GAAZA MASSAKKER ISRAELS AN DEN PALÄSTINENSERN
Am Ende wird es einen Staat geben, in dem alle Bürger gleichberechtigt sind
Warum lässt Gott das Gaza-Massaker zu?
Yavuz Özoguz
Ein Massenmord historischen Ausmaßes spielt
sich vor unseren Augen ab. Über 20.000 Zivilisten innerhalb von nicht einmal
drei Monaten im Bombenhagel massakriert, davon die Meisten Frauen und Kinder.
So viele Krankenhäuser wie nie zuvor in solch kurzer Zeit brutal zerstört. So
viele Journalisten wie nie zuvor in solch kurzer Zeit ermordet. So viele
Kriegsverbrechen einer Besatzungsarmee gegenüber dem besetzten Volk und viele
andere Grausamkeiten. Doch warum lässt Gott das zu? Die Frage nach dem
Eingreifen Gottes hat seit dem Glauben an Gott die Menschheit beschäftigt.
Warum hat Gott die Ausrottung der so genannten Indianer zugelassen? Warum hat
Gott zugelassen, dass über acht Millionen Iraner von den britischen Besatzern
ausgehungert wurden [1]? Warum hat Gott den Holocaust zugelassen? Warum lässt
Gott zu, dass die USA weltweit die mit Abstand meisten Militärstützpunkte
unterhält und die mit Abstand meisten Zivilisten seit dem Zweiten Weltkrieg
ermordet hat? Warum darf Israel so ungestraft besetzen? Israelis fragen mit umgekehrten Vorzeichen, warum Gott den
Widerstandsangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 zugelassen habe.
Die Fragen hören nicht auf und klingen wie eine Anklage gegen Gott. Teilweise
sind es sogar klar formulierte Anklagen. Eine der berühmtesten israelischen
Sängerinnen war wütend auf Gott, weil er die Hamas-Invasion zugelassen habe
[2]. Der Schweizer Bestsellerautor Martin Suter will mit Gott ein Hühnchen
rupfen, weil er Ansprüche an ihn stellt [3]. Generationen von christlichen
Theologen und Philosophen haben sich mit der Anklage beschäftigt. Kant lädt im
„Gerichtshof der Vernunft” zur Hauptverhandlung „Menschheit gegen Gott” ein.
Und die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)
Margot Käßmann spricht Gott das Eingreifen in das
Geschehen ab: „Gott ist nicht Spiderman, der in das Geschehen eingreift.“ [4]
Was die Christenheit seit über 2000 Jahren nicht befriedigend erklären kann –
was mit dazu führt, dass die Westliche Welt zunehmend gottlos wird – ist im
Islam leicht verständlich. Gott hat den Menschen im Akt der absoluten
selbstlosen Liebe erschaffen, um ihm die höchste Stufe der Liebe zu schenken.
Wie eine Mutter, die bereit ist für ihr Kind „alles“ zu geben, will Gott uns
„alles“ geben, wozu auch die göttliche Freiheit gehört. Als einziges Wesen in
der Schöpfung ist der Mensch in der Lage Gott zu verleugnen. Kein Atom, kein
Sternensystem, kein Berg oder Tier, kein Engel und kein Teufel kann das. Alle
beneiden den Menschen um diese besondere Gabe der Gnade! Und alles ist für den
Menschen erschaffen. Nimmt der Mensch diese Gnade dankbar an und entscheidet
sich in dieser Freiwilligkeit für Gott, für Gerechtigkeit, für wahre Liebe (und
nicht das, was aktuell als Liebe verkauft wird), so kehrt er eines Tages in
seine Heimat Paradies zurück und hat die höchsten Stufen der Liebe und des damit verbundene Genussfähigkeit geschenkt erhalten. Ist
er hingegen undankbar und lehnt er Gott ab, so kehrt er auch zurück und zündet
sein eigenes mitgebrachtes Höllenfeuer an.
