Nach der
Hinrichtung eines wehrlosen Palästinensers: Israels
Rechte
solidarisieren sich mit Soldaten Elor Asaria
von
Rüdiger Göbel am 22.4.2016
Israelische Soldaten bergen die Leiche des
zuvor gezielt erschossenen Abd Al-Fatah Schrif (Hebron, 24.3.2016)
Foto: AP PhotoBenjamin
Netanjahus Rechtsregierung in Israel bekommt
Druck von rechts. Mehrere tausend Israelis haben am Dienstag im Zentrum von Tel
Aviv mit rassistischen Parolen und jeder Menge blau-weißer Landesfahnen ihre
Solidarität mit dem Soldaten Elor Asaria bekundet. Der 19jährige Armeesanitäter
hatte am 24. März in Hebron im Westjordanland den verletzt und wehrlos am Boden
liegenden Palästinenser Abd Al-Fatah Scharif nach einer Messerattacke auf einen
anderen Soldaten gezielt mit einem Kopfschuss ermordet (jW berichtete). Problem
für die Besatzungstruppen: Die Hinrichtung war per Video dokumentiert und von
der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem veröffentlicht worden. Der
Film sorgte für Furore in Israel und internationales Entsetzen. Die
Besatzungstruppen sahen sich gezwungen, rechtliche Schritte in die Wege zu
leiten und den Soldaten zu verhaften – wogegen nun nicht wenige Israelis mobil
machen.
Mit einigem Erfolg. Der Mordvorwurf gegen
Asaria ist vom Tisch. Am Montag erhob ein Militärgericht Anklage wegen
Totschlags. Der Soldat habe gegen die militärischen Vorschriften verstoßen,
zitierte die israelische Zeitung Haaretz am Montag aus der Anklage. Es habe
sich nicht wie behauptet um Selbstverteidigung gehandelt, weil der Angreifer
keine Gefahr mehr dargestellt habe, als er erschossen wurde. Laut Anklage hat Asaria unmittelbar nach dem
Kopfschuss seine Selbstjustiz mit den Worten begründet: »Er verdient zu
sterben.«
Eine Sicht, die auf der Solidaritätskundgebung
in Tel Aviv am Dienstagabend durchaus geteilt wurde. »Lasst den Soldaten frei«,
»Er ist ein Held«, riefen laut Haaretz die Demonstranten. Sie attackierten
Verteidigungsminister Mosche Jaalon, weil der die Exekution in Hebron kritisiert
hatte. Auf einem Protestschild war die Order für andere Armeeangehörige in den
besetzten Gebieten zu lesen: »Tötet sie alle«. Wie die israelische Menschenrechtsaktivistin Elisabeth Tsurkow
dokumentierte, waren aber auch rechte Slogans wie das SS-Motto »Meine Ehre
heißt Treue«, »Lasst die israelische
Armee gewinnen, scheiß auf die Araber« und »Hoffentlich brennt dein Dorf ab«
auf dem Platz zu finden, der nach dem Friedensnobelpreisträger und von einem
rechten Israeli ermordeten Premier Jitzchak Rabin benannt ist.
Der rechte Spukabend war von der Familie des angeklagten Soldaten und
von dem früheren Knesset-Abgeordneten Scharon Gal von der Partei »Israel
Beitenu« organisiert worden. Die Kundgebung galt offiziell als »unpolitische
Veranstaltung«.
Aufruf zum Mord: Eine Demonstrantin hält am
Dienstag in Tel Aviv ein Schild mit der Aufschrift »Tötet sie alle«
Foto: EPA/JIM
HOLLANDER/dpa – Bildfunk
Zwar ist die Zahl der Teilnehmer weit hinter
den Erwartungen der Veranstalter und der Polizei zurückgeblieben. Doch
bedeutsamer ist, dass die Rechtsextremisten in der Sache den Regierungschef
hinter sich wissen. Hatte Netanjahu in einer ersten Reaktion die Hinrichtung
noch deutlich kritisiert, warnte er angesichts wachsender Sympathien in der
Bevölkerung für den angeklagten Soldaten davor, »die Moral der israelischen
Armee anzuzweifeln«. Dies sei »unverschämt und
inakzeptabel«.
Am Dienstag schließlich erklärte der Premier:
»Als Vater eines Soldaten und als Premierminister möchte ich wiederholen: Die
Armee steht hinter ihren Soldaten.« Er sei davon überzeugt, so Netanjahu, dass
die Untersuchungen des Falls verantwortlich geführt würden und das Gericht alle
Umstände berücksichtigen werde. Israels Erziehungsminister Naftali Bennett von der radikalen
Siedlerpartei »Jüdisches Heim« hat indes unverhohlen bekundet, dass er für die
Festnahme und Anklage des Todesschützen keinerlei Verständnis hat. Man habe offenbar vergessen, »wer die Guten
und wer die Bösen sind«, so das Kabinettsmitglied.
Einer in der vergangenen Woche veröffentlichen
Umfrage der regierungsnahen Zeitung Israel Hayom zufolge sind junge Israelis »mehrheitlich rechts orientiert«.
Rund 59 Prozent der befragten Schüler bezeichnen sich so. Sechs von zehn Befragten bekundeten zudem,
dass der Soldat Elor Asaria nicht vor Gericht gestellt werden sollte. Rund 82
Prozent sehen eine minimale oder gar keine Möglichkeit, sich mit den
Palästinensern im Nahostkonflikt zu einigen.
Der Schriftsteller Nir Baram kommt in seinem
aktuellen Buch »Im Land der Verzweiflung. Ein Israeli reist in die besetzten
Gebiete« zum nüchternen Ergebnis: »Die meisten Israelis und vielleicht auch die
meisten Menschen auf der Welt sind inzwischen zu dem Schluss gelangt, dass
keine Aussicht mehr auf eine Lösung des Konflikts besteht.« Einer seiner israelischen
Gesprächspartner habe ihm erklärt, »es sei kein Fortschritt zu erzielen, weil
die Israelis nicht verzweifelt, sondern gleichgültig seien und die
Palästinenser nicht gleichgültig, aber verzweifelt«.
Quelle: https://www.jungewelt.de/2016/04-22/073.php