Hat sich Ihr Land verändert?

ILAN PAPPÉ: Ja, aber unglücklicherweise zum Schlimmeren. Ich glaube, dass Israel an einem Scheideweg angelangt ist und dass die israelische Regierung bereits beschlossen hat, welchen Weg sie einschlagen will. Sie musste sich entscheiden, ob Israel eine Demokratie oder in Anbetracht der herrschenden Realität ein rassistischer Apartheid-Staat sein soll. Meiner Meinung nach hat sich die israelische Regierung 2014 für den rassistischen Apartheid-Staat und gegen die Demokratie entschieden; sie hofft, dass die USA ihre Entscheidung unterstützen und Israel immun gegen mögliche Folgen einer Politik machen werden, die in der unbegrenzten Bekämpfung der Palästinenser besteht.

AMY GOODMAN: Was sollten Ihrer Meinung nach die USA tun?

ILAN PAPPÉ: Nun, die USA sollten Israel an den grundlegenden Prinzipien einer Demokratie messen und erkennen, dass sie vorbehaltlos ein Regime unterstützen, das systematisch die Menschen- und Bürgerrechte aller Nichtjuden zwischen dem Fluss Jordan und dem Mittelmeer verletzt. Wenn die USA auch weiterhin ein solches Regime unterstützen wollen, wie sie das in der Vergangenheit getan haben, ist das ihre Sache; wenn sie aber eine andere Botschaft in den Nahen und Mittleren Osten senden wollen, dann müssen sie mehr  für die Menschenrechte und die Bürgerrechte der Palästinenser tun. (Wir haben die Niederschrift des Interviews komplett übersetzt und mit Ergänzungen und Links in Klammern versehen.

Quellen: www.luftpost-kl.de

VISDP: Wolfgang Jung, Assenmacherstr. 28, 67659 Kaiserslautern 6/6 und http://www.democracynow.org/2014/7/28/professor_ilan_pappe_israel_has_chosen )