Was erwartet der Dalai Lama von China ?

Der amerikanische Präsident Barack Obama hat die Absicht, den Dalai Lama ins Weiße Haus einzuladen.

Die USA und Europa fordern die chinesische Regierung oft zu Verhandlungen mit dem Dalai Lama bezüglich seiner Rückkehr nach Tibet und einer „wirklichen Autonomie“ für das tibetische Volk auf. Seit den siebziger Jahren schon sind solche Verhandlungen zwischen Peking und den Repräsentanten des Dalai Lama. Die letzten Gespräche haben im Januar des Jahres [2009, also nicht mehr ganz aktuell bezüglich der „letzten“, d.Ü.] stattgefunden. Ein Mal mehr drehen sie sich um das Memorandum, das der Dalai Lama im November 2008 vorgestellt hat. Für den Dalai Lama stellt dieses Programm die Basis der Verhandlungen dar.

 

Fassen wir die Forderungen dieses Memorandums zusammen:

 

  1. Die Provinzgrenzen Chinas müssen derart modifiziert werden, dass sich ein Groß-Tibet in konstituieren kann, das dem tibetischen Königreich vom 8. Jahrhundert entspricht.
  2. Um die tibetische Kultur zu schützen, muss auf dem Gebiet Tibets eine Immigrationssperre für andere chinesische Volksgruppen eingerichtet werden. Die Nicht-Tibeter, die hier seit Generationen leben, sind eine Bedrohung für die autonome Kultur.
  3. Das Groß-Tibet muss seine eigene Gesetzgebung haben, ohne Einmischung der chinesischen Zentralregierung.
  4. Der einzigartige Charakter der tibetischen Kultur und Identität kann sich nur unter tibetischer Verwaltung entwickeln.
  5. Das staatliche Bildungssystem wird in Groß-Tibet durch ein religiöses buddhistisches ersetzt werden.
  6. Die erste Sprache in Groß-Tibet muss das Tibetische sein.
  7. Das Eigentum an Boden ist an die tibetische Nationalität gebunden. Sie muss darüber frei verfügen können (sie vermieten, sie verkaufen).
  8. Groß-Tibet muss so schnell wie möglich Selbstversorger werden; die Unterstützungen des chinesischen Zentralstaates müssen aufhören, um eine reale Autonomie garantieren zu können.
  9. Tibet ist eine ökologische Katastrophe geworden. Die Weiden und Wälder verschwinden. Früher haben die Tibeter immer in Harmonie mit der Natur gelebt. So muss es wieder werden.
  10. Die Zugehörigkeit zu den Ordnungskräften obliegt den ethnischen Tibetern. [Es ist nicht unterschieden, ob es sich um die Polizei UND die Armee handelt, aber in anderen Texten ist aufgeführt, dass die chinesische Volksarmee aus Groß-Tibet verschwinden muss.]
  11. Die regionale Regierung von Tibet muss in aller Unabhängigkeit in allen internationalen Organisationen vertreten sein können, ohne dafür einen Sitz in den Vereinten Nationen zu haben.

Die chinesische Antwort

Die chinesische Regierung hat auf diese Forderungen folgendes geantwortet:

  1. Nach dem 8. Jahrhundert ist Groß-Tibet nie eine politische Einheit gewesen. Die aktuellen Provinzgrenzen haben sich seit dem 18. Jahrhundert nicht geändert. Das vom Dalai Lama geforderte Gebiet ist zwei Mal größer als die Provinz Tibet. Es handelt sich um ein Viertel des chinesischen Territoriums. In dem zur Ausdehnung beanspruchten Gebiet leben verschiedene Völker friedlich zusammen. Die tibetische Kultur ist nicht die einzige.
  2. China ist ein multi-ethnischer Staat, in dem die den Minoritäten eigenen Charakteristiken geschützt sind. Innere Grenzen zu ziehen und die Nicht-Tibeter auszuweisen ist ethnische Säuberung.
  3. Eine spezifische Gesetzgebung für Tibet existiert bereits, allerdings wurde sie in Abstimmung mit der Zentralregierung erarbeitet. Die Einheit des Landes ist eine Garantie für die tibetische Autonomie. Wenn die Einheit des Landes nicht garantiert wird, muss man also von Unabhängigkeit reden. In diesem Falle fiele Tibet ganz schnell in die Hände einer Großmacht, und es bliebe nichts von dieser Autonomie übrig.
  4. Siebzig von Hundert der politischen Kader und Funktionäre in Tibet sind heute bereits Tibeter. Der Gouverneur und der Präsident des Regionalparlaments sind Tibeter. Drei von vier der höchsten Ämter der Partei in Tibet sind in den Händen von Tibetern.
  5. Das Bildungssystem dem Buddhismus unterzuordnen ist entgegen der chinesischen Verfassung, die ein einheitliches und nicht religiöses Bildungssystem vorsieht.
  6. Im Interesse der Einheit Chinas wurde Tibet per Gesetz zur zweisprachigen Zone erklärt: Tibetisch und Chinesisch. In den Vorschlägen des Dalai Lama ist die chinesische Sprache nicht als zweite mögliche Sprache benannt. Das ist eine Anstiftung zum Kampf der Sprachgemeinden. Sind es nicht Millionen Menschen, die eine andere als die tibetische Sprache sprechen und in der für die Ausdehnung von Groß-Tibet geforderten Region leben?
  7. Gemäß der chinesischen Verfassung ist aller Grund und Boden Eigentum des Zentralstaates, er ist in keinem Fall Privateigentum und ganz gewiss nicht auf Grund ethnischer Fragen.
  8. Die Unterstützungen des Zentralstaates für Tibet machen 90 Prozent des regionalen Budgets aus und betreffen die Infrastruktur, Ökologie, Bildungs-, Wohnungs-, Gesundheitswesen und den Kampf gegen die Armut. Die tibetische Wirtschaft ist in großen Teilen noch eine Überlebenswirtschaft. Ohne auswärtige Hilfe könnte Tibet nicht aus seinem Unterentwicklung finden.
  9. Auf Grund seines ökonomischen und sozialen Wachstums, besseren Lebensbedingungen und einer bedeutend höheren Gesundheitsfürsorge ist die Anzahl der Tibeter auf das Dreifache gewachsen. Desgleichen betrifft den Viehbestand. Dieser übt einen Einfluss auf die schwachen Grünzonen aus. In Folge der klimatischen Veränderungen wird Tibet auch viel wärmer und trockener. Enorme Summen sind nötig, um gegen die Verödung zu kämpfen. Wer wird sie bereit stellen?
  10. Die chinesische Armee ist in der Lage, die Gesamtheit des Territoriums zu verteidigen, Tibet eingeschlossen. Das Polizeicorps in Tibet ist bereits tibetisch.
  11. Die tibetischen Repräsentanten können bei internationalen Treffen im Interesse der Einheit des Landes einen Platz innerhalb der chinesischen Delegationen einnehmen.

