Fehler der Vergangenheit bleiben Fehler der Gegenwart: Parlamentsanhörung des

Premiers David Cameron dringend geboten

von Luz María De Stefano Zuloaga de Lenkait, Juristin und Diplomatin a.D. am 1.10.2014

 

Der britische Premier David Cameron ist nicht konsequent mit seinen außenpolitischen Erkenntnissen vor der UN-Vollversammlung in New York am 24.9.14. "Fehler der Vergangenheit" dürften nicht dazu führen, dass man nun tatenlos zusehe. So David Cameron in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung. Man werde sich entsprechend an Luftschlägen gegen IS-Ziele im Irak beteiligen.Der Premier Großbritanniens deutet auf "Fehler der Vergangenheit", ohne sie zu nennen, ohne sie zu präzisieren, ohne dabei zu merken, dass solche "Fehler der Vergangenheit" bis heute weiter andauernde Fehler der britisch-amerikanischen Außenpolitik sind. Deshalb handelt es sich nicht um vergangene, sondern um gegenwärtige Fehler, für die es keine rechtliche Grundlage gibt und keine geben darf. Schon im August 2013 wollten David Cameron und Barack Obama ein militärisches Eingreifen gegen den syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad durchsetzen, weil dieser mutmaßlich Chemiewaffen eingesetzt hätte. Nach einer langen und auf höchstem Niveau geführten Debatte verweigerte das Londoner Parlament dem britischen Premier die Zustimmung (29.8.2013). Der falsche Präzedenzfall 2003, als das Königreich an der Seite des damaligen US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush in den Krieg gegen den Irak gezogen war, spielte eine entscheidende Rolle bei der Weigerung des Parlaments. Der damalige Premierminister Tony Blair hatte ein stark frisiertes "Dossier" vorgelegt, aus dem hervorging, dass der Diktator Saddam Hussein angeblich über Massenvernichtungswaffen verfüge. Eine krasse Falschheit, wie sich bloßstellte. Das in London konstruierte falsche Dossier wurde vom damaligen US-Außenminister Colin Powell vor dem UN-Weltsicherheitsrat im Februar 2003 als Vorwand für den Angriffskrieg präsentiert. Die Londoner Konstruktion dieser Falschheit kostete damals das Leben eines jungen Mitarbeiters der britischen Auslandsaufklärung MI-6.

Der ehemalige US-Außenminister Colin Powell hatte in der Tat dem UN-Sicherheitsrat gefälschte Beweise vorgelegt, mit denen der Krieg gegen den Irak begründet wurde. Die mutmaßlichen Unterstellungen seines Nachfolgers John Kerry, den Präsidenten Syriens für den Einsatz von Chemiewaffen 2013 zu beschuldigen, sind auch als Lüge aufgeflogen. Kerry hatte keine Beweise für seine Anschuldigung, nicht einmal gefälschte.

Heute scheint die Lage noch brisanter als damals, als der lügnerische Premier Anthony Blair Anlass für eine britische Parlamentsanhörung gab. Jetzt sollte Premier David Cameron damit an der Reihe sein. Zwei grobe Falschheiten sind aufgeflogen: im Jahr 2003 gegen den Irak und im Jahr 2013 gegen Syrien aufgrund dessen der militärische Angriff vom britischen Parlament verweigert wurde (29.8.2013). Jetzt im laufenden Jahr 2014 wollen Washington, Paris und London wegen einzelner entsetzlicher brutaler Enthauptungen von US-Amerikanern, Briten und einem Franzose im Nordirak die ganze Welt durch ein paar tausend islamischen Fanatiker bedroht sehen. Die übertriebene Schlussfolgerung ist offensichtlich. Aber diesmal erreicht der britische Premier David Cameron die Zustimmung im Parlament, um den Irak anzugreifen. Von Syrien ist jedoch nicht die Rede. Berücksichtigen wir sorgfältig die Beweislage: Einer der Henker unter den IS-Mördern ist ein Brite. Das ist bekannt und bewiesen. Der Angriffswille Großbritanniens und der USA gegen Syrien ist auch bekannt und bewiesen. Es fehlte bisher nur der Vorwand, der bekanntlich 2013 aufflog (die erfundene Giftgas-Anschuldigung Assads). Ist es nicht plausibel zu vermuten, dass die Londoner Regierung den britischen Henker dazu engagierte und als Söldner bezahlte, die grausame Enthauptung zu begehen? Wenn es eine europäische Regierung gibt, die so eiskalt und skrupellos handeln kann, dann ist es die Regierung des Vereinigten Königreichs, die für ihre mörderischen Aktionen in ihrem Interesse berühmt ist. Andere Söldner sind auch für terroristische Aktionen im Syrien und Irak bezahlt worden. Wieso dann nicht diese Henker? Die Interessenlage bleibt dieselbe, nämlich einen Vorwand zu finden oder zu konstruieren, um militärisches Eingreifen zu rechtfertigen. Jetzt haben sie ihn: Durch den medienwirksam verbreiteten mittelalterlichen IS-Horror.

