Freidenker-Petition
an den Deutschen Bundestag 18.11.2012
I
Die Petition hat folgenden Wortlaut:
„Wir erheben Beschwerde dagegen, dass der
Bundesminister des Äußeren und andere Bundesbehörden sich unter Bruch des
Völkerrechts und des Deutschen Grundgesetzes in die inneren Angelegenheiten der
Arabischen Republik Syrien einmischen, insbesondere durch die Unterstützung
interner wie externer Feinde der rechtmäßigen syrischen Regierung,
einschließlich bewaffneter Gruppen.
Zum Sachverhalt weisen wir darauf hin,
- dass ein Spionageschiff der Bundesmarine vor der
syrischen Küste mit Hilfeakustischer und optischer Sensoren Informationen
sammelt, die an die bewaffneten Gruppen weitergegeben werden;
- dass Saudi-Arabien und Katar, die bewaffnete Gruppen
nach Syrien entsenden, als regionale Militärmächte durch Lieferung deutscher
Panzer gestärkt werden;
- dass der Türkei, von der aus die bewaffneten Gruppen
ungehindert nach Syrien einfallen, offiziell Anerkennung und Solidarität
zugesichert wird;
- dass die nach eigener Auskunft überwiegend aus dem
Budget des Kanzleramts finanzierte Stiftung Wissenschaft und Politik Vertreter
syrischer Oppositionsgruppen nach Berlin eingeladen hat, um über „die Zeit nach
Assad“ zu beraten.
- dass die Bundesregierung andere Regierungen zu
wirtschaftlichen Sanktionen gegen Syrien drängt, um das syrische Volk in seiner
Widerstandskraft gegen die Aggression zu schwächen und zur Revolte gegen die
Regierung zu bewegen;
- dass sich die deutsche Diplomatie offen weigert,
gemeinsam mit den Sicherheitsratsmitgliedern Russland und China und anderen
Ländern auf eine Lösung des inneren Konflikts durch beiderseitigen (!)
Gewaltverzicht und politische Verständigung hinzuwirken.
Diese Handlungen von Bundesbehörden
- stellen in ihrer Gesamtheit eine völkerrechtliche
Aggression dar. Denn nach der Aggressionsdefinition der Resolution der
UN-Generalversammlung vom 14. Dezember 1974 ist nicht nur „das Entsenden
bewaffneter Banden, Gruppen, Freischärler oder Söldner durch einen Staat oder
in seinem Namen“ als eine völkerrechtliche Aggression zu bewerten sondern auch
eine „wesentliche Beteiligung“, wie sie sich aus dem gekennzeichneten
Sachverhalt ergibt;
- sie verstoßen daher gegen das Aggressionsverbot
(Art. 2 Abs. 4 UN-Charta) und gegen die Pflicht zu friedlicher Konfliktlösung
(Art. 2 Abs. 3 UN-Charta). Sie zeugen von offener Missachtung des Prinzips der
souveränen Gleichheit der Staaten (Art. 2 Abs. 1 UN-Charta) und des Verbots der
Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates (Art. 2 Abs. 7
UN-Charta).
- sie unterminieren somit völkerrechtliche
Grundnormen, die nach Art. 25 GG zu den „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“
gehören und „Bestandteil des Bundesrechtes“ sind. Das heißt: „Sie gehen den
Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des
Bundesgebietes“;
- sie missachten schließlich auch das fundamentale
Bedürfnis des deutschen Volkes, in Frieden und Sicherheit zu leben, das darin
zum Ausdruck kommt, dass Artikel 26, Abs. 1 GG bestimmt: "Handlungen, die
geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche
Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines
Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu
stellen."
Die Petition ist eine Initiative des Deutschen
Freidenker-Verbands und des Frankfurter Solidaritätskomitees für Syrien. Sie
wurde am 15. November 2012 von Sebastian Bahlo eingereicht. Er ist Referent des
Vorstands des Deutschen
Freidenker-Verbands für internationale Fragen und
Solidarität. Bahlo ist außerdem neben Salim Tas, dem Vorsitzenden der
Alawitischen Jugend in Deutschland, einer der beiden Sprecher des Frankfurter
Solidaritätskomitees für Syrien. Das Solidaritätskomitee organisierte am 1.
September 2012 in Frankfurt am Main eine große Demonstration gegen die
aggressive äußere Einmischung in Syrien. Es beteiligten sich bis zu 3000
Menschen unterschiedlichster politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen.
