*Warum
ich Gregor Gysi konfrontiert habe*
von David Sheen am 19.11.2014
In der vergangenen Woche waren die deutschen Medien
voller Artikel, die mich und meinen Kollegen Max Blumenthal der Verbreitung von
Judenhass bezichtigt haben. Diese haltlosen Anschuldigungen sind nicht nur
diffamierend, sondern stellen auch eine echte Bedrohung für meine Sicherheit
dar, da ich in Israel lebe, wo Dissidenten als "Zerstörer Israels"
gebrandmarkt werden und oft Opfer von Vergewaltigungsdrohungen undgewaltsamen
körperlichen Angriffen werden.
Trotz des gezielten Versuches, uns zu verleumden und unsere Veranstaltungen
in Berlin zu verhindern, haben wir im Bundestag- dem deutschen Parlament- über
die Angriffe Israels auf Gaza im vergangenen Sommer und die Anstiftung zu
rassistischer Gewalt von führenden israelischen Politikern (Anm. Im Original
"leaders". Sheen meint damit wahrscheinlich auch z.B. die rechtsextremen
Rabbiner) ausgesagt.
Nachdem wir unser Zeugnis abgelegt haben, haben wir
ein führendes Mitglied des deutschen Bundestags konfrontiert, das die
Verleumdungskampagne gegen uns öffentlich unterstützt hat. Im Angesicht dieses
Debakels werden Max und ich wahrscheinlich in Zukunft nicht mehr den Bundestag
betreten dürfen.
Ich werde das mögliche Hausverbot für den Bundestag vielleicht nicht als eine Errungenschaft
in meinem Lebenslauf anführen, auf die ich besonders stolz wäre, aber ich
schäme mich sicher nicht dafür oder für meine Handlungen die dazu geführt
haben. Ich habe einem 66-jährigen Parlamentarier den Flur seines Büros entlang
nachgestellt, und bin ihm bis zu einem zufälligen Raum gefolgt, der sich als
Toilette herausgestellt hat, und bin nicht zurückgewichen, als er mich zwischen
Tür und Türrahmen gedrängt (?) hat. Die ganze Zeit habe ich ihn dazu aufgefordert,
mit mir den Dialog zu suchen und zu seinen Handlungen in den vergangenen Tagen
Stellung zu nehmen.
Ich verstehe, wieso einige Personen -ohne irgendwelches Wissen über die
Ereignisse, die vor diesem Zwischenfall geschehen sind- es als unangenehm empfinden
könnten, dieses Video von mir zu sehen, in dem ich einen 66 Jahre alten Mann in
einem Anzug verfolge, der offensichtlich kein Interesse daran hat, Worte mit
mir auszutauschen, ganz gleich in welcher Sprache. Aber um meiner Reputation,
um meiner Sicherheit, um der Sicherheit meiner Familie, um der Sicherheit
anderer Jüdinnen und Juden, die es wagen, den grassierenden Rassismus in der
israelischen Gesellschaft zu kritisieren willen, und um der Palästinenserinnen
und Palästinenser und der anderen, die das Gleiche tun willen-habe ich mich
dazu veranlasst gefühlt, diesen Mann von Angesicht zu Angesicht zu
konfrontieren, wenn auch nur für einen Moment.
Die Abfolge der Ereignisse (Link:http://electronicintifada.net/blogs/ali-abunimah/video-german-politician-hides-toilet-truth-about-israel ), die zu dieser Konfrontation führte, begann, als
Blumenthal und ich selbst von linken deutschen Parlamentarierinnen eingeladen
wurden, um nach Berlin zu kommen und über die israelischen Angriffe auf Gaza im
vergangenen Sommer und die Anstiftung zu rassistischer Gewalt durch führende
israelische Politiker.
Natürlich verstehe ich nur zu gut, dass diese linken Abgeordneten Max und mich
nicht deswegen in den Bundestag eingeladen haben, weil wir die einzigen Journalisten
in der Welt sind, die über diese Dinge berichten. Viele palästinensische Journalisten
haben schon lange in großem Maß über diese Themen geschrieben und hätten
mindestens genau so kompetent wie wir vortragen können, wenn nicht sogar noch kompetenter.
Nein, seien wir ehrlich- Max und ich wurden auch ausgewählt, weil wir Juden
sind.
Nicht-jüdische Kritiker Israels werden oft beschuldigt, vom Judenhass motiviert
zu sein, ob es für diese Beschimpfungen substantielle Beweise gibt oder nicht. Aber
indem sie einen jüdischen Kritiker Israels einladen- oder noch besser, einen
jüdisch israelischen Kritiker Israels- , über israelische Verbrechenzu sprechen,
hoffen nicht-jüdische Kritiker Israels darauf, sich selbst vor diesen
schädlichen Anschuldigungen zu schützen.
Ich glaube nicht, dass alle nicht-jüdischen Kritiker Israels durch Judenhass
motiviert sind. Außerdem möchte ich, dass Menschen außerhalb Israels über den
schrecklichen Rassismus, der die israelische Gesellschaft durchdringt, Bescheid
wissen, damit wir ihn bekämpfen können- weil wir offensichtlich nicht selbst dazu
in der Lage sind, diesen zu beenden. Während ich also nicht mein Jüdischsein
oder Israelisein verkünde, um Einladungen für Vorträge zu erhalten, werde ich
solche Einladungen aber annehmen- auch wenn ich den Verdacht habe, dass sie zum
Teil durch unsere Identität motiviert sind.
