Handelt
es sich in Syrien um eine Falle?
Memorandum an Präsident Barack Obama von zwölf
ehemaligen Angehörigen der US Streitkräfte und verschiedener US Geheimdienste,
Vertreter/innen der Organisation Veteran Intelligence Professionals for Sanity
(VIPS)
Wir bedauern Ihnen mitteilen zu müssen, daß –
entgegen den Behauptungen Ihrer Regierung – Bashar al Assad für den Vorfall mit
chemischen Substanzen nicht verantwortlich ist, bei dem am 21. August syrische
Zivilisten getötet und verwundet wurden und daß britische Geheimdienstbeamte
sich dessen bewußt sind. Mehrere unserer früheren Kollegen haben uns berichtet,
daß absolut zuverlässige Geheimdienstinformationen dies eindeutig belegen. Wir
schreiben diesen kurzen Bericht, weil wir davon ausgehen möchten, daß Sie nicht
vollständig informiert wurden, weil Ihre Berater beschlossen, Ihnen die
Möglichkeit für das einzuräumen, was gemeinhin als »glaubwürdiges Abstreiten«
bekannt ist.
Wir sind diesen Weg schon einmal gegangen, als wir unser erstes Memorandum an
Präsident George W. Bush richteten, gleich nach der Rede Colin Powells vor der
UNO am 5. Februar 2003, in der er gefälschte Geheimdienstinformationen feilbot,
um damit einen Angriff auf Irak zu unterstützen. Auch damals haben wir uns
entschieden, Präsident Bush einen Vertrauensbonus zuzugestehen, weil wir
dachten, daß er möglicherweise irregeführt oder zumindest schlecht beraten
wurde.
Die Lügen in Powells Rede waren offensichtlich. Deshalb haben wir am gleichen
Nachmittag Ihren Vorgänger aufgefordert, die »Diskussion über den Kreis
derjenigen Berater hinaus zu erweitern, die den Krieg befürworteten, einen
Krieg, für den wir keinen zwingenden Grund sehen und von dem wir annehmen, daß
er in einer unbeabsichtigten Katastrophe enden könnte«. Heute möchten wir Ihnen
den gleichen Rat anbieten.
Unsere Quellen bestätigen, daß durch einen Vorfall mit chemischen Substanzen am
21. August in einem Vorort von Damaskus Menschen zu Tode kamen und verwundet
wurden. Unsere Quellen betonen jedoch, daß dieser Vorfall nicht auf einen
Angriff der syrischen Armee mit Chemiewaffen aus ihrem militärischen Arsenal
zurückgeht. Nach Angaben von CIA-Agenten, die sich mit Syrien beschäftigen, ist
genau dies der springende Punkt. Sie erzählen uns, daß CIA-Direktor John
Brennan dabei ist, Kongreßabgeordnete, Medien und die Öffentlichkeit – und
möglicherweise sogar Sie – zu betrügen, in ähnlicher Weise, wie das vor dem
Krieg gegen Irak getan wurde.
Wir haben John Brennan in den letzten Jahren genau beobachtet und müssen leider
feststellen, daß wir dem, was uns unsere ehemaligen Kollegen heute über ihn
sagen, Glauben schenken müssen. Noch trauriger ist, daß dies besonders für
diejenigen unter uns gilt, die mit ihm persönlich zusammengearbeitet haben: Wir
sprechen ihm jegliche Glaubwürdigkeit ab. Das gilt auch für seinen Vorgesetzten
James Clapper, den Direktor der Nationalen Sicherheitsagentur (NSA), der zugab,
daß er eine »eindeutig falsche« eidesstattliche Erklärung vor dem Kongreß
abgegeben hatte, als er den Lauschangriff der NSA auf Amerikaner leugnete.
Geheimdienstliches
Resümee oder politisches Täuschungsmanöver?
