Allianzen des Kapitals – Reaktionäre Wechselwirkungen
zwischen
EU, USA und Türkei
von Korkut Boratav am 13.7.2016
Sowohl in den USA als auch in Europa
entstehen Allianzen zwischen dem Kapital und der extremen Rechten. Weshalb
sollten sich diese nicht mit der islamistischen Reaktion in der Türkei
arrangieren können?
Einen Tag nachdem Erdoğans
favorisierte Regierung gebildet wurde, befand sich die Istanbuler Börse, der
Ort, der den Kollektivwillen des Kapitals spiegelt, in Hochstimmung. Kurz zuvor
war mit der Aufhebung der Immunität von Parlamentsabgeordneten ein weiterer
Schritt in Richtung Faschismus getan worden. Die positive Resonanz an der Börse
ist nur eines von vielen Zeichen für die faktische Allianz, in der sich das
Kapital in der Türkei mit den reaktionären Kräften befindet. Wie aber steht das
metropolitane Kapital zur anti-demokratischen Entwicklung an seiner Peripherie,
welche Haltung nehmen die Regierungen der Zentrumsländer ein?
Als der (inzwischen zurückgetretene)
britische Premierminister Cameron sagte, die Türkei werde mit ihrem aktuellen
Kurs der EU frühestens im Jahr 3000 beitreten, deuteten die Liberalen dies
optimistisch als Sorge um die Demokratie in der Türkei. Doch schnell wurde
klar, dass Camerons Äußerung im Gezerre mit Boris Johnson, dem Ex-Bürgermeister
von London und Anführer der Brexit-Kampagne, gefallen war. Johnson hatte den
von der Zeitschrift The Spectator ausgerufenen Wettbewerb um das
schmachvollste Gedicht über Erdoğan gewonnen. Um bei der Gegnerschaft zur
Türkei nicht hinter seinem Rivalen zurückzubleiben, reagierte Cameron mit
diesem Ausspruch zur „Mitgliedschaft im Jahr 3000“. Kein Anflug demokratischer
Empathie, vielmehr ein Akt niveauloser Herabsetzung ist der Fall.
Nun denn, wie steht es um Angela
Merkel, der eigentlichen Chefin der EU, dürfen wir uns von ihr etwas erhoffen?
Ihren letzten Besuch bei Erdoğan, den sie wer weiß wie oft getroffen hat,
befand sie als „nützlich“. Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei
seien „gestärkt“ worden. Die Hoffnung, sagt man im Türkischen, ist das Brot der
Armen, in diesem Fall der Liberalen. Sie heben hervor, Merkel habe ihre Sorge
um das parlamentarische Regime in der Türkei, nach Kritik im eigenen Land,
immerhin nachträglich ausgedrückt.
Arrangement des Kapitals mit der
extremen Rechten
Wann werden unsere Liberalen die
Illusion aufgeben, Europa sei eine Hochburg der Demokratie? In Europa steht
allerorten das Arrangement mit rechtsextremen bis neofaschistischen Bewegungen
auf der Tagesordnung. Sind nicht gerade erst zwei rechtsextreme Parteien – die Front National
in Frankreich und UKIP in Großbritannien – aus den europäischen
Parlamentswahlen als Gewinner hervorgegangen? Hat nicht Norbert Hofer, der
Kandidat der rechtsextremen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), die
(inzwischen wegen Unregelmäßigkeiten für ungültig erklärte) Präsidentenwahl nur
knapp mit 31.000 Stimmen und dank der Wähler/innen im Ausland verloren? Falls
er gewonnen hätte, hätte man ihm gratuliert, und nichts weiter. Es gibt in der
EU die demokratische Sorge nicht mehr, die einst in Österreich im Jahr 2000
verhinderte, dass Haider, der damalige Anführer der Freiheitlichen, eine
Regierung bilden konnte.
Weitere Bespiele? Ist der Putsch
gegen den gewählten Präsidenten der Ukraine vor zwei Jahren nicht durch die
klare Unterstützung der USA und der EU erfolgt? Ist es nicht dieses Paar, das
die ultra-nationalistische, reaktionäre Putschregierung mit Hilfe des IWF auf
den Beinen hält?