Bis heute bereuen viele britische Parlamentarier, dass sie auf der Grundlage fabrizierter Beweise einem Kriegseinsatz zugestimmt hatten. Die IS-Gräueltaten haben die Stimmung jedoch grundlegend geändert. Richtig wäre es, die Unterstützung solcher Terroristen durch reaktionäre Staaten und einen weiteren barbarischen Interventionismus durch Gewalt und Terror zu stoppen. Eine britische Beteiligung an Luftschlägen führt lediglich zu weiteren Terror-Akten und zur Eskalation in der Region und sät mehr Hass gegen die westlichen Interventen. Das ist gewiss nicht richtig, sondern falsch und gegen jeden gesunden Menschenverstand.

Unbestritten falsch bleibt, Terroristen zu bewaffnen und zu finanzieren, sie instrumentalisiert zu haben, um eigene unzulässige Zwecke zu verfolgen, wie der Regimewechsel in Syrien, anstatt mit der syrischen Regierung zusammenzuarbeiten, die eine legitime Opposition in ihrem Land anerkennt, aber bestimmt nicht "Oppositionelle", die unter US/EU-Regie agitieren, revoltieren, morden und zerstören. Die reaktionären arabischen Regime fürchten eine nationale Opposition, die ihren Thron wackeln lassen könnte. Deshalb befürworten sie es, die brutalen Dschihadisten in Syrien zu unterstützen, anstelle der institutionellen syrischen Regierung, die gegen die aufständische Brutalität und den IS-Terror mit der syrischen Armee schon drei Jahre lang erfolgreich kämpft.

Die verräterische britische Außenpolitik im Nahen Osten wurde schon 2013 vor den Augen Camerons bloßgestellt. Der britische Premier David Cameron hatte am Sonntag 16.6.2013 in London eine harte Auseinandersetzung mit dem russischen Präsident Wladimir Putin. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz erklärte Putin mit brillanter Rhetorik, im Unterschied zur Entscheidung von US-Präsident Barack Obama, Waffen an die Rebellen in Syrien zu liefern, stünden Russlands Rüstungsexporte an die legitime Regierung mit dem Völkerrecht im Einklang. Der russische Präsident, Wladimir Putin, verwies schon damals auf ein widerliches Kannibalen-Video der syrischen Rebellen. Der Kannibale hatte anschließend in einem Zeitungsinterview seine Zukunftsvorstellung für Syrien bekräftigt. Putin fragte: "Sind das die Leute, die Sie unterstützen und mit Waffen versorgen wollen? ... Wenn ja, hat das sicher wenig mit den humanitären Werten zu tun, die seit Jahrhunderten in Europa gepredigt werden." David Cameron musste einräumen, dass es unter den Aufständischen "höchst besorgniserregende" Elemente gebe. Deshalb habe London noch keine Entscheidung zu deren Bewaffnung getroffen. Trotzdem setzte London seine fehlgeleitete Außenpolitik der Bewaffnung und Rekrutierung von Söldnern fort.

Eine politische Lösung für Syrien durch Dialog nicht weiter zu blockieren, bleibt nach drei Jahren Zerstörung und brutaler Terror das Gebot der Stunde, wie es schon Russland, China, die BRICS-Staaten, die blockfreien Staaten und die Assad-Regierung in Syrien wiederholt befürwortet haben. Auf "Drohkulisse" und "militärische Interventionen" zu setzen, bedeutet, weiteres Menschenleben skrupellos zu opfern, und zwar unverhältnismäßig, wofür sich westliche Regierungschefs zu verantworten haben, denn sie sind diejenigen, die sich fortwährend sperren, um einen Ausweg aus der Gewalt zu ermöglichen. Sie nehmen somit weiteres Blutvergießen und Mord in Kauf gegen allen Sinn für Humanität.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte also jeden Grund, vor der UN-Vollversammlung am 27.9. mit der westlichen Außenpolitik ins Gericht zu gehen:

<Immer deutlicher tritt heute der Gegensatz zwischen dem Bedürfnis kollektiver partnerschaftlicher Aktionen im Interesse der Ausarbeitung angemessener Antworten auf allgemeine Herausforderungen für alle und dem Bestreben einer Reihe von Staaten nach Vorherrschaft und der Wiedergeburt archaischen Denkens in Blöcken hervor. Das Bestreben ist auf Kasernendisziplin und eine primitive Freund-Feind-Logik gegründet.