Merkwürdig ist auch, daß Außenminister John Kerry,
bei seinem Versuch der vierseitigen »Regierungseinschätzung« mehr
Glaubwürdigkeit zu verleihen, ausgerechnet den Namen Clapper in seiner Aussage
vor dem Kongreß diese Woche erwähnt. Dies umso mehr, weil aus unerklärlichen
Gründen nicht Clapper, sondern das Weiße Haus die »Einschätzung« abgab.
Das ist kein Detail, denn wir wissen, wie diese Dinge gehandhabt werden. Obwohl
die »Regierungseinschätzung« den Medien als ein »geheimdienstliches Resümee«
verkauft wird, ist es ein politisches und kein geheimdienstliches Dokument.
Jene, die dieses Dokument entwarfen, es zusammenschrieben und ihm den letzten
Schliff gaben, haben vermieden, ein wesentliches Detail zu erwähnen. Außerdem
räumten sie schon im voraus ein, daß sie die Einschätzung zwar als »höchst
vertrauenswürdig« einstufen, aber daß dennoch »die letzte Bestätigung« fehle.
Eine »déjà« Fälschung: Das erinnert an die berühmten Downing-Street-Protokolle
über den Irak vom 23. Juli 2002. Dort steht, daß Richard Dearlove, der damalige
Leiter des britischen Geheimdienstes, dem britischen Premierminister Tony Blair
und anderen hohen Beamten berichtete, Präsident Bush habe beschlossen, Saddam Hussein
mit Militärgewalt zu entmachten und daß dies auf Grund einer »Verbindung von
Terrorismus und Massenvernichtungswaffen gerechtfertigt« sei. Dearlove habe
dies bei seinem Besuch des CIA Hauptquartiers am 20. Juli vom CIA Direktor
George Tenet erfahren.
Die nachfolgende Diskussion konzentrierte sich auf den ephemeren Charakter der
Beweise, und veranlaßte Dearlove zu folgender Aussage: »Die geheimdienstlichen
Erkenntnisse und Tatsachen wurden der politischen Linie angepaßt.« Wir
befürchten, daß dies ebenso auf die Handhabung der »geheimdienstlichen
Erkenntnisse« über Syrien zutrifft.
Die
geheimdienstlichen Erkenntnisse
Zahlreiche Quellen im Nahen Osten – vor allem
solche, die mit der syrischen Opposition und ihren Unterstützern in Verbindung
stehen – liefern immer mehr Indizien, die darauf hinweisen, daß es sich bei dem
Vorfall mit chemischen Substanzen am 21. August um eine geplante Provokation
der syrischen Opposition und ihrer saudischen und türkischen Unterstützer
handelt, mit dem Ziel, einen Anlaß zu schaffen, um die USA in den Krieg
hineinzuziehen.
Einigen Berichten zufolge wurden Kanister, die mit Chemikalien gefüllt waren,
in einen Vorort von Damaskus gebracht und dort geöffnet. Einige Menschen, die
in unmittelbarer Nähe waren, starben, andere wurden verletzt.
Wir haben keinerlei zuverlässige Beweise, daß eine Rakete des syrischen
Militärs, die Chemiewaffen transportieren kann, in dieses Gebiet geschossen
wurde. Tatsächlich haben wir keine zuverlässigen Beweise, die die Behauptung
unterstützen, daß dies mit einer syrischen Militäreinheit in Verbindung
gebracht werden kann, die auf chemische Waffen spezialisiert ist.
Außerdem haben wir erfahren, daß vom Westen gesponserte syrische
Oppositionskräfte am 13. und 14. August 2013 in der Türkei für eine unmittelbar
bevorstehende große, irreguläre Militäroperation Vorbereitungen trafen. Erste
Treffen zwischen hochrangigen Kommandeuren der Opposition und
Geheimdienstoffizieren aus Katar, der Türkei und den USA hatten in einer
türkischen Kaserne in Antakia in der Provinz Hatay stattgefunden, die heute der
»Freien Syrischen Armee« (FSA) und ihren ausländischen Sponsoren als
Hauptquartier und Kommandozentrale dient.