Die Ukraine liegt außerhalb der EU.
Drum werfen wir einen Blick auf die reaktionären Regierungen innerhalb der EU.
Gibt es etwa energischen Widerspruch zu den anti-demokratischen Maßnahmen in
den beiden rechtsextrem regierten Ländern der EU, Polen und Ungarn? Die
Europäische Kommission, die als oberste Institution des europäischen Kapitals
fungiert, ist gegenüber den Maßnahmen in Polen, mit denen das
Verfassungsgericht entmachtet und die Medien der politischen Kontrolle
unterworfen worden sind, passiv geblieben. Indes machte Ungarns
Ministerpräsident Orban, der den anti-demokratischen Weg schon länger
beschreitet, im Vorhinein klar, dass er bei möglichen Sanktionen gegen Polen
ein Veto einlegen werde.
Kurz, der im Aufstieg befindliche
Rechtsextremismus ist bereits in das Wertesystem der EU eingegangen. Das
europäische Kapital versucht, diese Bewegung zu domestizieren. Martin Wolf, ein
renommierter Sprecher der Bourgeoisie, schreibt in der Financial Times vom 26.
Januar 2016, wie dies geschehen soll. Wenn sich die heutigen „Populisten“ (also
die extremen Rechten) von den anti-globalistischen und etatistischen Einflüssen
des traditionellen Sozialismus befreiten, dürften sie das politische Zentrum
besetzen. Dies läuft auf ein Arrangement mit den nationalistischen,
migrantenfeindlichen und konservativen Idealen der extremen Rechten hinaus.
Die Aussicht ist realistisch, die
Umsetzung erfolgt Schritt für Schritt. Das große Kapital benötigt keine weitere
Steigerung der Arbeitskraftreserven innerhalb Europas. Ihre Peripherie hält
unbegrenzte Reserven bereit, während die Möglichkeiten des Kapitalexports aus
den Zentren unbeschränkt sind.
Das Kapital heißt die extreme
Rechte, die sich von traditionell linken Festlegungen auf öffentliches Eigentum
und Anti-Imperialismus fern hält, willkommen. Es hat die Tür für Allianzen mit
den reaktionären Kräften Europas geöffnet. Das verheißt eine Verschmelzung
bürgerlicher Politik mit dem Neofaschismus. Warum aber sollte die in Europa
entstehende Allianz des Kapitals mit der Reaktion sich nicht auf den
außereuropäischen Raum ausweiten? Weshalb sollte die Europäische Kommission
sich nicht mit der türkischen Reaktion arrangieren können? Ist eine
langfristige Kooperation mit der Türkei unter einer AKP, die die Arbeitskräfte
diszipliniert, dem Kapital unbegrenzte Bewegungsfreiheiten zusichert, das Land
autoritär aber stabil regiert, nicht für beide Seiten von großem Vorteil? Die
Bedingungen für diese Kooperation werden anlässlich der Asylsuchenden neu
ausgehandelt, die Menschenrechte sind kein Gegenstand des Deals.
Antrieb des islamistischen
Faschismus durch die USA
Welchen Beitrag leisten die USA? Joe
Biden hat während seiner Türkei-Reise oppositionelle Kreise getroffen sowie
unterstützende Erklärungen abgegeben für die Intellektuellen, die der
Repression ausgesetzt sind. Von amerikanischer Seite vorgebrachte kritische
Äußerungen über die AKP werden immerzu in die Türkei getragen. Sie führen bei
den Liberalen regelmäßig zu großem Optimismus. Eine andere positive Erwartung
stützt sich auf den Misserfolg der Syrien-Politik von Erdoğan. Der Drang
nach einem militärischen Abenteuer im Ausland und die Hoffnung, „Assad zu
schlagen und Aleppo zu erobern“, stehen vor dem Aus. Eine Hauptader, die den
islamistischen Faschismus nährt, könnte dadurch abgeschnitten werden.