Im Rahmen dieses Menschen- und Weltbildes ist der Tod im genannten Zusammenhang
kein Leid für den Verstorbenen, sondern lediglich für den Mörder. Jeder
irdische Schmerz ist in der Gesamtschau des Sinns des Lebens kein Drama für den
Leidenden, sondern für denjenigen, der das Leid erzeugt hat. Außerdem wer ist
dieser kleine Fliegenschiss namens Mensch, dass er den Schöpfer eines
Universums von unvorstellbaren Ausmaßen für irgendetwas anklagen wollte? Welch
ein Hochmut beherrscht ihn, dass er seinen eigenen Schöpfer, der ihm überhaupt
die Fähigkeit gegeben hat, zu leben, für irgendetwas zur Rechenschaft ziehen
wollte?
Daher ist die als Anklage formulierte Frage „Warum lässt Gott das Gaza-Massaker
zu?“ nur ein Zeichen, dass der Fragende ganz offensichtlich seinen Schöpfer
nicht kennt. Aber die Frage ließe sich auch bei gleicher Schreibweise und
anderer Betonung auch anders stellen: „Warum lässt Gott das Gaza-Massaker zu?“
Was also ist der Sinn hinter dem Gaza-Massaker? Welche Gnade steckt dahinter,
nicht nur für die erlösten Ermordeten, sondern auch für die Überlebenden und
sogar für völlig Unbeteiligte, die mehrere tausend Kilometer entfernt in ihren
warmen Stuben hocken und solche Zeilen in die Tastatur tippen?
In dem Gaza-Massaker stecken viele Aspekte, die hier wertungsfrei wiedergegeben
werden sollen. Ob sie als besondere Gnade oder Fluch angesehen werden, dürfte
vom jeweiligen Standpunkt abhängen.
1. Seit mindestens 40 Jahren gibt es auch in Palästina Schiiten, die sehr gerne
das Vorbild von Imam Husain [5] gerade im Kontext von Palästina bekannt gemacht
hätten. Sie konnten es aber nicht, denn Schiiten waren in Palästina Verfolgte.
Sie mussten ihren Glauben verstecken. Jeder Christ lebte in Palästina seinen
Glauben freier als ein Schiit. So sehr waren die Schiiten bei den
Palästinensern und ihrer Führung verhasst. Der berühmte Palästinenser Jassir
Arafat hatte einstmals seine Truppen gegen „Osten“ (und damit gegen Iran)
aufgestellt anstelle eines Kampfes gegen die Besatzer seines Landes. Der
Palästina-Platz in Teheran ist ein Zeuge für diese traurige Entwicklung, zumal
dort die ehemalige Botschaft Israels stand. Die Botschaft Israels wurde nach
dem Sieg der Islamischen Revolution im Iran enteignet und den Palästinensern
übereignet, der Platz vor der Botschaft wurde umbenannt in „Palästina-Platz“.
Jassir Arafat nahm damals das Angebot Imam Chomeinis
dankend an, um es dann wenige Jahre später abzulehnen mit Hinweisen seiner
Ablehnung der Islamischen Revolution [6]. Seit nunmehr drei Monaten sehen alle
Palästinenser – und auch alle anderen – wer die Palästinenser tatkräftig
unterstützt? Es sind die schiitischen Jemeniten, es sind schiitische Libanesen,
es sind schiitische Iraker (die US-Basen angreifen) und die schiitischen Syrer
und Iraner. Aus dem Rest der muslimischen Welt ist außer einigen markigen Reden
kaum etwas zu spüren.
2. Seit 75 Jahren hat sich die ganze Welt damit abgefunden, dass die
Palästinenser systematisch vertrieben worden sind [7]. Ihnen wurde jeden Tag
neues Land geraubt, die sogenannten Siedler haben das Leben der Palästinenser
terrorisiert und Gaza wurde zum größten Freiluftgefängnis der Welt umgebaut.