Die westliche Allianz unter Führung der USA, die als Verfechter der Demokratie, der Herrschaft des Gesetzes und der Menschenrechte in bestimmten Ländern auftritt, handelt auf internationaler Ebene von direkt entgegengesetzten Positionen aus, insofern sie die Stärkung der in der UN-Charta verankerten demokratischen Prinzipien der souveränen Gleichheit von Staaten ablehnt und versucht, für alle zu entscheiden, was gut und was böse ist.

Washington hat offen sein Recht erklärt, einseitig militärische Gewalt zu nutzen, wo es für die Verteidigung seiner eigenen Interessen vorteilhaft ist. Kriegerische Einmischung wurde zur Norm, sogar ungeachtet dessen, dass militärische Operationen der USA in den vergangenen Jahren kläglich endeten. Es wurden gewalttätigste Schläge gegen die Stabilität des internationalen Systems geführt. ... Unfreiwillig entsteht so das Empfinden, das Ziel der verschiedenen "bunten Revolutionen" und ähnlicher Vorhaben des Auswechselns unerwünschter Regime sei das Provozieren von Chaos und Instabilität. Nun wurde die Ukraine das Opfer dieser Politik. Die Situation dort offenbarte die tiefen, systematischen Mängel der Euro-Atlantischen Architektur. Der Westen nahm Kurs auf eine "vertikale Strukturierung der Menschheit" unter seine eigenen, bei weitem nicht harmlosen Standards. Unter Ausrufung des Sieges im Kalten Krieg und des Eintretens eines sogenannten Endes der Geschichte zielen die USA und die EU auf die Ausweitung des von ihnen kontrollierten geopolitischen Raums, ohne das Gleichgewicht der rechtmäßigen Interessen aller Völker Europas in Rechnung zu stellen. ... Sie entfernten sich Schritt für Schritt von der gemeinsamen Arbeit zur Schaffung eines einheitlichen Raums gleicher und ungeteilter Sicherheit und der Zusammenarbeit vom Atlantik bis zum Stillen Ozean. Der russische Vorschlag für die Ausarbeitung eines Vertrags über europäische Sicherheit wurde abgelehnt. ... Die USA und die EU unterstützen den Umsturz in der Ukraine, rechtfertigten bedenkenlos beliebige Handlungen der selbsternannten Kiewer Machthaber, nahmen Kurs auf die gewaltsame Unterdrückung jenes Teils des ukrainischen Volkes, der die Versuche ablehnte, dem gesamten Land eine verfassungswidrige Politik aufzuzwingen, und seine Rechte auf die heimatliche Sprache, Kultur und Geschichte bewahren wollte. Es war gerade der aggressive Angriff auf diese Rechte, der die Bevölkerung der Krim dazu zwang, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und die Selbstbestimmung zu wählen. > (Aus einem Auszug der Rede vom Außenminister Russlands, Sergej Lawrow vor der UN-Vollversammlung in New York am 27.9., „Abgeschrieben“, Übersetzung: Arnold Schölzel, Junge Welt vom 30.9.14)

Der russische Außenminister schlug vor, eine Erklärung anzunehmen, die das Nicht-Anerkennen eines Regierungswechsels in einem Land mithilfe eines Staatsstreichs zum Prinzip erhebt genauso wie die Unzulässigkeit, sich in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates einzumischen. Letzteres ist immerhin bereits in der Charta der Vereinten Nationen festgelegt. UN-Resolutionen als Präzedenz stützen schon den russischen Vorschlag, Resolutionen, die nur aktualisiert werden müssen. Die UN-Vollversammlung hatte im Dezember 1978 die "Deklaration über die Vorbereitung der Völker auf ein Leben in Frieden" (bei Stimmenthaltung der USA und Israels), im Dezember 1981 die "Deklaration über die Unzulässigkeit der Intervention und der Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten" und im Dezember 1984 die "Deklaration über das Recht der Völker auf Frieden" (gegen die Stimmen aller NATO-Staaten) beschlossen. Alle diese UN-Beschlüsse werden durch einzelne Herrschaftsmächte, wie die Obama-Regierung und Mächtegruppierungen nichtig gemacht. Sie beharren auf Kriegszerstörung und Gewaltpolitik.

Lawrow erklärt auch, dass bei gemeinsamen Anstrengungen nur auf den Prinzipien des gegenseitigen Respektes und der gegenseitigen Berücksichtigung der Interessen gebaut werden könne, wie es im Rahmen der BRICS und der Schanghai Organisation für Zusammenarbeit (SCO), G20 oder im UN-Sicherheitsrat geschieht.

