Israel

Netanjahu abservieren - Parlamentswahlen in Israel
von Moshe Zuckermann, 19.09.2019

Bei den israelischen Parlamentswahlen ist es weder dem amtierenden Premier Benjamin Netanjahu, Vorsitzender der Likud-Partei, noch seinem Herausforderer Benny Gantz, Vorsitzender des Parteienkonglomerats Blau-Weiß, gelungen, einen Gesinnungsblock zu bilden, der sie befähigte, eine handlungsfähige Regierung aufzustellen. Die Abstimmung ist zum zweiten Mal in diesem Jahr unentschieden ausgegangen. Sowohl Netanjahu als auch Gantz könnten eine Koalition mit Israel Beiteinu, der Partei Avigdor Liebermans, eingehen, um eine regierungsfähige Mehrheit zu erlangen. Lieberman würde somit zum Königsmacher avancieren. Er aber besteht darauf, dass eine aus Likud, Blau-Weiß und Israel Beiteinu zusammengesetzte große Koalition gebildet werde.

Gleichwohl ist diese nicht einfach zu haben: Benny Gantz würde im Falle einer solchen Koalition den Posten des Premierministers beanspruchen, was Netanjahu nicht zulassen kann. Lieberman selbst besteht darüber hinaus darauf, dass diese große Koalition »säkular« bleibe, also ohne Beteiligung der religiösen Parteien. Diese aber bilden einen unentbehrlichen Bestandteil im rechten, national-chauvinistischen Block Netanjahus. Ideologisch betrachtet gehört der rechtsextreme, araberfeindliche Lieberman eigentlich zum Lager Netanjahus, war mithin über viele Jahre sein Verbündeter. Aus dem Bündnis ist aber mittlerweile eine ressentimentgeladene Feindschaft erwachsen; nicht undenkbar, dass es sich Lieberman in seiner Rolle als Königsmacher nicht nehmen lassen wird, Netanjahu aus persönlichen Beweggründen zu entthronen. Viele Netanjahu-Gegner sehen daher in Lieberman ihren Hoffnungsträger. Wer das Mandat zur Regierungsbildung erteilen darf, ist der israelische Staatspräsident Reuven Rivlin. Seit Jahren herrscht auch zwischen ihm und dem Netanjahu-Clan keine große Liebe.

Hervorgehoben sei indes, dass zwischen Netanjahu und Gantz kein großer ideologischer Unterschied besteht: In der sogenannten Sicherheitsfrage ist Gantz ein Falke, der Netanjahus Annexionsbestrebungen im Westjordanland unterstützt. Weder er noch seine Verbündeten in Blau-Weiß ließen es sich einfallen, eine Verhandlungsinitiative mit den Palästinensern zu wagen, geschweige denn, die Beendigung der Okkupation anzuvisieren. Auch in sozialer und ökonomischer Hinsicht darf man aus dem Blau-Weiß-Lager nichts Neues erwarten.

Worum ging es also bei diesen Wahlen? Um nichts, was den seit Jahrzehnten herrschenden Status quo aufzubrechen vermöchte, sondern lediglich um den Sturz ­Netanjahus. Viele israelische Wähler strebten keine substantielle Veränderung der politisch wie sozial bestehenden Verwerfungen der israelischen Gesellschaft an, sondern die Abwahl des allerdings in der Tat verlogenen, hetzend-verleumderischen und korrupten Premiers. Ob die Wahlen unter diesem Aspekt erfolgreich waren, muss sich erst erweisen.

Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/363135.netanjahu-abservieren.html