Interview mit Oleg Musyka, einem der Überlebenden des Anschlags auf

das Gewerkschaftshaus von Odessa am 2. Mai 2014

durch Brigitte Queck, Leiterin des Vereins „Mütter gegen den Krieg Berlin-Brandenburg“

 

B.Q. :  Woher kommst Du ? Was hast Du früher gemacht ?

Oleg :  Ich bin Ukrainer und Bürger der Stadt Odessa, Jahrelang habe ich als Matrose der

            Schwarzmeerflotte gedient. Ich gehöre  seit 2009 der Partei Rodina an und wurde von

            meiner Partei zum Berater des Abgeordneten meiner Partei in die Stadtverwaltung der

            Stadt Odessa gewählt. Im November 2013 war ich der Verantwortliche des Anti-Maidan

            auf dem Kulikower Feld.

B.Q. :  Welche Ziele vertrat der Anti-Maidan in Odessa ?

Oleg:  Unsere Partei vertrat von Anfang an eine Politik der Föderalisierung der Ukraine.

            Wir strebten eine Zollunion mit Russland, Belorussland und Kasachstan an;

            Die russische Sprache sollte als 2. Staatssprache der Ukraine erlaubt bleiben;

            Die Prinzipien des Sozialismus, als da sind:

                a)kostenfreie Bildung,

                b) kostenlose medizinische Betreuung,

                c) soziale Maßnahmen auf dem Gebiet des Wohnungsbaus,

               d) der ständigen Verbesserung des Lebens der Bürger,

             sollten auf dem Gebiet der Zollunion gelten.

             Mit anderen Worten, wir wollten eine würdige Gesellschaft aufbauen, in der das Wort

             Demokratie nicht nur eine Worthülse ist.

B.Q.:   Wie viele Opfer gab es tatsächlich am 2. Mai 2015 im Gewerkschaftshaus in Odessa ?

Oleg :  Offiziell wird von 48 Opfern gesprochen. In Wirklichkeit kamen 116 Menschen ums

              Leben.

B. Q. :  Wie ist das zu verstehen ?

Oleg:   Nach Verständnis der UNO und auch europäischen Gesetzen, spricht man ab 50

             Personen von Genozid (Völkermord). Mit anderen Worten, die derzeitigen Kiewer

             Machthaber halten die wahre Zahl der Opfer bewusst geheim.

B.Q. :  Warum ist es Deiner Meinung nach überhaupt zu solchen gewaltsamen Ausschreitungen

            im Odessaer Gewerkschaftshaus gekommen ?

Oleg:   Nach der Volksbefragung auf der Krim befürchtete die derzeitige ukrainische Regierung,

            dass sich auch in Odessa der russische Einfluss durchsetzen könnte und das wollte sie

            unter allen Umständen verhindern.

B.Q. : Wie konnte es zu so einem fürchterlichen Überfall der Rechten auf die Bewegung des

            Anti-Maidan überhaupt kommen ?

Oleg:  Wir hatten ein großes Volksfest auf dem Kulikower Feld organisiert und überall Zelte

             und Stände aufgestellt.

             Schon am frühen Morgen kam die Polizei und wie sich später herausstellte,

             sogar in Begleitung hoher Kiewer Beamten,  die unsere Zelte nach Waffen untersuchte.

             Das war eine klare Einschüchterung unserer Leute.

             Doch die Menschen aus Odessa ließen sich nicht abschrecken. Sie kamen zu Tausenden

              auf den Veranstaltungsplatz.

              Am gleichen Tage fand auch ein Fußballspiel statt, zu dem der rechte Sektor per

              Internet mobilisiert hatte. Die Anhänger der Rechten  fingen nach dem Fußballspiel an, in der

              Stadt zu randalieren, das Pflaster aufzureißen,

              Bürger anzupöbeln und mit Stöcken zu schlagen und Steinen zu bewerfen.

              Das alles wurde im Fernsehen übertragen, ohne dass die Polizei von Odessa eingriff.

              Die Meinung unserer Gruppe war geteilt, ob wir uns diesen Rechten entgegenstellen

               sollten. Die Mehrzahl von uns wollte etwas tun und ging diesen Randalierern entgegen.