II
Zum Charakter des Krieges in Syrien ist von besonderem
Interesse, was der syrische Präsident Bashar Al-Assad am 9. November 2012 in
einem Interview mit dem russischen Auslandsfernsehen „Russia Today“ erklärt
hat. (Voller Wortlaut auf Deutsch siehe: http://cooptv.wordpress.com/2012/11/12/baschar-al-assad-leben-und-sterben-in-syrien/)
Es handele sich, so Assad, um „eine neue Art von
Krieg, Terrorismus durch Stellvertreter, entweder Syrer die in Syrien leben
oder ausländische Kämpfer, die aus dem Ausland kommen“. Das Problem sei, dass
die Terroristen aus den Städten heraus kämpfen, wo Zivilisten anwesend sind.
Die syrischen Sicherheitskräfte müssten sich bewusst sein, dass sie Schäden an
der Infrastruktur und an der Zivilbevölkerung vermeiden müssen. Aber sie
müssten kämpfen, sie könnten nicht zulassen, dass die Terroristen töten und zerstören.
Das sei die Schwierigkeit bei dieser Art von Krieg. Und Assad konstatiert
weiter: „Zweitens ist die Unterstützung, die den Terroristen in jeder Hinsicht,
einschließlich Waffen, Geld und politischer Art geboten wurde, beispiellos.“ Es
werde daher „ein harter Krieg und ein schwieriger Krieg“ werden. Es lasse sich
nicht abschätzen, wann der Krieg beendet sein wird, solange unklar ist, „wann
der Schmuggel von ausländischen Kämpfern aus verschiedenen Teilen der Welt
aufhört, vor allem aus dem nahen Osten und der islamischen Welt“. Ohne diese
Unterstützung der Terroristen vom Ausland her könnte Syrien „innerhalb von
Wochen alles beenden“. Aber solange die kontinuierliche Versorgung der
Terroristen mit Waffen, Logistik und anderem anhält, werde es ein langfristiger
Krieg.
Dieser nüchternen Beschreibung der Lage ist nur
hinzuzufügen, dass schon jetzt völlig klar ist:
1. Fällt das gegenwärtige Regierungssystem, blüht der
syrischen Nation eben genau jener „arabische Frühling“, der gegen die
Interessen der Völker von den imperialistischen Mächten in Szene gesetzt worden
ist: Das Land würde wie Libyen und vorher Irak und Afghanistan wehrlos dem
geostrategischen Verteilungskampf der imperialistischen Mächte ausgeliefert
werden. Mit Syrien fiele in der Region das letzte Bollwerk des Säkularismus,
der Stabilität und des Zusammenlebens. Schon jetzt sind Christen, Alawiten, Tscherkessen,
Schiiten, moderate Sunniten und andere durch terroristische Trupps von Salafisten,
Moslembrüdern und Al-Qaeda an Leib und Leben bedroht. Von der zu erwartenden
Destabilisierung der Region insgesamt ganz zu
schweigen.
2. Hält Syrien dagegen unter der Führung Assads dem
Anschlag stand, bedeutet
das erstmals einen erheblichen Rückschlag für die
westliche Strategie der dauernden Kriege, gewaltsamen Regierungswechsel und
neokolonialen Besatzungsregimes. Nachdem vor über zwei Jahrzehnten der
Untergang der sozialistischen Staaten Europas die Voraussetzungen für eine
nahezu ungebremste imperialistische Expansion schuf, deutet sich nunmehr im Syrien-Krieg
an, dass dieser Konflikt als Katalysator der Herausbildung eines neuen
multilateralen, multipolaren Gleichgewichts des internationalen Staatensystems
wirken könnte. Das zeigt sich am deutlichsten an der selbstbewussteren Haltung
Russlands und Chinas sowie anderer Staaten. Verantwortungsbewusste Politiker
vieler Länder erkennen, dass dem maßlosen Vormachtstreben der Länder des
Atlantikblocks Schranken gesetzt werden
müssen und können.
Die Petition versucht bewusst zu machen, was im
Syrien-Konflikt sowohl für das geschundene Land und die ganze Region als auch
auf weltpolitischer Ebene auf dem Spiele steht.
III
Abschließend eine Bemerkung zu jenen in der Linken und
in der Friedensbewegung, die mit oppositionellen Gruppierungen in Syrien sympathisieren
und meinen, durch Parteinahme gegen die Regierung Syriens etwas Positives
bewirken zu können.
