Iranische Bevölkerung soll ausgehungert werden

EU und USA wollen Zusammenbruch der iranischen Wirtschaft erzwingen

Von Knut Mellenthin

Die Außenminister der Europäischen Union haben sich am Montag auf eine Ausweitung der Sanktionen gegen Iran geeinigt. Im Zentrum des Pakets stehen Maßnahmen, die dazu beitragen sollen, den internationalen Waren- und Geldverkehr mit Teheran vollständig zum Erliegen zu bringen. Dazu gehört eine noch schärfere Beschränkung der Finanztransaktionen mit iranischen Banken, das Verbot von Exportkrediten, Garantien, Versicherungen und anderen üblichen Handelspraktiken sowie ein Embargo gegen den iranischen Schiffbau und iranische Reedereien. Das Ziel ist, das Land den Import von Waren – abgesehen von ganz wenigen »humanitären« Ausnahmen – unmöglich zu machen und dadurch wesentliche Teile der iranischen Bevölkerung zur Revolte zu treiben.

Die EU-Regierungen wollen außerdem den Import von Erdgas aus dem Iran verbieten, nachdem schon seit dem 1. Juli ein Öl-Embargo in Kraft ist. Das Teheraner Ölministerium hat diese Maßnahme allerdings als »reine Propaganda« bezeichnet, da die EU gar kein iranisches Gas einführe. Einzige Ausnahme ist Griechenland: Es erhält über eine türkische Pipeline Gas aus Aserbaidschan, das in geringem Umfang mit iranischem vermischt wird. In großem Umfang importiert hingegen die Türkei Erdgas aus dem Iran. Vermutlich wird Ankara sich in nächster Zeit einem starken Druck der EU ausgesetzt sehen, diesen Handel zu reduzieren. Außerdem legt die EU mit dem jetzt beschlossenen Embargo ihre eigenen Pläne auf Eis, per Pipeline Gas aus dem Raum um das Kaspische Meer zu beziehen.

In gewohnter pflichtschuldiger Heuchelei heißt es in der gemeinsamen Erklärung der 27 Außenminister: »Die Sanktionen richten sich nicht gegen das iranische Volk.« In Wirklichkeit ist jedoch genau das ihr Hauptzweck. Schon jetzt gibt es Engpässe und entsprechende Preissteigerungen bei Lebensmitteln, anderen Konsumgütern und medizinischen Produkten, die Iran aus dem Ausland importiert. Das liegt nicht etwa daran, daß es an Geld zur Bezahlung der Lieferungen fehlt: Iran besitzt, hauptsächlich durch die riesigen Profite aus dem Ölgeschäft, ausreichende Devisenreserven für etliche Jahre. Schwierigkeiten hat Iran jedoch erstens mit der finanziellen Abwicklung der Handelsgeschäfte und zweitens mit dem zur Verfügung stehenden Schiffsraum. Immer mehr ausländische Gesellschaften ziehen sich aus dem Geschäft zurück – wie vor einigen Tagen die große dänische Container-Reederei Maersk Line –, weil sie anderenfalls Nachteile in den USA und anderen westlichen Ländern befürchten müssen.

Indessen ist die iranische Regierung auf absehbare Zeit in der Lage, wirklich einschneidende Folgen der Blockade für die Bevölkerung abzuwehren. Zwar ist der Erdölexport, hauptsächlich durch das EU-Embargo, aber auch durch den Druck der US-Regierung auf die Hauptabnehmer in Asien – China, Indien, Japan und Südkorea – deutlich eingebrochen. Aber die iranischen Einnahmen aus dem Ölgeschäft im laufenden Jahr werden immer noch auf rund 70 Milliarden Dollar geschätzt. Das ist fast doppelt soviel wie zu Beginn des Streits um das iranische Atomprogramm im Jahre 2004: Damals hatte Iran nur 37 Milliarden Dollar kassiert. Teheran kamen in den folgenden Jahren die steigenden Ölpreise zugute. 

Mark Dubowitz, Direktor der neokonservativen Foundation for Defense of Democracies in Washington, sagte es dieser Tage unmißverständlich: Iran kann durch die westlichen Sanktionen in nächster Zeit nicht in die Knie gezwungen werden. »Nach unserer Analyse der iranischen Zahlungsbilanz reichen Irans Devisenreserven unter gegenwärtigen Bedingungen noch mindestens zwei Jahre.« (Jerusalem Post, 15.10.) Das ist nach der Logik derjenigen, die Iran nur ein halbes Jahr von der Atomwaffe entfernt sehen, und zu diesen gehört auch Dubowitz, entschieden zu lang.

Quelle: http://www.jungewelt.de/2012/10-17/023.php

17.10.2012 / Ausland / Seite 6