              Da die Rechten  an diesem Tag klar in der Überzahl waren, liefen

              wir zurück zum  Kulikower Feld. Die Rechten  schlugen wild, auch auf einfache Passanten,

             ein, so dass  sich die Leute  im nahe gelegenen Gewerkschaftshaus verbarrikadierten.

              Anscheinend hatten die Rechten ihre Aktion genau geplant und vorbereitet.

              Sie hatten Molotowcocktails, Schlagstöcke und Pistolen bei sich.

              Obwohl die Menschen aus dem Gewerkschaftshaus und ihre Angehörigen zu Hause,

               die Polizei und die Feuerwehr anriefen, griffen weder die Polizei, noch die Feuerwehr,

               die sich unweit des Gewerkschaftshauses befand,  in dieses mörderische,

               blutige Treiben ein. Nicht mal, als das Gewerkschaftshaus schon lichterloh brannte !!

B.Q. :   Was geschah danach ?

Oleg :   Erst in den Morgenstunden erschienen die Polizei und die Feuerwehr.

              Die Überlebenden waren z. T. schrecklich verletzt und traumatisiert.

                Etwa 200 Menschen wurden ins Krankenhaus und über 100 Menschen

                aufs Polizeirevier gebracht und verhört, wo man schon  Listen vorbereitet

                hatte, die die Überlebenden unterscheiben sollten. Allesamt wurden

                regierungsfeindlicher Handlungen beschuldigt !!

                Nach 1 Jahr befinden sich noch 21 Menschen in Untersuchungshaft und 10 der

                 Überlebenden des Gewerkschaftshaus-Massakers sind  im Gefängnis, während

                diejenigen, die an diesen Verbrechen beteiligt

                waren, in der Odessaer Stadtverwaltung, ja sogar im Kiewer Parlament sitzen !

B.Q. :     Wie bitte, die Täter laufen frei herum, ja, sie sitzen sogar im Parlament ?!

Oleg :    Ja,  Alexej Gontscharenko ist Parlamentsabgeordneter vom Poroschenko-Block,

               Andrej Jusow ist Vorsitzender der Partei Udar von Klitschko und Sewo

                Kontscharewskij, derjenige, der die Opfer, die sich durch einen Fenstersprung aus

                dem brennenden Gewerkschafshaus retten wollten, unten erschlug, sitzt heute als

                Vertreter einer gesellschaftlichen Organisation im Stadtrat Odessas.               

B.Q. :     Wie ist die politische Situation in Odessa ?

Oleg:      Zum Gouverneur der Stadt Odessa wurde Saakaschwili, der ehemalige Minister des

                Inneren von Grusinien ernannt, der in seinem Land wegen Korruption gesucht wird.

                Wie zum Hohn wurde am 12.6.2015 von der Stadtverwaltung Odessas d. Entscheidung

                 getroffen, ein Denkmal zu Erinnerung an die  am 2. Mai 2014 im Gewerkschaftshaus

                umgebrachten Menschen zu errichten.

                Doch die Menschen der Heldenstadt des Großen Vaterländischen Krieges im Kampf

                gegen den Faschismus vergessen nicht, wer deren Mörder sind, die  heute ihre

                schrecklichen Taten damit rechtfertigen, dass  die Opfer gegen die gesetzmäßige,

                 in Wirklichkeit durch einen blutigen Regimechange zur Macht gekommene, Kiewer

                 Regierung vorgehen wollten.

                 Die einstmals fraktionsstärkste Partei von Janukowitsch wurde im ganzen Lande

                 verboten.

                 Es wurden vom Kiewer Parlament Gesetze verabschiedet, die:

                 - das Tragen von kommunistischen und russischen Symbolen unter Strafe stellen,

                -  das Niederreißen von Denkmälern, die an die Zeit der Oktoberrevolution, oder den

                  Großen Vaterländischen Krieg erinnern, ausdrücklich gestatten,

               -   das Verbot regierungskritischer Zeitungen,

               -   das Durchsuchen von Räumlichkeiten gesellschaftlicher Organisationen und

                   Beschlagnahmung von Computern, anordnen und

                 - „separatistische Handlungen“, wie z. B. die Weigerung, als Soldat in der ukrainischen

                   Armee zu dienen, mit dem Tode bestrafen können.