Hochrangige Kommandeure der Opposition, die von Istanbul angereist waren,
informierten die regionalen Kommandeure über eine unmittelbar bevorstehenden
Eskalation der Kämpfe auf Grund einer »den Verlauf des Krieges verändernden
Entwicklung«, was zu einer Bombardierung Syriens unter der Führung der USA
führen würde.
Während der Treffen zur Koordinierung der Militäraktionen in Antakia, an denen
sowohl hochrangige türkische, katarische und US-amerikanische
Geheimdienstbeamte teilnahmen, als auch Kommandeure der syrischen Opposition,
wurden die Syrer informiert, daß die Bombardierung binnen weniger Tage beginnen
würde. Oppositionsführer wurden angewiesen, zügig ihre Truppen darauf
vorzubereiten, die US-Bombardierung zu nutzen, um in Damaskus einzumarschieren
und die Regierung Bashar Al-Assad zu stürzen.
Die katarischen und türkischen Geheimdienstagenten versprachen den syrischen
Regionalkommandeuren große Waffenlieferungen für die anstehende Offensive. Sie
bekamen sie auch. Zwischen dem 21. und 23. August begann in allen Lagern der
Opposition eine Verteilung von Waffen in bisher unbekanntem Ausmaß. Die Waffen
wurden unter der strengen Aufsicht von US-Geheimdienstoffizieren aus vom
katarischen und türkischen Geheimdienst kontrollierten Depots ausgegeben.
Cui
bono?
Daß die verschiedenen Oppositionsgruppen, die
darauf aus sind Syriens Präsident Bashar al-Assad zu stürzen, sehr daran
interessiert sind, die USA stärker in ihre Bemühungen hineinzuziehen, ist
eindeutig. Bis jetzt war noch nicht so klar, daß die Regierung Netanjahu in
Israel ebenso starke Interessen hat, Washington tiefer in einen weiteren Krieg in
der Region zu verwickeln. Aber das unverblümte Drängen Israels und der
amerikanischen Israel-Lobby, macht dieses vorrangige Ziel Israels
offensichtlich.
In einem wichtigen Artikel in der Freitagausgabe der New York Times widmet sich
die Jerusalem Korrespondentin Judi Rudoren in ungewöhnlich offener Weise den
israelischen Beweggründen. In dem Artikel »Israel Backs Limited Strike Against
Syria« (Israel unterstützt begrenzten Militärschlag gegen Syrien) berichtet
sie, daß die Israelis etwas weniger hörbar argumentieren, daß kein Ergebnis das
beste Ergebnis des zweieinhalbjährigen syrischen Bürgerkriegs wäre, zumindest
zum gegenwärtigen Zeitpunkt.
Rudoren fährt fort: »So schrecklich er – unter humanitären Gesichtpunkten –
auch sein mag, für Jerusalem ist der Status quo besser als ein Sieg der
Assad-Regierung und seiner iranischen Unterstützer oder die Stärkung der
Rebellengruppen, die zunehmend von den sunnitischen Dschihadisten dominiert
werden. ›Dies ist ein Entscheidungsspiel, in dem beide Teams verlieren sollten,
oder zumindest, in dem keines gewinnen sollte – wir würden uns mit einem
Unentschieden zufriedengeben‹, sagte Alon Pinkas, der ehemalige israelische
Generalkonsul in New York. ›Beide sollten bluten, sich zu Tode bluten: das
entspricht dem strategischen Denken hier. Solange es so weitergeht, geht von
Syrien keine wirkliche Gefahr aus.‹«
Wir vermuten, daß die gegenwärtige israelische Führung die Situation in Syrien
genau so einschätzt und daß ein stärkeres US-Engagement – wenn auch zunächst
nur mit begrenzten Militärschlägen – sicherstellen könnte, daß es keine baldige
Lösung für den Konflikt in Syrien gibt. Je länger sich Sunniten und Schiiten in
Syrien und in der weiteren Region gegenseitig bekämpfen, desto sicherer ist
dies im israelischen Kalkül.