Mit der Intensivierung der militärischen Operationen
des Westens gegen Syrien wachsen die Zweifel. Die Gräueltaten der
terroristischen Banden finden inzwischen auch in den Mainstreammedien
Beachtung. Auch in offiziellen Kreisen befürchtet man, dass in einem
herbeigebomten „anderen Syrien“ keine irgendwie modernen oder gar
fortschrittlichen Kräfte sondern Salafisten, Al-Qaeda-Gruppen, Wahabisten und
andere Akteure des reaktionärsten politischen Islam das Sagen haben würden. Ist
es möglich, länger die Augen davor zu verschließen, dass die Zerrüttung der
syrischen Gesellschaft durch Sanktionen und Bandenterror, die Zerstörung eines funktionierenden
Staatswesens eine "humanitäre Katastrophe" von ungekannten Ausmaßen
wäre? Von der Gefahr für den Weltfrieden ganz zu schweigen.
Die Petition, die auf der Einhaltung des Völkerrechts
besteht, ist nicht mit der Bemerkung beiseite zu schieben, dass das Völkerrecht
doch schon so oft gebrochen worden ist. Gerade in der Syrien-Krise tritt
gegenwärtig mit äußerster Klarheit vor Augen, dass die Geltung der
völkerrechtlichen Regeln eine grundlegende Bedeutung für die menschliche
Zivilisation hat. Und auch folgendes wird klar: Verwirklicht und gesichert
werden die Normen des Völkerrechts nicht
allein durch allgemeine Rechtsüberzeugung sondern letztlich durch Zwang, der
von den Staaten individuell oder kollektiv ausgeübt wird. Daher leistet ein
Staat, der wie gegenwärtig Syrien gegen Aggressionshandlungen gemäß seinem
„naturgegebenen Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung“
(Art. 51 UN-Charta) militärische Verteidigungsmaßnahmen ergreift, auch einen Beitrag
dazu, dem Völkerrechtsbruch Schranken zu setzen, d.h. den Respekt
völkerrechtlicher Normen zu sichern. Ein solcher Staat hat in dieser (!)
Beziehung unbedingten Anspruch auf internationale Solidarität. Wer mit einem
angegriffenen Staat und seiner Regierung im Sinne des Rechts der Völker
solidarisch ist, handelt grundsätzlich anders als bürgerliche Regierungen, die
oft nach dem Motto verfahren „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“. Ein
Paradebeispiel dafür liefert gegenwärtig die Bundesregierung, die ständig
andere Länder in Sachen Menschenrechte belehrt und gegen Syrien ohne jeden
Skrupel gemeinsame Sache mit den reaktionärsten Despotien wie Katar und
Saudi-Arabien macht. Dieselbe prinzipienlose „Freund-Feind-Logik“ den
Befürwortern internationaler Solidarität mit Syrien zu unterstellen, ist nichts
anderes als ein Totschlagargument. Wer es benutzt, will alle Kräfte, die vom
Westen als „Feind“ ausgemacht sind, als solidaritätsunwürdig diffamieren, will überhaupt,
dass sich fortschrittliche Kräfte von internationaler Solidarität verabschieden,
will vergessen machen, dass internationale Solidarität auf der Grundlage der
Verteidigung des Völkerrechts Ausdruck der Interessen aller Völker ist, also
auch der eigenen Klasse und Nation, weil, wie gesagt, das zivilisierte
Zusammenleben der Völker von der Wirksamkeit völkerrechtlicher Normen abhängt.
Die Initiatoren der Petition möchten manchen ihrer
Mitstreiter in der Linken und in der Friedensbewegung Folgendes zu bedenken
geben: Muss die Gestaltung der Politik Syriens nicht allein der syrischen
Nation überlassen bleiben? Ist es moralisch gerechtfertigt und politisch
richtig, dieselben Ziele wie die Interventionsmächte, den „Sturz Assads“, „ein
anderes Syrien“ etc. zu propagieren und zu legitimieren, auch wenn man meint,
damit ganz andere Vorstellungen zu verbinden? Ist es nicht vielmehr dringend
geboten, gegen das verantwortungslose Verhalten der eigenen Regierung im
Syrien-Konflikt politisch Front zu machen, d.h. konkret von der Bundesregierung
zu fordern, die Normen des Völkerrechts einzuhalten und die aggressive
Einmischung in Syrien zu beenden?
Mit freundlichen Grüßen
Deutscher Freidenker-Verband e.V.
Quelle: https://epetitionen.bundestag.de/epet/petuebersicht/mz.$$$.SSI.true.batchsiz