                Rechte Schlägertruppen sollen für Angst und Duckmäusertum der Bevölkerung sorgen

                und diejenigen, die die Dreckarbeit für die nunmehr Regierenden erledigen, werden

                bei Bekanntwerden von deren Tötungen, z. B. regierungskritischen Journalisten, wie

                Oles Busina, durch Zahlung sehr hoher Kautionen der reichsten Oligarchen vor Ort

                 freigelassen.

B.Q. :       Ist die Kommunistische  Partei der Ukraine noch aktiv ?

Oleg:      Seit dem von den USA  geförderten Regimechange in der Ukraine am 22.2.2015

                wurden neben bekennenden Mitgliedern der Partei der Regionen von Janukowitsch,

                vor allem Mitglieder der Kommunistischen Partei verfolgt, eingekerkert,  misshandelt

                 und getötet. Nachdem der gegenwärtige, an der Macht befindliche, ukrainische

                Präsident Poroschenko, am 15. Mai 2015 das Gesetz über das Verbot des Zeigens

                kommunistischer Symbole auf dem Territorium der Ukraine unterzeichnet hat, haben

                die rechten Schlägertruppen quasi freie Hand, gegen Kommunisten vorzugehen.

     

B.Q.:          Spielte der 70. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus in der Ukraine unter diesen

                  Umständen überhaupt eine Rolle ?

Oleg:       Ja, eine sehr große Rolle sogar ! Schon vor dem 9. Mai war von der jetzigen ukrainischen

                     Regierung das Zeigen kommunistischer Symbole untersagt worden. Trotzdem

                     marschierten allein in Odessa 45 000 Menschen  über die Allee des Sieges unter

                    Rufen „Bandera raus aus der Ukraine!“  und legten sowohl am Ehrenmal

                    der im Großen Vaterländischen Krieg gefallenen sowjetischen Soldaten, als auch am Haus

                    der Gewerkschaften, in dem vor 1 Jahr über 100 Menschen von den Rechten verbrannt

                    und gemeuchelt wurden, Blumen nieder. Das zeigte, dass die Menschen in Odessa an

                    diesem Tage ihre Angst bezwungen haben.              

B.Q. :    Was erwartet ihr von den Menschen in Deutschland, die vor 70 Jahren durch die

                Sowjetarmee vom Faschismus befreit wurden ?

Oleg:     Wir haben die Hoffnung, dass die Deutschen, die den 2. Weltkrieg überlebten und

                wissen, was Faschismus ist, uns im Kampf gegen den Faschismus in der Ukraine

                helfen. Sie sollten sich an Friedensdemonstrationen und Mahnwachen gegen den Krieg

                beteiligen, bzw. sich an die deutsche Regierung wenden mit den Forderungen:

               a) die Finanzierung der ukrainischen Regierung, die einen Genozid am eigenen Volk in

                    der Ostukraine verübt, einzustellen und

               b) die Bestrafung der Täter des Odessa -Massakers von der Ukraine zu fordern.

B.Q. :     Was erwartet ihr speziell von den Linken, der Friedensbewegung und den

                Kommunisten ?

Oleg:     Sie sollten an möglichst vielen Diskussionen zum Thema Ukraine teilnehmen;

               Offizielle Vertreter der Linken sollten richterliche Einsichtnahmen in die Dokumente

               des Odessaer Massackers fordern, sowie auf der Bestrafung der Täter bestehen;

               Vertreter von linken Parteien und Organisationen sollten europäische Institutionen

               beeinflussen, kein faschistisches Vorgehen gegen Andersdenkende in der Ukraine

                zuzulassen und das, was den Anlass zur Gründung der Weltorganisation geführt hat;

                nämlich „Nie wieder Faschismus und Krieg!“ zuzulassen, in die Tat umgesetzt wird !

B.Q. :  Oleg, vielen Dank für das Gespräch. Wir werden unser Bestes tun, die Wahrheit über die

             Lage in der Ukraine zu verbreiten und Euch in Eurem Kampf gegen den Faschismus im Lande

             zu unterstützen !

Berlin, Juni 2015

https://www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&v=K7n7V0d77Wg

https://www.youtube.com/watch?v=vfd5MCmL8I0&feature=youtu.be