Allerdings nähert sich die
Obama-Ära, die solche Wahrnehmungen teilweise stützt, ihrem Ende. Die neue
Regierung, ob unter Donald Trump oder Hillary Clinton, wird die türkischen
Liberalen enttäuschen. Trump repräsentiert ohnehin die Allianz der
US-amerikanischen Reaktion mit dem Kapital. Es widerspricht der Natur der
Sache, dass diese Allianz den Nahoststaaten und der Türkei Demokratie bringen
könnte. Doch die mögliche Präsidentschaft von Clinton hält ein noch
gefährlicheres Szenario bereit. Als Außenministerin erwarb sie sich eine
schmutzige Weste, Staatsstreiche, wie in Honduras, kleben an ihr. Sie
verantwortet eine Politik, die die Aufstände in den arabischen Ländern in die
Hände fundamentalistischer Islamisten überführt hat. Sie trug unmittelbar dazu
bei, dass die Türkei zum Knotenpunkt für Syriens Dschihadisten geworden ist.
Den Lynchmord an Gaddafi, dessen Körper nach menschenverachtenden
Misshandlungen vollkommen entstellt war, kommentierte sie mit „We came, we saw,
he died” (Wir kamen, wir sahen, er starb).
Eine von Clinton angeführte
Außenpolitik der USA verspricht noch mehr Blut, Zerstörung und Unruhe für die
Türkei, Syrien und andere Nahoststaaten. Während ihrer Wahlkampagne hat sie
Erdoğans Vorschlag zur Errichtung einer „sicheren Flugverbotszone“ in
Syrien unterstützt. Sie arrangiert sich nun mit dem Ex-Präsidenten der CIA
General Petraeus, der die Al-Nusra-Front in Syrien, die dem Al-Qaida-Netzwerk
angehört, als einen potentiellen Partner ansieht. Obamas Widerwillen und Russlands
Eingreifen haben den von Saudi-Arabien, Katar und der Türkei gestützten Zustrom
von Dschihadisten nach Syrien gerade erst unterbrochen. Clinton steht für eine
Wiederbelebung dieses Szenarios, ergänzt durch eine „sichere Zone“. Erdoğan
baut darauf. Es könnte zum letzten Schritt in den islamistischen Faschismus
werden.
Harte Kämpfe in naher Zukunft
Sowohl in den USA als auch in Europa
entstehen Allianzen zwischen dem Kapital und reaktionären Kräften. Dass von
dort Demokratie in die Peripherien exportiert wird, ist nicht plausibel. Das
Gegenteil liegt nahe, die USA und Europa werden die islamistische Reaktion
befördern, wie es in der Türkei und im Nahen Osten bereits der Fall ist.
Doch damit nicht genug, die
bestehenden linken Regierungen auf dem Globus sind bedroht. Der Neoliberalismus
hat im 21. Jahrhundert seinen eigenen Antagonisten hervorgebracht. Linke
Bewegungen, die die Dominanz lokaler Bourgeoisien und der imperialistischen
Zentren zugunsten der werktätigen Klassen zu begrenzen suchten, gelangten an
die Macht. Eine Reihe von Regierungen, wie in Venezuela, Brasilien, Bolivien,
und die erste Regierung von Syriza gehören dazu. Die imperialistischen Zentren
verfolgen gemeinsam mit den reaktionären Bewegungen dieser Länder das Ziel, die
linken Vorbilder einzuhegen und letztlich zu beseitigen. Der „Putsch ohne
Waffen“ ist eine weitere Methode, die zwischenzeitlich entwickelt wurde, um
linken Regierungen den Garaus zu machen.
Die werktätigen Klassen an allen
Orten dieser Welt, selbstverständlich auch in der Türkei, sind dazu verdammt,
den verhängnisvollen Allianzen Widerstand zu leisten. Dies ist ein Ringen der Arbeit,
der Demokratie und der Aufklärung. Die Macht ist ungleich verteilt. In naher
Zukunft erwarten uns harte Kämpfe.
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Prof. Korkut Boratav ist
emeritierter Wirtschaftswissenschaftler an der Ankara Universität. Er ist Autor
zahlreicher Werke zur politischen Ökonomie der Türkei und publiziert regelmäßig
in linken Journalen.
Quelle:
http://infobrief-tuerkei.blogspot.de/2016/07/allianzen-des-kapitals.html#more