Die Tatsache, daß Iran Syriens wichtigster Verbündete ist, mit dem es einen
Vertrag über gegenseitigen Beistand hat, spielt im israelischen Kalkül ebenso
eine Rolle. Die Führung Irans kann wahrscheinlich keinen großen militärischen
Einfluß in Syrien ausüben und Israel kann dies hervorheben, um Teheran zu
blamieren.
Die
Rolle Irans
Durch Assoziation kann man Iran deshalb leicht
beschuldigen und ihm alle möglichen realen oder imaginären Provokationen in die
Schuhe schieben. Einige sehen Israels Hand hinter den schädlichsten Vorwürfen
gegen Assad chemische Waffen betreffend, und aus Erfahrung wissen wir, daß dies
sehr wohl möglich ist.
Möglich ist auch ein Angriff unter falscher Flagge durch eine interessierte
Partei auf, sagen wir mal, einen der fünf US-Zerstörer, die im östlichen
Mittelmeer vor Syrien patrouillieren, um ihn zu versenken oder zu beschädigen.
Wir können darauf bauen, daß unsere Mainstreammedien dies voll ausnutzen
würden, um den Druck auf Sie zu verstärken, das militärische Engagement der USA
in Syrien auszuweiten – und vielleicht darüber hinaus auch gegen Iran.
Auch Iran gibt den syrischen Aufständischen die Schuld an dem chemischen
Vorfall vom 21. August und hat die USA sehr schnell vor einem stärkeren
Engagement gewarnt. Laut dem iranischen englischsprachigen Sender Press TV,
behauptete der iranische Außenminister Mohammad Javid Zarif: »Die Krise in
Syrien ist eine Falle, die die zionistischen Lobbygruppen [den USA] gelegt
haben«.
Seine Einschätzung ist möglicherweise nicht ganz abwegig. Aber wir vermuten,
Ihre Berater werden sich davor hüten, derartiges in Betracht zu ziehen. Deshalb
sehen wir es weiterhin als unsere Pflicht, Sie zu informieren um
sicherzustellen, daß Sie und andere Entscheidungsträger ein vollständiges Bild
erhalten.
Unvermeidliche
Vergeltung
Wir hoffen, daß Ihre Berater Sie gewarnt haben, daß
Vergeltungsschläge für Angriffe auf Syrien nicht eine Frage des ob, sondern des
wo und wann sind. Vergeltungsschläge sind unvermeidlich. Terroristische
Anschläge auf US-Botschaften und andere Einrichtungen werden jenen gegen die
US-Botschaft am 11. September 2012 in Bengasi belanglos erscheinen lassen.
Einer von uns beschäftigte sich mit diesem Kerngedanken vor einer Woche in dem
Artikel »Mögliche Folgen eines US Angriffs auf Syrien – Erinnerung an die
Zerstörung der US Kasernen in Beirut 1983.«
Für den
Leitungsausschuss, Veteran Intelligence Professionals for Sanity
Thomas Drake, Senior Executive, (ehemals) NSA
Philip Giraldi, CIA, Operations Officer (i.R.)
Matthew Hoh,ehemals Capt., USMC, Iraq & Foreign Service Officer,
Afghanistan
Larry Johnson, CIA & State Department (i.R.)
W. Patrick Lang, Senior Executive and Defense Intelligence Officer, DIA (i.R.)
David MacMichael, National Intelligence Council (i.R.)
Ray McGovern, former US Army infantry/intelligence officer & CIA analyst
(i.R.)
Elizabeth Murray, Deputy National Intelligence Officer for Middle East (i.R.)
Todd Pierce, US Army Judge Advocate General (i.R.)
Sam Provance, ehemals Sgt., US Army, Iraq
Coleen Rowley, Division Council & Special Agent, FBI (i.R.)
Ann Wright, Col., US Army (ret); Foreign Service Officer (i.R.)
6. September 2013
(Übersetzung Doris Pumphrey)
Englisches
Original consortiumnews.com/2013/09/06/obama-warned-on-syrian-intel/
Quelle:
Junge welt 10.9.2013