 

China fordert den Dalai Lama auf, weder separatistische Aktivitäten zu unterstützen noch die Gewalt in Tibet wie auch gegen die Botschaften Chinas im Ausland zu befürworten.

Bis heute ist der Dalai Lama noch nicht auf diese Forderung eingegangen.

 

Der Dalai Lama und seine Verwaltung in Indien beschuldigen die chinesische Regierung, nicht ernsthaft auf die formulierten Forderungen eingehen zu wollen.

Die chinesische Regierung ihrerseits betrachtet sie als versteckte Forderungen für eine Unabhängigkeit. Sie fügt hinzu, dass der Dalai Lama diesbezüglich die Unterstützung „einer großen Macht“ erhält, ohne aber die USA namentlich zu nennen. Die Regierung sagt allerdings ausdrücklich, dass „der Kongress dieser großen Macht im letzten Jahr dem Dalai Lama und seiner Umgebung 16,7 Millionen Dollar an finanzieller Unterstutzung gegeben habe.“

Die letzte Gesprächsrunde vom Januar 2010 hat die beiden Gesprächsführer um keinen Zoll näher gebracht.

 

China in ein schlechtes Licht rücken

 

Das Verhalten der USA gegenüber dem Dalai Lama und in der Tibet-Frage ist seit 1949 ziemlich konstant geblieben. Vor diesem Zeitpunkt haben die Vereinigten Staaten die territoriale Integrität Chinas anerkannt, Tibet inbegriffen. Offiziell ist das heute immer noch der Fall, aber das hindert die USA keineswegs daran, die Tibet-Frage regelmäßig zu nutzen, um China herauszufordern.

Im April 1949 hat das [US-]amerikanische Außenministerium dazu auch erklärt, warum: „Die Anerkennung Tibets als unabhängiges Land ist für uns auch nicht die wirkliche Frage. Das, was sie zum Trumpf macht, ist unsere Haltung zu China. Wenn es eine tibetische Exilregierung gäbe, wäre die angebrachte Politik der Vereinigten Staaten ihre Unterstützung, ohne Tibet als unabhängiges Land anzuerkennen.“ Genau das hat sich auch in der Realität abgespielt: Der Dalai Lama ist schließlich den Weg ins Exil gegangen. Man hat aus ihm einen vollkommenen Märtyrer gemacht und somit eine Sorte Stock gefunden, um China zu dem Zeitpunkt zu schlagen, der den Interessen der USA am besten dient.

 

In den fünfziger und sechziger Jahren haben die USA den bewaffneten Widerstand der tibetischen Separatisten ausgebildet, trainiert, organisiert und finanziert. Mit Hilfe des Dalai Lama und seiner Verwaltung. Seit den siebziger Jahren entwickeln und finanzieren die USA ein Netz von Hilfsgruppen zugunsten der Unabhängigkeit Tibets. Motiv: Der Propaganda gegen China weiterhin und neuen Atem einzuhauchen und China in ein schlechtes Licht zu bringen. Die tonangebenden Leute hier sind die Internationale Kampagne für Tibet mit Lodi Gyari, einem Geistlichen und Repräsentanten des Dalai Lama in den Vereinigten Staaten, als Exekutiv-Präsidenten.

 

Die letzten Jahrzehnte ist der Dalai Lama mehrmals vom (us-)amerikanischen Präsidenten eingeladen worden. Obama hat durchaus das Bestreben, hier anzuschließen. China protestiert dagegen, weil es den Dalai Lama als Separatisten ansieht. Peking lehnt eine Diskussion mit dem Mann nicht ab, allerdings betrachten die chinesischen Autoritäten seinen Empfang durch einen ausländischen Staat als Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten.

 

Dieser Text wurde am 12. Februar 2010 redigiert von Jean-Paul Desimpelaere, Redakteur von www.infochina.be . Der Autor unterhält einen Blog zu Tibet. Sie finden ihn hier: http://infortibet.skynetblogs.be/. Er arbeitet ebenfalls mit  www.tibetdoc.eu.

 

Quellen : Der gesamte Text des Memorandums des Dalai Lama ist auf dem Site seiner Verwaltung zu finden : administration : www.tibet.net/en
Die chinesische Antwort finden Sie hier :
http://eng.tibet.cn/news/today/200910/t20091018_511138.htm

 

(Übersetzung a. d. Französischen Gudrun Stelmaszewski)