Die Westliche Welt hatte sich damit arrangiert, dass Israel machen durfte, was
immer es wollte. Jetzt sieht die Welt, dass 75 Jahre Unterdrückung irgendwann
explodieren kann und die Auswirkungen weit über die Region hinausreichen
können.
3. Die Behauptung, dass israelische Lobbys die Welt beherrschen, insbesondere
das Finanzwesen, die Medien und damit Nachrichtenberichterstattung und damit
die gesamte westliche Politik galt neutral als Verschwörungstheorie und für die
israelische Lobby als Antisemitismus. Kleine Ausrutscher wie das Buch „Die
Israel-Lobby und die US-Außenpolitik“ von John J. Mearsheimer
und Stephen M. Walt aus dem Jahre 2006 [8] galten als Ventil, um behaupten zu
können, man habe jene Meinung immerhin nicht unterdrückt. Jetzt sieht die Welt,
wie einseitig und menschenverachtend die westlichen Medien und die westliche
Politik handeln und dem Besatzer ein maßloses Verteidigungsrecht gegenüber dem
Besetzten zubilligen, während jeder Widertand der Besetzten als Terrorismus
gebrandmarkt wird.
4. Das Gerede von Menschenrechten, Meinungsfreiheit und Demokratie galten als
Markenzeichen des Westlichen Welt. Im Zuge des Gaza-Massakers ist das gesamte
Propaganda-Kartenhaus in sich zusammengebrochen. Heute steht die Westliche Welt
im Rest der Welt für die größten Verbrechen unserer Zeit. Zionisten kündigen
Massaker im Namen der deutschen Staatsräson an [9]. Und der gesamte so genannte
globale Süden wirft nach und nach die Fesseln der Unterdrückung ab und steht
auf der Seite der Palästinenser.
5. Viele Parolen wie „Zionisten sind Rassisten“ oder „Kindermörder Israel“
wurden jahrzehntelang in allen westlichen Staaten gerufen, und im Rahmen der
Meinungsfreiheit problemlos geduldet, da man der Meinung war, die Wahrheit
würde ohnehin das Gegenteil beweisen. Jetzt werden diese Parolen immer weiter
strafrechtlich verfolgt. Die Schlussfolgerung sei jedem selbst überlassen.
6. Die westlichen Journalistenverbände haben sich bei jedem inhaftierten
pro-westlichen Journalisten die Hände Wund geschrieben, um angeblich die
Meinungsfreiheit zu schützen. Bei dem weltweit größten Massaker an Journalisten
in unserer Zeit aber schweigen sie alle! Kann es sein, dass es gar nicht um
Meinungsfreiheit geht?
Und so gäbe es sicherlich noch Dutzende anderer Aspekte, die als große Gnade
des Gaza-Massakers erkannt werden können. Auch das Mitgefühl für 7000 ermordete
Kinder ist eine Gnade. Denn jetzt „outen“ sich weltweit alle menschenverachtenden
Nimmersatten, die keinerlei Mitgefühl für die ermordeten Babys zeigen. Auch
alle Heuchler werden entlarvt.
Doch eines der wichtigsten Aspekte des Gaza-Massakers könnte im Zusammenhang
mit der Heiligkeit unserer Zeit stehen, denn die Heiligkeit muss immer wieder
aufs Neue erkennbar sein. In seinen vielen Reden zum Gaza-Massaker hat er immer
wieder auf seinen Jahrzehnte alten Friedensvorschlag
hingewiesen, dass die Bevölkerung Palästinas selbst über ihr Schicksal
entscheiden sollte. Aber da gibt es einen anderen Aspekt, der nicht in
Vergessenheit geraten sollte. Es gibt einen indirekten Wortwechsel zwischen
Imam Chamenei und Netanjahu der in die Israel-Restzeituhr mündete [10]. Sie
steht auf dem Palästina-Platz in Teheran und zählt die vermutete maximale
Restlaufzeit der Existenz Israels im Tagesrhythmus herunter.
