Alexis Tsipras - Rede in der Fraktion von SYRIZA
Auszüge aus der Rede des griechischen
Ministerpräsidenten vor der SYRIZA – Fraktion
Liebe Genossinnen und
Genossen,
Liebe Freundinnen und
Freunde,
Wir tagen heute, an diesem
so bedeutenden Tag für Griechenland. Einem Tag, an dem sich unsere Kraft und
unsere Grenzen mit der Verantwortung, die auf unseren Schultern lastet messen.
Heute kommt nicht nur der
lange und schmerzhafte Verhandlungsprozess unseres Landes mit seinen Gläubigern
zu einem Ende. Das Ende dieses Verhandlungsprozesses markiert auch den Beginn
eines neuen Zeitalters für Europa.
Über lang oder kurz wird
der Samen der Demokratie und der Würde, den wir gesät haben in Spanien, in
Portugal und in Irland Früchte tragen. Wir haben nicht nur für Griechenland
verhandelt, sondern für ganz Europa, denn wir haben die Forderung nach einem
sofortigen Ende der Sparpolitik auf die Agenda der öffentlichen Debatte in
Europa gesetzt. Wir haben verhandelt, damit in Europa nicht nur das europäische
Regelwerk, sondern auch der Grundsatz, dass alle Macht vom Volk ausgeht
respektiert wird.
Liebe Genossinnen und
Genossen,
Liebe Freundinnen und
Freunde,
in der zeitgenössischen
Geschichte Europas findet sich kein anderes Land, das unter derartigen
Bedingungen, dem praktischen Bankrott, derart beharrlich und mit erhobenem
Haupt über seine Zukunft verhandelt hat. Keine andere Regierung hat je auf
Augenhöhe mit ihren Partnern darum verhandelt, endlich als gleichwertiger
Partner in der Eurozone wahrgenommen und behandelt zu werden. Wir haben diesen
Platz in der Eurozone mit großen Mühen und Anstrengungen wiedergewonnen. Und
wir haben uns dazu entschieden, diese Position nicht jenen
reaktionär-konservativer Kreise zu opfern, die nach wie vor darauf abzielen,
eine ungeliebte linke Regierung und mit ihr ein ganzes Volk los zu werden, das
trotz der Folgen dieser ökonomischen Strangulationsversuche weiterhin
aufopferungsvoll an seiner Unterstützung für diese Regierung festhält. Wir
haben uns dazu entschieden, einen Grexit zu verhindern.
Das laute Nein, das das
griechische Volk unter unvorstellbaren ökonomischen Erpressungsversuchen, mit
geschlossenen Banken und Capital Controls gerufen hat, ist beispiellos. Nein zu
Austerität, Nein zu einem Europa der sozialen Verelendung. 61,3% der Bevölkerung
haben nicht einfach Nein zu einer demütigenden Vereinbarung gesagt, die man uns
von Seiten der Institutionen aufzuzwingen versucht hatte. Es hat sich auch den
politischen Versuchen entgegengestellt, die darauf abzielten andere politische
Kräfte ins Amt zu manövrieren. Das Nein unseres Volkes hat uns die Solidarität
aller Völker Europas eingebracht und unsere Verhandlungsposition gestärkt.
Zugleich hat es die Pläne konservativ-reaktionärer Kräfte und Teile der
Kreditgeber, die auf den Bruch mit Europa hinarbeiten, zunichte gemacht. Der
Volksentscheid, hat den Grexit verhindert.
Liebe Genossinnen und
Genossen,
ich stehe hier vor euch,
um euch die Wahrheit zu sagen. Unsere Bevölkerung muss die Wahrheit kennen, um
mit Ruhe und Besonnenheit urteilen zu können. Wir sind in einen Krieg
eingetreten. Wir haben gekämpft, wir haben Boden gut gemacht. Doch an dieser
Stelle müssen wir aufhören. In Europa ist unter den gegebenen
Kräfteverhältnissen nichts Besseres für unser Land und unser Volk zu holen als
das, was wir heute dem Parlament vorlegen. Wir haben allen
Verhandlungsspielraum ausgeschöpft, waren dazu gezwungen, die Grenzen der
griechischen Wirtschaft und die Grenzen des griechischen Volkes zu
strapazieren.
Auf die Frage, ob wir in
den vergangenen fünf Monaten Fehler begangen haben, gibt es nur eine
aufrichtige Antwort: Ja. Wir haben Fehler gemacht. Es war ein Fehler, dass die
Kreditgeber in der Vereinbarung vom 20. Februar nicht dazu verpflichtet wurden
einen Teil der ausstehenden Tranche sofort auszuzahlen. Das war unser Fehler.
Und man könnte noch andere hinzufügen. Niemand ist frei von Fehlern. Ich bin
keine Ausnahme.
Wir befinden uns heute
hier, um eine Entscheidung zu treffen, die unser Leben und das Leben unserer
Kinder bestimmen wird. Die Stunde der Entscheidung ist gekommen. Wir
entscheiden nicht darüber, was wir uns wünschen. Sondern darüber, was hier und
heute möglich ist.
Nur das steht zur Wahl.
Entweder bringen wir eine schwierige Vereinbarung mit den Kreditgebern zum
Abschluss oder wir schicken die Bevölkerung unseres Landes auf eine Reise durch
die unerforschten Gewässer eines Euroaustritts.
Entweder folgen wir dem
Mandat, das uns durch das Referendum erteilt wurde oder wir folgen der
Strategie von Herrn Schäuble.
Liebe Genossinnen und
Genossen,
ich stehe nicht vor euch,
um die Wirklichkeit mit Übertreibungen zu verschleiern. Die Kreditvereinbarung,
die der Eurogruppe am Samstag zum Beschluss vorgelegt wird, beinhaltet viele
Maßnahmen, die weit entfernt sind von unserer Wahlversprechen und der bei
unserem Amtsantritt abgegebenen Regierungserklärung.
Unter den gegenwärtigen
Kräfteverhältnissen ist das der Preis der Mitgliedschaft in der Eurozone und
der asymmetrischen und fragmentierenden Architektur die sie kennzeichnet. Wir
haben uns dazu entschieden, Griechenland im Euroraum zu halten, das ist der
Preis, den wir dafür zahlen müssen.
Das ist nicht das Europa,
das wir uns wünschen, doch es ist das real existierende Europa.
Was haben wir mit der
Kreditvereinbarung, die wir heute vorlegen erreicht?
Liebe Genossinnen und
Genossen,
es geht heute nicht nur
darum, was wir seit dem 25. Januar getan haben, sondern um unsere
Regierungsfähigkeit insgesamt. Darum, ob es uns gelingen wird, Griechenland zu
verändern. Die Kreditvereienbarung und die von uns zu erfüllenden Vorgaben,
lassen uns Raum, unser Regierungsprogramm umzusetzen und Gesetze zu erlassen,
die der gesellschaftlichen Klasse, der linke Politik verpflichtet ist, dient.
Die Kreditvereinbarung lässt uns Raum, Politik zu betreiben und kann unserer Entschlossenheit,
die Privilegien einer korrupten Oligarchie der Steuerhinterzieher ein Ende zu
setzen, nicht brechen. Sollte jemand glauben, die Kreditvereinbarung gewähre
der Oligarchie in diesem Land Schutz, so versichere ich euch, dass er sich
täuscht.