Aber ich werde nicht dazu einwilligen, als Weichziel für haltlose
Anschuldigungen von Antisemitismus durch opportunistische Politiker zu dienen, die
um die Gunst der israelischen Regierung und ihrer Unterstützer werben. Ebensowenig
willige ich dazu ein, ein "Juden-Schild" oder
"Israeli-Schild" zu spielen, um opportunistische Politikerinnen aus
der Linkspartei vor Angriffen zu schützen, die wollen, dass ich öffentlich über
Israels Verbrechen in ihrem Heimatterritorium spreche, aber sich weigern, mich
öffentlich zu unterstützen, wenn ich die giftigen Vorwürfe ertragen muss, die
sie selbst zu vermeiden gehofft haben.
Am Vorabend meines Fluges nach Deutschland orchestrierte ein von Sheldon
Adelson finanzierter Publizist eine Kampagne um meine und Max' Vortragstermine
in Berlin abzusagen. Der Journalist der Jerusalem Post, Ben Weinthal,
überredete die deutschen Abgeordneten Volker Beck und Petra Pau, Max und mich
zu denunzieren. Er behauptete, dass wir mit unserer Arbeit Antisemitismus verbreiten
würden. Der hochrangige linke Abgeordnete Gregor Gysi schloss sich dieser
öffentlichen Kampagne an, und verkündete, dass es uns nicht erlaubt wäre, im
Bundestag zu sprechen.
Während eine deutsche Zeitung nach der anderen diese widerlichen Anschuldigungen
aus Weinthals Hasbara-Hetzartikel wiederholte, wartete ich mehrere Tage darauf,
dass die Parlamentarierinnen die uns in den Bundestag eingeladen hatten, Inge
Höger und Annette Groth, diese skandalösen Beschimpfungen zu widerlegen. Ich
flehte sie wiederholt an, eine Pressemitteilung herauszugeben, die mich und Max
öffentlich verteidigen würde. Nach mehreren Tagen haben sie schließlich zugestimmt-
aber nur, nachdem Max und ich im Bundestag gesprochen haben. Trotz meiner Vorbehalte
lieferten Max und ich unsere Vorträge im Parlament ab, aber es wurde danach
keine Pressemitteilung, wie (eigentlich) versprochen, herausgegeben.
Diese Umstände ließen mir keine andere Wahl, als meine Beschuldiger zu konfrontieren.
Am Ende unserer Vorträge rief Max die Zusammengekommenen dazu auf, sich uns anzuschließen
und Gregor Gysi zu konfrontieren, und dieser Aufruf wurde von vielen unter den
Zuhörern applaudiert. Eine Gruppe von uns ging dann zu seinem Büro, und war
bereit mit ihm höflich zu sprechen und ihm die Folgen seines leichtsinnigen
politischen Manövers zu erklären. Er weigerte sich jedoch, aus seinem Büro zu
kommen und uns nicht mal für eine Minute zu treffen. Als er schließlich
herauskam, schritt er an uns in zügigem Tempo vorbei und- nun, Sie haben wahrscheinlich
den Rest gesehen- ich folgte ihm und forderte ihn auf, seine Verantwortung für
die Nachwirkungen, mit denen ich als Ergebnis seiner Handlungen zu tun haben
würde, zu übernehmen.
(Ich habe die Aufnahmen später auf YouTube hochgeladen, damit es eine öffentliche
Aufzeichnung des Ereignis gibt, und ich nicht beschuldigt werde, Dinge getan zu
haben, die ich nicht getan habe )
Wie ich einem örtlichen Journalisten, der die gesamte Episode gefilmt hatte, erklärte,
geht es nicht darum, dass mein Ego eine Schramme abbekommen hätte. Weil ich
jahrelang den staatlich geförderten israelischen Rassismus aufgedeckt habe, vor
allem gegenüber afrikanischen Flüchtlingen, werde ich als "Zerstörer Israels"
verleumdet und auf den Straßen Tel Avivs körperlich angegriffen. Zu unzähligen
Gelegenheiten haben wütende Israelis dazu aufgerufen, mich und meine Familie zu
vergewaltigen, durch Gruppen zu vergewaltigen, zu verstümmeln und zu ermorden.
Während dies geschieht, stehen durchschnittliche Israelis nur daneben und
Polizeibeamte schauen einfach weg. Leider bin ich die Anschuldigungen von Antisemitismus
und die Drohungen und Angriffe, die darauf folgen, schon gewöhnt.
Es ist verachtenswert wenn irgendeine Person, und dann auch noch ein Deutscher,
mit haltlosen Unterstellungen einen Kritiker Israels verleumdet und der "Verbreitung
von Antisemitismus" bezichtigt, vor allem wenn diese Person jüdisch oder
sogar israelisch ist. Aber im jetzigen Klima, in dem Israelis ihre Jobs
verlieren und auf der Straße verprügelt werden, wenn sie es wagen, die Angriffe
auf Gaza und das Regime ethnischer und religiöser Trennung zu verurteilen, ist
es eine Aufforderung für einen körperlichen Angriff, jemanden auf diese Weise
zu bezeichnen.
Darüberhinaus ist es ein widerwärtiger Versuch, Widerspruch
zu unterdrücken und palästinensische und andere nicht-jüdische Menschen in den
Gebieten, die von Israel kontrolliert werden, zu andauernder Unterdrückung und
Leid zu verurteilen.
Um meiner selbst willen, um meiner Familie willen, um meiner Freunde und um meiner
Mitmenschen in Israel und Palästina willen- ich werde nicht schweigen, nicht
jetzt und niemals.
Quelle: http://martin-lejeune.tumblr.com/post/102948652296/warum-ich-gregor-gysi-konfrontiert-habe