Hintergrund für den Countdown ist eine Rede Imam Chameneis vom 9.9.2015 nach
dem Abschluss des Atomabkommens zwischen der Islamischen Republik Iran auf der
einen Seite und den so genannten fünf Veto-Mächten plus Deutschland auf der
anderen Seite. In dieser Rede hat Imam Chamenei im Rahmen einer längeren
Betrachtung zum Thema gesagt: „Ich möchte ein paar Dinge über das zionistische
Regime sagen. Nach Abschluss der Atomverhandlungen hörten wir, wie die
Zionisten im besetzten Palästina sagen: „Mit diesen Verhandlungen werden wir in
den nächsten 25 Jahren keine Sorgen über Iran haben und danach werden wir
darüber nachdenken.“
Ich möchte sagen, dass Sie als Antwort darauf 25 Jahre ab heute gar nicht
miterleben werden! Durch Gottes Gnade und Segen wird das „zionistische Regime“
in 25 Jahren nicht mehr existieren. Zweitens, auch während dieser Zeit werden
dich der revolutionäre, epische, dschihadistische und
islamische Geist nicht einen einzigen Augenblick in Ruhe lassen! Sie sollten
das wissen. Nationen sind erwacht. Sie wissen, wer der Feind ist. ...“.
Daraufhin haben die Anhänger Imam Chameneis im Jahr darauf auf dem
Palästina-Platz in Teheran jene Uhr enthüllt. Der Begriff „Heiligkeit unserer
Zeit“, wie ihn der weltberühmte katholische Geistliche Ernesto Cardenal
einstmals verwendete [11], muss trotz extrem feindlicher Propaganda für jeden
Wahrheitsliebenden erkennbar und erreichbar sein. Durch die Ereignisse in der
Welt muss die Wahrheit von der Falschheit unterscheidbar sein. Sonst könnte
niemand dafür verantwortlich gemacht werden, dass er es nicht unterscheiden
konnte.
Aber es sind nicht nur Heilige, die etwas vorhersagen. Auch andere versuchen
es, nur dass es dann schief geht. Im Kampf der
Kulturen [12] wurde bereits 1996 darauf verwiesen, dass für den Sieg der
Westlichen Welt über den Islam es notwendig sei, die orthodoxe Kirche auf die
eigene Seite zu gewinnen. Das ist ganz offensichtlich misslungen. Und während
der amtierende westliche Papst homosexuelle Paare halbherzig zu segnen erlaubt,
steht die orthodoxe Kirche Seite an Seite mit dem Islam für ein Menschenbild,
in dem jedem Mann, der denkt er sei eine Frau und jeder Frau, die denkt sie sei
ein Mann, psychologisch geholfen werden muss und nicht der Klempner-Medizin und
Pharma-Industrie, die daran verdienen will. Die Entwicklung steht symptomatisch
für die Westliche Welt, die glaubt Weltherrscher zu sein. Dafür sollen alle
anderen umoperiert oder bevormundet werden. Aber der
Rest der Welt spielt nicht mehr mit und will gesund bleiben.
Die Welt befindet sich im Wandel und in diesem Wandel ist das Gaza-Massaker
eine Gnade für die Menschheit. Am Ende wird es in Palästina weder einen
Judenstaat noch einen Christenstaat noch einen Muslimen-Staat geben, sondern
einen Staat, in dem alle Bürger gleichberechtigt sind. Und dann werden sie der
Westlichen Welt Menschenrechte lehren. Mag sein, dass er schon bald kommt. Mag
auch sein, dass es noch lange dauert. Aber der Mensch glaubt, die Zeit vergeht,
während die Zeit weiß, dass der Mensch vergeht, wenn er nichts Bleibendes
mitnimmt. Der Friede sei mit allen, die der Wahrheit folgen.