Israel –Palästina
Mit der Siedlungspolitik in den
palästinensischen Gebieten wird jede Demokratisierung
des Staates verhindert
Ein Gespräch mit Neve Gordon im
Interview mit Michele Giorgio
»Man muss sich nur ansehen, was
Israel tut«
Neve Gordon ist
Politikprofessor an der Ben-Gurion-Universität Bersheeva in der Negev-Wüste und
ehemaliger Fallschirmjäger.
Dieses Interview erschien
am 10. März in der linken italienischen Tageszeitung Il Manifesto
In Ihrem aktuellen Buch betonen Sie die neuen
Krisenszenarien und die Veränderungen im Mittleren Osten. Die israelische
Besatzung scheint jedoch unangefochten.
Das stimmt, und dafür gibt
es mindestens drei Gründe. Der erste ist, dass die palästinensische
Gesellschaft unter dem Druck des israelischen Kolonialprojektes seit 1948
wiederholt zersplittert ist. Nun haben wir zwei verschiedene Führungen – die
von der Fatah gelenkte Autonomiebehörde im Westjordanland und die
Hamas-Verwaltung in Gaza –, die nicht miteinander kommunizieren. In so einer
Situation wird es schwer, einen dauerhaften und wirkungsvollen Widerstand gegen
die Besatzung auf die Beine zu stellen. Der zweite Grund ist der israelische
Kontrollmechanismus, der gegenüber den Palästinensern angewendet wird und im
Laufe der Jahre weiterentwickelt und verändert wurde. Israel ist an der
Palästinenserfrage nicht mehr als etwas interessiert, mit dem man umgehen muss.
Jedes Mal, wenn seine Regierung mit irgendeiner Form von Widerstand
konfrontiert ist, greift sie zu immer tödlicheren Methoden der Kontrolle.
Und die letzte Ursache, die Sie sehen?
Der dritte Grund hängt mit
den Veränderungen im Mittleren Osten sowie mit den Migrationsströmen Richtung
Europa zusammen, wo sich die Islamophobie ausbreitet. Dies spielt Israel in die
Hände, denn die USA und die europäischen Länder betrachten den Staat als eine
Art westliches Dorf in einem islamischen Dschungel. Das Land wird als Vorposten
der westlichen Zivilisation in der Region gesehen. Aus diesem Grund
unterstützen so viele Regierungen das israelische Kolonialprojekt.
Seit 1967 haben sich in Tel Aviv sogenannte
pazifistische und nationalistische Kabinette abgelöst, bis der religiöse
Zionismus die Macht übernahm. 49 Jahre nach dem Sechs-Tage-Krieg sind die
Palästinenser noch immer nicht frei und leben weiter unter der Besatzung ...
In der Tat. Man muss sich
nur ansehen, was Israel tut, und nicht dem vertrauen, was seine Repräsentanten
erzählen, um die Besatzung und ihre Siedlungspolitik zu bemänteln. Um die 1967
eroberten Gebiete nicht verlassen zu müssen, hat Israel einen Teil seiner
Bevölkerung in die dortigen Kolonien umgesiedelt. Heute lebt eine halbe Million
israelischer Siedler in Ostjerusalem und der West Bank. Diese Leute sind nicht
nur ein Instrument, um vor Ort vollendete Tatsachen zu schaffen. Sie
beherrschen 60 Prozent des palästinensischen Grund und Bodens. Sie üben,
zusammen mit dem Militär, konkret die Funktionen einer Art Polizei aus,
kontrollieren das Terrain und die Palästinenser. Sie bestätigen die faktische
Existenz eines einheitlichen Staates, der vom Mittelmeer bis zum Jordan-Fluss
reicht. Anstatt also darüber zu reden, wie sich die »Zwei-Staaten-Lösung für zwei
Völker« voranbringen lässt, sollte man anerkennen, dass es einen Einheitsstaat
gibt und dass dies ein Apartheidstaat ist. Die Frage ist nicht, wie man zwei
Staaten schaffen kann, sondern was getan werden muss, um den bestehenden
Einheitsstaat zu demokratisieren.
Der Vorsitzende der Arbeitspartei, Jitzchak Herzog,
hat im vergangenen Monat einen Plan für die »Trennung« von den Palästinensern
vorgestellt. Was enthält er?
Herzog schlägt einen Plan
vor, den selbst die Rechte niemals in solch detaillierter Form ausgearbeitet
hätte. Die Palästinenser sollen nur sieben bis acht Prozent des historischen
Palästina verwalten und in jenen Gebieten für die Müllabfuhr, die Kanalisation,
das Bildungswesen und ein paar andere Dinge sorgen. Israel hingegen wird weiter
die wirkliche Macht sein, die Sicherheitsaspekte regeln und die militärische
Macht ausüben. Die Arbeitspartei, die manche Menschen in Europa für
fortschrittlich, liberal und pazifistisch halten, strebt die Isolierung der
Palästinenser an. Das ist der Grund, warum die Regierungschefs in Europa die
»Zwei-Staaten«-Lösung vergessen sollten, die niemals Wirklichkeit wird, und
statt dessen darüber diskutieren sollten, wie man einen Apartheidstaat zu einem
demokratischen Staat machen kann.
Il Manifesto
Übersetzung: Andreas
Schuchardt
Quelle : http://www.jungewelt.de/2016/03-31/005.php vom 31.3.2016