Gerichtliche Institutionen haben die Funktion, die internationale Rechtsordnung mit aller Kraft des Gesetzes gelten zu lassen. Das sind auch Zweck und Sinn der einstimmig angenommenen UN-Sicherheitsrat-Resolution vom 24.9. gegen Terrorismus. Die legale gerichtliche Tätigkeit muss in Gang gesetzt werden, wie es zu einem funktionierenden Rechtsstaat gehört. Nicht nur die Kleinen, die verirrten Seelen, die fanatisiert zum abenteuerlich-tödlichen Kampf aufgebrochen sind und hierher zurückkehren, sind zu bestrafen, sondern zuerst selbstverständlich die Großen, die Verbrecher, die in westlichen Regierungen sitzen und von dort aus Aufständische und Dschihadisten fördern, bewaffnen und finanzieren. Der Justiz-Minister ist gefordert, die Staatsanwaltschaften anzuweisen, damit diese Hauptverantwortungsträger für den Terrorismus vor Gericht kommen. Das wäre die konsequente Maßnahme gemäß der entsprechenden UN-Sicherheitsresolution vom 24.9., die alle Staaten verpflichtet, gerichtlich gegen den Terror vorzugehen.

Gemäß Art.25 des deutschen Grundgesetzes sind alle internationalen Regeln Teil des föderalen Rechts. Zutreffend schrieb die britische Tageszeitung "The Independent" am 27.8.2013: "Wenn der Westen nun ein neues militärisches Abenteuer eingeht und womöglich noch größeres Unheil über Syrien hereinbricht, wird Cameron seinen Teil der Verantwortung übernehmen müssen."

Wegen des grundsätzlichen Gewaltverbots ist militärische Gewalt nur zur Selbstverteidigung zu rechtfertigen. Militärische Angriffe als Strafmittel sind keine zulässige Kategorie mehr. Der britische Premier und der US-Präsident sind in ein archaisches Denken zurückgefallen, für dessen Überwindung das heutige Völkerrecht steht und fällt. Selbst der Pakt gegen Genozid von 1948 ("Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords") stellt klar, was allein unter "Bestrafung" zu verstehen ist, nämlich "die Strafverfolgung durch die Justiz gegen verantwortliche Individuen." Die Strafverantwortung für jedes Verbrechen ist persönlich. Bestimmte Verbrechen sind besonders zu ahnden. Vor allem ein Zivilisationsbruch, wie ihn ein Angriffskrieg darstellt. Das ist die Lektion aus den Nürnberger Prozessen im 20. Jahrhundert und aus dem Kuala-Lumpur-Prozess im 21. Jahrhundert. Bei dem Kuala-Lumpur Prozess wurden George W. Bush und Anthony Blair als Kriegsverbrecher wegen Verbrechen gegen den Frieden verurteilt (23.11.2011).

Was Deutschland betrifft, müssen London und Paris mit dem gerechten Berliner Widerstand rechnen, denn eine Regierungsentscheidung, die einen Rechtsverstoß darstellt, bleibt ohne Rechtskraft und erfordert allgemeinen Widerstand. Weitere Schritte aus Berlin gegen das inakzeptable Verhalten von europäischen Angreifern sind noch zu bedenken. Vor allem ist die deutsche Justiz an der Reihe zu handeln.

Militärisch einen Staat zu bedrohen und abzuschrecken, ist völkerrechtlich nicht zu rechtfertigen. Jeder Bombenangriff auf ein Land entbehrt absolut jeder Legitimation durch den UN-Sicherheitsrat und ist grundsätzlich falsch. Das UN-Exekutivorgan hat sich mehrmals gerade von Großbritannien unter anderen für militärische Interventionen ausnutzen lassen und damit seine Funktion, den Frieden zu bewahren, verdreht, missachtet und pervertiert. Hier muss das britische Parlament einhaken, um die verfehlte angelsächsische Außenpolitik im Sinne zivilisierter Normen zu korrigieren, nämlich im Sinne der Einhaltung der in Kraft befindlichen internationalen Ordnung, deren Mitgründer 1945 Großbritannien selbst war. Das internationale Gesetz gebietet völkerrechtlich eine Blockade gegen Krieg und Aggression im Sicherheitsrat genauso wie die Gesetze jedes Rechtsstaates. Aber das wissen sehr wohl der britische Premier als auch das britische Parlament.

Eine Parlamentsanhörung des Premiers David Cameron ist dringend geboten hinsichtlich derart vieler ernster schwerwiegender Vermutungen, die in Bezug auf den IS-Horror auf Downing Street hinweisen.